Herbert Baum - geboren am 10. Februar 1912
Eberhard Butter, Berlin
"Ihr könnt nicht, sagt ihr? Zu stark ist der Terror, der Gestapo-Staat unüberwindlich? Wir müssen uns an den Krieg klammern, um die Schrecken der Niederlage hinauszuschieben? So ist euch zu wiederholen: Ein Volk, das frei sein will, ist es im selben Augenblick. Ginge in den deutschen Städten einmütig das Volk auf die Straßen und riefe: 'Nieder mit Krieg und Völkerschändung, nieder mit Hitler und allem Hitler-Gesindel, Freiheit, Recht und Friede für uns und alle!' – die Nazis würden erkennen, dass sie verspielt haben: sie würden schießen, natürlich, aber ein Abenteurer-Regime, das auf das Volk schießen lassen muss, ist am Ende, und so viel von eurem Blut, wie in Russland fließt, würde die deutsche Erhebung nun einmal sicher nicht kosten." - Thomas Mann 1942 [Deutsche Hörer! Fünfundfünfzig Radiosendungen der BBC London nach Deutschland, aus der Sendung vom April 1942]
Es waren zu wenige, die sich erhoben und kämpften. Die, die es taten, waren sich des zu bringenden Opfers bewusst. Es bleibt die würdigende Erinnerung an ihren Mut im Wissen um das, was sie in den Händen ihrer Folterer, Richter und Henker erwartete. Und wie einsam waren sie inmitten der ignoranten schweigenden Mehrheit der Deutschen. Auch in anderen Appellen wandte sich Thomas Mann an das Gewissen "seiner Deutschen".
Die neofaschistische Gefahr macht den hundertsten Geburtstag Herbert Baums zu einem aktuellen Datum. Er wurde am 10. Februar 1912 in Moschin, Provinz Posen, geboren. Bereits vor 1933 waren er und seine Frau Marianne, geboren am 9. Dezember 1912, als Marxisten aktive Gegner des Faschismus. Herbert war von Beruf Elektriker und wollte in Abendkursen einen Hochschulabschluss als Diplom-Ingenieur erwerben. Das verhinderten die Nazis, indem sie ihn vom Studium 1935 ausschlossen. Dem KJVD trat er 1931 bei. Vorher war er Mitglied des Bundes Deutsch-Jüdischer Jugend, zu dem er ab 1935 wieder Beziehungen aufnahm. Diese Jugendbewegung hatte ab 1933 durch die beginnende Verfolgung der jüdischen Bürger neuen Aufschwung genommen. Die später unter seiner Leitung stehende Widerstandsgruppe aus jüdischen Kommunisten und anderen Hitlergegnern mit sozialistischer und anarchistischer Orientierung oder aus der Wandervogel-Bewegung wurde ab 1936 aufgebaut. Dabei waren die meisten der jungen Männer und Frauen Mitglieder der 1938 zerschlagenen jüdischen Jugendbünde. Die Gruppe wirkte vorwiegend in Berlin.
Kurz vor Beginn des 2. Weltkrieges nahm die Gruppe Verbindungen zu den Kämpfern um Robert Uhrig auf. Es folgten Kontakte mit der Widerstandsgruppe Karl Kunger in den AEG-Werken in Berlin-Treptow und mit Steglitzer kommunistischen Gruppen. Ab 1940 war Herbert als Arbeiter zwangsverpflichtet in der Fa. Siemens-Schuckert in Berlin tätig. Seine Gruppe, der zeitweilig bis zu 100 Jugendliche angehörten, organisierte Flugblatt- Aktionen, sabotierte die Rüstungsproduktion, unterstützte ab 1941 jüdische, belgische und französische Zwangsarbeiter und half Juden beim Untertauchen. Die Gruppe verbreitete die für Wehrmachtssoldaten bestimmte Zeitung "Der Ausweg" und andere antifaschistische Flugschriften. [Unter Nutzung von: Deutsche Widerstandskämpfer 1933-1945, Biographien und Briefe, Dietz-Verlag Berlin 1970; Wikipedia.de; H.R. Sandvoß, Widerstand in Steglitz und Zehlendorf, Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1986]
Der Zeitzeuge Ernst Feulner erinnert sich 1981: "Ich lernte Herbert Baum in der Fichte-Wandergruppe 'Warschauer Ring' kennen. Dort war er die herausragende, prägende Persönlichkeit. Fast alle von uns kamen aus einfachen Verhältnissen … Ich erlebte aber auch manche Illusion bei meinen Freunden. Herbert weigerte sich, als ich es ihm vorschlug, ins Ausland zu gehen. Er sah sich als Kopf der Gruppe in besonderer Verantwortung und glaubte wohl zudem an die baldige Niederlage des Faschismus … Trotzdem traf ich beim Heimaturlaub wiederholt auf meine alten Freunde. Herbert Baum riet mir, unbedingt zu den feindlichen Linien überzulaufen … Bei meinem letzten Gespräch mit Herbert erfuhr ich, dass er ‚eine große Sache’ vorhabe, aber möglichst viele Genossen raushalten wolle. Ich glaube, die Gruppe flog durch einen Spitzel auf." [H.R. Sandvoß, Widerstand in Mitte und Tiergarten, Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1999, S. 170]
Am 18. Mai 1942 warfen Herbert und einige Mitkämpfer ihre Brandsätze in die antisowjetische Hetzausstellung "Das Sowjetparadies" im Berliner Lustgarten. Auf 9.000 m2 entstellten und verleumdeten die Faschisten das Leben in sowjetischen Städten und Dörfern, die sozialistischen Errungenschaften, und diffamierten die Funktionäre der KPdSU. Alle Vorurteile deutscher Spießer wurden ausgiebig in Bild und Ton bedient, weil man das wegen des vor fünf Monaten vorerst gescheiterten Blitzkrieges brauchte (Der Autor dieser Zeilen erlebte einen Ableger der Ausstellung in seiner heimatlichen Kleinstadt!).
