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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Die Queen unter Volksherrschaft

Moritz Hieronymi, Peking

 

Anmerkungen zum 40. Jahrestag des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs der USA gegen Grenada

 

Am Dienstag, den 25. Oktober 1983, besetzten US-amerikanische Marines die beiden Flughäfen auf der Karibikinsel Grenada. Innerhalb weniger Stunden wurden wichtige stra­tegische Ziele unter Kontrolle gebracht. Die kleine Insel mit einer Bevölkerung von kaum 100.000 Menschen sollte bis zum 28. Oktober mit über 7.000 US-Soldaten überrannt und schließlich militärisch besetzt werden. Operation Urgent Fury, Einsatz der eiligen Wut, tauf­ten die USA dieses Unterfangen. Der letzte »erfolgreiche« chirurgisch-präzise Krieg [1] der USA richtete sich gegen den Versuch einer sozialistischen Geostrategie in der Karibik.

Grenada am Scheideweg

Grenada teilt das gleiche koloniale Erbe wie die anderen Inseln der Karibik: In der fast 500 Jahre andauernden kolonialen Unterdrückung stand die Insel abwechselnd unter französi­scher und britischer Obhut. Mit dem Frieden von Paris (1783) fiel dem britischen Imperium die abschließende Territorialgewalt zu. Bis 1833 wurden afrikanische Sklaven nach Grena­da verschifft, um auf Zuckerrohrfeldern, Kakao- oder Bananenplantagen ausgebeutet zu werden. In dieser Zeit bildete sich eine plantokratische Herrschaftsform heraus, in welcher Farmerfamilien die wirtschaftliche und politische Macht ausübten. Dieses führte zuse­hends zu Spannungen mit den Kolonialherren aus Großbritannien. [2] Mit dem Verbot der Sklaverei setzte in den 1890er Jahren eine Landflucht in das wohlhabendere Trinidad und Tobago ein. Es folgte der wirtschaftliche Niedergang von Grenada.

Um eine Scheinordnung zu gewährleisten, sah sich London veranlasst, seine karibischen Kolonien in einzelne Crown Colonies umzuwandeln, denen Gouverneure vorgeschaltet wur­den. Diese Maßnahme führte jedoch zur Verschärfung der sozio-ökonomischen Situation. Zum einen blieben die Eigentums-, mithin die Machtverhältnisse, unverändert, zum ande­ren standen die vormals kooperierenden Inseln plötzlich in einem Konkurrenzverhältnis. [3] Jahrzehnte der Stagnation folgten. Im Jahr 1949 drückte sich die Malaise kolonialer Miss­wirtschaft wie folgt aus: 1,5 Prozent der weißen Farmer besaßen 44,7 Prozent der Agrar­flächen [4]; aufgrund eines Klassenwahlrechts waren 85 Prozent der Wahlberechtigten nicht repräsentiert. [5]

Von den antikolonialen Bewegungen in Lateinamerika getragen stand der Gewerkschafts­führer Eric Gairy der ersten sozialen Reformbewegung in Grenada vor. Mit der Lockerung der britischen Kolonialherrschaft ab 1951 wurde Gairy zur prägenden politischen Figur. Jedoch wandelte sich der starke Mann Grenadas zum Paladin der Mächtigen: Vetternwirt­schaft und Korruption gediehen, abgesichert von der brutalen Privatarmee, Mongoose Gang, die mit marodierender Willkür Grenada in Schrecken hielt.

Revolution – Putsch – Invasion

Mit der Wahl des sozialistischen Premierministers Michael Manley in Jamaika setzte ein Stimmungswechsel in der Karibik ein, der den sozialen Bewegungen auf den Westindi­schen Inseln Aufwind verlieh. [6] Der Druck auf die Kolonialmacht Großbritannien wuchs. In Westminster wurde man sich bewusst, dass eine Unabhängigkeit der karibischen Kolonien nicht länger aufzuschieben sei. Zeitgleich wurde befürchtet, dass mit der Unabhängigkeit vieler Kleinststaaten, die ökonomisch nicht überlebensfähig wären, die Region destabili­siert werden könnte. [7] Diese Einschätzung Londons sollte sich bewahrheiten. Mit der Unab­hängigkeit im Jahr 1974 verfiel das arme Grenada ökonomisch und gesellschaftlich. Die allgemeine Arbeitslosenquote stieg auf über 50 Prozent, die der unter 25-Jährigen auf 80 Prozent. [8]

