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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Rechtsextremismus in Skandinavien

Prof. Dr. Edeltraut Felfe, Greifswald – Riemserort

 

Wir dürfen sie nicht vergessen: die Verbrechen von Utøya und Oslo

 

Über die Gräber der Ermordeten legt sich der Herbst. Sensationsmeldungen in den Medien der Welt sind längst von anderen verdrängt. Rechtspopulisten und Rassisten weltweit konnten Zusammenhänge mit der Gedankenwelt des Mörders Breivik nicht finden und verstärken ihre Aktivitäten. Organisationen wie "Stoppt Norwegens Islamisierung" und die rassistische "Norwegian Defence League" rekrutieren neue Mitglieder.

Bei Kommunalwahlen im September in Norwegen hat die aggressiv-fremdenfeindliche sogenannte Fortschrittspartei (Frp), in der Breivik zeitweilig aktiv war, zwar 6% ihrer Stimmen verloren, aber 9% hat die großbürgerlich-konservative Rechte, die ein künftiges Regierungsbündnis mit den Rassisten bisher nicht abgelehnt hatte, dazugewonnen. Bei der Parlamentswahl im September in Dänemark zeigte sich eine ähnliche Tendenz. Allerdings hat zumindest die rassistische Dänische Volkspartei durch die Abwahl der bürgerlichen Koalition ihren starken direkten Einfluß auf die Regierungspolitik verloren.

Was sich im relativ intakten neoliberal durchsetzten Skandinavien abspielt, spiegelt Allgemeingültiges wider. Da kommt nicht vor allem etwas "aus der Mitte der Gesellschaft", sondern Interessen hinter rechtsextremistischen Entwicklungen werden in die Gesellschaft getragen.

Neofaschisten

Neofaschistische Gruppierungen bilden in allen skandinavischen Ländern einen außerparlamentarischen und gewalttätigen Zweig des Rechtsextremismus. In Norwegen organisierten sie sich seit 1948 unter wechselnden Namen und mit Hilfe von weniger kompromittierten schwedischen Nazis. Verbindungen wurden zu dänischen und deutschen und zur Weltorganisation der Nazis (WUNS) aufgebaut, später zu englischen und US-amerikanischen Organisationen. Seit Mitte der 70er Jahre wurden in diesen Strukturen in allen skandinavischen Ländern sogenannte Kampfverbände oder Aktionsgruppen gebildet, im Waffengebrauch trainiert und für Sprengstoffattentate geschult. Norweger nahmen an Trainingslagern von Neofaschisten in der Bundesrepublik und Italien teil. Von ihren Mitgliedern wurde "Rassenreinheit" und "Kampfeswille" gefordert. Gegenwärtig wird Verbindungen von Breivik zu Nazis in Bayern nachgegangen. Seit 1979 wurden Bombenattentate u.a. auf Moscheen, auf Zentren und Geschäfte von Einwanderern und auf antifaschistische Journalisten verübt, und es war vom notwendigen Schutz des "nordischen Volksstammes" gegen "Einwandererpack" die Rede. In den 1980er Jahren waren etwa 20 pro- und neofaschistische Gruppierungen aktiv. Statt Nazisymbolen wurden stärker altnordische Runen, Flaggen und Mythen genutzt. Ende der 80er Jahre wurde mit "Tausenden Waffen und der Unterstützung durch viele Offiziere" gedroht, wenn die Regierung ihre Einwanderungspolitik nicht ändern würde. Hier ging es bereits, wie bei Breivik, gegen "Verräter im eigenen Land". Mehrfach sind Kontakte zu Militär, Heimwehr und Polizei aufgedeckt worden. Im eng mit der NATO verknüpften militärisch-industriellen Komplex in Norwegen sind, ebenso wie in Dänemark, mit Nazis verflochtene Kräfte aktiv.

