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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Erinnerung an Karl Marx

Prof. Dr. Hermann Klenner, Berlin

 

I

Lebenslauf

Vor einhundertvierzig Jahren, am 14. März 1883, starb der am 5. Mai 1818 in Trier gebore­ne, mütterlicher- wie väterlicherseits Geschlechtern von Rabbinern entstammende deut­sche Wissenschaftler und Politiker Karl (geburtsurkundlich: Carl) Marx in London. Sein Vater Heinrich Marx war als praktizierender, gelegentlich auch theoretisierender Jurist infolge berufsermöglichendem Staatszwang 1816 im katholischen Trier zum Protestantis­mus konvertiert und hatte am 26. August 1824 im Einverständnis mit seiner Ehefrau Henriette M. die sieben gemeinsamen Kinder, darunter seinen Sohn Carl, evangelisch tau­fen lassen. Am 23. März 1834 wurde Carl konfirmiert. Ab 1830 ist er Schüler des Fried­rich-Wilhelms-Gymnasiums in Trier, an dem er im Herbst 1835 das Abitur ablegt. Am 15. Oktober dieses Jahres immatrikuliert er sich an der Juristischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Fakultät zu Bonn, und im Jahr danach wechselt er mit Zustimmung sei­nes Vaters an die Juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, an der er Vorlesungen unter anderem beim reaktionären Friedrich Carl von Savigny und dem pro­gressiven Junghegelianer Eduard Gans besucht. Im gleichen Jahr verlobt er sich heimlich mit der 1814 geborenen Jenny von Westphalen (die Heirat erfolgt sieben Jahre später). Im März 1841 erhält er das Abgangszeugnis der Berliner Universität und bereits einen Monat später reicht er seine Doktordissertation über »Die Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie« an der Jenenser Universität ein, an der er noch im April jenes Jahres in absentia zum Dr. phil. promoviert; seine Dissertation widmet er seinem Schwiegervater. Im gleichen Jahr veröffentlicht Marx, der seit 1835 Liebes- und andere Gedichte sowie Epigramme für sich und seine Jenny verfasst hatte, in einer von Linkshege­lianern gegründeten Zeitschrift als seine erste Publikation: Wilde Lieder.

Vom 15. Oktober 1842 bis zum 17. März 1843 arbeitet Marx als einer der drei Redakteure der linksradikalen »Rheinischen Zeitung«. Seinen Austritt aus der Redaktion begründet er mit den »bestehenden Zensurverhältnissen«. Danach übersiedelt er ins freiwillige Exil nach Paris, wo er sich mit Heinrich Heine befreundet, seinen Übergang zum Kommunismus voll­zieht sowie die (lebenslange) Freundschaft und Zusammenarbeit mit Friedrich Engels beginnt. Am 3. Februar 1845 wird er unter dem Druck der Regierung Preußens aus Paris ausgewiesen. Er gibt, um weitere Verfolgungen zu umgehen, am 1. Dezember die preußi­sche Staatsbürgerschaft auf und bleibt bis zu seinem Tode staatenlos. Anfang 1846 grün­den Marx und Engels das Brüsseler Kommunistische Korrespondenz-Komitee. Am 23. Januar 1847 tritt Marx in den »Bund der Gerechten« ein; im Juni: Erster Kongress des Bun­des der Kommunisten in London; dessen im November/Dezember tagender Zweiter Kon­gress »Statuten des Bundes der Kommunisten« beschloss sowie Marx und Engels mit der Abfassung eines für die Öffentlichkeit bestimmten Programms beauftragte. In Ausführung dieses Auftrages publizierten dann Marx und Engels ohne Verfasserangabe auf dreiund­zwanzig Seiten im Februar 1848 in London das »Manifest der Kommunistischen Partei«.

Im Februar 1849 wird Marx wegen Pressvergehens und Aufforderung zum bewaffneten Widerstand von den Kölner Geschworenen freigesprochen, und im Mai erklären die preußi­schen Behörden seinen Aufenthalt im Lande für unerwünscht, womit er ausgewiesen ist; er beteiligt sich jedoch am badisch-pfälzischen Aufstand.

