Kommunistische Parteien in Skandinavien
Prof. Dr. Edeltraut Felfe, Greifswald - Riemserort
Als die damalige Vorsitzende der Linken Genossin Gesine Lötzsch in der "jungen Welt" etwas über Wege zum Kommunismus schrieb, brach in der Medienwelt ein Sturm der Entrüstung los. Auch Funktionäre der Linken beeilten sich, das Wort hör- und sichtbar wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen. Es klang wie: ein für alle Mal. Ähnlich war es etwas früher in Schweden, als der Vorsitzende der dortigen Linkspartei (V), einer der Nachfolgerinnen der Kommunistischen Partei Schwedens, öffentlich bekannte, Kommunist zu sein (wofür er später Abbitte tat). Das Fegefeuer gegen ihn und die Partei hatte dort wie hier dieselbe Funktion: Alternativen, die vor dem machtgebenden Eigentum nicht stehen bleiben, sollen undenkbar gemacht werden. Denken hängt mit Sprache zusammen, also vorsichtshalber: schon weg mit dem Wort.
Es gibt Kommunismus zum Nachdenken. Dazu gehört auch zu prüfen, was in der Wirklichkeit besteht, was aufzugeben und was weiter zu entwickeln ist. Dies auch als Verteidigung der humanistischen Grundidee. Und es gibt in aller Welt Kommunismus weiterhin als Bewegung, als nach- und vorwärtsdenkende Bewegung. Und da gehört es zur Solidarität und Stärkung aller, die nach Alternativen zum Kapitalismus suchen, sich nicht vom zweckvollen Antikommunismus der Gestrigen anstecken zu lassen. Auch nicht durch Verschweigen.
Sommerlager in Gedser/Dänemark
In Skandinavien gibt es mehrere kleine, in Parlamenten nicht vertretene kommunistische Parteien. Im Juli haben sich, nun schon zum siebten Mal, die Kommunistische Partei in Dänemark (KPiD) und die Dänische Kommunistische Partei (DKP), Schwedens Kommunistische Partei (SKP) und die Kommunistische Partei Norwegens (NKP) zu einem Sommerlager zusammengefunden. Da ging es auch diesmal um marxistische Bildung, um Diskussionen und Einschätzungen zu aktuellen Problemen, um die Zusammenarbeit mit anderen kommunistischen Parteien und um gemeinsame Aufgaben im Norden. Soeben haben schwedische und norwegische Genossinnen und Genossen gemeinsam mit Mitgliedern der finnischen und der russischen KPRF vom nördlichsten Zipfel ihrer Länder, der Nordkalotte, vor der von USA und NATO forcierten, weitgehend verheimlichten und gefährlichen Militarisierung dieses Gebietes gewarnt. In den Sommerlagern werden stets auch Erfahrungen in der praktischen Arbeit vermittelt und ausgetauscht und abends jeweils Landes-Kulturprogramme dargeboten. Diese Programmgestaltung ist auch deshalb möglich, weil ihre Sprachen einander ähneln. Die Vorsitzenden der Parteien sind ebenso wie Mitglieder der Jugendorganisationen dabei. Auf materiellen Komfort kommt es nicht an. Die Kosten haben alle über 80 Teilnehmenden je nach Vermögen selbst getragen. Und alle Programmpunkte begannen erst, wenn auch die dänischen Genossinnen und Genossen, die für das leibliche Wohl gesorgt haben, mit der Küchenarbeit fertig waren.
Kampf gegen den Abbau des Wohlfahrtsstaates
In Gedser ging es mit Vortrag und Debatte darum, ob der Kapitalismus so reformiert werden könnte, dass der Wohlfahrtsstaat zu retten wäre. Einig war man sich darin, dass der skandinavische Wohlfahrtsstaat zu keiner Zeit die "normale" Existenzform des Kapitalismus war, sondern dass er auch dort einer Reihe internationaler und besonderer nationaler Bedingungen der Klassenkräfte- und Machtverhältnisse geschuldet war. Am wichtigsten sei die Existenz eines alternativen sozialen und politischen Systems gewesen. (Für unsere unmittelbaren nördlichen Nachbarn hat die DDR eine besondere Rolle gespielt, und nach ihrem Ende hatten Kommunisten, Friedensbewegungen und andere demokratische Organisationen unter Hetze und "Stasikeule" ganz besonders zu leiden.)
