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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Frieden und Armutsbekämpfung – Indira Gandhis bleibende Spur

Dr. Andrej Reder, Berlin

 

Sie wurde vor 40 Jahren ermordet

 

Keine andere Frau hat das 20. Jahrhundert Indiens so nachhaltig geprägt wie sie. Inspi­riert von zwei Galionsfiguren des nationalen Befreiungskampfes, Mahatma Gandhi und ihrem Vater Jawaharlal Nehru, dem ersten Premierminister des unabhängigen Indiens, stand Indira Gandhi zwischen 1966 und 1984, mit kurzen Unterbrechungen, fast 16 Jahre lang, so lange wie nur ihr Vater, an der Spitze einer indischen Zentralregierung. Auf dem indischen Subkontinent und in der Weltarena hat sie eine bleibende Spur hin­terlassen.

Vor allem zwei markante Merkmale kennzeichneten diese Spur. Zum einen war es ihr Streben, die Armut von Millionen Indern zu überwinden. So führte Indira Gandhi den Kampf bei den Parlamentswahlen 1971 unter der Losung »Garibi Hatao« (Armut besei­tigen). Das zu erreichen, war sie überzeugt, gelingt erst dann, wenn das Land nach Er­ringung der nationalen Unabhängigkeit seine Souveränität bei allen Entscheidungen, insbesondere auf wirtschaftlichem Gebiet, durchsetzen kann. Die gravierenden Umge­staltungen in Sowjetrussland nach der Oktoberrevolution 1917, die erzielten Ergebnis­se für einfache Menschen Russlands beeindruckte linke Vertreter des Indischen Natio­nalkongresses (INC). Indira favorisierte einen eigenen, indischen Weg zum Sozialismus (Socialist Pattern of Society).

Und sie war zweitens davon überzeugt, dass Frieden im Inneren des Landes und inter­national die Voraussetzung für eine gedeihliche Entwicklung ist. Es verwundert deshalb nicht, wenn Säkularismus und Nichtpaktgebundenheit ihr besonders am Herzen lagen. Die Wahrnehmung der nationalen Interessen Indiens bestimmte ihr unermüdliches Wir­ken an der Spitze der Regierung. Bei der Übernahme der Exekutivgewalt 1966, als Pre­mier Lal Bahadur Shastri in Taschkent unerwartet starb, 1971 und 1980 stand sie jeweils vor Herausforderungen, die sowohl auf die zweihundertjährige britische Koloni­alhinterlassenschaft zurückzuführen waren als auch auf die Erfordernisse der Zeit, in der sie damals jeweils Verantwortung übernahm.

Mit sozialistischen Partnern

In einer bürgerlich-parlamentarischen Demokratie war Indira Gandhi angehalten, sich um »ihre« Partei, den Indischen Nationalkongress und seine Massenorganisationen zu kümmern. Ein Feld, das in Indien traditionell männerdominiert und seit der Unabhängig­keit in der Regel von konservativen Vertretern besetzt war und bis heute ist. Im Macht­gerangel um die Herrschaft in Indien setzten die Monopolbourgeoisie, die Großagrarier und die vielfältigen Mittelschichten auf unterschiedliche politische Parteien, die im erbitterten Konkurrenzkampf stehen. Aber selbst innerhalb des INC fanden stets schar­fe Auseinandersetzungen um den zu verfolgenden Kurs statt. Am 8. November 1969 schrieb Indira Gandhi in einem offenen Brief an alle Kongressparteimitglieder: »Was wir heute erleben, ist nicht nur ein Zusammenprall von Persönlichkeiten und bestimmt nicht einen Kampf um Macht ... Es ist ein Konflikt zwischen jenen, die für Sozialismus, für Veränderungen und für komplette innere Demokratie ... und denen, die für Status quo … sind. Der Kongress steht für Demokratie, Säkularismus, Sozialismus und Nicht­paktgebundenheit in den internationalen Beziehungen. [1]

Die eigenen Erfahrungen an der Spitze der Regierung eines unabhängigen Staates lie­ßen Indiras Erkenntnis reifen, dass die sozialistischen Länder, insbesondere die Sowjet­union, natürliche Partner ihres Landes sind, mit deren Hilfe sie die nationalen Interes­sen Indiens am besten durchsetzen konnte. Angesichts der Zuspitzung der pakista­nisch-indischen Beziehungen, der Gefahr eines Krieges des pakistanischen Regimes um Ostbengalen sowie die Befürchtung, dass sich China und die USA in dieser Situation gegen Indien positionieren könnten, hat Indira Gandhi die seit 1969 laufenden Verhand­lungen über einen umfassenden Vertrag mit der UdSSR zum erfolgreichen Ende ge­führt. Der Vertrag über Frieden, Freundschaft und Zusammenarbeit wurde am 9. August 1971 für 20 Jahre geschlossen und bis 1991 zum beiderseitigen Nutzen erfüllt. Große Begeisterung erfasste damals indische Menschen. Hindi-Russi-Bhai-Bhai (Inder und Russen sind Brüder) konnte man damals in Indien vielerorts vernehmen.