Derweilen hatte die Regierung des Allzeitanführers Eric Gairy um die eigene Macht zu ban­gen. Seit Kurzem hatte sich der junge Rechtsanwalt Maurice Bishop einen Namen als Oppositionsführer gemacht. Ihm war es 1973 gelungen, die Bauernbewegung JEWL mit der sozialrevolutionären MAP zur New Jewel Movement (NJM) zusammenzuführen. Obwohl die NJW eine Reformpartei im Stile der anti-kolonialen, anti-rassistischen und pan-afrikani­schen Bewegungen war, wurde sie mit Bishop und Bernard Coard von zwei Marxisten angeführt. Zu Beginn bestand ihre Aufgabe in der Organisation von Massenstreiks, ab 1975 institutionalisierte sich die NJW zur Partei.

Nach zwei versuchten Anschlägen auf Bishop und der Wahlmanipulation von 1976 wurde der NJW effektiv die politische Arbeit verunmöglicht. [9] Ferner unterstützte der faschistische Präsident Chiles, Augusto Pinochet, die Ausbildung paramilitärischer Gruppen, die die Sicherheit in Grenada gewährleisten sollten. Während eines US-Besuches des Premier­ministers Gairy kam es im März 1979 zum Putsch. [10] Die Volksrevolutionsarmee, der militä­rische Arm der NJW, besetzte Schlüsselstellen des Landes und löste das Parlament auf. In einem Brief an London erklärte Bishop Queen Elisabeth II., dass Grenada weiterhin dem Commonwealth angehören und den Gouverneur ihrer Majestät im Amt belassen werde. Mithin wurde die Queen zum Staatsoberhaupt des revolutionären Grenadas und unter­stand zugleich den Volksmassen.

Die Revo wurde zum geflügelten Wort für das neue Grenada. In einem rasanten Tempo wur­den weitreichende Reformen des Gesundheits- und Bildungswesens durchgeführt. Mit der Einführung einer kostenfreien Bildung und der Finanzierung einer Universitätsausbildung im Ausland, insbesondere in Kuba, verbesserte sich die soziale Situation der Lohnabhängi­gen erheblich. Ferner wurde mit dem Zentrum für Allgemeinbildung eine umfassende Alphabetisierung der armen Bevölkerung eingeleitet. [11]

Mit der Schaffung von Staatsunternehmen wurden neue Gewerbe, insbesondere im Bereich der Verarbeitung von Agrarerzeugnissen, in der Telekommunikation sowie im Tou­rismusbereich aufgebaut. Im Laufe der Landreform kam es zu einem Produktionsanstieg von 314 Prozent zwischen 1981 bis 1983. Die Wirtschaftspolitik von Bishop und Coard führte trotz sinkender Auslandsdirektinvestitionen zu einem Wirtschaftswachstum von 5,5 Prozent im Jahr 1982 und einem Reallohnanstieg von über 90 Prozent. Im August 1982 veröffentlichte die Weltbank trotz der Widerstände des Westens einen enthusiastischen Wirtschaftsbericht und stufte Grenadas Kreditwürdigkeit hoch. [12]

Trotz dieser erfolgreichen Politik kam es innerhalb der NJW zu Richtungsstreitigkeiten. Der zweite Mann in der Partei, Bernhard Coard, wollte tiefgreifendere Reformen der Eigentums­verteilung. Ferner konnten sich beide Protagonisten nicht auf einen gemeinsamen Umgang mit den USA einigen. Die Differenzen waren jedoch auch ideologischer Natur: Bishop war ein von der afrikanischen und antikolonialen Bewegung geprägter Marxist, während Coard einen weitaus akademischeren, sowjetisch geprägten Zugang hatte. Vieles über das Zer­würfnis ist bis heute im Unklaren. Bekannt ist, dass es zum endgültigen Bruch nach Bishops US-Reise im Juni 1983 kam: Mit Unterstützung Kubas wollte Grenada Verhandlun­gen mit den USA über die Normalisierung der bilateralen Beziehung führen. Im Juli 1983 wurde Bishop aufgefordert, seine Macht mit Coard zu teilen, was Bishop zunächst ablehn­te, später jedoch akzeptierte. Fidel Castro berichtete im Jahr 1985, dass Bishop in einem der letzten Gespräche eingestand, die Parteiführung vernachlässigt zu haben. [13]

