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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Kulturvolle Programmdebatte ist keine Selbstverständlichkeit

Ellen Brombacher, Berlin

 

Der am 16. Mai 2010 spätabends ausgestrahlte ARD-Bericht vom Parteitag der LINKEN endete sinngemäß mit der Feststellung, die LINKE müsse, bezogen auf die Erwartungen der SPD-Spitze, schnell eine Antwort hinsichtlich ihrer Haltung zu UN-Militäreinsätzen finden. Zuvor hatte Christine Buchholz im Interview die friedenspolitischen Prinzipien unserer Partei bekräftigt, während Stefan Liebich selbige als diskussionswürdig darstellte. Gerade dieser Abschluß der ARD-Reportage, die sich im wesentlichen mit der Frage der Koalitionsfähigkeit der LINKEN in NRW, aber auch im Bund befaßte, unterstrich, daß 2013 nur durch die Infragestellung unserer friedenspolitischen Grundsätze eine rot-rote oder rot-rot-grüne Koalition denkbar wäre.

Vor dem Hintergrund dieser bevorstehenden Auseinandersetzungen im Rahmen der angelaufenen Programmdebatte sind Verlauf und Ergebnisse des Rostocker Parteitages zu bewerten.

Zuvor jedoch ein herzlicher Glückwunsch an Sahra zu ihrem ausgezeichneten Wahlergebnis als stellvertretende Parteivorsitzende.

Hoffnungen auf einen chaotisch verlaufenden Parteitag erfüllten sich nicht. Der letztlich doch klar ausgegangene Mitgliederentscheid für das Personaltableau und die Wahlergebnisse in NRW schufen hierfür die entscheidende Grundlage. Allerdings sollten die Parteimitglieder alsbald nicht wieder mit einer Situation konfrontiert werden, in der ihnen nicht zuvörderst stringente Entscheidungen, sondern vielmehr bloße Disziplin abverlangt werden. Die KPF hat sich für ein Ja im Mitgliederentscheid ausgesprochen, trotz ihrer Kritik an dessen Struktur. Es war uns bewußt, daß das vorgeschlagene Personaltableau einerseits bei weitem keine ideale Lösung darstellte, es andererseits aber jeglichen Versuch des Forum Demokratischer Sozialismus (fds) zunichte machen würde, den zu wählenden Parteivorstand nach dem Ausscheiden Lafontaines zu dominieren. Mit dem neugewählten Vorstand, respektive dem geschäftsführenden, sind Chancen gegeben, die wesentlich von Oskar Lafontaine geprägte, erfolgreiche Politik der LINKEN fortzusetzen.

Nur, wenn kein Blatt Papier zwischen Gesine Lötzsch und Klaus Ernst paßt, wird das halbwegs ausgewogene Kräfteverhältnis zur Geltung kommen, zwischen jenen, die 2013 im Bund die Regierungsverantwortung auch um den Preis der Aufgabe der friedenspolitischen Prinzipien anstreben, und jenen, die diesen Preis zu zahlen nicht bereit sind. Ein deutliches Übergewicht zeichnet sich im Vorstand derzeit weder so noch so ab, vorausgesetzt, alle Vorstandsmitglieder, die sich in puncto Friedenspolitik der LINKEN kompromißlos geben, lehnen auch UN-Militäreinsätze nach Kapitel VII der Charta ab. Die faktische Pattsituation im Vorstand unterstreicht die Notwendigkeit, alles zu tun, damit das Wort der Parteibasis in der Programmdebatte das Gewicht erhält, welches ihr zukommt.

Es werden diejenigen die Richtung des im zweiten Halbjahr 2011 zu beschließenden Parteiprogramms bestimmen, denen es gelingt, die Basis von ihren Positionen zu überzeugen und sie dafür zu mobilisieren. Ausgehend hiervon wäre es wünschenswert gewesen, der Parteitag hätte die Polarisierung deutlicher werden lassen, die sich in der seit der Entwurfsveröffentlichung stattfindenden Debatte herauskristallisiert. Eine Diskussionszeit von nur einer Stunde und fünfundvierzig Minuten – zudem bei vier plus zwei gesetzten Rednern, der Auslosung aller anderen Redner, bei nur drei Minuten Redezeit – entsprach in keiner Weise der Notwendigkeit, die Lage in der Partei zu widerspiegeln. Gleiches gilt für die Behandlung von Dringlichkeitsanträgen, die, bis auf zwei, aus Zeitgründen an den Parteivorstand überwiesen werden mußten, ohne eine Festlegung, bis wann diese zu behandeln sind. Zwei dieser Dringlichkeitsanträge veröffentlichen wir ebenso in diesem Heft, wie die nichtgehaltenen Diskussionsbeiträge von Thomas Hecker und Wulf Kleus.

