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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Die Wannsee-Konferenz, 20. Januar 1942

Dr. phil. Wolfgang Biedermann, Berlin

 

Das Mordprogramm an den europäischen Juden – untrennbarer Bestandteil faschistischer Weltherrschaftspläne

 

Auf der berüchtigten und zur geheimen Reichssache erklärten Wannsee-Konferenz, arrangiert ein halbes Jahr nach dem vertragsbrüchigen Überfall auf die UdSSR, wurde die weitere organisatorische Durchführung des Massenmordes an der jüdischen Bevölkerung in Europa erörtert. [Siehe Hirsch, R./Schuder, R., Der gelbe Fleck. Berlin: Rütten&Loening 1997, S. 559.] Versammelt waren dort Personen, die auf Grund ihrer Funktion im faschistischen Repressions- und Terrorapparat über die mörderischen Kompetenzen, den Genozid industriell durchzuführen, verfügten. Reichsmarschall H. Göring, die Nr. 2 im Nazi-Staat, hier vertreten durch seinen Staatssekretär E. Neumann, ernannte R. Heydrich, [Der stellvertretende "Reichsprotektor von Böhmen und Mähren" wurde im Mai 1942 von tschechischen Widerstandskämpfern bei einem Attentat schwer verletzt und starb an dessen Folgen.] den Chef des RSHA (Reichssicherheitshauptamt), bereits am 31. Juli 1941 zum Bevollmächtigten für die Vorbereitung der "Endlösung der Judenfrage" in Europa. "Ich beauftrage Sie […] mir in Bälde einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen." [http://de.wikisource.org/wiki/Göring_an_Heydrich_über_die_Endlösung_der_Judenfrage, ohne Datum. Das exakte Datum in: Bergschicker, H., Deutsche Chronik 1933-1945. Ein Zeitbild der faschistischen Diktatur, Berlin: Verlag der Nation 1981, S. 392.]

Auf dem Wege zur Weltherrschaft Hitlerdeutschlands sollten die als "rassisch minderwertig" denunzierten Völker völlig vernichtet und andere, wie die Slawen, stark dezimiert werden. Zu den "Volks- und Reichsfeinden" zählten neben den Juden vor allem die Sinti und Roma. Das Mordprogramm begann bereits im großen Umfang auf dem okkupierten Territorium der Sowjetunion durch vier "SS-Einsatzgruppen", die unmittelbar hinter der vorrückenden Front agierten. Die "Einsatzgruppe D" (zugeordnet der 11. Armee) im Süden der Ukraine unter Befehl des höheren SS-Führers O. Ohlendorf, [Ab 1943 Ministerialdirektor im Reichswirtschaftsministerium und Kriegskostenmanager. Im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess am 10. April 1948 zum Tode verurteilt und 1951 hingerichtet.] ermordete im Zeitraum August 1941 bis Juni 1942 90.000 jüdische Sowjetbürger, einschließlich Frauen und Kinder. So in Simferopol (Krim): Das Mordkommando von W. Braune [Wie Ohlendorf im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess zum Tode durch den Strang verurteilt, 1951 vollstreckt.] tötete im Dezember 1941 innerhalb von drei Tagen über 14.300 Menschen durch Erschießen.

Die Zusammenkunft am Wannsee bilanzierte, dass per 31. Oktober 1941 537.000 Juden zur Auswanderung aus dem "Altreich", der "Ostmark" (Österreich) und aus dem "Protektorat Böhmen und Mähren" gezwungen worden waren. Die Möglichkeit zur Emigration war jetzt aber nicht mehr einzuräumen. Vielmehr sei die physische Vernichtung alles "Artfremden" auf alle besetzten Länder auszudehnen. Insgesamt, so die Berechnung der Schreibtischmörder, beträfe die "Endlösung" rund 11.000.000 europäische Juden.

Im Wannsee-Protokoll hieß es weiter codiert: "Unter entsprechender Leitung sollen im Zuge der Endlösung die Juden in geeigneter Weise im Osten zum Arbeitseinsatz kommen. In großen Arbeitskolonnen […] werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird. Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesem zweifellos um den widerstandsfähigen Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, […]. Staatssekretär Dr. Bühler [Zum Tode verurteilt und am 21. August 1948 in Krakow (Kraków) hingerichtet] stellte fest, daß das Generalgouvernement es begrüßen würde, wenn mit der Endlösung dieser Frage im Generalgouvernement begonnen würde [...]." [http://www.ns-archiv.de/verfolgung/wannsee/wannsee-konferenz.php]

Die monströse Tötungsmaschinerie begann auf Touren zu kommen.