Doch kam diese Einsicht zu spät. Am 12. Oktober 1983 tagte das Zentralkomitee der NJW in Abwesenheit von Bishop und beschloss die Amtsenthebung. Tags drauf wurde er festge­nommen und unter Hausarrest gestellt. Coard erklärte daraufhin den »marxistischen Staat« Grenada und tiefgreifende Reformen der Revo. Doch der »wahre Marxist« Coard hat­te die Stimmungen in der Bevölkerung unterschätzt. Grenada hatte unter Bishop Jahre der Prosperität, sozialer Gerechtigkeit und wahrer Unabhängigkeit erfahren. Die Bevölkerung erhob sich. Es kam zu chaotischen Zuständen. [14]

Der 19. Oktober 1983 wird als blutiger Dienstag in die Geschichte des Landes eingehen. Am Morgen marschierten Tausende Anhänger Bishops zu dessen Wohnhaus, um ihn zu befreien. Dabei kam es zu einem eigenartigen Ereignis, das aus heutiger Sicht nicht voll­ends rekonstruiert werden kann. Nachdem Bishop befreit wurde, wies er seinen Sprecher an, eine Presseerklärung über eine anstehende militärische US-Intervention zu verbrei­ten [15]. Glaubte Bishop, sein Sturz war von den USA inszeniert? Hatte er Informationen über Pläne des nahenden Angriffs erhalten?

Noch am selben Tag wird Maurice Bishop mit sechs seiner Genossen, darunter seiner Lebenspartnerin, der Bildungsministerin Jacqueline Creft, erschossen. In den letzten sechs Tagen bis zur US-Intervention wird Coard mit rabiaten Mitteln die öffentliche Ordnung wei­testgehend herstellen und aufrechterhalten.

Der Flughafen und die Friedensfrage

Mit dem Gestus des Zweifelnden stellte sich der US-Präsident Ronald Reagan am 25. Okto­ber 1983 der Presse und verkündete den Angriffskrieg gegen Grenada. In bester Absicht würden die US-Marines nach dem fürchterlichen Putsch Bishops US-Staatsbürger sowie Schutzsuchende evakuieren und zur Wiederherstellung der demokratischen Ordnung Grena­das beitragen. [16] Die vermeintliche Schutzmission hatte derweilen den regime change zur Folge. Diese unverhohlene Selbstgewissheit des Aggressors führte jedoch zum Widerstand. In einer gemeinsamen Erklärung der damalig führenden US-Völkerrechtler [17] an ihre Mitbür­ger wird daran erinnert, dass im gesamten 20. Jahrhundert die USA wiederholt den Vorwand der Gefährdung von US-Staatsbürgern oder -Eigentum herangezogen hätten, um bewaffnete Interventionen zu rechtfertigen, während die wahren Beweggründe im Verborgenen blieben.

Die Intervention in Grenada wurde im Frühling 1982 bereits geprobt. Im Rahmen der Mari­neübung Ocean Venture 82 mit 45.000 Soldaten und 60 militärischen Schiffen sollte der Kriegsfall im karibischen Raum simuliert werden. Darunter Übungen der Einnahme einer Modellinsel sowie die Evakuierung von gefährdeten US-Staatsbürgern. Der kommandieren­de Admiral McKenzie fasste zusammen: »Der karibische Raum ist existenziell für US-Inter­essen […], eine Region, die wir zu sehr vernachlässigt haben. Da ist eine ernsthafte Gefahr, nicht nur für die Region, sondern auch für die USA«. [18]

Die angesprochene Gefahr bestand in einer möglichen Ausweitung der kubanischen Ein­flusszone. Mit der Revolution in Grenada hatte sich ein zuverlässiger und zugleich höchst attraktiver Verbündeter für Havanna gefunden. Dabei verfolgte Bishop, der wusste, dass Grenada allein Schwierigkeiten hätte, eine revolutionäre Raumordnung. Bereits wenige Monate nach dem Machtwechsel verabschiedeten Grenada, Dominica und St. Lucia die Deklaration von St. George. [19] Die Erklärung, in der soziale und demokratische Rechte fest­geschrieben wurden, sah die Schaffung zukünftiger regionaler Organisationen vor. Es bil­dete sich kurzzeitig die sogenannte Allianz der »neuen Linken«. Mithilfe von Radio Free Grenada machten sich die Revolutionäre die US-Propagandamethoden zu eigen und ver­breiteten in Mittelamerika ihre Botschaften. [20] Und diese Form der Gegenpropaganda er­wies sich zusehends als erfolgreich. Die Kooperation setzte ferner auf den Ausbau der mili­tärischen und nachrichtendienstlichen Fähigkeiten. So entsandte Kuba nicht nur Bausolda­ten, sondern wickelte Waffenlieferungen aus den sozialistischen Staaten für Grenada ab.

