Mehr Klartext
Thomas Hecker, Berlin
Liebe Genossinnen, liebe Genossen, hin und wieder werden wir gefragt, ob die KPF nicht eine Art Nostalgieverein für frühere SED-Mitglieder ist, die sich unentwegt mit der Vergangenheit befassen und kaum mit den heute anstehenden politischen Fragen.
Diese Fragestellung ist aus mindestens zwei Gründen untauglich, zu einer stimmigen Einschätzung der KPF zu gelangen. Zum einen sind die uns zugehörigen Genossinnen und Genossen, die dazu in der Lage sind, in großem Maße in der Partei, in Bewegungen oder z.B. Sozialvereinen, wie der Volkssolidarität aktiv. Demzufolge ist auch unsere Themensetzung nicht eingeengt, nehmen wir nur unsere monatlichen Mitteilungen oder den heutigen Sprecherratsbericht. Zum anderen ist die Auseinandersetzung mit der Geschichte ein sehr, sehr heutiges politisches Thema. Man muss sich nur anschauen, welchen strategischen Wert unsere politischen Gegner ihrer Interpretationshoheit in puncto Vergangenheit beimessen. Sie betreiben die Totaldenunziation der DDR, um jeden Gedanken an eine nichtkapitalistische zukünftige Gesellschaft im Keim zu ersticken. "Ihr seht doch, was bei dem Versuch schon einmal heraus gekommen ist", suggerieren sie. Was für den politischen Gegner strategische Bedeutung hat, kann für uns keine zu vernachlässigende Größe sein - das ist schon ein Gebot der Logik.
Denken wir nur an die jüngsten, unzumutbaren Äußerungen von Gauck, der von einem untrennbaren historischen Zusammenhang der Pogromnacht vom 9. November 1938 und des Mauerfalls von 1989 sprach. "Die Geschichten gehören zusammen", sagte er. "Unsere jungen Leute sollen nicht zwei konkurrierende Geschichtserzählungen verinnerlichen." Was wohl meint Gauck, wenn er von konkurrierenden Geschichtserzählungen redet? Dass die Ungeheuerlichkeit des faschistischen Krieges und der durch die Nazis begangenen millionenfachen Massenmorde nicht konkurrenzlos bleiben soll? Antikommunisten wie er hoffen auf den Tag, da die stetigen Vergleiche und Gleichsetzungen von Rot und Braun dazu geführt haben werden, dass an Stelle von Kenntnissen über die Geschichte nur noch ein Klischee getreten sein wird: dass Kommunisten und Nazis Brüder im Geiste sind, die sich in der Tat nichts nehmen. Sich gegen ein solches Geschichtsbild zu wenden, ist auch ein aktuelles antifaschistisches Erfordernis. Mit Nostalgie jedenfalls hat das nichts zu tun.
Es ist kein Zufall, dass seit 1990 ununterbrochen von unserer Partei verlangt wurde und wird, das vom Zeitgeist diktierte herrschende Geschichtsbild zu akzeptieren. Zu oft wurde dem nachgegeben. Die KPF betrachtet es tatsächlich als eine ihrer wesentlichen Aufgaben, für ein differenziertes Geschichtsbild einzutreten, nicht in erster Linie, aber auch, weil nur eine sachliche Analyse der DDR-Entwicklung der antifaschistischen und antikapitalistischen Lebensleistung einer ganzen Generation gerecht wird. Und der historische Stellenwert dieser Leistung rückt in Anbetracht der aktuellen Krise des Kapitalismus täglich mehr ins Bewusstsein derer, die sich ein eigenständiges politisches Denken bewahrt haben. Summa summarum: Die Auseinandersetzung um Geschichtsfragen ist ein Hauptbestandteil des gegenwärtigen politischen Kampfes - ob uns das passt oder nicht. Das Kräfteverhältnis in dieser Auseinandersetzung könnte ungünstiger nicht sein. Zum einen ist die Übermacht der Mainstream-Medien schier unglaublich. Zum anderen ist die Anzahl derer, die in puncto Geschichte öffentlich wider den Stachel löcken, nicht gerade groß. Man darf in diesem Land gegen alles Mögliche sein, ohne seine politische Karriere zu gefährden. Die DDR zu verteidigen, ist ein sicherer Karrierekiller.
