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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Das Regime der Monopole

Prof. Dr. sc. Heinz Karl, Berlin

 

Es war keineswegs überraschend, dass im vergangenen Jahr die Ereignisse von 1933 ein vielfaches Echo fanden.[1] Zu groß und folgenreich war die Katastrophe; nicht aus der Welt zu schaffen ist die bohrende Frage nach der Verantwortung für sie; die Rechtsentwicklung in Deutschland und Europa beschwört die Schatten der Vergangenheit herauf. Angesichts der Eigentums- und Machtverhältnisse in diesem Lande verwundert es auch nicht im geringsten, dass in den bürgerlichen Medien, seitens etablierter Parteien und Politiker (und auch im akademischen Betrieb dominierend) Vernebelung der - politisch brisanten - geschichtlichen Realitäten und vor allem Reinwaschung der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Eliten angesagt war. Beispielhaft dafür waren Auslassungen des Historikers Götz Aly in der "Berliner Zeitung" (30. Januar 2013), in denen er nicht nur den Nazifaschismus als "die erste moderne Volkspartei" und Verfechter der "soziale(n) Gleichheitsidee" skandalös verharmloste, ja feierte, die skrupellose Demagogie der Nazibonzen als wahr offerierte‚ sondern auch ungeniert die Geschichte auf den Kopf stellte, die real wirkenden politischen Kräfte und grundlegende Tatsachen wie die katastrophale Wahlniederlage der Nazis und deren Auswirkungen Ende 1932 [2] einfach unterschlug. Er verstieg sich zu einer dreisten Apologie der von den herrschenden Eliten ins Amt geschobenen Hitler-Regierung, wenn er die von ihr als politische Beruhigungspille vorgenommene Senkung von Krankenschein- und Rezeptgebühren und ähnliche sozialdemagogische Trostpflästerchen quasi als wesentlichen Inhalt der Regierungstätigkeit Hitlers und seiner Komplicen darstellte, aber sich über deren tatsächliche Wirtschafts- und Sozialpolitik ausschwieg.

Denn diese war von den ersten Anfängen an konsequent auf die rücksichtslose Durchsetzung der Profit- und Machtinteressen des Großkapitals und die forcierte Vorbereitung des Revanchekrieges orientiert.[3] Dass dies so weit als möglich durch soziale Demagogie getarnt, durch chauvinistische Hetze vernebelt wurde, verstand sich nach den Erfahrungen des Weltkrieges und der Novemberrevolution 1918/19 von selbst. Schon in seiner Reichstagsrede zum Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933 hatte Hitler aber unmissverständlich klargestellt, dass er unter deutscher Wirtschaftspolitik die "stärkste Förderung der privaten Initiative unter Anerkennung des Privateigentums" [4] verstehe.

Ein Markenzeichen dieser Politik war ihre Gewerkschaftsfeindlichkeit. Der Zerschlagung der Gewerkschaften im Mai 1933 folgte - inspiriert von dem Ruhrmonopolisten Poensgen - am 19. Mai das Gesetz über Treuhänder der Arbeit. Das waren vom Reichskanzler berufene, dem Reichsarbeitsminister unterstellte Beamte, welche von sich aus die bisher von Gewerkschaften und Unternehmern ausgehandelten Bedingungen für Betriebsordnungen, Tarif- und Arbeitsverträge diktatorisch festlegen konnten. Sie waren in der Regel Juristen und kamen fast ausnahmslos aus den Apparaten von Monopolen oder Unternehmerverbänden. Faktisch bedeutete das die Liquidierung des von den Gewerkschaften in einem halben Jahrhundert erkämpften Tarifwesens.[5]

Das Kapital ist "Herr im Hause"