Nach seiner endgültigen Ausweisung auch aus Paris übersiedelte Marx im August 1849 mittellos und ohne englische Sprachkenntnisse nach London, wo er fortan bis zu seinem Tode 1883 im Londoner Stadtteil Soho in Armut und zuweilen Elend als politischer Asylant und privatisierender Ökonom forschend und publizierend lebte. Fast täglich pflegte er sich in den Bücherschätzen des British Museum zu vergraben. Schließlich wurde er zum Autor eines mehrbändigen, freilich unvollendet gebliebenen Fundamentalwerkes »Das Kapital«. Er publizierte viele, Bände über Bände füllende, Werke.

Auf seinen Antrag erklärte sich im November 1852 der Londoner Kreis des Bundes der Kommunisten, weil nicht mehr zeitgemäß, für aufgelöst. Im September 1864 erfolgte die Gründung der »Internationalen Arbeiter-Assoziation« in London, und im Oktober erarbeite­te Marx deren »Inauguraladresse« sowie deren »Provisorische Statuten«. Sein Antrag auf britische Staatsbürgerschaft wurde 1874 abgelehnt, da er ein notorischer Advokat kom­munistischer Prinzipien sei.

Nach längerer Krankheit verstarb Marx kurz vor Vollendung seines 65. Lebensjahres am 14. März 1883. Drei Tage danach wurde er auf dem Londoner Friedhof zu Highgate beige­setzt, im selben Grab, in dem seine Frau Jenny fünfzehn Monate zuvor beerdigt worden war. Im Namen des Kommunistischen Arbeiterbildungsvereins und des Sozialdemokrat wurden zwei rote Schleifen auf das Grab gelegt. Dann sprach Friedrich Engels in englischer Sprache ungefähr folgendes: »Am 14. März, nachmittags ein Viertel vor drei, hat der größ­te lebende Denker aufgehört zu denken. … Er hat das spezielle Bewegungsgesetz der heu­tigen kapitalistischen Produktionsweise und der von ihr erzeugten bürgerlichen Gesell­schaft entdeckt. … Und deswegen war er der bestgehasste und bestverleumdete Mann seiner Zeit«. Danach verlas Marxens Schwiegersohn Adressen von russischen Sozialisten, von der französischen und der spanischen Arbeiterpartei. Hierauf sprach namens der deut­schen Sozialdemokratie Wilhelm Liebknecht in deutscher Sprache über die Bedeutung sei­nes Freundes Karl Marx für das deutsche und internationale Proletariat. Anwesend waren auch zwei Mitglieder der Londoner Royal Akademie der Wissenschaften, ein Zoologe und ein Chemiker, sowie weitere Anhänger des Bundes der Kommunisten.

II

Sentenzen von Karl Marx

Was wir gegenwärtig zu vollbringen haben, ist die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos sowohl in dem Sinne, dass die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten fürchtet und ebenso wenig vor dem Konflikte mit den vorhandenen Mächten.

Die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.

Die sozialen Prinzipien des Christentums haben die antike Sklaverei gerechtfertigt, die mit­telalterliche Leibeigenschaft verherrlicht und verstehen sich ebenfalls im Notfall dazu, die Unterdrückung des Proletariats, wenn auch mit etwas jämmerlicher Miene zu verteidigen.

Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt. Sie ist das Opium des Volkes.

Der religiöse Widerschein der wirklichen Welt kann überhaupt nur verschwinden, sobald die Verhältnisse des praktischen Werkeltagslebens den Menschen tagtäglich durchsichtig vernünftige Beziehungen zueinander und zur Natur darstellen.

Es ist viel leichter, durch Analyse den irdischen Kern der religiösen Nebelbildungen zu finden, als umgekehrt, aus den jedesmaligen wirklichen Lebensverhältnissen ihre verhimmelten Formen zu entwickeln. Die letztre ist einzig materialistische und daher wissenschaftliche Methode.

Atheismus ist die letzte Stufe des Theismus, die negative Anerkennung Gottes.

Kritik ist keine Leidenschaft des Kopfes; sie ist aber der Kopf der Leidenschaft.

