Ein Schreibtischtäter ohne Reue
Ralph Dobrawa, Gotha
Hans Josef Maria Globke wurde am 10. September 1898 geboren und starb vor 50 Jahren, am 13. Februar 1973. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft und der Promotion 1922 trat er drei Jahre später in den Beamtenstand. Nach einer Tätigkeit bei der Polizei in Aachen ernannte man ihn Ende 1929 zum Regierungsrat im Innenministerium Preußens, ab 1934 war er dann im Reichsministerium des Innern. Oft ist zu lesen, er sei in dieser Zeit nur maßgeblich an der Kommentierung der Nürnberger Rassegesetze der Nazis beteiligt gewesen. Dies war nur ein Teil seiner den faschistischen Ungeist fördernden Tätigkeit. In jenen Jahren war er bereits Mitverfasser unter anderem des Gesetzes zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes vom 18. Oktober 1935, aber auch der sogenannten Namensänderungsverordnung von 1938, die vor allem darauf abzielte, jüdische Mitbürger als solche kenntlich zu machen und öffentlich zu diskriminieren. Der 1936 im C. H. Beck Verlag herausgegebene Kommentar bezog sich auf das Reichsbürgergesetz, das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre, das Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes (Ehegesundheitsgesetz) und dazu erlassene weitere Vorschriften. Auch die weitere Stigmatisierung jüdischer Mitbürger durch Einführung der zusätzlichen Vornamen Sara für Frauen und Israel für Männer geht auf Globke zurück. Im Übrigen hat er nichts unversucht gelassen, um seine innere Verbundenheit mit dem nazistischen Staat deutlich zu machen. Nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus behauptete er jedoch dreist, er habe sich im Widerstand gegen die Nazis befunden. Da sich Zeitgenossen fanden, die ihm das auch noch attestierten, galt er letztlich als unbelastet. Das zeigt nur, wie wenig in jener Zeit ernsthaft Recherchen über die frühere Tätigkeit von Personen geführt wurden, deren Entnazifizierung zu prüfen war. Sehr schnell hätte man selbst bei oberflächlicher Prüfung auf Globkes Mitwirkung an der Schaffung von Rechtsvorschriften mit faschistischem Ungeist stoßen können. Diese haben letztlich auch die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der von den Nazis betriebene industrielle Massenmord an der jüdischen Bevölkerung Europas durchgeführt werden konnte. Das gilt umso mehr, als er nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus als Zeuge in einem Prozess seine Kenntnis vom Massenmord an der jüdischen Bevölkerung einräumte.
Ruhestand mit allen Ehren
Bereits wenige Monate nach Gründung der Bundesrepublik gelangte der skrupellose Jurist in den Dienst des Bundeskanzleramtes und stieg dort rasch zum Staatssekretär und Chef dieser Behörde auf. Auch hier erwies er sich sehr schnell als willfähriger Diener von Konrad Adenauer, der trotz aufkommender Proteste an ihm festhielt. Selbst als die Forderungen nach Entfernung Globkes zunahmen, stimmte ihn das nicht um. Unter den heutigen Bedingungen wäre es einem Bundeskanzler wohl nicht möglich gewesen, einen solchen Mann im Amt zu halten. Adenauer wusste, dass er sich auf ihn verlassen konnte und er die ihm übertragenen Aufgaben mit besonderer Gründlichkeit ausführte. Darüber hinaus schätzte er seinen Staatssekretär als persönlichen Berater in nahezu allen politischen Zeitfragen. Dabei kam Globke zugute, dass er Kontakte in nahezu alle Richtungen unterhielt, unter anderem zum Vorgänger des Bundesnachrichtendienstes, der Organisation Gehlen, deren Mitarbeiter sich in den jungen Jahren der BRD aus überwiegend alten Nazis rekrutierten. Es fällt schwer anzunehmen, dass Hans Globke sich von dem faschistischen Ungeist, der seiner Überzeugung zugrunde lag, nach 1945 hat vollständig lösen können. Ein gegen ihn geführtes Ermittlungsverfahren wurde nach dem Eingreifen Adenauers letztlich eingestellt. Auch insoweit fällt auf, dass das Einmischen der Politik in die Justiz zur damaligen Zeit nicht als anstößig empfunden wurde oder als Angriff auf die Unabhängigkeit der dritten Gewalt. In dieser Hinsicht hatte Adenauer bereits während des laufenden Prozesses vor dem Bundesverfassungsgericht, der zum Verbot der KPD führte, keinerlei Unrechtsbewusstsein. Auch in jener Zeit kam es zu einseitigen Kontakten seinerseits mit dem Vorsitzenden des zuständigen Senats des Bundesverfassungsgerichts.
Als Adenauer 1963 von der politischen Bühne als Bundeskanzler abtrat, wurde auch Globke in den Ruhestand versetzt. Dies geschah natürlich mit allen Ehren durch Verleihung des Großkreuzes des Verdienstordens der BRD. Dafür war zu dieser Zeit übrigens der damalige Bundespräsident Heinrich Lübke, dessen eigene Nazivergangenheit kurze Zeit später für viel Wirbel sorgen sollte, zuständig.