Dieser Vertrag, die folgenden Vereinbarungen und deren Umsetzung wirken bis in die Gegenwart. So erklärte der derzeitige Außenminister Indiens in einer Podiumsdiskus­sion auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar 2024: »Jeder führt eine Bezie­hung auf der Grundlage früherer Erfahrungen. Wenn ich mir die Geschichte Indiens nach der Unabhängigkeit anschaue, so hat Russland unsere Interessen niemals verletzt. Wir hatten immer eine stabile und sehr freundschaftliche Beziehung ... und unsere heu­tigen Beziehungen zu Moskau basieren auf dieser Erfahrung.«

In ihrer zweiten Wahlperiode als Premierministerin beauftragte Indira Gandhi den dama­ligen Außenminister Swaran Singh, die DDR am 7. Oktober 1972, ihrem Nationalfeier­tag, diplomatisch anzuerkennen. Dagegen intervenierte der Botschafter der BRD in Delhi mit dem Einwand, dass dies ein unfreundlicher Akt gegenüber seinem Land wäre. Man einigte sich auf den folgenden Tag. »Die Regierung Indira Gandhis hat mit ihrer konstruktiven Haltung einen Schritt getan, der gewiss auch andere Länder ermuntern wird, dem indischen Beispiel zu folgen« [2] kommentierte das Zentralorgan der SED.

Die vielfältigen Beziehungen zwischen der DDR und Indien nahmen ihren Anfang im Oktober 1952, als Präsident Wilhelm Pieck mit dem damaligen Vizepräsidenten Indiens Radhakrishnan zu einem Gespräch zusammentraf. Repräsentanten der DDR und In­diens statteten sich in den Folgejahren gegenseitig Besuche ab, darunter eine hochran­gige Delegation unter Leitung Indira Gandhis in der DDR Anfang Juli 1976 und eine repräsentative Abordnung unter Leitung Erich Honeckers im Januar 1979 in Indien. Während ihres DDR-Besuches betonte die Premierministerin, dass ihr Vater dem indi­schen Volk »eine sinnvolle Perspektive« eröffnete, er »führte es Zielen des Sozialismus entgegen«, »unser Sozialismus« habe seine eigenen Merkmale, und auch »in Eurem Land« weise der Sozialismus Besonderheiten auf. »Auf meinen Besuchen in sozialisti­schen Ländern haben mich besonders die großen Bemühungen um eine Verringerung nationaler Ungleichheit beeindruckt. Das steht im Einklang mit der großen Philosophie des Humanismus, die Euch Marx und Engels im 19. Jahrhundert … hinterlassen haben.« [3]

Führungsstärke und Erfolg

Entgegen den Vorstellungen von Mahatma Gandhi und Jawaharlal Nehru über die Schaf­fung eines säkularen Staates haben die britischen Kolonialherren in Geheimverhandlungen mit Muhammad Ali Jinnah den Indischen Subkontinent in das Punjabi sprechende Westpa­kistan, in das Bengali-dominierte Ostpakistan und zwischen beiden das multilinguale Indien gespalten. Das westpakistanische Regime verwandelte Ostpakistan (Ostbengalen) in seine politische, wirtschaftliche und militärische Kolonie. Die Wahlen zur Nationalver­sammlung Pakistans im Dezember 1970 gewann die Awami League von Sheikh Mujibur Rahman im Ostteil des Landes, der eine Exilregierung Bangladeschs in Kalkutta bildete. Als die pakistanische Armee am 3. Dezember 1971 mehrere Flugplätze im Westen Indiens angriff, ging die indische Armee gemeinsam mit den bengalischen Freiheitskämpfern (Mukti Bahinis) zum Angriff auf Dhaka vor. Am 16. Dezember wurde das 93.000 Mann star­ke pakistanische Kontingent zur Aufgabe des Kampfes gezwungen.