Der ökonomisch außerordentlich starke internationale Rechts-Rock-Markt ("Rock against Communism") hat in Schweden zumindest zeitweilig seine stärksten Vertretungen weltweit gehabt. Dort reichen Wurzeln des Neofaschismus in nationalkonservatives Gedankengut zurück. Einer der Hauptvertreter verkündete 1910, daß sich das Volk nach einem "starken Mann" sehnen würde und daß statt eines "Klassensozialismus der Arbeiter" ein "Nationalsozialismus des Volkes" zu schaffen wäre. In diesem Kielwasser wurde 1915 "Schwedens Nationaler Jugendverband" als Kern einer der ältesten nazistischen Organisationen weltweit gegründet. Rassistisch-faschistisches Gedankengut hatte in Schweden bei relativ geringem Masseneinfluß ununterbrochen starke Positionen in der Wirtschaft, der Wissenschaft, im Beamtentum, bei Militär, Polizei und im Königshaus. Auf vielen Gebieten wurde zumindest bis 1943 mit Nazi-Deutschland zusammengearbeitet. Später haben neofaschistische Kräfte mit Etablierten zusammengewirkt, die den offiziellen bündnisfreien Kurs des Landes systematisch unterwandert und aufgeweicht haben. 2006/07 wurde die Weltorganisation der Nazis (WUNS) in den USA rekonstruiert und schwedische und norwegische Neofaschisten haben deren Europäische Sektion initiiert und sind bis heute aktiv. Breivik war in entsprechenden Internetforen präsent, und der NPD-Abgeordnete im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern Pastörs hat im August des Jahres bei einem Neonazi-Aufmarsch in Schweden Schutz für den "Lebensraum des weißen Mannes" gefordert.

Rechtspopulisten in die Parlamente

Im Bemühen um Masseneinfluß entstand seit den 70er Jahren in allen skandinavischen Ländern ein parlamentarischer Zweig des Rechtsextremismus. In Norwegen baute der aktive "Kämpfer gegen den Kommunismus" Anders Lange, Sekretär der nationalistischen "Vaterlandsgesellschaft", die 1936 Hitler und Mussolini für den Friedensnobelpreis nominierte, Brücken zwischen rechtsextremen Gruppierungen und vertrat bereits radikal neoliberale Botschaften. Zugleich ließ er verdeckt rassistische, antisemitische Inhalte und Anleitungen zum Bombenbauen verbreiten. Er gründete eine Partei mit seinem Namen, die 1973 in das Landesparlament einzog. In den Folgejahren entwickelte sie sich u.a. mit Losungen von weniger Steuern und Bürokratie, Einschränkung des öffentlichen Sektors und höheren Renten und – seit den 80er Jahren dominant – mit Kritik an der Einwanderungspolitik des Landes und mit Warnungen vor der "Übernahme des Vaterlandes durch Asylbewerber" zur Fortschrittspartei (Frp). Gegenwärtig ist sie mit 23% der Stimmen zweitstärkste Kraft im Landesparlament.

Während in Norwegen die Frp ihre Wurzeln im Nazimilieu hat und den Anschluß zur großbürgerlichen, neoliberalen Rechten sucht, ist in Dänemark die Glistruppartei mit dem Ende der Prosperität der Wohlfahrtsgesellschaft aus deren Mitte als Protestpartei entstanden und hat später Anschluß zu Neonazis gesucht. Aus ihr spaltete sich 1995 die von Anbeginn ausländerfeindliche Dänische Volkspartei ab, die bis zur Abwahl der bürgerlichen Koalition im September von allen rassistischen Parteien in Europa Regierungshandeln am stärksten beeinflußte. Es wird weniger ein biologischer Rassebegriff als vielmehr einer des "Kampfes der Kulturen und Zivilisationen" strapaziert. Dabei waren extrem rechte Positionen nützlich, weil sie rechtspopulistische und nationalistische gemäßigter und also akzeptabler erscheinen ließen. In Schweden wurden in den 80er Jahren Forderungen, den Zuzug von Asylbewerbern und "Bequemlichkeitsflüchtlingen" zu begrenzen, mit rabiatem Neoliberalismus verbunden. Aus und neben verschiedenen populistischen und fremdenfeindlichen Zusammenschlüssen wurde 1988 mit Wurzeln und Personen auch aus dem Nazimilieu, die rassistische Partei der Schwedendemokraten gebildet, die – populär geläutert – 2010 in den Reichstag einzog.

Rechtspopulismus fungiert als Einfallstor von Rassismus und Rechtsextremismus in die Mitte der Gesellschaft. Er baut Brücken für faschistisches Gedankengut und dahinter stehende Interessen in das bürgerlich-demokratisch etablierte politische System hinein. Er ist nicht etwas, das aus der Mitte der Gesellschaft kommt, er ist gefährlicher. Auch deshalb, weil mit Vorbedacht organisierte emotional aufgeheizte, psychologisch und religiös verbrämte und irrationale Komponenten in das Gemisch hineingetragen werden. Skandinavien und ganz besonders Norwegen zeigen, daß Rechtsextremismus auch dann stärker gemacht werden kann, wenn relativ geringe Arbeitslosigkeit herrscht, wenn immer weniger Asylbewerber und Migranten aufgenommen werden und wenn erfolgreicher als anderswo versucht wird, sie in die heimische Gesellschaft aufzunehmen.

