Zum Hauptinhalt springen
Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Im Namen der Wissenschaft?

Horsta Krum, Berlin

 

Kulturgüter gehören seit dem Altertum zur Kriegsbeute; aber der Kulturraub, den Hitlerdeutschland betrieb, ist beispiellos in der Geschichte. Dabei wurde zwischen den östlichen und den westlichen Ländern unterschieden: Letztere respektierte Nazi-Deutschland durchaus als Kulturnationen, die auch nach dem Sieg weiterbestehen sollten, geschwächt und mit reduziertem Territorium.

Der Krieg gegen die Sowjetunion wurde propagandistisch ganz anders vorbereitet und durchgeführt, nämlich als Vernichtungskrieg gegen den Kommunismus und das »Judentum«, als Unterdrückung und Dezimierung der einheimischen Bevölkerung durch Hunger, Krankheit oder unmittelbare Gewalt. Ein Drittel der materiellen Güter sollte dem Unterhalt der deutschen Besatzungsmacht dienen, ein Drittel ins Reich gebracht, mit dem letzten Drittel sollte die einheimische Bevölkerung versorgt werden. Diesen Plan hatte Hermann Göring Mitte der 30er Jahre ausgearbeitet. [1] Aufgabe des Chefideologen der Nazis, Alfred Rosenberg, war es, die theoretische Begründung für diese mörderische Politik zu liefern, wobei der Krieg – ganz im wörtlichen Sinne – den Boden für deutsche Siedler bereiten sollte.

Dazu habe das Deutsche Reich nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, denn Europa, auch gerade Osteuropa, sei germanisch-deutsch geprägt, was im Laufe der Jahrhunderte andere, und zwar, so die Nazis, minderwertige Rassen und Kulturen überlagert hätten. Die »Hohe Schule«, die Rosenberg am Chiemsee plante, sollte diese These weiter ausarbeiten und »wissenschaftlich« belegen.

Die Planung der »Hohen Schule« war so groß angelegt, dass ihre Verwirklichung auf die Zeit nach dem Krieg verschoben wurde. Aber einzelne Institute konnte Rosenberg aufbauen lassen, beispielsweise das »Institut zur Erforschung der Judenfrage«. Bereits im April 1939 schloss er mit der Stadt Frankfurt am Main den Vertrag zur Gründung des Instituts. Auch wenn dieses erst 1941 seine Arbeit in vollem Umfang aufnahm, so war die Stadt gleich am Anfang Rosenberg gefällig, indem sie beispielsweise Fachbücher dieses Gebietes zusammentrug.

Für seine ehrgeizigen Pläne brauchte Rosenberg Geld, Personal, weitgehende Befugnisse, – und er brauchte den Krieg. Denn in den besetzten Gebieten sollten seine Mitarbeiter Material zusammentragen aus Archiven, Bibliotheken, Museen und Privatbesitz.

Je weiter der Krieg fortschreitet, desto besser kann Rosenberg seine Pläne verwirklichen. Im Juli 1941, kurz nach dem Überfall auf die Sowjetunion, wird er »Reichsminister für die besetzten Ostgebiete Baltikum, Weißrussland, Ukraine«. In dieser Eigenschaft verfügt er über 1.600 Mitarbeiter.

Mit zwei Mitarbeitern ist er besonders verbunden: Georg Leibbrandt und Otto Bräutigam. Bräutigam war vor 1941 längere Zeit als Diplomat in der Sowjetunion tätig. Im Frühjahr 1941 wird er nach Berlin zurückbeordert, um den Überfall auf die Sowjetunion mit vorzubereiten. Dann schickt Hitler ihn in Rosenbergs Ost-Ministerium, wo er unter anderem mit Georg Leibbrandt die zukünftigen Verwaltungszonen in der Sowjetunion plant. Im Juli 1941 wird er Leiter der Zentralen Hauptabteilung Politik, der wichtigsten Abteilung des Ministeriums. Außerdem überträgt Rosenberg ihm die Zuständigkeit für die Abteilung »Fremde Volkstümer«.