Der Erfolg im Krieg um Bangladesch hat das Kräfteverhältnis in Südasien zu Gunsten In­diens verändert. Indira Gandhi bewies in dieser Krise ihre Führungsstärke. Die Unter­zeichnung des Simla-Abkommens am 2. Juli 1972 von Indira Gandhi und Zulfikar Ali Bhutto (Präsident Pakistans) schuf 25 Jahre nach Erlangung der kolonialen Unabhängig­keit eine fundierte Grundlage für die Gestaltung der Beziehungen zwischen beiden Nachbarstaaten. Bei der Unterzeichnung stellte die Premierministerin fest: »Alles, was ich weiß, ist, dass ich für den Frieden kämpfen und die Schritte unternehmen muss, die zum Frieden führen.« [4]

Nichtpaktgebunden, doch nicht neutral

Indien war einer der Initiatoren der Bewegung der Nichtpaktgebundenheit. Schon Nehru, dessen Todestag in diesem Jahr zum 60. Mal wiederkehrt, betonte, dass Nicht­paktgebundenheit nicht bedeutet, dass man sich in Grundfragen der Politik neutralis­tisch verhält. Daran hielt sich stets auch seine Tochter. Als Präsidentin der blockfreien Staaten hob sie 1983 auf dem 7. Gipfeltreffen in Delhi »die Wechselbeziehungen zwi­schen Frieden, Unabhängigkeit, Abrüstung und Entwicklung« hervor. [5]

In der Politischen Resolution bestätigte die Konferenz, »dass ein gerechter und dauer­hafter Frieden im Nahen Osten nicht erreicht werden kann ohne den vollständigen und bedingungslosen Abzug Israels aus allen von ihm seit 1967 besetzten palästinensi­schen Gebieten und anderen arabischen Gebieten einschließlich Jerusalems und ohne eine gerechte Regelung des Palästinaproblems …« [6]

Die »Botschaft aus Delhi« bezeichnete Frieden, Abrüstung und Entwicklung als zentrale Probleme und forderte die Kernwaffenmächte auf, »dringende und praktische Maßnah­men zur Verhinderung eines Kernwaffenkrieges zu ergreifen.« [7]

Schulden beglichen

Extremistische Kräfte der Sikhs haben ihre nationalistische Bewegung zur Schaffung eines unabhängigen Staates Khalistan auf dem Territorium des indischen Unionsstaates Punjab aktiviert. Ihren Höhepunkt erreichte sie in den 1980er Jahren. Indira Gandhi erteilte Anfang Juni 1984 der indischen Armee den Befehl, den Goldenen Tempel in Amritsar, in dem sich die Extremisten schwer bewaffnet, verschanzt hatten, zu stürmen (Operation Blauer Stern). Das wichtigste Heiligtum der Sikhs wurde nach mehreren Tagen zerstört. Zahlreiche Verluste an Menschenleben führten zu gewaltsamen Ausein­andersetzungen in weiten Teilen Indiens.

Im Zuge der anhaltenden Unruhen wurde die Premierministerin, als sie zu einem Inter­viewgespräch am 31. Oktober 1984 unterwegs war, von zwei Leibwächtern der Sikh Community ermordet. Wenige Tage davor soll sie einem Freund voller Überzeugung anvertraut haben: »Was immer mir zustoßen möge – ich empfinde, meine Schulden beglichen zu haben.« [8]

Indira hat ihre »Schulden« dem indischen Volk gegenüber mehr als beglichen, auch wenn sie ihre Vorsätze, die Armut zu überwinden und dem wissenschaftlich-techni­schen Fortschritt zum Durchbruch zu verhelfen, bei weitem nicht alle in die Tat umset­zen konnte. Das lag keineswegs an ihr und nicht nur am Klassencharakter der Partei, der sie vorstand. Als bürgerliche Politikerin brachte sie an der Spitze eines bedeuten­den kapitalistischen multinationalen, multiethnischen und multireligiösen Entwicklungs­landes den indischen Subkontinent voran. Unter ihrer Führung emanzipierte sich das Land politisch, wirtschaftlich und militärisch zu einem bedeutenden strategischen Player in der Weltpolitik, der bis in die Gegenwart positiv ausstrahlt. 

 

Anmerkungen:

[1] Zareer Masani, Indira Gandhi – A Biography, London, 1975, page 209.

[2] Neues Deutschland, 9. Oktober 1972, Seiten1/2.

[3] Neues Deutschland, 3./4. Juli 1976, Seite 3.

[4] Bipan Chandra, Mridula Mukherjee, Aditya Mukherjee »India Since Independence«, by, Penguin Books New Delhi 2008, page 308.

[5] Dokumente der Nichtpaktgebundenen 1981-1986, Seite 92, Staatsverlag der DDR 1989.

[6] Ebenda, Seite 110.

[7] Ebenda, Seiten 198/199.

[8] India Since Independence, page 345.

 

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2022-08: 75. Jahrestag der Unabhängigkeit Indiens

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