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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Erich Baron - ermordet am 26. April 1933

Eberhard Butter, Berlin

 

"Gewiß, die fortschrittlichen Kräfte in Deutschland, an ihrer Spitze die KPD, gaben sich größte Mühe, die Wahrheit über die Sowjetunion in Wort und Schrift zu verbreiten. Aber die bürgerliche Propaganda-Maschinerie war demgegenüber ungleich stärker. Die wenigen großbürgerlichen Zeitungen, die Reporter in die Sowjetunion sandten, publizierten diese Berichte überdies mit mehr oder weniger antikommunistischer Färbung – ganz zu schweigen von direkten Erfindungen und Fälschungen, die häufig in die bürgerliche Presse gelangten". [Günter Rosenfeld, Sowjetunion und Deutschland 1922-1933, Akademie-Verlag Berlin 1984, S. 195.]

Der Autor Günter Rosenfeld beschreibt Verhältnisse in der Weimarer Republik, wie sie sich gegenüber der jungen Sowjetunion entwickelten und darstellten. Antirussische und später antisowjetische Stimmungsmache hatten lange historische Wurzeln in Deutschland, an die der Faschismus mit seiner Vernichtungsideologie anknüpfen konnte. Trotz der mit der Rapallo-Politik erreichten vorübergehend normalen Beziehungen zwischen beiden Staaten gab die herrschende Klasse in Deutschland ihre Feindschaft gegenüber der sozialistischen Ordnung nicht auf. Doch bildete der Rapallo-Vertrag, geschlossen am 16. April 1922 zwischen dem Deutschen Reich und der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, im Rahmen seiner diplomatischen und ökonomischen Aspekte günstige Voraussetzungen für die Aufnahme beiderseitiger umfassenderer kultureller und wissenschaftlicher Beziehungen, die in besonderer Weise von Anfang an von völkischen, rechtskonservativen und faschistischen Kräften bekämpft wurden. [Die Ermordung des Außenministers Walther Rathenau durch rechte Terroristen am 24. Juni 1922 wurde auch mit seiner Rolle als angeblicher "Erfüllungspolitiker" motiviert (er war Unterzeichner des Vertrages) und war ein Ausdruck der damaligen Macht- und Klassenverhältnisse.]

Der tödliche Hass der Faschisten richtete sich deshalb gegen solche Vertreter der linksbürgerlichen und kommunistischen Intelligenz, die mit der sich anbahnenden Zusammenarbeit sympathisierten, sie förderten und mitorganisierten.

Dazu gehörte u.a. Genosse Erich Baron aus Berlin-Pankow. [Der 2. Polytechnischen Oberschule "Erich Baron" in Berlin-Pankow wurde 1991 der Name entzogen. Ehrungen bestehen noch an seinem Pankower Wohnhaus (Gedenktafel) und in der Gedenkstätte der Sozialisten Berlin-Friedrichsfelde. Mit einer DDR-Sonderbriefmarke wurde er anlässlich des 100. Geburtstages gewürdigt (Abb.).] Der Jurist, Journalist und Politiker, Mitglied der KPD, war seit 1. Februar 1924 Generalsekretär der "Gesellschaft der Freunde des neuen Russland" (GdFR) und gleichzeitig Herausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift "Das neue Russland". Sein Redaktionsbüro hatte er in der Pankower Kavalierstraße 22, wo er auch mit seiner Familie ab 1919 lebte. [Nicht weit entfernt, in der Binzstraße 40, wohnte der 1942 ermordete jüdische Arzt, das KPD-Mitglied Dr. Georg Benjamin mit seiner Familie.] Die einzige Redaktionssekretärin war seine Tochter Marianne.

Genosse Baron wurde in der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 verhaftet und in das Zellengefängnis Berlin – Lehrter Straße verbracht, wo man ihn schwer folterte. Anfang April 1933 wandte sich seine Tochter wegen des Zustandes ihres Vaters an den zuständigen Staatsanwalt Mittelbach [Dr. Hans Mittelbach (1903-1986): Dezernent für Schutzhaft in den KZ; Leiter der Verhaftungsaktionen als Folge der Reichtagsbrandprovokation; Erlass der Haftbefehle gegen E. Thälmann und G. Dimitroff; Gestapo-Beamter; Kriegs- und Sonderrichter; tätig am Volksgerichtshof. Nach 1945: Oberregierungsrat in Spruchgerichten der Westzonen für die Entnazifizierung; Vorsitzender des Hochverrats-Senates im Landgericht Köln. O.-Ton (nach 1980): "… Ich würde heute noch die Kommunisten alle in Haft nehmen!"] und stellte sich als Geisel für seine Freilassung oder Beurlaubung zur Verfügung. Das wurde am 26. April 1933 als unbegründet abgelehnt.

An diesem Tag erhängte sich Genosse Erich Baron in seiner Zelle.

Der Schriftsteller Karl Grünberg sagte dazu: "Er hat sich erhängt worden". Der erzwungene oder der vorgetäuschte Suizid als eigentlicher Mord waren gängige Methoden in den faschistischen Untersuchungsbehörden.

Das Kämpferleben Erich Barons, besonders aber sein beträchtlicher Einfluss auf die Verbesserung der Beziehungen zur Sowjetunion, waren sicher gewichtige Gründe dafür, dass sein Name einen oberen Rang auf den vorbereiteten Todeslisten erhalten hatte, die im Widerschein des brennenden Reichstagsgebäudes die SA- und Polizeimordbanden Görings hervorholten.