Leibbrandts und Rosenbergs Biografie haben vieles gemeinsam: Rosenberg war in Estland aufgewachsen, Leibbrandt in der Nähe von Odessa. Dort hatte sich sein Großvater mit einer württembergischen Gruppe angesiedelt. Als überzeugter Antikommunist und Antisemit verließ sein Enkel Georg, geboren 1899, das vormalige Zarenreich während der Oktoberrevolution – genau wie Rosenberg. 1935 begann Leibbrandt seine Karriere in der NSDAP, nachdem er aus den USA zurückgekehrt war. Viele Schriften verfasste er über Juden und Kommunisten, die von den Nazis zu Hauptfeinden des Deutschen Reiches, ja Europas, ernannt waren. Teilweise handelte es sich um Aufträge Rosenbergs. 1937 beispielsweise schrieb Leibbrandt von der »jüdisch-bolschewistischen Moskauer Tyrannei«. [2]

Beamte in Nazideutschland, die, wie das Dreigestirn Rosenberg, Leibbrandt und Bräutigam, besondere Beziehungen zu Russland, bzw. zur Sowjetunion hatten, gehörten »zu den aktivsten und fanatischsten Tätern, nicht selten zu den Strategen der Besatzungspolitik und der Massenmorde.« [3]

Ab Juni 1941 wachsen Leibbrandts Aufgaben; beispielsweise reist er im Oktober 1941 in die Ukraine, um Arbeitskräfte für die deutsche Kriegswirtschaft zu rekrutieren, denn sie sollen jüdische Arbeiter ersetzen. Erst dann ist der Weg wirklich frei zum systematischen Massenmord an den jüdischen Menschen, wie ihn die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 beschließt.

So ist es folgerichtig, dass Leibbrandt an dieser Konferenz teilnimmt. Sofort danach beruft er für Rosenbergs Ministerium die erste Nachfolgekonferenz ein. Sie legt fest, dass dieses Ministerium in der Ukraine die »Endlösung« selbstständig vorbereiten und also schnell in die Paxis umsetzen kann. Bis zum Ende des Krieges finden sich Belege für Leibbrandts brutales und rasches Vorgehen gegen alle, die das Deutsche Reich als Feinde bekämpft.

Diese drei, Rosenberg, Leibbrandt und Bräutigam, verband also eine besondere Beziehung zur Sowjetunion; und ihr fanatischer Hass auf Juden und Kommunisten bestimmte ihr Vorgehen in der Sowjetunion. So besaß Rosenberg in Leibbrandt und Bräutigam intelligente, loyale Mitarbeiter, die er für die besetzten Ostgebiete brauchte. [4]

Viele seiner Ämter und Funktionen beruhten auf einem »Führererlass«, zu dem Rosenberg selbst oder jemand aus seiner Umgebung Hitler angeregt hatte. Nachdem die Wehrmacht die Sowjetunion überfallen hatte, legte ein weiterer »Führererlass« vom 1. März 1942 Rosenbergs Befugnisse für alle besetzten Gebiete fest: »Juden, Freimaurer und die mit ihnen verbündeten weltanschaulichen Gegner des Nationalsozialismus« seien »die Urheber des jetzigen gegen das Reich gerichteten Krieges«, deren »planmäßige geistige Bekämpfung … eine kriegsnotwendige Aufgabe« sei. Im Rahmen dieser Aufgabe erfolgt zunächst die planmäßige Durchsuchung und teilweise Beschlagnahme von Bibliotheken, Archiven, Logen und anderen kulturellen und religiösen Einrichtungen, »für die weltanschaulichen Aufgaben der NSDAP und die späteren wissenschaftlichen Forschungsvorhaben der Hohen Schule«.

Systematischer Kulturraub

Das Schriftmaterial, das Rosenbergs Leute beschlagnahmten, sollte den verschiedenen Institutionen zugutekommen, die er gegründet hatte. Dazu gehörte nach dem Überfall auf die Sowjetunion auch die »Ostbücherei«, die u.a. der Erforschung des Kommunismus dienen und später dem »Institut zur Erforschung der Judenfrage« übergeben werden sollte; denn dem Institut wurde im Laufe des Jahres 1942 als zweite Aufgabe die »Erforschung des Weltbolschewismus« übertragen. Im April 1943 verfügte die »Ostbücherei« bereits über eine halbe Million Bücher und Zeitschriften. 1945 wurde sie nicht verlagert, sondern blieb in Polen, wo die Rote Armee sie unversehrt übernehmen konnte.