Noch ein Wort zu Urteilen über den neugewählten Parteivorstand. Wiederum haben wir es mit dem Versuch zu tun, Ost und West gegeneinander auszuspielen. Der Osten sei in den gewählten Leitungen unterrepräsentiert, kann man z.B. im Internet lesen. Allerdings: Bis auf Helmut Scholz wurden alle von den Ostlandesvorständen vorgeschlagenen Kandidatinnen und Kandidaten, häufig dem fds angehörend, gewählt. Worin besteht also das Problem? Daß Nele Hirsch, Christine Buchholz, Tobias Pflüger, Ida Schillen und andere keine Erwähnung im Schreiben der Ost-Landesvorsitzenden an ihre Westgenossen fanden und dafür von den Westlandesvorsitzenden vorgeschlagen wurden? Diese und andere Genossinnen und Genossen stehen für eine von der Mehrheit der Parteibasis getragene Linie, im Osten wie im Westen. Im übrigen währt die beigetretene deutsche Einheit mittlerweile halb so lange, wie DDR und BRD getrennt voneinander existierten. Wie lange soll in einer Partei, die zu Recht für sich in Anspruch nimmt, die Vereinigung auf faire Weise vorgenommen zu haben, noch die Debatte geführt werden, wo wer am längsten seinen Lebensmittelpunkt hatte? Die Zeiten, da die Landesvorstände Ost beinahe uneingeschränkt darüber verfügten, wer eine Chance hatte, in den Parteivorstand gewählt zu werden, sind zum Glück vorbei.

Ob das so bleibt, wird wesentlich vom Verlauf und den Ergebnissen der Programmdebatte abhängen. Die wird sehr prinzipiell werden. Das verdeutlichen nicht zuletzt die Reden von Klaus Lederer und Petra Pau auf dem jüngsten Berliner Landesparteitag sowie das Papier von Inga Nitz und Stefan Liebich "Mut zur Reform". Im Papier finden wir zum vorliegenden Programmentwurf unter anderem: "An die Stelle manch durchsichtiger antikapitalistischer Rhetorik, verbunden mit unrealistischen Analysen über gesellschaftliche Ausgangsvoraussetzungen sowie daraus resultierende politische Maximalforderungen gesellschaftlicher Veränderung sollten deutliche Beschreibungen des aktuellen Potentials der Gesellschaft für schrittweise Veränderungen treten." An anderer Stelle heißt es: "Bereits im ersten Absatz ist – zumindest mißverständlich – formuliert, daß es zum Ringen um andere gesellschaftliche Verhältnisse eines anderen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells bedarf. Hier relativiert sich das gegenwärtige Engagement gegen Armut, für Frieden, gesellschaftliche Teilhabe und mehr demokratische Rechte bereits im doppelten Sinne, und zwar mit problematischen Konsequenzen. Entweder wird die schrittweise Verbesserung nur als marginale Vorstufe zum eigentlichen Ziel unterbewertet, oder es bedarf erst eines anderen Gesellschaftssystems, um die Ziele überhaupt zu erreichen. Dieses – im Grunde neokommunistische – Politikverständnis findet sich an zahlreichen Stellen im Programmentwurf wieder."

Solche Formulierungen bezeugen, daß eine kulturvolle Programmdebatte keine Selbstverständlichkeit sein wird. Genau die aber brauchen wir, um den erfolgreichen Weg der LINKEN fortzusetzen. Wir brauchen die Selbstverständigung darüber, in welcher Welt wir leben, und darüber, ob es in dieser Welt ein nennenswertes aktuelles Veränderungspotential geben kann, ohne daß sich "das gegenwärtige Engagement gegen Armut, für Frieden, gesellschaftliche Teilhabe und mehr demokratische Rechte" mit dem Ringen "um andere gesellschaftliche Verhältnisse eines anderen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells" verbindet. Die Entwicklungen in Lateinamerika sprechen in diesem Zusammenhang eine deutliche Sprache. Ernesto Cardenal hat dazu bewegende Worte auf dem Parteitag gefunden, voller Hoffnung auch in die politische Entwicklung der LINKEN.

 

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