In Abwesenheit verurteilt
In der DDR stieß der Umgang mit der Person Globkes auf heftige Kritik und öffentliche Anprangerung. Es war völlig unverständlich, weshalb der Bonner Staat Hans Globke unangetastet ließ und ihm eine Karriere in den jungen Jahren der BRD ermöglichte.
Vor dem Obersten Gericht der DDR begann im Sommer 1963 der Prozess gegen ihn in Abwesenheit. Nach Durchführung einer sehr präzisen Beweisaufnahme wurde er »wegen in Mittäterschaft begangener fortgesetzter Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in teilweiser Tateinheit mit Mord« am 23. Juli 1963 zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Die ausführliche Urteilsbegründung wurde in einer Ausgabe der Fachzeitschrift »Neue Justiz« in der DDR veröffentlicht und ist inhaltlich hinsichtlich der Feststellungen nicht zu beanstanden. Natürlich musste Globke die Strafe nicht antreten und verbüßen. Diesbezüglich mangelte es – unabhängig vom Unwillen einer Auslieferung seitens der BRD – an einem Rechtshilfeabkommen mit der DDR. Zusätzlich sorgte die in jenen Jahren bestehende Eiszeit zwischen den beiden deutschen Staaten für Funkstille. Die DDR war als eigenständiger Staat durch die Bundesrepublik nicht anerkannt, ihre Staatsbürgerschaft wurde negiert in der westdeutschen Überzeugung vom Alleinvertretungsanspruch durch die BRD.
Schlechtes Gewissen in Bonn
Als 1961 Adolf Eichmann in Jerusalem vor Gericht gestellt wurde, kamen im Bonner Staat große Ängste auf, dass Eichmann oder andere Verfahrensbeteiligte im Rahmen des Prozesses auch auf die Person von Hans Maria Globke zu sprechen kommen würden. Da der Prozess unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit durch die Weltpresse verfolgt wurde, hätte dies zweifellos für einen Eklat gesorgt. Daran war auch Israel nicht interessiert. Erst ein Jahr zuvor hatten sich die Beziehungen zur Bundesrepublik entscheidend verbessert durch ein Treffen von Konrad Adenauer mit Ben Gurion, wo auch wirtschaftliche Fragen im Mittelpunkt standen. Als der DDR-Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul beabsichtigte, als Vertreter von nahen Angehörigen Ermordeter deren Interessen im Wege der Nebenklage im Prozess gegen Eichmann wahrzunehmen, horchte man deshalb sowohl in Bonn wie auch in Jerusalem auf. Bei einem Vorgespräch, das Kaul mit dem israelischen Generalstaatsanwalt Hausner am 21. Februar 1961 in Jerusalem führte, versuchte Hausner klarzustellen, es ginge in dem Prozess gegen Eichmann »nur darum, die historische Wahrheit seiner kriminellen Verbrechen festzustellen«. Kaul machte ihn darauf aufmerksam: »Glauben Sie, dass Eichmann auch nur einem jüdischen Menschen ein Haar hätte kommen können, wenn andere nicht die Voraussetzungen hierfür geschaffen hätten?« Als Hausner dann mit Hitler und Himmler, Kaltenbrunner und Heydrich argumentierte, wies ihn Kaul darauf hin, dass er »nur die Namen von Toten« nenne. »Warum nennen Sie nicht auch die Namen derer, die heute noch leben und in Westdeutschland bereits wieder in Amt und Würden sind?«
Deutlicher konnte man einen Hinweis auf den zu dieser Zeit noch im Amt befindlichen Globke nicht geben. So reagierte man in Israel prompt: die Strafprozessordnung wurde geändert und die Nebenklage abgeschafft. Damit hoffte man sich des Problems »Globke« durch Kaul entledigt zu haben. Dieser reiste dann jedoch als Prozessbeobachter der DDR zum Prozess. Welch schlechtes Gewissen trotzdem in Bonn bestand, zeigt sich daran, dass bereits an einem der ersten Verhandlungstage Rechtsanwalt Kaul von einem DPA-Korrespondenten gefragt wurde, ob im Verhandlungssaal der Name Globke gefallen sei.
Die Angst ging sogar so weit, dass in Kauls Hotelzimmer im King David Hotel in Jerusalem am 29. Juni 1961 eingebrochen und Dokumente entwendet wurden, während dieser sich im Restaurant befand. Die Akteure sind seit einem reichlichen Jahrzehnt namentlich bekannt. Es handelte sich um den BND-Mitarbeiter Rolf Vogel, der sich – getarnt als Korrespondent der »Deutschen Zeitung« – in Israel aufhielt und in direktem Kontakt zum Bundeskanzleramt stand, sowie um den »Bild«-Reporter Frank Lynder, einen Schwager Axel Caesar Springers. Das Beutegut wurde als »Diplomatengepäck« versiegelt und unkontrolliert nach Pullach befördert. Erst im Jahr 2010 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass der bis dahin bezüglich der Akten zu Eichmann angebrachte Sperrvermerk rechtswidrig ist, nachdem die Journalistin Gaby Weber auf Zugang zu ihnen geklagt hatte. Es ist schon bezeichnend, dass man es bis zu diesem Zeitpunkt immer noch für erforderlich hielt, den Mantel des Schweigens über diesen Ungeheuerlichkeiten belassen zu wollen.
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