Es gab Zustimmung für die Position, dass unter den gegenwärtig gründlich veränderten Machtverhältnissen eine Reformierung des Kapitalismus hin zu einem Sozialstaat vergangener Jahrzehnte nicht möglich ist. Vielmehr müsste der Kampf gegen eine in Skandinavien besonders effektive neoliberale Minimalvariante eines bürgerlichen Wohlfahrtsstaates geführt werden, in die sozialdemokratische und Gewerkschaftsführungen ebenso wie Teile der hochqualifizierten Erwerbsabhängigen eingebunden sind. Im Mittelpunkt stehe der Einsatz gegen die EU-verordnete "Sparpolitik", zu der sich Schweden und Dänemark verpflichtet haben, obwohl sie nicht der Euro-Zone angehören. Norwegen ist nicht in der EU, übernimmt aber den größten Teil ihrer Gesetzgebung. Die kommunistischen Parteien sind bei allen Unterschieden in ihren Ländern im Kern konfrontiert mit Privatisierung und Deregulierung öffentlichen Eigentums, mit der Schwächung der Position von Arbeitslosen, Kranken und Rentnern, mit immer weniger bezahlbarem Wohnraum für immer größere Teile der Bevölkerung, mit der Aufweichung der Tarifsysteme und der Schwächung der Gewerkschaften. Ebenso mit der Aushöhlung der Souveränität, mit Militarisierung und Kriegsteilnahme ihrer Länder. Die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen bis 24 Jahre ist in Schweden mit 25% (bei einer registrierten Arbeitslosigkeit von 8% insgesamt) eine der höchsten in der EU. Die Hälfte der erwerbstätigen Jugendlichen haben nur zeitlich befristete Arbeitsverträge. In Schweden ist gemäß amerikanischen Analysen in den letzten Jahrzehnten mehr öffentliches Eigentum privatisiert, mehr dereguliert, und es sind insgesamt mehr "Freiräume für das Kapital" geschaffen worden als in nahezu allen anderen europäischen Ländern. Was Wohnungspolitik betrifft, geben dänische Verhältnisse Auskunft. In Städten sind die Wohnungsmieten für eine durchschnittliche 3-Zimmer-Wohnung in den letzten gut 4 Jahren zwischen 15 und 20% gestiegen. Ca. 500 Wohnungen werden monatlich zwangsversteigert, und in zehn Jahren ist die Zahl der Exmittierungen um gut 140% gestiegen. Hinzu kommt, dass öffentlich und privat Angestellte in den letzten beiden Jahren Reallohnverluste hinnehmen mussten. In Norwegen, wo Preis- und Energieregulierungsgesetze aufgehoben wurden, wo der Staat Eigentümer von 90% der Energiegesellschaften ist und das Land sich im Prinzip selbst mit Strom versorgt, sind die Preise ständig gestiegen und müssen Familien für ihre Energierechnung Sozialhilfe beanspruchen, während der Staat ständig mehr Strom für den freien Markt exportiert. Für die Bankensicherung wurden 500 Mrd. nkr. ausgegeben, aber immer mehr kleine Kommunen, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Schulen vor allem im Norden ringen ums Überleben, weil das Geld nicht reicht.
Der tägliche Abwehrkampf der Kommunisten ist u.a. auf die Zügelung der Banken, auf mehr öffentliche Investitionen für Arbeit und Soziales und gegen die Vermarktung des Letzteren gerichtet. Es geht den Parteien um den Schutz der Arbeiterrechte. Mit ihren Sofort- und Wahlprogrammen können sie zur Aktionseinheit mit anderen linken, demokratischen Kräften und Bewegungen beitragen. Der gegenwärtige Kampf müsse jedoch mit der bewussten Perspektive, das kapitalistische System selbst zu überwinden, verbunden werden. Wenn die Arbeiterbewegung nicht mehr an diesem Ziel festhalte, liefere sie sich dem Kapitalismus aus. Nur in Konfrontation mit dem System könnten Arbeiterinteressen vertreten werden. Unter Bezugnahme auf die Athener Erklärung von ca. 80 kommunistischen und Arbeiterparteien Ende vorigen Jahres betonten die Teilnehmenden, dass in den Kämpfen dieser Zeit Sozialismus die Antwort auf die Krise des kapitalistischen Systems sei.