Ein brutales Verhältnis kann nur mit Brutalität aufrecht erhalten werden.

Wir befanden uns immer nur einmal in der Gesellschaft der Freiheit, am Tag ihrer Beerdigung.

Man muss den wirklichen Druck noch drückender machen, indem man ihm das Bewusstsein des Druckes hinzufügt.

Die Bedürfnisse der Völker sind die letzten Gründe ihrer Befriedigung.

Die Deutschen haben in der Politik gedacht, was die anderen Völker getan haben.

Wir haben es nie verheimlicht: Unser Boden ist nicht der Rechtsboden, es ist der revolutionäre Boden.

Die materielle Gewalt muss gestürzt werden durch materielle Gewalt.

Die Theorie wird in einem Volke immer nur soweit verwirklicht, als sie die Verwirklichung seiner Bedürfnisse ist.

Der Kopf der Emanzipation ist die Philosophie, ihr Herz das Proletariat.

Damit der Mensch mit Bewusstsein tut, was er sonst durch die Natur der Sache gezwun­gen ist zu tun, ist es notwendig, dass der Fortschritt zum Prinzip der Verfassung gemacht wird.

Die Demokratie ist das aufgelöste Rätsel aller Verfassungen.

Nehmen wir die Welt, wie sie ist, seien wir keine Ideologen.

Ein Philosoph produziert Ideen, ein Poet Gedichte, ein Pastor Predigten; ein Verbrecher produziert Verbrechen.

Deutschland ist ein so schönes Land, dass man am besten außerhalb seiner Grenzen lebt.

Die Forderung, die Illusion über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, seinen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf.

Das Ideelle ist nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte Materielle.

Ideen, die unsere Intelligenz besiegt, die unsere Gesinnung erobert, an die unser Verstand unser Gewissen geschmiedet hat, das sind Ketten, denen man sich nicht entreißt, ohne sein Herz zu zerreißen.

Zur Wahrheit gehört nicht nur das Resultat, sondern auch der Weg.

Gesinnungsgesetze basieren auf der Gesinnungslosigkeit des Staates.

Der Charakter der zensierten Presse ist das charakterlose Unwesen der Unfreiheit.

Ein Zweck, der unheiliger Mittel bedarf, ist kein heiliger Zweck.

Die »Idee« blamierte sich immer, soweit sie von dem »Interesse« unterschieden war.

Die einzige Beschäftigung, wodurch ich die nötige quietness of mind aufrechterhalten kann, ist Mathematik.

Der gesellschaftliche Fortschritt lässt sich exakt messen an der gesellschaftlichen Stellung des schönen Geschlechts (die Hässlichen eingeschlossen).

Kein Mensch bekämpft die Freiheit; er bekämpft höchstens die Freiheit der anderen.

Gleiche Exploitation der Arbeitskraft ist das erste Menschenrecht des Kapitals.

Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinsamen Geschäfte der Bourgeoisklasse verwaltet.

Welch eine törichte, unpraktische Illusion ist überhaupt ein parteiloser Richter, wenn der Gesetzgeber parteiisch ist.

Das Recht des Stärkeren lebt unter anderer Form im »Rechtsstaat« fort.

Der reiche Mensch ist zugleich der einer Totalität der menschlichen Lebensäußerung bedürftige Mensch.

Ideen können nie über einen alten Weltzustand, sondern immer nur über die Ideen des alten Weltzustandes hinausführen.

Das Bewusstsein kann nie etwas Andres sein als das bewusste Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozess.

Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse.

Es klingt den Bourgeois angenehm genug ins Ohr, wenn man von der »Heiligkeit des Eigentums« spricht, aber für den, der kein Eigentum hat, hört die Heiligkeit des Eigentums von selber auf.

Die besitzende Klasse und die Klasse des Proletariats stellen dieselbe menschliche Selbstentfremdung dar.

Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol, d.h. auf Seite der Klasse, die ihr eigenes Produkt als Kapital produziert.

Die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigne Negation. Die Expropriateurs werden expropriiert.

Wenn der Mensch von den Umständen gebildet wird, so muss man die Umstände menschlich bilden.

