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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Ein Jahrhundertzeuge

Ralph Dobrawa, Gotha

 

Geburtstagsjubiläen finden immer besondere Beachtung, wenn es sich um sogenannte runde Geburtstage handelt. Oft sind das 60, 70 oder 80 vollendete Lebensjahre. Unser Jubilar wird am 30. Juli 2022 aber 100 Jahre. Friedrich Wolff, der bekannte Rechtsanwalt und Strafverteidiger, ist Zeitzeuge eines ganzen Jahrhunderts. Großer Respekt gilt seiner Lebensleistung. Er studierte nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus Rechtswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und war fest entschlossen, sich als Jurist in den Dienst einer neuen antifaschistisch-demokratischen Ordnung zu stellen. Als er das Studium erfolgreich abschloss, wurde gerade die Deutsche Demokratische Republik gegründet. Es stand für ihn außer Zweifel, dass dieser junge Staat für ihn Zukunft, Aufgabe und Herausforderung sein würde. Bereits 1945 war Friedrich Wolff in die KPD eingetreten, die sich ein Jahr später mit der SPD zur SED vereinigte. Er hatte die Nazis und ihr schreckliches Wirken in Deutschland und die furchtbaren Auswirkungen des von Hitler angezettelten Zweiten Weltkrieges erlebt. Deshalb gab es für ihn keine andere Alternative als am Aufbau einer neuen sozialistischen Gesellschaftsordnung mitzuwirken. Nach kurzer Tätigkeit in anderen juristischen Berufen wurde er 1953 Rechtsanwalt und war maßgeblich an der Gründung des Kollegiums der Rechtsanwälte in Berlin beteiligt. Über viele Jahre wirkte Wolff als Vorsitzender dieses Gremiums und genoss das Vertrauen vieler seiner Kolleginnen und Kollegen. Als Anwalt war er vorwiegend auf dem Gebiet des Strafrechts tätig und verteidigte über mehr als ein halbes Jahrhundert Menschen, die auf unterschiedliche Weise sich vor einem Gericht verantworten mussten. Unter ihnen waren bereits in den 1950er und 1960er Jahren manch bekannte Namen. So nahm seine Popularität immer mehr zu. Dabei blieb er stets bescheiden und bodenständig. Für ihn war es wichtig, Menschen beizustehen, die in Not waren, aber auch der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen.

Für einen Verteidiger ist dieser Spagat nicht immer einfach. Oft geht es darum, besonders die Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Lebensweg näher zu beleuchten, um das eine oder andere Fehlverhalten besser verstehen zu können. Das hat nicht selten auch Auswirkungen auf das zu findende Strafmaß. Ungünstige äußere Umstände beeinflussen oft täterschaftliches Handeln. Natürlich hat jeder Strafverteidiger während seiner beruflichen Tätigkeit auch immer wieder Freisprüche, aber sie sind doch deutlich seltener als Verurteilungen. Umso mehr gilt es zuzuhören und Einflüsse herauszuarbeiten, die für den Angeklagten günstig sind. Friedrich Wolff ist stets ein guter Zuhörer, egal ob man ihn als Verteidiger gewählt hat oder ihm freundschaftlich verbunden ist. Sein waches Interesse an Problemen der Gesellschaft und des Alltags hat er sich bis ins hohe Alter bewahrt. Sein Rat und seine Meinung sind vielen seiner engeren Freunde sehr wichtig. Wolff belehrt nicht, sondern berät und ist auch immer bereit, die eigenen Vorschläge bei Gegenargumenten neu zu durchdenken. Er beharrt nicht auf seiner Meinung und ist auch immer in der Lage, dem anderen stets das Gefühl zu geben, dass er auf Augenhöhe mit ihm spricht und seine Argumente ernst nimmt. Das unterscheidet ihn wohltuend von manchen seiner Berufskollegen. Für andere wurde er zum Vorbild, und das mit Recht. Die moralischen Maximen, die den Anwaltsberuf ausmachen sollten, beherrscht kaum jemand so gut wie er. Auch nach 1990 ist Friedrich Wolff immer seinen politischen Überzeugungen treu geblieben. Seiner Partei wurde er im Ältestenrat eine wichtige Stütze. Als er bereits das 70. Lebensjahr erreicht hatte, begann für ihn eine wichtige und arbeitsintensive Zeit. Neben Erich Honecker verteidigte er mehrere ehemalige Mitglieder des Politbüros des ZK der SED und setzte sich mit den Gerichten auseinander, die eine andere Rechtsauffassung vertraten und der Meinung waren, sie müssten über DDR-Hoheitsträger urteilen. Er hat gestritten für seine Überzeugung und seine Mandanten, wenn es sein musste bis zum Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

In mehreren Büchern, die in den zurückliegenden Jahren erschienen sind, kann man einiges von diesem Kampf nachlesen und erhält ein Bild, wie intensiv Friedrich Wolff gerade in jenen Jahren sich eingebracht hat. Da hatten sich andere schon aufs Altenteil zurückgezogen. Das Ende seiner anwaltlichen Tätigkeit liegt noch gar nicht so lange zurück. Wolff wollte da sein für jene, die ihn brauchten und besonders für diejenigen, deren Überzeugung er teilte. Auch heute verfolgt er mit wachem Interesse die Geschehnisse in der Welt und man kann sich wunderbar mit ihm austauschen. Das wünsche ich mir noch sehr lange Zeit. Alles Gute und beste Gesundheit, mein lieber treuer Freund!

 

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