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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Die DDR – Kind, Kämpfer und Opfer des Kalten Krieges. Ein Nachruf

Dr. Friedrich Wolff, Wandlitz-Stolzenhagen

 

Der furchtbare Krieg war vorüber. Der Gedanke »Nie wieder Krieg!« beherrschte wohl die meisten Menschen Europas. Frieden war jedoch nicht geschlossen. Die ehemaligen Alliierten hatten sich zerstritten. Am 3. März 1946 hielt Churchill eine Rede in Fulton/Missouri, und am 12. März 1947 sprach Harry S. Truman ähnlich vor dem Kongress der USA. Beide Reden stellen nach allgemeiner Auffassung den Beginn des Kalten Krieges dar.

Basis für den Kalten Krieg

In Deutschland standen sich die verfeindeten Sieger unmittelbar gegenüber. Die UdSSR lag weit im Osten, fern von möglichen Aggressoren. Das sollte nicht so bleiben, Roll back war angesagt. Erste Schritte folgten:

  • 2.6.1948:     Londoner Empfehlung zur Gründung eines westdeutschen Staates (S. 49 [1])
  • 18.6.1948:   Währungsreform in den drei westlichen Besatzungszonen (S. 42)
  • 1.9.1948:     Eröffnung des Parlamentarischen Rates (Wikipedia)
  • 4.4.1949:     Gründung der NATO (S. 48)
  • 8.5.1949:     Annahme des Grundgesetzes durch den Parlamentarischen Rat (S. 70)
  • 23.5.1949:   Annahme des Grundgesetzes (S. 74 f.)  und damit Gründung der Bundesrepublik Deutschland.

Damit war die Basis für den Kalten Krieg in Deutschland gelegt. Es wurde nicht geschossen, es wurde verleumdet. Die Lage war günstig, wohl alle DDR-Bürger konnten die Rundfunksender des Nachbarn hören, und später konnten viele Bürger der DDR das BRD-Fernsehen täglich verfolgen. Die DDR-Sender wurden wahrscheinlich weniger frequentiert. Sie waren oft plump und langweilig. Die Westmedien dagegen waren geschickt. Sie nutzten eigene Begriffe, die eingängig waren: Die DDR war die Zone, war der Unrechtsstaat, der Regierungssitz hieß Pankow, Volkpolizei war Vopo, MfS war Stasi, um nur einige Kampfbegriffe zu nennen. So wurden Hirne und Herzen vieler DDR-Bürger erobert. Der Westen war das Paradies, der Osten ein Gefängnis.

»Stasi« wurde zum Inbegriff alles Bösen in der DDR, zum Pranger der Neuzeit. Obgleich nach dem Westberliner Generalstaatsanwalt mehr als 100.000 strafrechtliche Ermittlungsverfahren zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts durchgeführt wurden und dabei traditionelle Rechtsgrundsätze wie nulla poena sine lege, keine Strafe ohne Gesetz, in dubio pro reo, im Zweifel zu Gunsten des Angeklagten, und andere missachtet wurden, musste Christoph Schaefgen unter dem Titel »Zehn Jahre Aufarbeitung des Staatsunrechts in der DDR« (Neue Justiz 2000, S. 1 ff.) erklären: »Nach dem Stand von Anfang 1999 sind etwa 62.000 Ermittlungsverfahren gegen ungefähr 100.000 Beschuldigte eingeleitet worden. Davon wurden bisher nur etwa 300 Personen rechtskräftig verurteilt.« Immerhin davor, im Tagesspiegel, sagte Schaefgen am 8.9.1999: »Wenn man die DDR an der geringen Zahl der Verurteilten und an den eingeschränkten Verfolgungsmöglichkeiten misst, dann reicht das nicht, um zu sagen, die DDR war ein Unrechtsstaat.«

Die psychologische Führung des Kalten Krieges war für den Westen erfolgreich. Viele Menschen verließen die DDR, besonders viele Hochqualifizierte wie Ärzte. Die Situation wurde kritisch. Moskau ließ 1961 die »Mauer« bauen.

…, welcher deutsche Staat verdient dann diese Bezeichnung?

Mit dem Bau der »Mauer« begann eine neue Phase in der Geschichte der DDR. Die DDR entwickelte deutlicher ihre eigenen Konturen. Neue Gesetze trennten sie sowohl von der Vergangenheit als auch von der benachbarten BRD. So am 12.4.1961 das Gesetzbuch der Arbeit, am 17.4.1963 das Gerichtsverfassungsgesetz, am 25.2.1965 das Gesetz über ein einheitliches sozialistisches Bildungssystem, am 20.12.1965 das Familiengesetzbuch, am 12.1.1968 das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung, am 8.4.1968 die neue Verfassung der DDR. Noch viele andere Gesetze entstanden in dieser Zeit und belegten die Selbständigkeit des neuen Staates. Dabei wurden die letzten alten Zöpfe beseitigt.

In der DDR waren Frauen seit der Verfassung von 1949 gleichberechtigt, nichteheliche Kinder waren ehelichen weitgehend gleich gestellt, Homosexuelle wurden seit 1957 nicht mehr bestraft.

In der BRD galt weiter altes bürgerliches Recht, so das StGB von 1871 und das BGB von 1900. Deshalb wurden dort, nach der Einstellung der Strafverfolgung von Homosexuellen in der DDR, noch 35.452 Unschuldige bestraft. Auch die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs nach § 218 StGB wurde in der DDR früher als in der BRD neu geregelt. Während in der DDR der ärztliche Abbruch der Schwangerschaft bis zum 3. Monat ab 1972 straflos war, regelte die BRD erst ab 1976 bis 2010 die Möglichkeit eines straflosen Schwangerschaftsabbruchs, allerdings unter erschwerten Voraussetzungen.

