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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Kriegsgefahr in Südamerika

Moritz Hieronymi, Peking

 

Territorialstreitigkeiten zwischen Venezuela und Guyana

 

Nachdem der Präsident Venezuelas, Nicolás Maduro, eine Volksabstimmung über den Status des Territoriums Guayana Esequiba angekündigt hatte, war das Entsetzen in der westlichen Welt groß. In vorauseilender Hysterie wurde das Schreckensbild einer Annexion und eines drohenden Angriffskrieges durch Venezuela gegen sein Nachbarland Guyana prognostiziert. Am 1. Dezember, zwei Tage vor der geplanten Volksabstimmung, erließ der Internationale Gerichtshof eine einstweilige Verfügung gegen Venezuela, sämtliche Maß­nahmen, die den territorialen Status von Guayana Esequiba betreffen, zu unterlassen. Die­ser neue Konflikt, der häufig in Verbindung mit dem US-Ölkonzern Exxon gebracht wird, hat dabei eine langzurückliegende Geschichte, der nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird.

200 Jahre andauernder Gebietsdisput

Das Gebiet Guayana Esequiba ist kein geographisch eingrenzbares Gebiet, sondern Pro­dukt der willkürlichen Landpolitik der Kolonialmächte. Das von Venezuela beanspruchte Territorium umfasst circa 150.000 km2, das sich zwischen den Mündungsgebieten des Esequibo- und des Orinoco-Flusses erstreckt. DieserLandstrich besteht aus dichten Dschungeln und einem Hochgebirge mit wenigen Ansiedlungen und Infrastrukturen. Im Norden wird das Gebiet vom Atlantik abgeschlossen, sodass der territoriale Konflikt Aus­wirkungen auf den Verlauf der venezolanischen Seegrenzen und somit auf Ansprüche über die Inseln in Essequibo Islands – West Demerara hat.

Neben Venezuela erhebt der östliche Nachbar Guyanas, Suriname, Forderungen, die sich auf das New River Triangle erstrecken. Auch der südliche Nachbarstaat Brasilien hatte in der Vergangenheit medienwirksam über angebliche Ansprüche philosophiert. Hieran zeigt sich, dass der Aggressions-Vorwurf gegen Venezuela eine von Unterkomplexität geprägte Behauptung ist, die die historischen und politischen Hintergründe vernachlässigt:

Im Jahr 1640 hatten sich holländische Reeder an der »wilden Küste« Guianas niedergelas­sen. Der Versuch in den Folgejahren eine Kolonie zu etablieren, scheiterte an verschiede­nen Interessenkonflikten mit der Kolonialmacht Spanien. Bis zur Abgabe der Gebiete an Großbritannien im Jahr 1814 in Folge der Napoleonischen Kriege blieb der Grenzverlauf des niederländischen Überseegebietes ungeklärt. Im Jahr 1819 erklärte der Staat Gran Co­lombia die Unabhängigkeit von Spanien und beanspruchte das Territorium Guyana Esequi­ba. Einer dessen Nachfolgestaaten, Venezuela, übernahm ebenfalls die Gebietsforderung und argumentierte, dass seine Ostgrenze von den Kolonalmächten niemals festgelegt wur­de. Hinzu kam, dass Großbritannien ursprünglich keinen Anspruch auf das Gebiet westlich des Esequibo legte.

Um diese Ungewissheiten endgültig ad acta zu legen, beauftragte die Britische Krone den deutschen Geographen, Biologen und Weltentdecker Robert Hermann Schomburgk, einen zukünftigen Grenzverlauf zu kartographieren. Der honorige Deutsche hatte daraufhin meh­rere Vorschläge unterbreitet, welche er mit dem Vermerk »dieses gebühre keiner Autorität, bis die respektiven Regierungen zugestimmt haben« versah. Die Schomburgk-Linie sollte dabei als Kompromiss dienen, welche die Interessen beider Staaten berücksichtigt hätte. Später wird sich jedoch herausstellen, dass Großbritannien diesen Vorschlag zulasten Venezuelas abgefälscht hatte. Bis zum Jahr 1899 stimmten Großbritannien als Kolonial­macht des heutigen Guyana und Venezuela darin überein, dass der Grenzverlauf zwischen den beiden Staaten ungeklärt sei.

Paris oder Genf?

