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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Guadalajara und heute

Victor Grossman, Berlin

 

Der Sieg von Guadalajara vor 85 Jahren gab uns, die von einer besseren, friedlichen Welt träumten, einen Grund zur neuen Hoffnung. »Madrid bleibt frei, vielleicht stoppen wir die Faschisten, vielleicht verhindern wir einen weitaus größeren Krieg!« Der Volksfront der Spanier, der Mut von Menschen aus Deutschland, Italien, Polen, ja, aus fast allen Ländern, die Flugzeuge und Flieger aus der UdSSR konnten die Angreifer noch zwei wichtige Jahre lang aufhalten. Doch der Verrat des Torys Neville Chamberlain, des »Sozialisten« Leon Blum, sogar des fortschrittlichen Franklin Roosevelt wogen zu schwer, und die Bankiers von Paris, der Londoner City, Wall Street, Ford und General Motors bewiesen, dass ein Franco, von Hitler und Mussolini gelenkt, ihnen näher lag als spanische Bergleute, Fabrikarbeiter oder Bäuerinnen und deren Kinder. Bald hatten auch eigene Landsleute unter ihrer Wahl zu leiden.

Heute ist alles komplizierter. Wo ist in Europa eine Volksfront? Eine UdSSR besteht auch nicht mehr. Zwar kein Hitler oder Mussolini, doch die Londoner City, die Bankiers in Paris und Frankfurt rechnen heute in Milliarden, und eine kleinere Elite – Ford und General Motors, Northrop-Grumman, Lockheed, Boeing, auch Amazon, Facebook – gieren und erstreben weiter nach Herrschaft in der Welt. Gibt es dafür neue Ludwig Renns und Hans Kahles, Milton Wolffs und Rol-Tanguys, Lísters und Pasionarias? Und wo heutige Machtziele ausgedehnter und die Waffen so sehr verheerender sind, entstehen nun kluge Gegenkräfte, die statt im Krieg und Bomben vielmehr in großen, doch friedlicheren Aktionen eine Hoffnung suchen? Also in neuen Volksfrontbewegungen, die sich gegen die Gefahren von neuen Formen des Faschismus stemmen, gegen weitaus schlimmere Kriege, gegen die gänzliche Vernichtung einer Welt, die jetzt schon an allen Ecken leidet?

                                         24. Februar 2022

 

Guadalajara [1]

Im Frühjahr 1937, trotz der schrecklichen Niederlage bei Málaga, trotz vieler Streitereien auf Regierungsebene und den Problemen mit Premier Largo Caballero, den viele für unfähig hielten, auch trotz direkter Sabotage mancher alter Offiziere, gab es unübersehbare Erfolge. Aus den verschiedenen Milizgruppen, die jede von einer Partei oder Gewerkschaft aufgestellt worden waren, entstand allmählich eine zentral gelenkte Armee mit der nötigen Disziplin und somit auch die Chance, Strategie und Taktik zu planen. Neben Flugzeugen, Panzern, Gewehren und anderen Waffen, meist aus der Sowjetunion, begann auch die spanische Rüstungsindustrie ihre Produktion zu erweitern. Obwohl Deutschland und Italien immer mehr Waffen und Militärpersonal schickten, wurde die spanische Republik stärker und erreichte einige Siege – die von den Freunden der spanischen Republik in aller Welt gefeiert wurden.

Kaum war der Angriff am Jarama-Fluß nach äußerst schweren Kämpfen gestoppt, da kam schon die nächste harte Probe. Im eiskalten März 1937 starteten vier italienische Divisionen und eine Franco-Division, insgesamt 60.000 Mann, mit 250 Geschützen, 140 Panzern und 60 Flugzeugen, eine erneute Offensive gegen Madrid, diesmal vom Nordosten her, in der Gegend von Guadalajara. Sie hatten sich vorgenommen, täglich etwa 25 Kilometer kämpfend voranzukommen.

