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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Fritz Wengler starb am 2. Januar

Horsta Krum, Berlin

 

Wer schon mal die Schlüssel irgendwo hat liegenlassen und sich abends spät vor verschlossener Tür wiederfand, weiß einen Nachbarn zu schätzen, der die Schlüssel in Verwahrung hat und eine späte Störung nicht übelnimmt. Aber Fritz Wengler war nicht nur ein hilfsbereiter Nachbar. Erst im Laufe der Jahre merkte ich, welch großes Wissen er hatte. Das zeigte sich mehr beiläufig, beispielsweise wenn ich ihn nach seiner Meinung zu einem aktuellen Artikel fragte oder zu einem Buch, das in seinem Wohnzimmerschrank stand. Da dachte ich manchmal an Brecht: »... doch man muss dem Weisen seine Weisheit erst entreißen ...« Und jetzt bedaure ich, dass ich ihn nicht öfter, nicht intensiver gefragt habe, beispielsweise auch nach dem Ende der DDR.

In politischen Versammlungen meldete er sich selten zu Wort; wenn doch, dann sprach er unaufgeregt, unaufdringlich, manchmal mit einem Quentchen Humor, immer mit einer klaren Aussage. Sein politisches Zuhause war die KPF. Artikel in den »Mitteilungen« wollte er nicht mehr schreiben, obwohl er als Journalist gearbeitet hatte. Aber als er gebeten wurde, Redebeiträge unserer Bundeskonferenz zusammenzufassen, sagte er zu, und er tat es zuverlässig. Nach seinem Tode sah ich die vielen Bücher, die nicht im Wohnzimmer standen, auch Literatur bis in die unmittelbare Gegenwart. Diese Bücher waren keine Dekoration gewesen. Er hatte sie verarbeitet. Was in der russischen Sprache ein »kulturvoller Mensch« heißt – der war er. Einmal traf ich ihn, wie er mit einem Urenkel zurückkam, dem er auf einem Spaziergang etwas von der Geschichte Berlins erklärt hatte. Das tat er öfter: Kindern historisches Wissen vermitteln, ohne dass es langweilig wurde. Als Fritz Wenglers Frau schon recht hinfällig war und wenig kommunizierte, traf ich die beiden, wie er ihr behutsam half, in ein Auto zu stiegen, um ins »Berliner Ensemble« zu fahren. »Das wird ihr gut tun«, sagte er. Gut taten ihnen beiden die liebevollen Beziehungen zu den Kindern, Enkeln und Urenkeln. Das letzte Urenkelkind wurde wenige Tage vor Fritz Wenglers Tod geboren. Gesehen hat er es nicht mehr, aber ein Geschenk lag im Schrank.

Ab 1965 war er stellvertretender Chefredakteur der FDJ-Zeitung »Junge Welt«. Nicht nur mit Worten, mit Texten ging er kompetent um, auch mit Kunst. 1975, zum 30. Jahrestag der Befreiung, gab diese Zeitung eine Grafik-Mappe heraus, der weitere Mappen bis 1985 folgten mit Künstlern aus Westeuropa, aus Japan und den USA und anderen Ländern. [1] Diesen Ausgaben waren die Grafik-Editionen vorausgegangen, die Fritz Wengler 1971 begonnen hatte, um mit den jungen Lesern im Gespräch zu bleiben, um sie vor allem für Kunst zu begeistern und zu zeigen, dass sie erschwinglich sein kann: Einmal monatlich, jeweils am Wochenende, erschien eine Grafik, beispielsweise von Fritz Cremer, Werner Tübke, Heidrun Hegewald, Willi Sitte. »Selbst wenn die Auflage bei 1.000 Exemplaren liegt, dann ist auch das tausendste Blatt ein Original. Beglaubigt durch die Signatur des Künstlers.« [2] Mehr als zehn der damals erschienenen Druckgrafiken habe ich in Fritz Wenglers Wohnung bewundert, beispielsweise von Willi Sitte das sechste Blatt von 150, aus dem Jahr 1972. Die Eigenschaften der Druckgrafiken passen durchaus zu Fritz Wengler: Sie sind aussagekräftig, nicht aufdringlich, eher diskret – so wie er selber gewesen war.

 

Anmerkungen:

[1]  Arbeiten von Künstlern der Gegenwart stellt die jW auch heute noch regelmäßig aus, dazu gehörten unter anderem auch Denkmäler des Sozialismus.

[2]  Aus dem Interview, das Stefan Huth mit Fritz Wengler führte, erschienen am 29. 06. 2019 in der Wochenendbeilage der jW. Nicht nur die Aussagen zu den Druckgrafiken sind lesenswert, sondern auch Fritz Wenglers Biografie.

 

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