Die hundertprozentige Durchsetzung der Unternehmerinteressen bei der Regulierung der Arbeits- und Lohnbedingungen erfolgte mit dem Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934. Maßgeblich an seiner Ausarbeitung beteiligt war der Oberbürgermeister von Leipzig und Reichspreiskommissar Hitlers, Carl Goerdeler, ein Mann mit engen Beziehungen zu Konzerngewaltigen wie Krupp, Reusch und Robert Bosch. In einer Denkschrift vom 7. September 1933 hatte er gegen die "Fesseln sinnloser Tarifverträge" und den Achtstundentag gewettert und "freie Hand" für die Unternehmer in ihren Betrieben gefordert.[6] Das Gesetz erklärte den Unternehmer zum "Führer des Betriebes", der "in allen betrieblichen Angelegenheiten" wie Arbeitszeit, Entlohnung usw. entscheidet, dem sich die Arbeiter und Angestellten als "Gefolgschaft" unterzuordnen und dem sie "Treue zu halten" haben. Die in der Novemberrevolution erkämpften Betriebsräte wurden abgeschafft. An ihre Stelle traten "Vertrauensräte", die vom "Betriebsführer" geleitet wurden. Er stellte auch gemeinsam mit dem Nazi-Obmann des Betriebes die Kandidatenliste zu ihrer Wahl auf.[7] Mit diesem Gesetz wurde jegliche betriebliche Interessenvertretung unmöglich gemacht und der kapitalistische "Herr im Hause"-Standpunkt uneingeschränkt durchgesetzt.

Praktische Auswirkung dieser Entrechtung der Werktätigen und rücksichtslosen Durchsetzung der Kapitalsinteressen war, dass die Löhne auf dem Tiefstand von 1932 eingefroren wurden, dem ein "Weltrekord an Lohnkürzungen" (so der amerikanische Wirtschaftsjournalist H.R. Knickerbocker) durch die Regierungen Brüning und Papen vorausgegangen war. Die unbedingte Einhaltung dieses allgemeinen Lohnstopps (mit sinkenden Real-, ja selbst Nominallöhnen) war eine Schwerpunktaufgabe der "Treuhänder der Arbeit".[8] Damit vollbrachte die Hitler-Regierung den größten Lohnraub der deutschen Geschichte. Die von Götz Aly nicht nur als soziale Verbesserungen, sondern dreist noch als "sozialpolitische Geschenke" gepriesenen Almosen waren ein schäbiger Bruchteil der den Werktätigen vorenthaltenen - faktisch gestohlenen - Löhne und Gehälter. Hinzu kam eine enorme Steigerung der Arbeitsintensität, besonders in der Rüstungsindustrie, die sich u.a. in einem Ansteigen der Unfallrate um 70 % manifestierte.[9]

Obwohl völlig entrechtet und mit einem offenen Terrorregime konfrontiert, setzten viele Arbeiter dieser verschärften Ausbeutung Widerstand entgegen. Sie wehrten sich auf vielfältige Art: Ruhrbergarbeiter und Gießer bei Krupp mit passiver Resistenz gegen Lohnherabsetzungen, andere - wie die Kumpel der Grube Konstantin bei Dortmund - mit Streiks. Die auf Grund des Gesetzes vom 20. Januar 1934 durchgeführten Vertrauensrätewahlen hatten 1934 und 1935 ein so blamables Ergebnis (zu geringe Wahlbeteiligung bzw. massenhafte Gegenstimmen), dass sie 1936 verschoben und 1937 endgültig aufgehoben wurden. 1934 führte das dazu, dass der Reichsarbeitsminister die durch das Gesetz vom 20.1.34 verfügte Aufhebung der bisher geltenden Tarifverträge zurücknahm.[10]

Die Monopole regieren und kassieren

Zum anderen betrieben Monopole, Militär und ihre Regierung zielstrebig die Schaffung eines einheitlichen staatsmonopolistischen Lenkungsapparates, um das wirtschaftliche, vor allem industrielle Potenzial Deutschlands mit maximalem Effekt für den internationalen Konkurrenzkampf und die forcierte Vorbereitung des anvisierten Revanchekrieges zu organisieren. Das Gesetz über die Vorbereitung des organischen Aufbaus der deutschen Wirtschaft vom 27. Februar 1934 ermächtigte den Reichswirtschaftsminister, "Wirtschaftsverbände zu errichten, aufzulösen", "Unternehmer und Unternehmungen an Wirtschaftsverbände anzuschließen" sowie "die Führer von Wirtschaftsverbänden zu bestellen und abzuberufen".[11] Damit war der Kurs auf die obligatorische Zugehörigkeit aller Unternehmen zu solchen Organisationen gesetzlich festgelegt. Auch Reichswehrminister Generaloberst v. Blomberg sprach sich am 20. Oktober 1934 in einem Brief an den Reichswirtschaftsminister für die allgemeine Einführung wirtschaftlicher Pflichtorganisationen aus.[12]