Mit dem Bau des Flughafens von Point Salines im Jahr 1983 durch Arbeiter aus Kuba und anderen sozialistischen Staaten soll eine Grenze für die USA überschritten worden sein. Nach dem heutigen Informationsstand ist dieser These weniger Raum zuzumessen. Obwohl ein internationaler Flughafen auch militärisch genutzt werden kann, erfolgte die Finanzierung nicht über die Sowjetunion, sondern von Investoren aus Finnland, Großbritan­nien und den USA. [​​​​​​​21] Auch die später veröffentlichten Grenada Documents zeigen, [22] Bishop hatte eine militärische Nutzung des Flughafens nur im Kriegsfall billigen wollen. Nicht zuletzt wurde das Projekt nach der US-Invasion fertiggestellt und Point Salines wurde zur wichtigsten Infrastruktur für die Abwicklung des internationalen Tourismus.

Die USA fürchteten die Schaffung eines sozialistischen Raums in der Karibik. Dieses muss auch im Zusammenhang mit den politischen Umbrüchen in Nicaragua gesehen werden. In dieser letzten Phase der Blockkonfrontation kam es im »Hinterhof« der USA zu gravieren­den Unruhen. Es sei daran erinnert, dass noch unter dem Präsidenten Jimmy Carter von einer Intervention in Grenada Abstand genommen wurde. Carter, der schrittweise von der Monroe-Doktrin Abstand nehmen wollte, hatte die Vorstellung, dass die USA für die Ver­besserung der Lebensverhältnisse in Lateinamerika einstehen müsste, um den »Kommu­nismus« effektiv zu bekämpfen. – Überzeugen statt besiegen.

2009 wird der internationale Flughafen in Point Salines nach seinem Auftraggeber Maurice Bishop benannt. Dessen Leichnam bleibt bis heute verschollen.

 

Anmerkungen:

[1] Williams, US-Grenada-Relations, S. 19-21.

[2]Davidson, Grenada, S. 3-4.

[3] Ibidem.

[4] Fn. 1, S. 20.

[5] Fn. 2, S. 4.

[6] Angell, Fidel and Jamaica – A more than friendly relationship, 29.11.2016, www.jamaicaobserver.com/news/fidel-and-jamaica-a-more-than-friendly-relationship/ [19.9.2023].

[7] Fn. 2, S. 4.

[8] Fn. 2, S. 14.

[9] Ibidem.

[10] Ibidem.

[11] Fn. 1, S. 21 ff.

[12] Ibidem.

[13] Payne/Sutton/Thorndike, Grenada Revolution and Invasion, S. 132.

[14] Ibidem.

[15]Beck, The »McNeil Mission« and the Decision to Invade Grenada, Naval War College Review, Vol. 44 (2), 1991, S. 93-112, S. 96 ff.

[16] Reagan, Remarks of the President and Prime Minister Eugenia Charles of Dominica Announcing the Deployment of United States Forces in Grenada, 25.10.1983, www.reaganlibrary.gov/archives/speech/remarks-president-and-prime-minister-eugenia-charles-dominica-announcing-deployment [19.9.2023].

[17] Boyle et al., International Lawlessness in Grenada, The American Journal of International Law, Vol. 78, S. 172-175.

[18] Vgl. Redaktion, A massive military exercise involving 45,000 troops and 60 warships, UPI, 6.4.1982, abrufbar: www.upi.com/Archives/1982/04/06/A-massive-military-exercise-involving-45000-troops-and-60/4673386917200/ [19.9.2023].

[19] Declaration of St. George, 19.7.1979.

[20] Seaga, The Grenada Intervention, S. 10.

[21] Fn. 1, S. 69 f.

[22] Vgl. Seabury/McDougall [Hrsg.], The Grenada Papers, S. 43.

 

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