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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Gruppe »Internationale« - Revolutionäre marxistische Initiative 1915

Prof. Dr. sc. Heinz Karl, Berlin

 

Karl Liebknechts »Nein!« gegen die Kriegskredite am 2. Dezember 1914 im Reichstag [1] war ein Signal. In Mitgliederversammlungen von Wahlkreis- und Ortsvereinen der Sozialdemokratischen Partei entbrannte die Auseinandersetzung mit der imperialistischen Kriegspolitik und ihrer Unterstützung durch die Mehrheit der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion und anderer Parlamentsfraktionen, den Parteivorstand und die Gewerkschaftsführung. Ein Schwerpunkt dieser Vorgänge war Berlin und Umgebung (das spätere Groß-Berlin). So setzte sich am 9. Dezember in Steglitz Karl Liebknecht, unterstützt von Franz Mehring, mit Scheidemann und anderen führenden Verfechtern des opportunistischen Kurses auseinander. Am 15. Dezember trat in Mariendorf Rosa Luxemburg den Opportunisten entgegen. Hier wie in der Regel behaupteten die Linken das Feld. Zahlreiche sozialdemokratische Organisationen gaben Zustimmungserklärungen für Liebknecht ab. Die Linken nutzten die monatlichen Zahlabende der Ortsvereine, Jugendsektionsversammlungen und Frauenleseabende.

Da die Partei- und Gewerkschaftspresse sich fast ausnahmslos fest in der Hand der opportunistischen Partei- und Gewerkschaftsbürokratie befand, wurden zunehmend maschinengeschriebene und gedruckte Materialien hergestellt und verbreitet. In diese Tätigkeit schalteten sich besonders (ehrenamtliche) Bildungsausschüsse der Partei ein. Im Bildungsausschuss des Wahlkreises Niederbarnim übernahm es Otto Gäbel, Referentenmaterial des Bildungssausschusses zu verbreiten. An diesen arbeiteten Karl Liebknecht, Julian Marchlewski (Karski), Hermann Duncker, Fritz Ausländer und Ernst Meyer mit. Die technische Herstellung übernahm zunächst Wilhelm Pieck, später Hugo Eberlein und Ernst Meyer. Das Referentenmaterial Nr. 2 vom Dezember 1914 enthielt einen Artikel von Julian Marchlewski »Die Parteinahme der deutschen Sozialdemokratie für den Krieg«. Er wies nach, dass die Haltung der Partei- und Gewerkschaftsbürokratie die Arbeiterbewegung lähme und damit die Durchführung der Kriegspolitik ermögliche. [2] Solche Aktivitäten waren eine unumgängliche Voraussetzung für die organisatorische Sammlung der revolutionären Kräfte. Deshalb hatte Rosa Luxemburg schon im Dezember 1914 ihre Absicht bekundet, eine Zeitschrift zu gründen, sich darüber mit Franz Mehring verständigt und um Autoren geworben. [3]

Die intensiven Bemühungen, die oppositionellen, auf praktische Antikriegsarbeit drängenden Kräfte zu vernetzen, wurden durch Verhaftungen und Einziehungen zum Militär außerordentlich erschwert. Am 7. Februar 1915 wurde Karl Liebknecht eingezogen; am 18. Februar wurde Rosa Luxemburg verhaftet und zur Verbüßung einer 1914 ausgesprochenen einjährigen Gefängnisstrafe gezwungen; ab 28. Mai war Wilhelm Pieck in Haft und anschließend Soldat; Clara Zetkin war vom 29. Juli bis 10. Oktober 1915 inhaftiert; am 14. September wurden Hugo Eberlein und Ernst Meyer verhaftet.

Erste Reichskonferenz der Linken

Dennoch gelang es, am 5. März 1915 eine erste Reichskonferenz führender linker Sozialdemokraten durchzuführen. Die Initiative dazu ging von den Stuttgarter Genossen aus. Dort hatte eine Generalversammlung des Wahlkreises am 6. Dezember 1914 eine Resolution gegen die sozialchauvinistische Politik des Landesvorstandes und eine Sympathieerklärung für Karl Liebknecht angenommen.

Daraufhin hatte die Stuttgarter Rechte im Einverständnis mit dem opportunistischen Landesvorstand die Stuttgarter Parteiorganisation gespalten. Die Konferenz fand in Berlin, in der Wohnung Wilhelm Piecks statt. Anwesend waren aus Berlin und Umgebung: Karl Liebknecht, Franz Mehring, Wilhelm Pieck, Hermann und Käthe Duncker und Otto Gäbel; ferner Otto Rühle und Bernhard Menke (Dresden), Paul Levi (Frankfurt/Main), Arthur Crispien (Stuttgart), Otto Geithner (Gotha) und Peter Berten (Düsseldorf).