Stephan Hermlin schreibt dazu: "… Seit dem Überfall auf die Sowjetunion hatte die Gruppe ihre Aktivität erheblich gesteigert. Während die faschistischen Kolonnen auf Stalingrad vorrückten und Deutschland im Siegestaumel war, hatten die Nazis in Berlin eine Ausstellung eröffnet unter dem Titel ‚Das Sowjetparadies’ – ein Begriff, der den Antibolschewisten aller Länder bis heute teuer geblieben ist, gerade weil er mit der Realität der sozialistischen Sowjetunion nichts zu tun hat. Zur gleichen Stunde, da die Rote Armee die Sache der Weltzivilisation gegen die Hitlerhorden unter furchtbaren Opfern verteidigte, drängten sich in den Ausstellungsräumen Unter den Linden gaffende Zuschauermassen, die keine Empfindung dafür hatten, wie sehr sie selbst das Bestehen einer solchen Ausstellung in der Hauptstadt Deutschlands schändete …" [Stephan Hermlin, Die erste Reihe, Verlag Neues Leben 1975, S. 149/150]
Die Rache der Faschisten erfolgte schnell und blutig. Der Gestapo gelang es, wahrscheinlich durch eingeschleuste Spitzel, ab 22. Mai 1942 Herbert und die Mehrheit seiner Gruppe jüdischer und nichtjüdischer Kämpfer zu verhaften. Noch in der Untersuchungshaft wurde Herbert am 11. Juni 1942 ermordet. Andere sind im KZ Auschwitz umgebracht worden. [Klaus Mammach, Widerstand 1939-1945, Akademie-Verlag Berlin 1987, S. 139] Wenige erhielten Zuchthausstrafen, einigen gelang die Flucht. Dreiundzwanzig Kommunisten und andere Antifaschisten wurden in Berlin-Plötzensee 1942/43 hingerichtet. Darunter waren Marianne Baum, Heinz Birnbaum, Hildegard Jadamowitz, Heinz und Marianne Joachim, Martin und Sala Kochmann, Karl Kunger, Hans-Georg Mannaberg, Hans-Georg Vötter, Lothar Salinger, Werner Schaumann, Werner Steinbrinck und Suzanne Wesse. [Die Aufhebung der "Rechtswirksamkeit" faschistischer Terrorurteile der zivil- und Kriegsgerichtsbarkeit erfolgte in der BRD ab 1985 und wurde im September 2009 abgeschlossen (teilweise gegen den Widerstand von CDU/CSU und FDP).]
Zum antifaschistischen Erbe der DDR gehört selbstverständlich die Erinnerung an die "Gruppe Herbert Baum": Da ist der 1981 geschaffene Gedenkstein im Berliner Lustgarten (der allerdings im Zuge des Denkmalssturms nach 1990 eine "geschichtsberichtigende" Glasüberdeckung erhielt, weil der Teil der steinernen Schrift, der von der Verbundenheit mit der Sowjetunion sprach, nur mit Mühe gelesen werden sollte – sicher einmalig in der Weltdenkmalspflege), auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin wurde ein Ehrengrab mit Gedenkstein für die Gruppe errichtet, es gibt (bis heute) die Herbert-Baum-Straße, die zu diesem Friedhof führt, und schließlich trugen Truppenteile der Nationalen Volksarmee der DDR und ein Trawler der DDR-Flotte seinen Namen. An seine Mitkämpfer erinnern Tafeln an ihren ehemaligen Wohnstätten.
Mehr von Eberhard Butter in den »Mitteilungen«:
2012-01: Sie opferten ihr Leben – Kommunisten im antifaschistischen Kampf
2011-06: Unser Thälmann
2010-09: Harald Neubert: Die internationale Einheit der Kommunisten