Unter Vermittlung der USA stimmten Großbritannien und Venezuela überein, ihre Grenz­streitigkeiten in einem Schiedsverfahren beizulegen. Die USA standen nach Konflikten um den Panama-Kanal auf Seiten von Venezuela, um den britischen Einfluss in Südamerika zurückzudrängen. Ein Schiedsgericht in Paris wurde von beiden streitführenden Parteien anerkannt, wobei mehrheitlich Vertreter von Kolonialmächten die Schiedsrichter stellten. Die Schiedsentscheidung fiel zugunsten Großbritanniens aus, welchem 90 Prozent des Gebietes zugeschlagen wurde. – Dieses historische Momentum führt seit jeher zu regen Diskussionen über die heutigen Gebietsansprüche von Venezuela. Zuvörderst ist festzu­stellen, dass Venezuela den Schiedsspruch akzeptierte und somit dem Grenzverlauf zustimmte. Zugleich vertrauten die Venezolaner auf die Neutralität und Rechtmäßigkeit der Schiedsentscheidung.

Dieses Vertrauen sollte jedoch im Jahr 1949 stark erschüttert werden, als die Memoiren des US-Juristen und Vertreters im Pariser Schiedsverfahren, Mallet Prevost, veröffentlicht wurden. Hierin berichtet Prevost, dass die Entscheidung aufgrund von Unrechtmäßigkeit zustande gekommen sei. So hätten die USA und Großbritannien einen geheimen Deal abgeschlossen, der den wirtschaftlichen Interessen beider Großmächte in der Region Rechnung trug. Ferner sei Venezuela nicht in der Lage gewesen, sich ordnungsgemäß in Paris vertreten zu lassen. Prevost endete, dass der Inhalt der Pariser Entscheidung maß­geblich auf die Beeinflussung der Schiedsrichter durch Großbritannien und die USA zurückzuführen sei.

Da dieser Schiedsspruch auf einer vertraglichen Grundlage zwischen Venezuela und Groß­britannien fußte, sind die allgemeinen Regeln des internationalen Vertragsrechts, mithin das Nichtigkeitsrecht, anwendbar. Nichtigkeitsgründe sind demnach Irrtum, Betrug, Beste­chung, Zwang und völkerrechtswidrige Vertragsinhalte. – Die Rechtmäßigkeit der Pariser Entscheidung von 1899 ist mithin sehr zweifelhaft. Auch aus diesem Grund wurden unter Vermittlung der UNO im Jahr 1966 neue Verhandlungen über den Grenzverlauf geführt. Das Geneva Agreement sollte eine Verhandlungsserie einleiten, in dem der territoriale Status von Guayana Esequiba festgelegt werden sollte. In diesem Vertrag stimmen beide Seiten überein, dass bis zur Streitniederlegung das Territorium von dem neugegründeten Staat Guyana verwaltet werden soll. In den Folgejahren kam es zu keiner Übereinkunft.

Geopolitische und geoökonomische Machtspiele

Guayana ist ein von der Weltöffentlichkeit vernachlässigter Landfleck. Dabei ist dieses Ter­ritorium seit seiner Unabhängigkeit Spielball der Großmächte. Der sozialistische Premier und spätere Präsident Forbes Burnham hatte seit der Unabhängigkeit seines Landes enge Beziehungen mit westlichen und sozialistischen Staaten entwickelt. Die Sowjetunion baute in Georgetown eine ihrer größten diplomatischen Vertretungen in Lateinamerika auf. Zugleich hatten westdeutsche, niederländische und US-amerikanische Öl-Konzerne Schürfrechte in dem rohstoffreichen Land erhalten. Neben horrenden Öl- und Diamantenvorkommen befindet sich Guayana in einer geographischen Achse, die Brasilien, Venezuela und die englischsprachige Karibik miteinander verbindet.

Guyana pflegt bis heute hochentwickelte Beziehungen zu Washington und Moskau, wäh­rend neuerdings die Volksrepublik China zum wichtigen Handelspartner geworden ist. Es wird in Washington befürchtet, dass Guyana sein Territorium für chinesische oder russi­sche Militärbasen zur Verfügung stellen könnte. So eignet sich Guyana, wie Französisch-Guyana, wo sich das Europäische Raumfahrtzentrum befindet, zur Stationierung von Mit­tel- und Langstreckenraketen.

Vernunft in Sicht

Am 15. Dezember 2023 trafen sich Nicolás Maduro und Irfaan Ali zu Gesprächen im Insel­staat St. Vincent und die Grenadinen. Beide Staatschefs einigten sich, ihre Konflikte ohne Anwendung von Gewalt zu lösen. Es bleibt abzuwarten!

 

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