Gemeinsam gegen Faschismus und Krieg! – Teil I
Prof. Dr. sc. Heinz Karl, Berlin
80 Jahre nach dem VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale
Gegenwärtig bringt jeder Tag beunruhigende Nachrichten, die vor allem zwei Problemkomplexe betreffen: Zum einen anhaltende militärische Konflikte in Europa, welche die Gefahr eines großen Krieges in sich bergen. Zum anderen ein politischer Rechtsruck in zahlreichen europäischen Ländern, ein Anschwellen von Chauvinismus, Rechtspopulismus und Neofaschismus. Stärker als seit Jahrzehnten weckt dies die Erinnerung an die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts, als die imperialistische Bourgeoisie Deutschlands ihre faschistische Diktatur errichtet hatte und offenkundig Kurs auf die militärische Revanche für ihre Niederlage im Ersten Weltkrieg nahm. [1] Von aktuellem Interesse aber sind vor allem die Erfahrungen und Lehren der damaligen Ereignisse.
In den kommunistischen Parteien und ihrer internationalen Vereinigung, der Kommunistischen Internationale (KI, Komintern), entwickelte sich seit dem Frühjahr 1933 eine intensive Debatte über die schwere Niederlage der deutschen Arbeiterklasse und deren Folgen, aber mehr noch über deren Ursachen und die daraus zu ziehenden Konsequenzen. Sie wurde verstärkt durch die Erfahrungen des heroischen Kampfes der österreichischen Arbeiter im Februar 1934 und der erfolgreichen Einheitsfrontaktionen der französischen Arbeiter gegen faschistische Vorstöße. Das XIII. Plenum des Exekutivkomitees der KI (EKKI) im Dezember 1933 beschloss, für 1934 den VII. Weltkongress der KI einzuberufen (der VI. hatte 1928 stattgefunden); später wurde er angesichts der Tragweite und Kompliziertheit der Probleme um ein Jahr verschoben. Für die wichtigsten Tagesordnungspunkte wurden Vorbereitungskommissionen aus Vertretern der verschiedenen nationalen Parteien gebildet. Zum Mittelpunkt in diesen Gremien wurde sehr bald durch Initiative, kritischen Geist und Weitblick Georgi Dimitroff, der Held des Leipziger Reichstagsbrandprozesses, der ersten gewonnenen politischen Schlacht gegen die faschistische Diktatur in Deutschland.
Der Kongress tagte vom 25. Juli bis 20. August 1935 in Moskau. 513 Delegierte vertraten 65 Parteien und Organisationen. Insgesamt zählte die KI zu diesem Zeitpunkt 76 (davon 50 in der Illegalität wirkende) Parteien und Organisationen mit 3.140.000 Mitgliedern, davon 785.000 in den kapitalistischen Ländern. Die Beratungen konzentrierten sich auf die beiden brennendsten Probleme – den Kampf gegen den Faschismus und den Kampf um den Frieden. Dazu referierten G. Dimitroff (Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der KI im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus) und Palmiro Togliatti (Die Vorbereitung des imperialistischen Krieges und die Aufgaben der KI). Weitere Referenten waren Wilhelm Pieck (Über die Tätigkeit des EKKI) und Dimitri Manuilski (Der Sieg des Sozialismus in der Sowjetunion und seine weltgeschichtliche Bedeutung). Der Kongress wählte den im faschistischen Deutschland eingekerkerten Vorsitzenden der KPD, Ernst Thälmann, zu seinem Ehrenvorsitzenden.
Kampf dem Faschismus!
