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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Ein Unbestechlicher, exzellent in seinem Fach

Ellen Brombacher, Berlin

 

Rede bei der Beisetzung von Dr. Friedrich Wolff

 

Am 25. Mai begegneten wir uns zum letzten Mal. Gut zwei Monate, bevor Fritz 102 Jah­re alt geworden wäre. Das schaffte er nicht mehr. Er ist am 10. Juni gegangen. Für Dich, liebe Iris, für Euch, die Töchter Barbara, Renate und Antina, für die Enkel David, Charlie, Franziska, Jakob und für die Urenkel ist der Verlust unermesslich. »Seine Freundlichkeit und Geduld, sein Humor, seine Toleranz«, sagt Iris, »hat das Zusammenleben mit ihm so angenehm gemacht«. So sei er bis zum Schluss gewesen. Fritz wird uns allen sehr fehlen.

Als wir uns am 25. Mai trafen, war er – wie hätte es anders sein können – sehr müde; sehr schwach. Und doch fragte er mich: »Was wird aus der Partei?« Er hat mir diese Frage oft gestellt, sicher wissend, dass ich sie auch nicht beantworten kann. Aber dass ihn das umtrieb, bis in seine letzten Tage, das zeugt davon, dass für ihn politische Ansichten und Strukturen nie Sprossen auf der Karriereleiter waren. Er war ein Unbe­stechlicher, der die Menschen und das Leben liebte und dem lakonisch Ausdruck ver­lieh. Eine Phrase habe ich von Fritz nie gehört.

Friedrich Wolff wurde am 30. Juli 1922 in die Weimarer Republik hineingeboren. 1922 schrieb Kurt Tucholsky über jene Republik: »Diese negative Monarchie, die nur deshalb keine ist, weil ihr der Monarch ausgekniffen ist, hat nicht einmal das eine von ihrem Vorgänger übernommen, dessen Konkursmasse sie verwaltet: Nicht einmal den Selbst­erhaltungstrieb. Sie kann sich nicht schützen. Denn das, wogegen sie sich schützen müsste, liegt in ihr selbst (…). Wer nicht sieht, dass es ganze Gesellschaftsschichten sind, ganze Klassen und Kasten, die so verkommen, so heruntergekommen in ihrem moralischen Empfinden, von so frechem Hochmut sind – wer nicht sieht, dass man die­sen Beamten, ihren Frauen, ihren Söhnen, diesen Studenten, Professoren, Oberlehrern, Medizinern, diesen Balkan-Deutschen die Macht zeigen muss, die unlogische, nichtob­jektive, ungerechte, einfache Macht: der richtet das Land zugrunde.« Und so kam es.

Als die Nazi-Herrschaft begann, war Fritz 11 Jahre alt. In einem nach seinem Tod in der Berliner Zeitung veröffentlichten Interview berichtest Du, Barbara, über einen Brief des Großvaters an deinen Vater. Alfred Wolff, ein jüdischer Arzt, schrieb ein Gedicht für sei­nen 13-jährigen Sohn. Da hingen im April 1935 vor seiner Neuköllner Praxis schon Juden-Raus-Schilder. Wenn ich dieses Gedicht zu Ende schreibe, so Alfred Wolff an sei­nen Jungen, dann weißt Du, was hier in der Praxis passiert ist: Keiner ist mehr in meine Sprechstunde gekommen. Kurz darauf, mit nur 60 Jahren verstarb Alfred Wolff an einem Herzschlag.

Auch Fritz wollte eigentlich Arzt werden. Doch ein Studium blieb ihm unter den rassisti­schen Hitlerbarbaren verwehrt. So nahm er eine kaufmännische Lehre auf und wurde 1943 zur Knochenarbeit in Munitionsfabriken verpflichtet. Nach der Befreiung vom Hit­lerfaschismus studierte Fritz von 1946 bis 1949 Jura. Seit 1953 – aus kaderpolitischen Gründen war er seinerzeit aus dem DDR-Justizapparat entlassen worden – arbeitete er als Anwalt. Die Berliner Zeitung bezeichnete ihn in ihrem Nachruf als »Jahrhundert-anwalt«. Im Westen hätte man ihn Staranwalt genannt. Aber er war kein Star. Er war keiner, der sich in den Vordergrund drängte und das Scheinwerferlicht suchte; keiner der dünkelhaft runterschaute auf Menschen, die keine Stars waren. Jahrhundertanwalt war er, weil er exzellent in seinem Fach gewesen ist. Er musste schwierigste Fälle bewältigen.