Ghettoisierung – eine Vorstufe zum geplanten Massenmord

Ein weiterer Teilnehmer dieser Konferenz und zugleich deren Protokollführer war A. Eichmann, [1962 in Jerusalem zum Tode verurteilt und hingerichtet] Leiter des Referats IV B 4 ("Judenangelegenheiten und Räumungen") im RSHA. Das Referat hatte die Aufgabe, den jüdischen Teil der europäischen Bevölkerung zuzüglich der anderen "Fremdrassigen" in das so bezeichnete Generalgouvernement [Okkupiertes polnisches Gebiet, das nicht zum deutschen Reichsgebiet erklärt worden war] zu deportieren.

Bereits am 21. September 1939, die faschistischen Okkupanten stießen rasch und in breiter Front auf polnisches Gebiet vor, gab Heydrich erste Anweisungen zur Vertreibung und Zusammenfassung der jüdischen Bevölkerung, die bis dato im Herrschaftsbereich des deutschen faschistischen Stiefels lebten: "Es gilt grundsätzlich, dass jüdische Gemeinden mit weniger als 500 Köpfen aufzulösen und der nächstliegenden Konzentrierungsstadt zuzuführen sind." [http://www.lsg.musin.de/geschichte//geschichte/natsoz/heydrichs_bildung_Ghettos.htm] Ein ähnliches Schicksal sollte auch die nichtjüdische polnische Bevölkerung, vor allem die Intellektuellen, erwarten. Die zahlreichen Massaker, begangen an der polnischen Bevölkerung durch sogenannte Einsatzgruppen und die Wehrmacht, belegten, dass sie Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit planten und ausführten.

Der Gauleiter von Danzig, A. Forster, [Wegen Verbrechen gegen die polnische Bevölkerung zum Tode verurteilt und 1952 in Warschau hingerichtet] formulierte bereits im Herbst 1936: "Es wird noch allerhand in der Welt vor sich gehen, ich sage ihnen mit Bestimmtheit, daß Frankreich in kurzer Zeit dasselbe wird durchmachen, wie Spanien, und dann folgt England. […] Der Völkerbund hat hier in Danzig nichts mehr zu sagen. Der wird mit seiner Wurzel verschwinden, und er wird vollständig verschwinden. Und mit ihm alle die anderen, ich will ihnen offen sagen: Polen." [Aus Görings Schreibtisch, Dokument Nr. 43: Protokoll der Mitgliederversammlung der NSDAP am 20. Oktober 1936, Berlin: Dietz Verlag 1990, S. 125]

Ab Oktober 1939 begann Eichmann mit der Umsetzung der Konzeption zur Zwangsumsiedlung der Juden aus (Kattowitz/Katowice), Mährisch-Ostrau (Ostrava, Tschechien). In diesem Kontext entstanden weit über 50 Ghettos. Einige der größten sollen erwähnt werden: Warschau (Sommer 1940), Lodz (Ende 1939) und Czestochowa (April 1941). Sehr viele der Deportierten, bar jeglicher Existenzgrundlagen, waren nach Ankunft dem Tod durch Verhungern oder durch medizinische Unterversorgung geweiht. Die Ghettoisierung, die Konzentration der europäischen jüdischen Bevölkerung als Voraussetzung für den geplanten Massenmord war im Herbst 1940 bereits sehr weit vorangeschritten: "Die Juden in Warschau und anderen Städten", so der Generalgouverneur H. Frank, [Auch als "Schlächter von Polen" bezeichnet. Im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zum Tode verurteilt und am 16. Oktober durch den Strang hingerichtet] "seien jetzt in Ghettos abgeschlossen. Krakau werde in ganz kurzer Zeit judenrein sein." [Poltorak, A., Nürnberger Epilog, Berlin: Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik 1971, S. 515] Es begann zugleich die Phase, in der nach effizienten Massentötungsverfahren gesucht wurde.