Wie Wilhelm Pieck berichtet, »wurde eine Gebietsverteilung des Reiches vorgenommen, und die anwesenden Genossen wurden als Vertrauensleute für diese Gebiete bestimmt, die weitere Verbindungen in ihrem Gebiet zu suchen hatten, um unser Material an möglichst viele zuverlässige und arbeitseifrige Genossen senden zu können.« [4] Die Vertrauensleute sollten sich auf die Gewinnung von Vertrauensleuten in bestimmten Orten konzentrieren, und diese wiederum vor allem Vertrauensleute für verschiedene Betriebe gewinnen. Wichtigstes Ergebnis der Konferenz war die Sicherstellung des Erscheinens der Zeitschrift »Die Internationale«. Durch die Konferenz war eine von den führenden Köpfen der deutschen Linken getragene Verbindung geschaffen, die sich – von der einen oder anderen Einzelperson abgesehen – als stabil erwies und immer intensiver und ausgedehnter gestaltet wurde.

Als Herausgeber der »Internationale« fungierten Rosa Luxemburg und Franz Mehring, für den Verlag war Peter Berten verantwortlich, für den Vertrieb Wilhelm Pieck. Gedruckt wurde in Düsseldorf, die Auflage betrug 9.000 Stück. Durch eine unerhörte Anspannung aller Kräfte konnte gesichert werden, dass die Nr. 1 in Berlin am 14. April, dem April-Zahlabend, vertrieben werden konnte. An diesem Tage wurden die für Berlin bestimmten 5.000 Exemplare in einem Lokal in der Wilhelmstraße an die Vertrauensleute ausgegeben und am Abend waren sie vollständig verkauft.

»Die Internationale« redet Klartext!

Das Heft eröffnete Rosa Luxemburgs Artikel »Der Wiederaufbau der Internationale«. Sie kennzeichnete die für den Imperialismus und Militarismus so außerordentlich wichtige, ja unentbehrliche politische Rolle des sozialdemokratischen Opportunismus, ohne den die Massen nicht zu bändigen wären.

Sie brandmarkte Kautskys Sophistik, die Internationale sei »im wesentlichen ein Friedensinstrument«, aber »kein wirksames Werkzeug im Kriege« [5] »Der welthistorische Appell des Kommunistischen Manifests ... lautet nun nach Kautskys Korrektur: Proletarier aller Länder, vereinigt euch im Frieden, und schneidet euch die Gurgeln ab im Kriege!« [6] Und sie unterstrich »die welthistorische Lehre, dass eine wirksame Garantie des Friedens ... nicht fromme Wünsche, nicht schlau ersonnene Rezepte und utopische Forderungen sind, die man an die herrschenden Klassen richtet, sondern einzig und allein der tatkräftige Wille des Proletariats« [7].

Franz Mehring konstatierte in seinem Artikel »Unsere Altmeister und die Instanzenpolitik«, letztere sei »der vollständigste Bruch mit dem geistigen Erbe unserer Altmeister, mit der ganzen Geschichte und allen bisherigen Grundsätzen der deutschen Sozialdemokratie. Ihre logische Folge wäre eine nationalsoziale Arbeiterpartei, die sich mit dem Militarismus und der Monarchie versöhnt und sich mit demjenigen Maße von Reformen begnügt, das auf dem Boden der kapitalistischen Gesellschaft für das Proletariat zu erreichen ist.« [8] Clara Zetkin stellte in ihrem Artikel »Für den Frieden« der deutschen chauvinistischen Hetze, an der die rechten Sozialdemokraten teilnahmen (besonders die SPD- und Gewerkschaftspresse), zahlreiche Beispiele internationalistischer Haltung – auch ganzer Parteien und prominenter Politiker – in Ententeländern gegenüber. Auch in Deutschland gelte es zu handeln. »Mit den Führern, wenn diese sich endlich entscheiden; ohne sie, wenn sie noch weiter unentschlossen zögern; gegen sie, wenn sie bremsen wollen.« [9] Weitere Beiträge steuerten Julian Marchlewski, Paul Lange, Käte Duncker, Heinrich Ströbel und August Thalheimer bei.

»Die Internationale« wurde sofort verboten. Aber sie war eine aufgepflanzte Fahne, die nicht mehr zu übersehen war und spontan der Gruppe der revolutionären Marxisten in der deutschen sozialistischen Arbeiterbewegung, deren Kurs sie klar umrissen hatte, den Namen gab.

 

Anmerkungen:

[1] Vgl. Eckhard Müller: Nein! 2. Dezember 1914. In: Mitteilungen der KPF, H. 12/2014, S. 25-28.

[2] Vgl. Spartakusbriefe. Hrsg. v. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin 1958, S. 5-9.

[3] Vgl. Rosa Luxemburg: Gesammelte Briefe, Bd. 5, Berlin 1984, S. 28/29, 38.

[4] Wilhelm Pieck: Der Kampf der Linken gegen die Burgfriedenspolitik. Erinnerungen, 1920.

[5] Karl Kautsky: Die Internationalität und der Krieg. In: Die Neue Zeit, 33. Jg. 1914/15, Erster Bd., S. 225.

[6] R. Luxemburg: Gesammelte Werke, Bd. 4, Berlin 1974, S. 25.

[7] Ebenda, S. 29.

[8] Franz Mehring: Gesammelte Schriften, Bd. 15, Berlin 1973, S. 666.

[9] Clara Zetkin: Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. I, Berlin 1957, S. 693.

 

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