Rosenberg brauchte nicht nur Schriftgut, um seine These der vor- und frühgeschichtlichen Germanisierung zu belegen und den Krieg gegen die Sowjetunion auf diese Weise zu rechtfertigen, sondern auch archäologische Funde. So ließ er Museen durchsuchen und Ausgrabungen durchführen.

Der für Rosenbergs »Forschungen« verwandte Begriff »kriegsnotwendige Aufgabe« ermöglichte es ihm, außer in den Gebieten, die unter Zivilverwaltung standen, nun auch in militärisch verwalteten Zonen zu agieren – mit Hilfe des Militärs, das ihm zuarbeitete und unter anderem das Raubgut transportierte. Aus Museen in Minsk und Kiew und in mittelgroßen und kleineren Städten wurden Funde wie Steinwaffen, Feuersteine, menschliche Knochen entfernt, Kleinkunst aus Ton, Glas, dazu Schriftgut wie Archivalien, fotografische Dokumentationen, mehrere tausend Bücher.

Rosenberg hatte nicht nur Freunde. Beispielsweise kritisierten Mitarbeiter der klassischen Archäologie seine Methoden und »wissenschaftlichen« Ergebnisse. Rosenberg nannte diese Forscher »undeutsch« und »von Juden bezahlt«. Machtkämpfe lieferte er sich mit gleichgesinnten Nazis, etwa mit Martin Bormann, dem Leiter der Parteikanzlei.

Ein anderer Konkurrent war die militärische Einrichtung für »Bibliotheks- und Archivschutz«. Auch er musste Materialien »sicherstellen«, und manche Mitarbeiter misstrauten Rosenberg. Aber er verfügte über Geld, und so gelang es ihm, einige Angehörige des Konkurrenz-Unternehmens mit ihrem Fachwissen zu integrieren. Auch heimisches Personal, das als »zuverlässig« galt, arbeitete ihm zu.

 

Anmerkungen:

[1]  Im November 1941 sagte Göring zum italienischen Außenminister Galeazzo Ciano: »In diesem Jahr werden in Russland zwischen 20 und 30 Millionen Menschen verhungern. Und vielleicht ist das gut so, denn gewisse Völker müssen dezimiert werden.« (zitiert nach Madajczyk, Czeslaw, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939-1945, Berlin 1987, S. 92.

[2]  Zitiert nach Piper, Ernst, Alfred Rosenberg, München, 2005, S. 427.

[3]  Gerlach, Christian, Kalkulierte Morde, Hamburg 1999, S. 225.

[4]  Nach 1945 arbeiten Bräutigam und Leibbrandt zunächst im Dienste der amerikanischen Besatzungsmacht. 1950 erhebt das Landgericht Nürnberg Anklage gegen sie wegen Verdachts des mehrfachen Mordes. Aber zum Gerichtsverfahren kommt es nicht. Allerdings sind zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle Einzelheiten ihrer Tätigkeit für Rosenberg bekannt. Leibbrandts Teilnahme an der Wannsee-Konferenz gilt offensichtlich nicht als ausreichender Grund, um das Verfahren gegen ihn zu eröffnen. In den fünfziger Jahren beteiligt er sich am Aufbau der »Salzgitter AG«, dem Nachfolge-Unternehmen der »Reichswerke Hermann Göring«. Dass Leibbrandt 1955 Bundeskanzler Adenauer beraten habe bei der Rückführung gefangener Wehrmachtssoldaten aus der Sowjetunion, habe ich in der gängigen Literatur nicht belegt gefunden. – Otto Bräutigam ist ab 1953 Ministerialdirigent im Auswärtigen Amt der BRD, Leiter der Abteilung Ost. Als 1958 Einzelheiten seiner Tätigkeit für Rosenberg bekannt werden, machen ihn seine Vorgesetzten zum Generalkonsul in Hongkong. 1959 erhält er das Bundesverdienstkreuz.

 

Mehr von Horsta Krum in den »Mitteilungen«: 

2021-10: »Im Grunde fürchten wir gar nichts mehr …«

2021-10: Mikis Theodorakis – ein Kopf voller Musik

2021-05: Jeanne, die Unvergleichbare