Wenn es so etwas wie einen Unrechtsstaat überhaupt gab, welcher deutsche Staat verdient dann diese Bezeichnung?

Als der Kalte Krieg 1990 mit dem Sieg der kapitalistischen Mächte endete, brach die DDR zusammen, verschwand der Sozialismus aus Europa. Aus den einst 2,4 Millionen Mitgliedern der SED wurden im Februar 1990 700.000 und danach unter 300.000 (Weber, Geschichte der DDR, München 1985/1999, S. 484).

Der Kapitalismus nahm  die Gestalt des Neoliberalismus an. Er fürchtete den Sozialismus nicht mehr. Richtiger gesagt, nicht mehr so sehr. Die Hetze gegen die vergangene DDR, die jetzt immer die »ehemalige« genannt wurde, blieb. Sozialismus ist schlecht, hieß es, deswegen ist die DDR untergegangen. Der sozialdemokratische Bundeskanzler Schröder verkündete die Agenda 2010.

Die sozialen Probleme verschärften sich. Die zunehmende Privatisierung beginnt auf Widerstände zu stoßen. Dies trifft besonders für die Privatisierung von Gas, Wasser, Strom und den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu. Die Mietpreise für Wohnungen in großen Städten stiegen sprunghaft. Viele Menschen werden obdachlos. Genaue Zahlen gibt es nicht. Schätzungen sprechen von über 800.000. Forderungen  nach Enteignung der großen Wohnraumkonzerne werden erhoben. Die politische Struktur der BRD fängt an, sich zu ändern. CDU und SPD verlieren dramatisch an Mitgliedern und Wählern. Die Linke gerät in eine Existenzkrise. Rechte Parteien wie die AfD erstarken. Ähnliche Entwicklungen vollziehen sich auch in anderen Staaten Europas.

Die Lehre von Marx weiterentwickeln

Am 30. Jahrestag des Untergangs der DDR fragen sich viele ihrer ehemaligen Bürger, was haben wir falsch gemacht, wie ist die Lage, was bleibt zu tun?

Unser Hauptfehler (nicht der einzige) ist wohl, wir waren Dogmatiker. Das hatten wir mit den Kommunisten anderer Staaten gemein. Wir nahmen die Lehren von Marx, Engels und Lenin so, wie sie seinerzeit aufgeschrieben worden waren. Die Zeiten haben sich jedoch grundlegend verändert. Seither hat es mehrere industrielle Revolutionen gegeben, ist das Zeitalter der Computer und der Roboter angebrochen, erwarten wir das Aufkommen künstlicher Intelligenz. Die Soziologen unseres Jahrhunderts haben neue Erkenntnisse gewonnen. Wir dürfen deshalb nicht bei Marx stehen bleiben. Er hätte uns auch Neues zu sagen. Wir müssen seine Lehre weiterentwickeln. Daran fehlte es bei allen europäischen sozialistischen Parteien. Die Arbeiterklasse ist nicht mehr die entscheidende revolutionäre Kraft. Der Kapitalismus hat sich verändert. Große Konzerne bestimmen über Staatsgrenzen hinweg, was in der Politik der Staaten zu geschehen hat. Sie schrecken nicht davor zurück, ihre Kunden zu betrügen. Doch sie gelten als systemrelevant, d.h., die Politik muss sie erhalten, darf sie nicht gefährden. Neu ist auch, sie werden von Generation zu Generation vererbt. Bürger vieler, wenn nicht aller, europäischen Staaten sind unzufrieden. Sogenannte Volksparteien verlieren an Einfluss. Neue rechte Parteien versprechen Abhilfe und rücken vor. Auch Bewegungen linker Art haben zahlreiche Anhänger.

Der Kapitalismus herrscht unbegrenzt, zeigt aber Schwächen. Vieles funktioniert nicht mehr. Straßen und Brücken sind marode, Schulen verwahrlosen, Schwimmbäder werden vernachlässigt und schließlich geschlossen. Der Personenverkehr funktioniert unzuverlässig, weil Fahrzeuge und Schienen veraltet sind. Bauten werden teurer als geplant und später fertig, das Gesundheitswesen ist kommerziell, nicht human. Die Welt ist in einen Strudel von Veränderungen geraten. Die Erde droht unbewohnbar zu werden. Sozialismus ist der einzige reale Ausweg. Deutlich wird, der Markt hat die Katastrophe angerichtet, richten kann er nun nichts mehr. Die Medien verschleiern noch überwiegend die Situation, rühmen den Kapitalismus, verdammen den Sozialismus.

Sozialisten müssen handeln, müssen den Marxismus modernisieren und propagieren. Wir müssen langfristig denken und planen, die Schwächen des aktuellen parlamentarischen Systems überwinden. Die rasante wirtschaftliche Entwicklung analysieren, Politik muss wieder dem Volk dienen und nicht der Karriere der Parlamentarier.  

 

Anmerkung:

[1]  Alle Seitenzahlen aus: Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, München 1999.

 

Mehr von Friedrich Wolff in den »Mitteilungen«: 

2019-11: Eine Aufarbeitung der Aufarbeitung

2019-09: Die letzten Tage der DDR – Verrat oder was?

2019-07: Dreißig Jahre und weiter keine Gerechtigkeit?