Erich Baron wurde am 20. Juli 1881 in Berlin als Sohn einer jüdischen Fabrikantenfamilie geboren und studierte von 1901 bis 1904 Jura, Philosophie und Architektur. Als Mitglied der SPD arbeitete er als Journalist und übersiedelte 1907 nach Brandenburg/Havel. Hier wurde er Redakteur der sozialdemokratischen "Brandenburger Zeitung". Als Stadtverordneter seiner Partei war er für Jugendfragen zuständig. Der Anhänger Karl Liebknechts schloss sich später der USPD an. Als Kriegsteilnehmer war er einer der drei Vorsitzenden des Arbeiter- und Soldatenrates Brandenburg. Er übersiedelte 1919 nach Berlin und wurde Redakteur der USPD-Zeitung "Freiheit" und trat 1920 für die Vereinigung mit der KPD ein. Bis Anfang 1924 war er Inlandsredakteur im Pressebüro der KPD-Zentrale.

Dann setzte er seine Tätigkeit in der am 27. Juni 1923 im Lehrervereinshaus am Berliner Alexanderplatz [Das "Haus des Lehrers", von der DDR standortgetreu neu gebaut, steht noch.] gegründeten GdFR fort, die ihre Wurzeln auch in der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) hatte. Ein wichtiger Impuls für diese Entwicklung war, neben den populären beiderseitigen Hilfsaktionen für die Hungernden in Russland und für notleidende deutsche Gelehrte, ein steigendes gesellschaftliches Interesse am Leben in der Sowjetunion.

Die GdFR, auch mit Ortsvereinen in anderen deutschen Städten, umfasste zunächst einen kleineren Kreis von linken Intellektuellen, vorwiegend aus dem demokratischen Berliner Bürgertum, jedoch über Erich Baron mit Verbindung zur KPD. Versammelt waren die Träger großer Namen der deutschen Wissenschaft und Kultur, die den Wandel in Russland und der Sowjetunion der zwanziger Jahre mit nicht nur verstandesmäßiger Teilnahme verfolgten, z.B. die Verleger Samuel Fischer und Ernst Rowohlt, die Schriftsteller Thomas und Heinrich Mann, Ludwig Renn, Anna Seghers, Egon Erwin Kisch, Ernst Toller, Siegfried Jacobsohn, der Nobelpreisträger Albert Einstein, der Industrielle und Funkpionier Graf von Arco, der ehemalige Reichspräsident Paul Löbe, die Intendanten Erwin Piscator und Leopold Jessner, die Architekten Mies van der Rohe und Bruno Taut, der Dirigent Otto Klemperer, die Maler Wassily Kandinsky, Hans Baluschek, Max Pechstein und andere, auch Bankiers.

Die GdFR hatte Sektionen für Kunst, Pädagogik, Medizin und Technik für eine zielgerichtete gegenseitige Vortrags- und Lehrtätigkeit gebildet. Organisiert wurden sowjetische Kunstausstellungen in Berlin und der Austausch auf den Gebieten des Theaters, der Musik und des Films mit der legendären Aufführung von Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin". Erich Baron berichtete darüber, dass die Aufführung "… so durchschlagend und nachhaltig (war), dass damit der russischen Sache weit über die künstlerische Bedeutung hinaus gedient ist". Es fanden gegenseitige Gastspiele der Schauspielensembles unter Leitung von W.E. Meyerhold und Max Reinhardt mit großer internationaler Resonanz statt, die in Berlin zu Glanzpunkten des kulturellen Lebens wurden.

Eine andere deutsche Organisation, die sich um die Annäherung an die Sowjetunion verdient gemacht hat, war der 1928 gegründete "Bund der Freunde der Sowjetunion" mit dem Charakter einer Massenorganisation, der auch Arbeiter angehörten. [Am Aufbau und an der Leitung des Bundes waren u.a. beteiligt: Fritz Heckert, Walter Stoecker, Ernst Schneller, Theodor Neubauer, Willi Münzenberg, Alfred Kurella, Albert Schreiner, Karl Becker (alle KPD).]

Enge Verbindungen knüpfte die GdFR mit der 1925 gegründeten sowjetischen "Allunionsgesellschaft für kulturelle Verbindung mit dem Ausland" (VOKS), die von Olga D. Kamenewa, der Ehefrau Lew Borissowitsch Kamenews und Schwester Trotzkis, geleitet wurde.

Diese Organisationen trugen auch im Rahmen ihrer internationalistischen und humanistischen Arbeit erheblich zur Wertschätzung Berlins als politischen und kulturellen Mittelpunkt der Weimarer Republik bei. Allerdings ein weiterer Grund, warum sich die Faschisten gerade hier, in der Hauptstadt der ihnen verhassten "Republik der Novemberverbrecher", so viele prominente Opfer suchten, deren intellektuelle und kulturelle Ausstrahlung sie als bedeutende Gefahr für die Ideologie des Rassenwahns und Völkermords betrachteten. [Allgemeine Quellen: Günter Rosenfeld Sowjetunion und Deutschland 1922-1933, S.190ff. Akademie Verlag Berlin 1984; Wikipedia: Deutsche Nationalbibliothek, Liste der Widerstandskämpfer; Eva Oberloskamp "Fremde neue Welten", Oldenburg Verlag München 2011; Biografische Datenbanken "Deutsche Kommunisten – Biografisches Handbuch 1918-1945", Karl Dietz Verlag Berlin.]

 

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