 

Die Situation schilderte ein Schriftsteller, der im Thälmann-Bataillon kämpfte:

GUSTAV REGLER, Deutschland

… Die Internationale Brigade näherte sich dem Feind. Die Truppen wußten sehr wenig von ihm. Er hatte die Ostfront von Madrid eingedrückt und sprudelte nun wie durch die Löcher eines Eimers überall heraus.

Die Soldaten der Brigade fuhren auf fremden, alten Camions von Madrid nach dem Osten. Als sie die Steinbarrikaden der Stadt verließen, dachten viele dasselbe: Man wird euch hoffentlich nicht wieder nötig haben, ihr Steinhaufen; wir werden die Einbrecher weit abhalten von euren grauen, rührenden Wänden.                       

Das große Beispiel, S. 258-261.

Wie es anfing, erzählt ein Schweizer Freiwilliger:

C. F. VAUCHER, Schweiz

Der linke Flügel der republikanischen Armee riß vor dem ersten Ansturm der Faschisten in einer Tiefe von 15 Kilometern aus. Die Bresche, die dadurch in der Frontlinie entstand, benützten die Faschisten zu einer Umgehung des Zentrums und rechten Flügels der Republikaner im Abschnitt Torija – Brihuega. In diesem Manöver hielt das Thälmann-Bataillon, 1.280 Mann stark, während fünf Tagen stand.

Von Gegenoffensive zu Gegenoffensive holte es sich seine Munition beim Feinde selbst, indem es mit der blanken Waffe gegen die Tanks und die Maschinengewehre anstürmte. Als die Reserven endlich anrückten, fanden sie in einigen Granattrichtern zerstreut, ohnmächtig vor Hunger und Kälte, die Überreste des Bataillons. Es waren noch dreißig Mann. Aus ihren verkrampften, halberfrorenen Händen mußte man behutsam die kleinen Päckchen von Dynamit, die sie noch hielten, lösen.

»... dass Friede und Glück Europas vom Sieg der spanischen Republik abhängt:

Schweizer im Spanischen Bürgerkrieg«, S. 101.

ALFRED KANTOROWICZ, Deutschland

Das Bataillon »Edgar André« traf als erste internationale Formation im Guadalajara-Sektor ein, ein paar hundert abgekämpfte, aus der Schlacht am Jarama-Fluß kommende Männer, eilig eingesetzt, ohne schwere Waffen, unbekannt im Gelände – gegen eine motorisierte Division. Von den leichten italienischen Tanks überflügelt, von der motorisierten italienischen Feldartillerie ins Kreuzfeuer genommen, von zehnfacher Übermacht siegesgewisser Legionäre bedrängt, verlor das Bataillon »Edgar André« in hinhaltendem Rückzug in wenigen Stunden die Hälfte seines ohnehin reduzierten Bestandes.

Diese Stunden waren aber entscheidend; in ihnen erfuhren Mussolinis Legionäre, daß sie diesmal nicht mit Speer und Pfeil bewaffneten äthiopischen Barfüßern ... gegenüberstanden, die zuvor noch nie in ihrem Leben ein Flugzeug gesehen, nie ein Geschütz hatten feuern sehen, sondern Männern, die Gewehr und Maschinengewehr zu handhaben wissen: ... Daß andere Völker ebenfalls moderne Waffen haben und sich sogar damit verteidigen, scheint den wackeren Legionären den Glauben an die faschistische Weltordnung genommen zu haben. In den Taschen der italienischen Generalstabsoffıziere fand man die Glückwünsche Mussolinis an seine Schwarzhemden zum siegreichen Einzug in Madrid. Mehr als tausend von ihnen zogen tatsächlich in Madrid ein – als Gefangene.

Spanisches Kriegstagebuch, S. 129 - 130.

 

Der hohe Fliegeroffizier Jakob Smuschkewitsch aus der Sowjetunion traf am 16. Oktober 1936 in Spanien ein und nahm das Pseudonym General Douglas an. Während der Luftschlachten über Madrid Anfang November bewahrten seine Flieger mit ihren kleinen »Chatos« und »Moscas« die Republik vor einer großen Niederlage. Auch bei Guadalajara waren sie – und Smuschkewitsch selbst – äußerst wichtig.