Die von Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht am 27. November 1934 erlassene Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Vorbereitung des organischen Aufbaus der deutschen Wirtschaft legte die endgültigen Strukturen dieses staatsmonopolistischen Lenkungsapparates fest. Die gesamte gewerbliche Wirtschaft wurde in sechs Reichsgruppen (Industrie, Handwerk, Handel, Banken, Versicherungen und Energiewirtschaft) zusammengefasst, die weiter in 44 Wirtschaftsgruppen (davon 31 in der Reichsgruppe Industrie, ihrerseits zu mehreren Hauptgruppen vereinigt), 350 Fachgruppen und 640 Fachuntergruppen untergliedert waren.[13] Alle bestehenden Wirtschaftsverbände waren in diese Gliederung zu überführen. Die vom Reichswirtschaftsminister oder in dessen Auftrag eingesetzten Leiter auf den verschiedenen Ebenen hatten die Rechte und Vollmachten staatlicher Exekutivorgane. Die Führungspositionen in den Reichsgruppen und ihren Untergliederungen besetzten Vertreter der größten Konzerne und Banken, die dort rücksichtslos die Interessen ihrer Monopole gegenüber den anderen Unternehmern durchsetzten. Niemals vor 1933 oder nach 1945 hat das Großkapital in solchem Umfange und so unmittelbar Staatsgewalt ausgeübt.

Vor allem profitierten die Wirtschaftsführer von der einsetzenden Wirtschaftskonjunktur, die vor allem eine Rüstungskonjunktur war. Der Anteil der Rüstungsausgaben am deutschen Nationaleinkommen stieg schon von 1933 bis 1937 von drei auf 19 Prozent. Seit 1938 überstiegen die Rüstungsausgaben die Summe der volkswirtschaftlichen Bruttoinvestitionen.[14]

 

Anmerkungen:

[1] Vgl. Kurt Pätzold: Die Achtzigsten oder: Vom unverkürzten Erinnern, in: Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE, Heft 7/2013, S. 14-18.

[2] Vgl. Heinz Karl: November 1932: Wird Hitler gestoppt?, in: ebenda, Heft 11/2012, S. 23/24.

[3] Vgl. H. Karl: 30. Januar 1933 - Ursachen. Folgen. Lehren, in: ebenda, Heft 1/2013, S. 29-31.

[4] Verhandlungen des Reichstags, VIII. Wahlperiode 1933, Bd. 457, Berlin 1934, S. 28.

[5] Vgl. Dietrich Eichholtz: Faschismus und Ökonomie, in: Faschismus-Forschung. Hrsg. v. D. Eichholtz u. K. Gossweiler, Berlin 1980, S. 57/58.

[6] Vgl. ebenda, S. 59.

[7] Reichsgesetzblatt, 1934, Teil l, Nr. 7, S. 45/46 und 48; vgl. auch: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 5, Berlin 1966, S. 457/458.

[8] Vgl. Jürgen Kuczynski: Die Geschichte der Lage der Arbeiter in Deutschland von 1800 bis in die Gegenwart. Bd. II, Berlin 1948, S. 125/126, 128, 130; D. Eichholtz: Faschismus und Ökonomie, S. 58 und 62.

[9] Vgl. J. Kuczynski: Die Geschichte, Bd. II, S. 147/148 und 178/179.

[10] Vgl. Deutschland von 1933 bis 1939, v. E. Paterna/W. Fischer/K. Gossweiler/G. Markus/K. Pätzold, Berlin 1969, S. 104/105.

[11] Reichsgesetzblatt, 1934, Teil I, Nr. 15, S. 185; vgl. auch: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 5, S. 461/462.

[12] Vgl. Karl Dietrich Bracher/Wolfgang Sauer/Gerhard Schulz: Die nationalsozialistische Machtergreifung, Köln/Opladen 1962, S. 654.

[13] Vgl. Reichsgesetzblatt, 1934, Teil l, Nr. 131, S. 1194-4196; vgl. auch: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 5, S. 467/468.

[14] Vgl. D. Eichholtz: Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945, Bd. I, Berlin 1969, S. 24.

 

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