Käthe Kollwitz starb vor 80 Jahren
Heide Hinz, Dresden
Geboren ist Käthe Kollwitz als fünftes Kind 1867 in Königsberg (Kaliningrad). Sie wächst behütet in einer angesehenen bürgerlichen Familie namens Schmidt auf, die den Fortschrittsideen der Sozialdemokratie zugewandt ist. Bemerkenswert, Sozialismus wurde vom Vater als Bruderschaft der Menschheit verstanden, Käthes älterer Bruder Konrad arbeitete als Redakteur beim »Vorwärts« und besaß zu Friedrich Engels Kontakt.
In der Familie nannte man Käthe liebevoll »Katuschchen«, wohl, weil sie, schon von klein auf viel zeichnete, malte, tuschte. Der Vater, Architekt, erkannte früh ihr Talent und ließ sie an der Malschule in München studieren. Hier sagt sie sich, komme ich nicht vorwärts, ich komme mit der Farbe nicht zurecht, ich bin keine Malerin. Ihre Stärke sei das Zeichnen und alsbald wechselt sie an die Künstlerinnenschule Berlin, erlebt dort einen anregenden Kreis bildender Künstler. Sie zieht zu Karl Kollwitz, Kassenarzt, (Armenarzt), mit dem sie bereits seit ihrem 17. Lebensjahr verlobt ist und ihn jung heiratet. Der Vater glaubte nicht, dass sie ein künstlerisches Berufsleben mit der bürgerlichen Ehe vereinbaren könne. Aber er meinte, »Du hast dich entschieden, so sei das, was du gewillt bist, ganz!«. Der Ehemann, aufgeschlossen, ließ ihr dafür freie Hand, bot Schutz und Zuflucht. Schon bald wurde das erste Kind erwartet und später auch ein zweites.
Arbeitende Menschen als Motiv
Das Erlebnis der Uraufführung der »Weber« von Gerhart Hauptmann 1893 in der »Freien Bühne« Berlin hinterließ einen äußerst starken Eindruck auf Käthe Kollwitz, sie hielt ihn in ihren »Weber-Radierungen« fest. Diese wurden zum Siegeszug ihres technischen Könnens. Schon bald konnten die Arbeiten in der »Großen Berliner Kunstausstellung im Lehrter Bahnhof« gezeigt werden. Und das Dresdner Kupferstichkabinett kaufte sie an. Man berief sie nun zum Ordentlichen Mitglied der Berliner Sezession. Von da an gehört Käthe Kollwitz, der die Grafik zum bestimmenden Metier geworden ist, in die erste Reihe der Künstler. Die Jury schlug sie für die »Kleine goldene Medaille« vor. Kaiser Wilhelm II. lehnte das ab, zu sozialkritisch ihr künstlerisches Anliegen. Adolf Menzel setzte die Auszeichnung durch. Bald darauf folgte ihre Reihe »Der Bauernkrieg«. Eine Zäsur: Von jetzt an waren die Motive nicht das bürgerliche Leben, sondern arbeitende Menschen. In der Praxis ihres Mannes mit der Wohnung darüber, die zunächst auch ihr Atelier war, erfuhr Käthe Kollwitz das quälende krankmachende Arbeitsleben der Proletarier und deren Frauen, die meist für viele Kinder sorgen mussten: Es herrschten Arbeitslosigkeit, Prostitution, Abtreibungen, Hunger, Alkoholismus, Selbstmorde … – später Weltwirtschaftskrise.
Den ersten Weltkrieg erlebt Käthe Kollwitz mit großem persönlichem Leid. Viele der Jungen, auch ihr Sohn Peter, zogen freiwillig und freudig fürs Vaterland in den Krieg. Er ist 18-jährig am 22. September 1914 gefallen. Peters Opfertod war und blieb der schwerste Schlag für die Mutter, »als ob das Kind noch einmal vom Nabel abgeschnitten wird«. Von nun an gilt ihr das Goethe-Wort »Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden« als Sinnbild ihrer Kunst, und sie setzt es mit »Nie wieder Krieg« gleich. Es wird ihr Testament.
Mit der Oktoberrevolution in Russland 1917 sei etwas Neues in die Welt gekommen, sie sieht darin Lichtblicke. Für die »Internationale Arbeiterhilfe« zeichnet sie ein Plakat: »Helft Russland!« gegen die Hungersnot, nimmt an der Frauenkonferenz des 8. Weltkongresses der »Internationalen Arbeiterhilfe« teil. Zu den Feierlichkeiten anlässlich des 10. Jahrestages der Oktoberrevolution wird Käthe Kollwitz von der »Assoziation Revolutionärer Künstler Russlands« nach Moskau eingeladen, und zu ihrem 65. Geburtstag bekam sie sowohl in Moskau als auch in Leningrad eine Werkausstellung.