Die [schriftlich überlieferte] Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.

In der wirklichen Gemeinschaft erlangen die Individuen in und durch ihre Assoziation zugleich ihre Freiheit.

Von allen Klassen, welche heutzutage der Bourgeoisie gegenüberstehen, ist nur das Proletariat eine wirklich revolutionäre Klasse.

Die Arbeiterklasse ist revolutionär oder sie ist nichts.

Die Lehre des Materialismus als die Lehre des realen Humanismus ist die logische Basis des Kommunismus.

Die Kommunisten sind der immer weiter treibende Keil der Arbeiterklasse aller Länder.

Die Kommunisten können ihre Theorie in dem einen Ausdruck: Aufhebung des Privateigentums zusammenfassen.

Es ist jedes Mal das unmittelbare Verhältnis der Eigentümer der Produktionsbedingungen zu den unmittelbaren Produzenten, worin wir die verborgene Grundlage der ganzen gesellschaftlichen Konstruktion finden.

In der bürgerlichen Gesellschaft herrscht die Vergangenheit über die Gegenwart, in der kommunistischen Gesellschaft die Gegenwart über die Vergangenheit.

Es ist immer im Interesse des herrschenden Teils der Gesellschaft, das Bestehende als Gesetz zu heiligen,

Wir sind rücksichtslos, wir verlangen keine Rücksicht von euch. Wenn die Reihe an uns kömmt, wir werden den Terrorismus nicht beschönigen.

Die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht.

Jeder provisorische Staatszustand nach einer Revolution erfordert eine Diktatur, und zwar eine energische Diktatur.

Das Reich der Freiheit beginnt erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört.

Mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nationen fällt die feindliche Stellung der Nationen gegeneinander.

An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.

III

Literatur

Marx/Engels, Werke (MEW), Bd. 1-43, Berlin seit 1956; Sachregister (Bd.1-39), Berlin 1989.

Marx/Engels, Gesamtausgabe (MEGA), Abteilung I-IV, Berlin seit 1975.

Andreas Arndt, Karl Marx, Bochum 1985.

Shlomo Avineri, The Social and Political Thought of Karl Marx, Cambridge 1976.

Werner Blumenberg, Karl Marx (in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten), Reinbek 1983.

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Heinrich Gemkow (u.a.), Karl Marx, Berlin 1968.

Gregor Gysi, Marx und wir, Berlin 2018.

Wolfgang F. Haug (ed.), Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus,  Bd. 1 ff., Hamburg ab 1994.

Eric Hobsbawn, Das Kommunistische Manifest. Eine moderne Edition, Hamburg 1999.

Eugene Kamenka (ed.), The Portable Marx, New York 1983.

Manfred Kliem, Karl Marx. Dokumente seines Lebens, Leipzig 1970.

Alfred Kosing, Marxistisches Wörterbuch der Philosophie, Berlin 2015.

Thomas Kuczynski (ed.), Das Kommunistische Manifest, Trier 1995.

W. I. Lenin, Der Marxismus über den Staat. Staat und Revolution (1917), Berlin 2019.

Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Bd. 9 (1916-1918), Berlin 1971.

Konrad Lotter (u.a.), Das Marx-Engels-Lexikon, Köln 2006.

Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 4 (1914-1919), Berlin 1974.

Oskar Negt, Marx, München 1998.

Wilfried Nippel, Karl Marx, München 2018.

Fritz J. Raddatz, Karl Marx. Der Mensch und seine Lehre, Reinbek 1987.

Maximilien Rubel, Marx-Chronik, München 1983.

Thomas Sablowski (ed.), Auf den Schultern von Karl Marx, Münster 2021.

Manfred Schöncke, Karl und Heinrich Marx (Lebenszeugnisse. Briefe. Dokumente), Bonn 1993.

Sahra Wagenknecht, Vom Kopf auf die Füße?, Bonn 1997.

Christoph Werner, Karl Marx, Halle 2022.

Jean Ziegler / Uriel da Costa, Marx, wir brauchen Dich, München 1992.

 

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2023-01: Kriegsursachen

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