"Antiterrorkampf" und Rechtsextremismus

Seit dem 11. September 2001 wurde im internationalen Rahmen "der Islam" als eine "neue weltweite totalitäre Bedrohung" heraufbeschworen, und in jüngster Zeit kooperieren europäische Rassisten u.a. der Schwedendemokraten, der belgischen Vlaams Belangs und der holländischen Wilderspartei sowie der deutschen "Die Freiheit" und der PRO-NRW mit extrem Rechten aus dem Umfeld der Republikaner in den USA und der Beiteinu des israelischen Außenministers Lieberman. Die Unterstützung der aggressiven israelischen Staatspolitik scheint über Europa hinaus eine wichtige Komponente rechtsextremer Strategie zu werden. Die Schwedendemokraten bekommen offen Unterstützung aus einflußreichen Kräften der Wirtschaft, die auch deutsche Rassisten fördern (Expo, Sth., 2/2011). Stieg Larsson, der 2004 verstorbene international anerkannte schwedische Forscher zu Rechtsextremismus, in der BRD durch seine gesellschaftskritischen Kriminalromane bekannt, hat mit seiner Voraussicht, daß deutsche Gruppierungen im internationalen Kontext aktiver und Kontakte zu Neofaschisten in Osteuropa wichtiger werden, Recht behalten. Ebenso mit der Einschätzung, daß Geschichtsrevisionismus in den Netzwerken der Nazis eine immer größere Rolle spielen würden (Stieg Larsson/Anna-Lena Lodenius, Extremhögern, Sth. 1994, zu aktuellen Entwicklungen liefert die von ihm mit gegründete Zeitschrift "Expo" gründlich recherchierte Informationen).

Mit dieser Entwicklung ging einher, daß sich liberale bürgerliche Kräfte vielfach nicht mehr mit Rassismus auseinandergesetzt und Themen der Rechtspopulisten übernommen haben. Konservative in Skandinavien machen wechselseitig in ihren Ländern Rassisten als "ganz normale Parteien" hoffähig, weil sie in Parlamenten sitzen. Der Einzug der Schwedendemokraten 2010 in den Reichstag ist wesentlich ihrem Durchbruch in allen großen Medien des Landes geschuldet. In Dänemark werden immer öfter Anklagen wegen rassistischer Hetze fallengelassen, und Politiker der Konservativen und der Dänischen Volkspartei wollen das Gesetz zur Verfolgung dieser Straftaten ganz und gar abschaffen.

Bei allen Widersprüchen und Wandlungen im Rechtsextremismus wird insgesamt kontinuierlich darauf hingearbeitet, die bürgerlich-demokratische Staatsform zu unterwandern und sie schließlich durch autoritäre Regimes zu ersetzen. Hier gibt es fließende Übergänge in die etablierten rechtskonservativen, nationalistischen Milieus. So wird bereits diskutiert, daß etwa 20 Prozent der 18- bis 29-Jährigen in Schweden ein "diktaturähnliches politisches System, das nicht auf Reichstag und Wahlen Rücksicht nehmen müßte", begrüßen würden (Dagens Nyheter, Sth., 3.8.2011). Und in der Jugendorganisation der konservativen Sammlungspartei des Ministerpräsidenten heißt es dazu, daß man nun für "notwendige revolutionäre Veränderungen" mehr Menschen gewinnen müsse, und daß letztlich Freiheit wichtiger sei als Demokratie (Svensk linje, Sth., 2/11, S.5 f). Mit genau diesem Slogan haben dieselben Vordenker seit gut 30 Jahren gegen den sozialdemokratisch geprägten Wohlfahrtsstaat und eine "undemokratische Übermacht" der Gewerkschaften erfolgreich mobil gemacht.

Zu bedenken ist weiterhin, daß insbesondere seit der Hysterie des "Antiterrorkampfes" demokratische Grundrechte auch in Skandinavien eingeschränkt und Repressivorgane der Staaten gewaltbereitem Rechtsextremismus Vorschub leisten. Inzwischen wird eingeräumt, daß die norwegische Geheimpolizei ihre Aufmerksamkeit in der Vergangenheit auf den "islamistischen Terror" gerichtet und die Gefahr von Rechts vernachlässigt habe. Der gesamte Verlauf des Massakers von Breivik läßt viele Fragen offen, weshalb der Mörder eine Stunde lang unbehelligt auf wehrlose Menschen schießen konnte (vgl. u.a. in "Aftenposten", Oslo, Berichte, Interviews, Einschätzungen seit dem 23.7.2011).