Sozialismus, der die Menschen leben lässt
Kommunistin im Sinne von Parteimitgliedschaft war Käthe Kollwitz nicht. Aber, meinte sie, es komme darauf an, die Fahne hochzuhalten. Obwohl enttäuscht von der Novemberrevolution, wurde ihr doch das hingebungsvolle Abschiednehmen der revolutionären Proletarier von Karl Liebknecht zum Kraftsymbol. Sie bekundet: Politisch glaube ich an einen Kommunismus von Menschlichkeit, aber Diktatur des Proletariats oder Räterepublik? »Dennoch habe ich das Recht, aus allem die Gefühlsgewalt zu ziehen, und so habe ich den Abschied von Karl Liebknecht darzustellen.« Mehrmals war sie im Leichenschauhaus, machte Skizzen und entschloss sich für das geschichtsträchtige Gedenkblatt »Die Lebenden dem Toten – Erinnerung an den 15. Januar 1919«. Seither demonstrierten alljährlich bis zum faschistischen Verbot 1933 Tausende Arbeiter zu den Gräbern von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Ab 1946 lebt die Tradition auf. Wieder machen sich im Januar Jahr für Jahr Tausende Berliner mit in- und ausländischen Gefährten auf zur Gedenkstätte der Sozialisten und singen im Vermächtnis: »… Dem Karl Liebknecht haben wir’s geschworen, der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand …«.
1919 war Käthe Kollwitz als erste Frau zum Mitglied der Preußischen Akademie der Künste berufen worden und erhielt den Professorentitel, auf den sie jedoch keinen Wert legte.
Längst arbeitet sie auch plastisch. Sie verfolgt die Idee eines Denkmals für ihren Sohn und setzte ihm nach jahrelanger Arbeit daran das »Todesmal« auf dem Soldatenfriedhof Roggevelde/Flandern. »Mit dem Verlust von Peter sehne ich mich nach Sozialismus, der die Menschen leben lässt.«
Infolge ihrer Unterschrift unter den »Dringenden Appell« (1932), der vor dem Erstarken der NSDAP warnt und das Zusammengehen der SPD mit der KPD im Wahlkampf fordert, zwingt man sie, aus der Preußischen Akademie auszutreten, gleiches geschieht auch Ernst Barlach, dem sie sich geistes- und wesensverwandt fühlt. Beide gelten bereits als die großen populären Künstler des 20. Jahrhunderts.
Käthe Kollwitz ahnt, dass eine schlimme Zeit bevorsteht. 1933 wird allen Ärzten, die der »Sozialdemokratischen Ärztevereinigung« angehören, so auch ihrem Mann, die Kassenzulassung weggenommen. Sie muss das Atelier in der Akademie räumen.
1936 bestellt die Gestapo sie zweimal zum Verhör ein wegen des genannten »Dringenden Appells« und eines Interviews in der »Isvestija«. Man droht ihr mit KZ. Die Eheleute beschlossen daraufhin, wenn es unvermeidlich wird, gemeinsam in den Tod zu gehen, das Medikament dafür trugen sie von da an bei sich.
1937 erfolgt für Käthe Kollwitz Ausstellungsverbot, die Präsentation zu ihrem 70. Geburtstag in der »Buch- und Kunstausstellung Karl Buchholz Berlin/New York« wird amtlich geschlossen, ihre Arbeiten, wie auch die von Ernst Barlach werden als entartet gebrandmarkt und aus den Museen verbannt. Die »Stammrolle« der »Fachschaft der bildenden Künstler« verfemt sie, womit ihr das Recht verloren geht, ihren Beruf weiter auszuüben.
1938: »Für Deutschland bin ich tot, aber in Amerika fange ich an, lebendig zu werden.« Beschlagnahmte Werke werden dort bald vermarktet. Also arbeitet sie weiter an einer Plastik, der »Kleinen Pietà« – eine alte Frau mit totem Sohn im Schoß. Das ist schon nicht mehr nur die Trauer um ihren Sohn, sondern ein Nachsinnen über den Krieg, der ihr in seinen Wurzeln unerklärt bleibt.
Ernst Barlach stirbt 1938. Käthe Kollwitz wird zum ersten Mal anlässlich der Trauerfeier in Güstrow sein. In seinem Atelier auf dem Heidberg sieht sie über dem offenen Sarg das erschütternde Werk »Der Schwebende«, im Volksmund »Dom-Engel« genannt, der über die zum Friedhof gewordene Erde fliegt. Barlach: »In den Engel ist mir das Gesicht von Käthe Kollwitz hineingekommen, ohne dass ich es mir vorgenommen hatte – ihr Schweigen, der Schrei gegen den Krieg«, was beweist, auch Barlach spürt die innere Verwandtschaft zu ihr. Käthe Kollwitz jedoch verlor sich nicht in Mystik und Resignation. Sie bewundert Barlachs Kunst des Holzschnitts: »Er hats gekonnt«, nachdem sie sein »Denkmal des Krieges im Dom zu Magdeburg« sah und fragt sich, soll ich auch mit dem Holzschnitt beginnen? Es geschieht mit der Folge »Krieg« und zu ihrer Lithografie des Liebknechtblatts.