Er, Sohn eines jüdischen Vaters, verteidigte auch Nazis. Er war der Pflichtverteidiger des Schreibtischtäters Hans Globke, Staatssekretär unter Konrad Adenauer. Er war Pflichtverteidiger des Bundesvertriebenenministers Oberländer, ein Juden- und Partisa­nenmörder. Das waren Prozesse in der DDR gegen unbehelligt und wohldotiert in der BRD lebende Nazi-Verbrecher. Vorstellbar ist, dass es Fritz besonders schwerfiel, den SS-Offizier Heinz Barth zu verteidigen. Barth war einer der Mörder von Oradour. Wäh­rend dieses Massakers im Juni 1944 wurden 643 Menschen umgebracht. In der Kirche verbrannten 147 Schulkinder. Und dieser SS-Scherge soll verteidigt werden – zumal von einem unerschütterlichen Antifaschisten? Kaum vorstellbar. Ich fragte Fritz, ob so einer wie der wirklich einen Verteidiger haben müsste. »Ja«, lautete unumwunden die Antwort. In seinem, in den »Verlorenen Prozessen« veröffentlichten Plädoyer zum Abschluss der Verhandlung gegen Barth findet sich die Begründung für dieses Ja. »Was Ungerechtigkeit bedeutet, weiß jeder, und damit sich so etwas nicht ereignet, dazu hat das Gesetz Verteidigung vorgeschrieben, und dieses Gesetz ist eben ein gerechtes Gesetz. Es ist auch ein moralisches Gesetz, wie wir ja überhaupt bei Nachdenken fin­den werden, dass das, was rechtlich geboten ist, (…) moralisch auch gerechtfertigt ist. Das Gesetz ist auch keine Formalität, die die Verteidigung vorschreibt. Es ist also nicht so, dass wir hier nur reden, um dem Gesetz Genüge zu tun, sondern es ist Ausdruck der wirklichen Humanität, die auch in dem Angeklagten, auch in demjenigen, der schwers­ter Verbrechen angeklagt ist, den Menschen sieht. Und deswegen ist die Aufgabe der Verteidigung eine humanistische Aufgabe.«

Fritz fragt dann in seinem Plädoyer, »Kann ein Antifaschist, kann ein Kommunist einen Faschisten verteidigen?«, und antwortet: »Wir bejahen diese Frage. Wir wissen, dass das eine schwere Aufgabe ist. Aber wie jeder Beruf enthält auch unser Beruf schwere Aufgaben. Und da unser Beruf eben in der Regel heißt, dass wir Schuldige wie Unschul­dige verteidigen müssen, so müssen wir auch solche schwersten Aufgaben lösen«. Soweit aus dem Plädoyer, in dem Fritz schonungslos den Faschismus als ein Mord und Mörder produzierendes System entlarvte.

Erich Fried hat einmal gesagt, »Es genügt nicht, dass ein Mensch das Richtige denkt, sondern, dass der, der das Richtige denkt, ein Mensch ist«. Klugheit und Menschlichkeit zeichneten Fritz gleichermaßen aus. Das zeigte sich ebenso in seinem politischen Wir­ken in PDS und Linkspartei und in der Kommunistischen Plattform, der er seit 2007 angehörte.

Als im Jahr 2006 in der »Gedenkstätte der Sozialisten« ein von Beliebigkeit geprägter Gedenkstein für die »Opfer des Stalinismus« eingeweiht wurde, polemisierte Fritz gegen Äußerungen des damaligen Regierenden Bürgermeisters. »Hier«, so schrieb er, »irrt Momper, und er irrt mehrfach, seine Irrtümer fügen sich ein in Bestrebungen, aus Kom­munisten und Sozialisten Stalinisten zu machen, den ›Stalinismus‹ als ein Wesens­merkmal des Sozialismus, ja des Marxismus darzustellen«. Gegen die Denunziation des Versuchs, ohne Kapitalherrschaft auszukommen, hat sich Fritz immer gewehrt. Das nachfolgende Zitat mag nicht jede und jeden überzeugen. Aber es widerspiegelt unein­geschränkt seine Überzeugungen. Er sagte: »Die DDR war mir das Liebste der vier Deutschländer. Sie führte keinen Krieg. Ihre Soldaten standen nicht vor Moskau oder in Stalingrad. Sie wurde auch nicht am Hindukusch verteidigt. Juden oder Ausländer wur­den in der DDR nicht diskriminiert, Arbeitslose gab es nicht. In ihr sah man keine Obdachlosen, gab es kein Hartz IV. Konzernherren gab es nicht. Man lebte einfach – als Gleicher unter Gleichen …«