Ausgangspunkt der für den Kongress grundlegenden Darlegungen Dimitroffs war die Frage nach dem Wesen des Faschismus. Dazu hatte bereits Clara Zetkin auf dem Erweiterten EKKI-Plenum im Juni 1923 – als diese Problematik erstmals grundsätzlich erörtert wurde – Prinzipielles, bis heute Tragfähiges ausgesagt: Er sei Ausdruck der Offensive der Großbourgeoisie; dieser Klassencharakter des Faschismus dürfe auf keinen Fall mit seiner Massenbasis – Kleinbürgertum, Teilen der Intelligenz und deklassierten Elementen aller Schichten – verwechselt werden; [2] er kombiniere systematischen Terror mit sozialer Demagogie; weitere typische Elemente faschistischer Ideologie und Politik seien extremer Nationalismus und Verherrlichung des autoritären bürgerlichen Staates; der Widerspruch zwischen Klassenfunktion und Massenbasis des Faschismus sei seine Achillesferse. [3]
Das XIII. EKKI-Plenum (Dezember 1933) – fußend auf den Erfahrungen eines Jahrzehnts, konfrontiert mit der deutschen, einer reiferen Form als der bisher typischen italienischen – definierte den Faschismus als »die offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals« [4]. Es nahm damit eine außerordentlich wichtige Präzisierung der Bestimmung seines Klasseninhalts vor, die auf eine differenzierte Betrachtung der herrschenden Klasse und die Ausnutzung ihrer inneren Widersprüche orientierte. Diese Definition konzentrierte sich auf ihn als Herrschaftssystem – »Faschismus an der Macht« [5], wie Dimitroff sich ausdrückte – und abstrahierte von anderen Seiten (organisatorischen Formen, Ideologie), weil er so seine wirkungsmächtigste und reifste Gestalt erlangte. Es wurden auch andere Wesensbestimmungen des Faschismus angeboten. A. Thalheimer beispielsweise charakterisierte – ausgehend von einer oberflächlichen, ahistorischen Analogie mit dem Bonapartismus des 19. Jahrhunderts – die faschistische Diktatur als »die Verselbständigung der Exekutivgewalt, die Vernichtung der politischen Herrschaft der Bourgeoisie und die politische Unterwerfung aller übrigen Gesellschaftsklassen unter die Exekutive« [6]. Das widersprach nicht nur völlig der historischen Realität, in der z.B. in Deutschland das Großkapital nie so umfassend und unmittelbar Einfluss auf den Staat nahm (bis hin zu direkter Ausübung von Staatsgewalt) wie von 1933 bis 1945. Es entlastete auch das Großkapital von seiner politischen Verantwortung für den Faschismus.
Ausgehend von der exakten Bestimmung seines Klassencharakters erläuterte Dimitroff in seinem Referat weitere wesentliche Aspekte des Faschismus. Gegen schematische Vorstellungen gewandt betonte er nationale und situationsbedingte Besonderheiten, unterschiedliche Taktiken des Übergangs zur faschistischen Diktatur und ihrer Ausübung. Er kennzeichnete den deutschen Faschismus als dessen reaktionärste Variante, als Stoßtrupp der internationale Reaktion, Hauptanstifter des imperialistischen Krieges und Initiator eines Kreuzzuges gegen die Sowjetunion. Immer wieder kam er auf die Rolle der faschistischen Demagogie zurück, deren Kern Chauvinismus und Rassismus ist, die sie mit einer völlig skrupellosen sozialen, ja »antikapitalistischen« Demagogie verbindet, die nicht nur an die Illusionen, sondern auch an reale Bedürfnisse unaufgeklärter Massen anknüpft und auf diese Weise in großem Umfange bisherige Anhänger anderer bürgerlicher Parteien an sich zieht. Als wesentliche Schwäche der Arbeiterbewegung und der Antifaschisten, aber große Stärke der Faschisten beleuchtete er den ungenügenden bzw. dominierenden Einfluss auf Bauern und städtisches Kleinbürgertum.
»Diese Massen muß man so nehmen, wie sie sind, und nicht so, wie wir sie uns wünschen. Ihre Zweifel und Schwankungen werden sie einzig und allein im Laufe des Kampfes überwinden. Nur wenn man ihren unvermeidlichen Schwankungen gegenüber Geduld an den Tag legt und wenn das Proletariat sie politisch unterstützt« [7], kann man auf Erfolge hoffen.
(Fortsetzung folgt im Heft 8/2015 mit den Abschnitten »Für die antifaschistische Einheitsfront und Volksfront!«, »Krieg und Frieden« und »Schluss«)
Anmerkungen:
[1] Vgl. Mitteilungen der KPF, 2/2014, S. 28 ff.; 2/13, S. 23 ff.; 1/13, S. 28 ff.; 11/2012, S. 23 ff.; 12/2012, S. 29 ff.; 5/12, S. 27 ff.; 3/08, S. 18 ff.; 1/03, S. 19 ff.
[2] Im Gegensatz dazu charakterisierte ihn Thalheimer 1923 als »Versuch des Kleinbürgertums und der mit ihm verbundenen Schichten der Intelligenz«. (August Thalheimer: Zwischen Jena und Leipzig. In: Die Internationale, 15. Januar 1923.)
[3] Vgl. Clara Zetkin: Der Kampf gegen den Faschismus. In: Dies., Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. II, Berlin 1960, S. 689-729.
[4] Die Kommunistische Internationale. (Auswahl von Dokumenten und Reden vom VI. Weltkongreß bis zur Auflösung der KI, 1928-1943), Berlin 1956, S. 266.
[5] VII. Kongreß der Kommunistischen Internationale. Referate und Resolutionen, Berlin 1975, S. 93.
[6] A. Thalheimer: Programmatische Fragen. Kritik des Programmentwurfs der Kommunistischen Internationale (VI. Weltkongreß), Mainz (1993), S. 62.
[7] VII. Kongreß der KI, S. 105.
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2014-01: Klassenkampf gegen die Schurkereien der Mächtigen (Rezension)