Ursachen

Bis in die 70er Jahre spielten historisch-ideologische, geistige, an Emotionen und Instinkte anknüpfende Faktoren und die Zugehörigkeit zu einer internationalen Bewegung von "Auserwählten", gegenüber sozial-ökonomischen Ursachen eine relativ eigenständige Rolle. Mit dem Ende der wohlfahrtsstaatlichen Prosperität, mit Wirtschaftskrisen, zunehmender sozialer Unsicherheit, mit Sozialabbau und mit Privatisierungen im Bildungs- und Gesundheitswesen auch in den skandinavischen Ländern zogen im täglichen Leben vieler Menschen offen geforderte Egoismen ein, soziale Kälte, Verachtung von "Schwachen", Hetze auf Arbeitslose, Kranke, "Sozialbetrüger". Werte von sozialer Gleichheit, Kollektivität, Solidarität und einem sozialen Gehalt von Demokratie gingen in dieser Wirklichkeit, von oben gesteuert, weitgehend verloren. Faschistischer und kultureller Rassismus verbanden sich mit Sozialdarwinismus und verstärkten sich wechselseitig. Aus ihnen wächst der gegenwärtige Rechtsextremismus. Seine Quellen haben gemeinsam, daß sie aus der Ungleichheit von Menschen eine Ungleichwertigkeit ableiten und propagieren. Und die soll von jeher Ausbeutung von Menschen durch Menschen rechtfertigen. Schwedische Rassisten haben das Mitte der 80er Jahre so ausgedrückt: "Wir können ihnen (den Ausländern, E.F.) ja Arbeit geben, aber das heißt ja nicht, daß wir ihnen Lohn geben müssen." Das ist der grundlegende Ursachenzusammenhang zwischen dem Wesen des Kapitalismus und Rassismus. Der ist konstant, wurde unterschiedlich praktiziert und im "nordischen Gesellschaftsmodell" nie unterbrochen. In Krisenzeiten wird er aus einem weiteren Grund aktiviert: Den Ausgebeuteten, Verunsicherten, Gedemütigten im eigenen Land wird eine Zugehörigkeit zu den "Überlegenen", "Starken", den "Weißen", den "Nordischen" suggeriert und so versucht, aus der Klassenfrage eine ethnische zu machen. Das ist eine alte Methode zur brutaleren Kapitalverwertung. Und mit dem selben Ziel wird Antikommunismus verstärkt, der als Kampf gegen "jeglichen Extremismus" auch in Skandinavien eine Quelle und eine Konstante des Rechtsextremismus in allen seinen Zweigen ist. Antikommunismus hat Neofaschisten und Rassisten den Weg in das "ganz normale" Parteienspektrum geebnet und deren rechte Flügel verstärkt. Er schwächt antifaschistisches Potential in der Gesellschaft. Zumindest scheint für Schweden zutreffend, daß ein ganz besonders harter staatsoffizieller Antikommunismus ein Preis für lange sozialdemokratische Regierungsmacht war. Das kommt sehr deutlich auch in offiziellen Verlautbarungen und in staatlichen Untersuchungen und Strategien zur Bekämpfung "des Extremismus von Links und Rechts" zum Ausdruck.

Aus allem erwächst die Gefahr: aus unbeherrschten Finanz- und Wirtschaftskrisen, aus der Entmachtung der Parlamente, dem Abbau bürgerlich-demokratischer Rechte und aus der Nachsicht gegen Rechtsextremismus von Staats wegen, dazu kommt das Schüren irrationaler, klassenverkehrter Unzufriedenheit mit "der Demokratie" von unten plus Antikommunismus von oben und in die Mitte getragen.

Mit diesem giftigen Gebräu setzen sich demokratische Kräfte in Skandinavien auseinander und führen beste Traditionen ihrer Völker fort. In Norwegen wird in die Ehrung der Ermordeten von Utøya und Oslo vielfach das Vermächtnis "An die Jugend" des Antifaschisten und Spanienkämpfers Nordahl Grieg von 1936 einbezogen. In der Sozialistischen Linkspartei, bei Sozialdemokraten, in anderen demokratischen Parteien, in Gewerkschaften, bei Attac, in Kirchen, in kommunalen und anderen Initiativen und Zusammenschlüssen haben viele Jugendliche, Männer und Frauen die Verbrechen als Warnsignal und Aufforderung zu tätiger Wachsamkeit verstanden.

 

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