Und an anderer Stelle bemerkte er: »Ulbricht erklärte 1967, dass die DDR der ›wahre deutsche Rechtsstaat‹ sei. Aufs Ganze gesehen meine ich heute auch: Im Vergleich zur Bundesrepublik waren wir der tatsächliche Rechtsstaat.«

Dieser Blick aufs Ganze verführte Fritz nie zu einem nostalgischen Blick auf die DDR. Doch so kritisch und durchaus auch schmerzerfüllt er in unseren Gesprächen mit den Gebrechen, Dummheiten und auch Willkürakten im untergegangenen Sozialismus umging; niemals zweifelte er an der Legitimität, Sozialismus versucht zu haben. In die­ser Überzeugung verteidigte er vor bundesdeutschen Gerichten nicht wenige Repräsen­tanten der DDR.

Ich möchte noch eine Episode erwähnen, die Fritz charakterisierte. Im Mai 2006 erhielt ich einen Anruf vom rbb-Fernsehen. Nach dem Auftreten von Offizieren der DDR-Auf­klärung in der früheren Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen wollte der rbb eine Sendung machen, an der – wie die Sprachregelung üblicherweise lautet – Opfer und Täter teilnehmen sollten, darunter Hubertus Knabe. Ich bat mir Bedenkzeit aus und beriet mich mit verschiedenen Genossinnen und Genossen, ob ich zu- oder absagen solle. Die meisten rieten mir ab.

Fritz tat das nicht. Wir sollten, so meinte er, jede Möglichkeit nutzen, unsere Positionen zu vertreten. Es wäre gut, wenn ich an der Sendung teilnähme und dort sagte, wie viele Ermittlungsverfahren es gegen Angehörige des MfS gegeben habe und zu wie vielen Verurteilungen es letztlich gekommen sei. Ich folgte seinem Ratschlag. Nach der Sen­dung erhielt ich nicht wenige Hinweise, was ich noch hätte anmerken müssen. Fritz urteilte: »Du hast rausgeholt, was rauszuholen war.« Beides charakterisierte ihn zutiefst: Keine politischen Möglichkeiten zu verschenken; und dies illusionsfrei hinsichtlich des Verhältnisses von Aufwand und Nutzen. Das hat er sein Lebtag so gehalten. Egon Krenz erzählte mir, er habe Fritz an seinem 101. Geburtstag gefragt, wie er sich nach diesem langen Leben sieht. Fritz habe ohne jedes Zögern geantwortet: »Als Kommunist«.

Im Buch »Komm mir nicht mit Rechtsstaat« richtet Egon Krenz die Frage an Fritz: »Möchtest Du gern noch einmal jung sein«? Fritz antwortet: »Alles noch mal von vorn? Ich weiß nicht. Aber ich würde gern nicht sterben wollen, um das Ende dieser Gesell­schaft zu erleben«. Wissend, dass das ein unerfüllbarer Wunsch ist, weil wir alle sterb­lich sind, zeugen diese Worte wohl vor allem davon, dass Fritz dieses System, in dem der Profit alles und der Mensch immer weniger zählt, abgrundtief verachtete und unein­geschränkt ablehnte. Auch wir werden das Ende dieser kapitalistischen Ordnung kaum erleben. Und hoffentlich wird die Zivilisation überleben. Das war in den letzten Jahren wohl seine größte Sorge. Sein Vermächtnis zu bewahren, heißt für uns, für Frieden und eine bessere Welt einzutreten. Die hat Fritz bis zu seinem letzten Atemzug gewollt.

Die Beisetzung fand am 28. Juni 2024 auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee statt. Bei der »Bewegenden Trauerfeier für den Kommunisten Friedrich Wolff«, so die Berliner Zeitung, sprachen auch Kantor Jochen Fahlenkamp und Gregor Gysi, der Anwaltskollege, zu den rund 100 Trauergästen.

 

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