Parlamentarischer und außerparlamentarischer Einsatz
In Dänemark wird z.Zt. besonders deutlich, womit alle Parteien links von der Sozialdemokratie konfrontiert sind und was sie entzweien kann. Dort sind seit 2011 die Volkssozialisten (SF), die sich 1959 aus der Kommunistischen Partei Dänemarks abgespalten haben, nach einem längeren Anpassungsprozess in der sozialdemokratisch geführten Regierung vertreten. Nachweislich deshalb sind sie von ihren ursprünglichen Positionen gegen EU und NATO abgerückt und erheben nicht mehr Forderungen nach höheren Einkommens- und Vermögenssteuern. Kriege könnten notfalls auch ohne UN-Mandat geführt werden. Die SF versteht sich nunmehr als eine Volkspartei, die nicht länger in der Arbeiterbewegung verankert sei. Im Mai hat sie als Regierungspartei gegen den Willen breiterer Mitgliederkreise mit der bürgerlichen Opposition einen Kuhhandel für eine Steuerreform zulasten der Arbeitslosen und Kranken abgeschlossen. Und zwar in mieser Art vorbei an der rot-grünen Einheitsliste (EL), die 1989 unter anderen aus der KP Dänemarks und von Linkssozialisten gebildet worden ist. Die Einheitsliste ist im Parlament vertreten und will der linken Minderheitsregierung die parlamentarische Mehrheit sichern. Nun erklärte die EL, dass sie den Steuerkompromiss von Regierung und Bürgerlichen ablehnt. Im Herbst wird ihr mit dem Haushaltsgesetz im Parlament eine Entscheidung abverlangt, die das Ende der gegenwärtigen Regierung bedeuten könnte. Für ihre Haltung jetzt hat sie jedenfalls tausende neue Mitglieder gewonnen. Mit dieser komplizierten Situation sind die Kommunisten konfrontiert. Die KPiD und die DKP arbeiten seit längerem auf vielen Gebieten zusammen. Sie wollen sich in einem längeren Prozess letztlich durch Mitgliederentscheid wiedervereinigen. Dabei wird es auch darum gehen, ob eine Doppelmitgliedschaft und aktive Arbeit in einer kommunistischen Partei und zugleich in der EL, möglich bleiben bzw. möglich werden soll. Zurzeit lehnt die KPiD dies ab. Der Vorsitzende der DKP hatte 2011 vor der letzten Parlamentswahl erklärt, dass seine Partei nicht selbst zur Wahl antrete, sondern aufrufe, die EL zu wählen. Auf ihrer Liste seien auch Gewerkschafter vertreten und mit deren Fraktion im Parlament gäbe es eine gute Zusammenarbeit. Entscheidend bleibe aber der außerparlamentarische Kampf, die Mobilisierung. Auch eine neue Regierung würde am Kapitalismus nichts ändern, deshalb bleibe der Kampf für den Sozialismus wichtig.
Die Sozialdemokratie hat gerade in Skandinavien den Kampf für Interessen der Erwerbsabhängigen von der Straße in die Parlamente und Regierungen und in deren Integrationsmechanismen verlegt – in beiderlei Hinsicht nicht erfolglos. Nun werden Grenzen des Reformismus auch dort deutlich, und darauf müssen im Interesse von Mehrheiten Antworten gefunden und vor allem Menschen gewonnen werden. Dafür hat niemand Patentrezepte. Die norwegischen Kommunisten schätzen ein, dass die Sozialistische Linkspartei (SV) in ihrem Land, nunmehr das 7. Jahr in einer Koalition unter sozialdemokratischer Führung, in der Innenpolitik vielfach Positionen im Interesse der Arbeitenden vertritt, dass aber ihr Streben zu regieren, in der Außen- und Sicherheitspolitik und z.B. in der Asyl- und Flüchtlingspolitik sowie im Kampf gegen die Armut zu weiterer Anpassung an sozialdemokratische Positionen geführt habe. Konservative und Rechtspopulisten gewinnen an Einfluss.