IWAN LAKEJEW, UdSSR

Wir flogen zu dritt, Smuschkewitsch, Pumpur und ich. Als wir zu der Autostraße kamen, gingen wir auf 40, 50 Meter herunter. So flogen wir bis Brihuega ... Die Kolonnen der Rebellen zeigten sich bald, Hunderte von Wagen bewegten sich auf zwei Straßen, die nach Brihuega und Trichuente (Trijueque ist gemeint, VG) in Richtung Torija führen. Es wurde klar, daß der Schlag über Torija gegen Guadalajara und Madrid geplant war. Smuschkewitsch stieg über die Berge und schwenkte mit den Flügeln, um unsere Aufmerksamkeit auf die Schlucht zu richten, in der sich die Straße schlängelte. Wir überflogen die Schlucht zweimal. Die Absicht General Douglas' wurde klar. Hier sollten die Feinde in eine Feuerfalle laufen. Jakob Smuschkewitsch mobilisierte über einhundert Bomber und Jagdflugzeuge, die am 10. März 1937 die mit Militärflugzeugen und Panzern überfüllte Autostraße in den Bergen ohne Unterbrechung bombardierten. Die republikanischen Flugzeuge nutzten die Nähe ihrer Flugbasen Alcalá de Henares und Barajas zum schnellen Auftanken und Munitionieren. Die Straße wurde zum Grab der italienischen Verbände unter General Roatta. Schließlich wurde die Situation für die Italiener unhaltbar, als am 12. März die besten Einheiten der Internationalen Brigaden die durch die Bomben und das Chaos demoralisierten italienischen Verbände angriffen. Die Italiener verloren über viertausend Mann sowie eine große Menge an Material. Die Schlacht von Guadalajara war der größte Sieg der Republik im spanischen Bürgerkrieg, der ohne die Mitwirkung der Luftwaffe unter General Douglas undenkbar gewesen wäre.

             Arno Lustiger: Schalom Libertad! - Juden im spanischen Bürgerkrieg, S. 115-117.

LUDWIG RENN, Deutschland

… Gestern hatte ich aus einiger Entfernung das Schießen unsrer Panzer gesehen, aber keine Ahnung von der furchtbaren Wirkung gehabt. Hier war von dem ganzen Zuge über die Hälfte tot und alle andern vermutlich verwundet. Es machte mir keine Freude, das zu sehen. Der neue Weltkrieg, der heraufzog, mußte bei dieser Waffenwirkung noch viel fürchterlicher werden als der erste. ...     

                                                 Im Spanischen Krieg, S. 234-237.

 

… Nach der Schlacht von Guadalajara sprach man in der Welt davon, daß italienische Faschisten, die Mussolini als große, unbesiegbare Helden prahlerisch pries, von Antifaschisten geschlagen wurden – mitunter auch von den Italienern in den Interbrigaden. Das alte Märchen, Italiener können nicht gut kämpfen, müßte heißen, Italiener können für eine schlechte Sache nicht gut kämpfen.

 

Zeittafel 1937

8. März: Schwer gerüstete italienische Divisionen (30.000 – 50.000 Italiener) plus 20.000 Spanier und Marokkaner greifen bei Guadalajara an, um Madrid vom Norden her zu erobern.

12. März: Faschistische Offensive nach schweren Kämpfen und vielen Verlusten gestoppt.

13. - 20. März: Gegenoffensive unter Líster. 12 Bataillone italienischer Soldaten gefangen genommen und unter anderem 30 Geschütze, 1.300 LKW, 150 MG erobert.

 

Anmerkung:

[1]   Auszug aus »Kapitel 10: Guadalajara« des 2006 im GNN-Verlag Schkeuditz erschienenen Buches von Victor Grossman »Madrid – du Wunderbare, Ein Amerikaner blättert in der Geschichte des Spanienkrieges«. 420 Seiten, S. 101-111.  

 

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2021-01:  Georgia – Martin Luther King, Biden und andere

2020-12:  Joseph Biden – Gibt es Fragezeichen?

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