Kommunistinnen und Kommunisten gehören zu jener kleinen Minderheit, die sich dem Zeitgeist auch im Rahmen der sogenannten Vergangenheitsbewältigung nicht unterordnet. Davon zeugen auch unsere Publikationen. Sie sind einerseits nur ein Tröpfchen auf den heißen Stein. Andererseits aber sind sie der lebende Beweis dafür, dass Menschen sich dem Mainstream entgegenstellen. Diese inhaltliche Position ist untrennbar mit organisatorischer Arbeit verbunden. Hinsichtlich der Mitteilungen wird Genosse Helmut Müller in der Diskussion dazu sprechen. Ich möchte etwas zu unserer Arbeit mit unseren beiden Büchern "Das Vermächtnis" und "Klartexte" sagen.
Michael Benjamin, den am 7. August 2000 die Folgen einer schweren Operation mitten aus dem politischen Leben gerissen hatten, würde am 27. Dezember 80 Jahre alt werden. Die Briefe und Schriften, die Werner Wüste aus dem Nachlass von Mischa für das Buch "Michael Benjamin: Das Vermächtnis. Bekenntnisse eines Sozialisten" zusammengestellt hat, sind für Linke jeder Generation, in Ost und West, unbedingt lesenswert. Der Verlag edition Ost hatte seinerzeit 3.000 Exemplare aufgelegt, und wir hatten uns entschieden - nachdem die Buchpreisbindung aufgehoben war und noch etliche Bücher vorhanden waren - auf der Bundeskonferenz im April 2010 das Buch allen Delegierten der Konferenz zur politischen Arbeit zur Verfügung zu stellen, und wir haben bis heute nach und nach insgesamt 600 Exemplare vom Verlag übernommen und bis auf weniger als 100 Exemplare alle verkauft - zum Selbstkostenpreis von 2,50 Euro.
Im Buch "Klartexte. Beiträge zur Geschichtsdebatte", dessen Herausgabe wir auf der KPF-Bundeskonferenz im November 2008 beschlossen hatten, ist eine Auswahl von Artikeln namhafter Autorinnen und Autoren aus 20 Jahrgängen der "Mitteilungen der KPF" veröffentlicht - von Prof. Michael Benjamin, Ellen Brombacher, Daniela Dahn, Kurt Goldstein, Prof. Erich Hahn, Jürgen Herold, Prof. Uwe-Jens Heuer, Gisela Karau, Prof. Heinz Karl, Prof. Hermann Klenner, Egon Krenz, Prof. Anton Latzo, Prof. Ronald Lötzsch, Siegfried Lorenz, Prof. Moritz Mebel, Prof. Kurt Pätzold, Dr. Andrej Reder, Walter Ruge, Sergio Villegas, Sahra Wagenknecht, Dr. Friedrich Wolff bis zu Werner Wüste. Es ist keine Kleinigkeit, dass wir von diesem Buch seit Oktober 2009 nach und nach 750 Exemplare drucken und - trotz des durch die "Print-on-demand"-Technologie verursachten Preises von 19,90 Euro - 650 Exemplare verkaufen konnten.
Allerdings ist die Beteiligung der Landesorganisationen der KPF sehr unterschiedlich, und sie stagniert seit einem halben Jahr. Sie reicht von 218 verkauften "Klartexten" in Berlin, 67 in Sachsen und 48 in NRW bis zu einstelligen Werten in Baden-Württemberg, Bremen, Rheinland-Pfalz und im Saarland. Insbesondere die Möglichkeiten, die Bücher auf Veranstaltungen in den Bundesländern an Interessierte zu bringen und mit diesen dadurch ins Gespräch zu kommen, werden sehr unterschiedlich und insgesamt unzureichend genutzt.
Liebe Genossinnen, liebe Genossen, auch heute sind beide Bücher an unserem Bücherstand erhältlich, und wir würden uns sehr freuen, wenn die Anzahl der Exemplare nicht reichen würde und wir weitere Bestellungen aufnehmen könnten. Wir bitten alle Landessprecherräte, sich in Auswertung der heutigen Konferenz spätestens im 1. Quartal 2013 darüber zu verständigen, wie viele Bücher im kommenden Jahr etwa vertrieben werden sollen.
Mehr von Thomas Hecker in den »Mitteilungen«:
2011-05: Bericht des Sprecherrates an die 3. Tagung der 15. Bundeskonferenz
2010-06: Programm ohne Analyse?
2010-03: Heinrich Fink wird 75