Marxistische Erkenntnisse und kommunistische Traditionen
In Programmatik, Zeitungen und Alltag ist nach wie vor von Arbeiterklasse und Arbeiterbewegung, von Produktionsverhältnissen, Ausbeutung und Klassenkampf die Rede. Nach wie vor stehen bei den kommunistischen Parteien dieser Länder die Arbeiterklasse mit ihrem traditionellen Kern, ihre gegenwärtig veränderte Zusammensetzung und die Tatsache, dass sich die Arbeitsverhältnisse auch von Teilen der Mittelschichten den Arbeitern immer mehr annähern, im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Je stärker die Profitdominanz in der gesamten Gesellschaft, desto mehr fielen Klasseninteressen der Arbeiter mit allgemein menschlichen Interessen zusammen. Die norwegischen Genossen stellen nach gründlicher Analyse fest, dass gut drei Viertel der norwegischen Bevölkerung zur Arbeiterklasse gehören. Davon ausgehend, wollen sie in ihrer antimonopolistisch-demokratischen Grundstrategie, mit Fischern und Bauern gemeinsam Lösungen auch für deren spezifische Probleme suchen. Interessant ist, dass früher in Skandinavien Machtverhältnisse in der Arbeitswelt, auch von den Gewerkschaften, viel stärker thematisiert wurden. Darin zeigte sich die Kraft der Arbeiterbewegung. Nun geht es um Märkte und Kunden. Dazu passt, dass der gewerkschaftliche Organisationsgrad im Privatsektor in Schweden von 2000 bis 2010 um 10% zurückgegangen ist, bei Arbeitern noch mehr als bei Angestellten. Im gleichen Zeitraum ist aber der der sogenannten Arbeitgeber um 5% gestiegen! Der Vormarsch des Neoliberalismus hat wesentlich mit der Schwächung der Arbeiterklasse zu tun. Das Festhalten an ihrer Rolle als der "wichtigsten gesellschaftsverändernden Kraft", wie es in der Programmdebatte der SKP heißt, hängt mit dem fortbestehenden Grundwiderspruch des Kapitalismus und mit der zentralen Rolle der arbeitenden Klassen bei der Wert- und Mehrwertproduktion zusammen. Es gibt noch einen Hinweis auf die entscheidende Rolle der Arbeiterklasse: Die reformistische Gesellschaftsstrategie in der Arbeiterbewegung dieser Länder ging davon aus, dass Parlamentarismus allein nicht genügen würde, den Kapitalismus zu erhalten. Dazu musste der kämpferische Einfluss der Kommunisten in der Arbeiterklasse, in den sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaften, gebrochen werden. Der Kampf der sozialdemokratischen Führer gegen Kommunisten in der Arbeiterbewegung zieht sich wie ein (eben nicht) roter Faden durch die Geschichte der kommunistischen Parteien. Bis dahin, dass unter der faschistischen deutschen Besetzung von Dänemark und Norwegen Antikommunismus oft stärker war als Vaterlandsliebe. Fast alle Mitglieder der Führung der norwegischen KP haben ihren Kampf gegen den Faschismus mit dem Leben bezahlt. Ebenso hat die dänische Partei einen hohen Blutzoll bezahlt. Schwedische Kommunisten wurden verfolgt, in Lager gesteckt, ihre Zeitung verboten, ihre Redaktion in Brand gesteckt. Seit dem kalten Krieg waren massenhafte Beobachtung und Registrierung durch Geheimpolizei und sozialdemokratische Sonderabteilungen und daraus erwachsene berufliche Nachteile für Kommunisten in allen den Ländern an der Tagesordnung. Mit dem Antikommunismus sollten zugleich, wie überall und immer, aktive Friedenskräfte, Antimilitaristen, Ökologieaktive etc. geschwächt und ausgeschaltet werden. Dieses antifaschistische und demokratische kämpferische Erbe, dieses Standhalten gegen Ausgrenzen, Verleumden und Verschweigen ist bei den kommunistischen Parteien im Norden lebendig, und es wird mehr denn je gebraucht werden.
Literatur: Edeltraut Felfe, Das schwedische Modell. Ein Wohlfahrtsstaat als Zukunftsprojekt? GNN Verlag, 2008, 176 Seiten, 12 Euro, ISBN-13: 978-3898192873.
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