Ein Ende mit allem Krieg!
Hintereinander treffen Käthe Kollwitz weitere harte persönliche Schicksalschläge: 1940 stirbt ihr schwerkranker Mann; 1942 fällt der Enkel Peter in der Sowjetunion, Anlass für ihre Lithografie »Mutter beschirmt ihre Kinder«, die sich gegen das »letzte Aufgebot«, die Kriegs-Rekrutierung Minderjähriger richtet. Sie wiederholt: »Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden – kein sehnsüchtiger Wunsch, sondern Gebot.«
Infolge der Bombardierungen Berlins, die ihre Wohnung und damit viele ihrer Arbeiten zerstören, findet sie 1943 vorübergehende Aufnahme bei einer jungen Bildhauerin in Nordhausen. Als der Krieg auch dort einschlägt, war kein Dach mehr über ihrem Kopf. Prinz Heinrich von Sachsen, Kunstliebhaber, Sammler und Verehrer der Kunst von Käthe Kollwitz, bietet ihr am 20. Juli 1944 Quartier im »Rüdenhof«, der zum Schloss Moritzburg gehört.
Ihre letzte Eintragung im Tagebuch, Herbst 1944: Es wird »… einmal ein neues Ideal entstehen, und es wird mit allem Krieg ein Ende sein.« In dieser Überzeugung starb sie in der Nacht vom 21. zum 22. April 1945. Es ist anzunehmen, dass sie den Einmarsch der Roten Armee nahen sah.
Bereits am 21. Oktober 1945 öffnete eine Gedächtnisausstellung mit 127 Werken der Künstlerin im Naturkundemuseum Berlin. Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl gehörten dem vorbereitenden Ausschuss an und unterstrichen den hohen Stellenwert proletarischer Kunst für die Nachkriegszeit.
Im Gegensatz dazu empfinde ich es als eine respektlose politisch-ästhetische Situation 1993: Helmut Kohl widmete das »DDR-Mahnmal für die Opfer des Faschismus« mit der ewigen Flamme in der Neuen Wache Berlin um. Er wählte für die zur Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik erklärte Neue Wache die »Pietà« von Käthe Kollwitz aus. Die sensible Skulptur, im Original misst sie nur 38 cm, ließ er auf das mehr als Vierfache vergrößern, die nun wie ein Koloss wirkt und die Aufschrift »Für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft« tragen muss. Sehr zwiespältig, denn Opfer für oder gegen … bleibt offen. Käthe Kollwitz hätte dem wohl niemals zugestimmt.
Zwischen Künstler und Volk muss Einverständnis sein
Am 22. April 1995 wird anlässlich des 50. Todestages von Käthe Kollwitz ein Museum im Rüdenhof, ihrem einzigen erhalten gebliebenen und letzten Wohnort, in Trägerschaft einer Stiftung eröffnet.
2021 droht die Schließung, denn die kommunalen Träger kürzten die Finanzen für das Museum drastisch, die CDU-Landeskulturministerin Sachsen sah sich nicht zuständig, obwohl die Landesverwaltung bereits am 25. Juli 1945 mitgeteilt hatte, im Rüdenhof ein Museum einzurichten, auch der Bund verweigerte zu helfen. Es setzte Protest mit einer erfolgreichen Petition ein. Viele Unterschriften von Kunstfreunden, namhaften Persönlichkeiten und Medien verhinderten die Schließung des Kollwitz-Hauses, finanzielle Nöte bleiben.
Es könnte auch heute für die Kunst und Gesellschaft gesagt sein, was Käthe Kollwitz als Selbstzeugnis notierte, nämlich: »… Wenn ich mich mitarbeiten weiß … gegen den Krieg, hab’ ich ein … befriedigendes Gefühl … Ich bin einverstanden damit, dass meine Kunst Zwecke hat. Ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind …«, wie heute wieder. Für sie gilt: Zwischen Künstler und Volk muss Einverständnis sein. Sie will mit einer Wirklichkeitskunst dienen – ein Appell an die Künstlerschaft auch jetzt, da Kriegstüchtigkeit in Deutschland staatlich sanktioniert wird und das Rüstungsgeschäft auf Kosten des Volkes boomt.
Verwendete Literatur:
- Käthe Kollwitz: Bekenntnisse – Reclam 1981
- Tagebücher der Kollwitz im Museum Moritzburg
- Große Frauen der Weltgeschichte – Neuer Kaiser Verlag, Klagenfurt, 1987
- Elmar Jansen: Barlach Kollwitz - Union Verlag,1989
- Große Frauen der Geschichte – Arena 1994
- Ihrer Zeit voraus – cbj 2012
- Brigitte Birnbaum: Tintarolo: Kinderbuchverlag Berlin
- Goethe-Zitat aus: »Lehrbrief«, 7. Buch von Wilhelm Meisters Lehrjahre
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