In Verbindung mit der Wannsee-Konferenz errichtete die SS auf besetztem polnischen Gebiet einen neuen Typus von Konzentrationslager, ausschließlich zur physischen Vernichtung gedacht: Belžek (März 1942), Auschwitz-Birkenau oder Auschwitz II (Mai 1942), Sobibor (Mai 1942), Treblinka (Juli 1942) und Majdanek (September 1942). [Ein erstes Vernichtungslager war von der SS in Chelmno, unweit von Lodz (Dezember 1941) in Betrieb genommen worden. Juden, Roma und Sinti wurden hier in Gaswagen erstickt] An Eichmann war es, die Deportation der europäischen Juden auf dem Schienenstrang in die Ghettos und in die Vernichtungslager unter den Bedingungen knapper Transportkapazitäten exakt zu planen und durchzuführen. "Die evakuierten Juden werden zunächst Zug um Zug in sogenannte Durchgangsghettos verbracht", so die Codierung im Wannsee-Protokoll, "um von dort aus weiter nach dem Osten transportiert zu werden." [http://www.ns-archiv.de/verfolgung/wannsee/wannsee-konferenz.php] Deportierte, noch als arbeitsfähig taxiert, wurden durch Zwangsarbeit bis zur totalen physischen Erschöpfung in der Rüstungsgüterproduktion ausgebeutet ("Vernichtung durch Arbeit"). "Die Arbeitsbedingungen für die Häftlinge in den Betrieben waren so beschaffen, daß die Sterbequote sehr hoch war, […]. So wurden mit diesem Hinweis auf das rasche Sterben der Häftlinge von der Industrie immer neue Häftlinge bei der SS angefordert […], die möglichst kräftig sein sollten […], um dann erneut verschlissen zu werden." [Kühnl, R., Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten, Köln: PapyRossa Verlag 2000, S. 274]

Die Perfektionierung des Massenmords

Für das industriell organisierte Morden erwies sich das Schädlingsbekämpfungsmittel "Zyklon B" als besonders wirkungsvoll. Produziert von den "Dessauer Werken für Zucker und chemische Industrie" (Fine) und den "Kaliwerken Kolin" für die Degesch (Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung m.b.H.). Die größten Eigner der Degesch, IG Farben und Degussa, hielten je 42,5% der Anteile.

Im Frühjahr 1942 begannen in Auschwitz die großen Vernichtungsaktionen mittels Zyklon B. Zuvor, im Herbst 1941, war es hier bereits an Häftlingen ausprobiert worden. Die ersten Vergasten waren sowjetische Kriegsgefangene. Der Kommandant [Höß, R., in Polen zum Tode verurteilt und in Auschwitz 1947 gehängt] des Konzentrations- und Vernichtungslagers gab zu Protokoll: "Gelegentlich einer Dienstreise hatte mein Vertreter, der Hauptsturmführer Fritzsch, aus eigener Initiative Gas zur Vernichtung dieser russischen Kriegsgefangenen verwendet und zwar derart, daß er die einzelnen im Keller gelegenen Zellen mit den Russen vollstopfte und unter Verwendung von Gasmasken Zyklon B in die Zellen warf, und das den sofortigen Tod herbeiführte. [...] Beim nächsten Besuch Eichmanns berichtete ich ihm über diese Verwendung von Zyklon B, und wir entschlossen uns, bei der zukünftigen Massenvernichtung dieses Gas zur Anwendung zu bringen." [Zitat aus: Michalka, W., Das Dritte Reich, München 1985, Bd. 2, S. 238 f., in: Kühnl, R., a. a. O., S. 346]

Der als Zeuge auf dem Nürnberger Kriegsverbrecherprozess vernommene Höß sagte weiter aus: "Als ich das Vernichtungsgebäude in Auschwitz errichtete, gebrauchte ich also Zyklon B, eine kristallisierte Blausäure, die wir in die Todeskammer durch eine kleine Öffnung warfen. Es dauerte 3 bis 15 Minuten, […]. Eine weitere Verbesserung gegenüber Treblinka war, dass wir Gaskammern bauten, die 2.000 Menschen auf einmal fassen konnten." [Eidesstattliche Erklärung des KZ-Kommandanten Höß am 5. April 1946 in Nürnberg, in: Bergschicker, H., a. a. O., S. 419]

"Ich bin ganz normal. Wenn ich auch Millionen Menschen ins Jenseits befördert habe, habe ich doch ein ganz normales Familienleben geführt. […] Und außerdem war es allgemein anerkannt und galt für unbestreitbar, dass die Juden an allem schuld waren." [Poltorak, A., a. a. O., S. 394]

Der kleine Aufsatz soll auf ein verbrecherisches Kapitel deutscher Geschichte verweisen – den Nachgeboren zur Mahnung und zum Gedenken. Die Erinnerung an die 13 Millionen Opfer des deutschen Faschismus, Juden, Sowjetbürger, Sinti und Roma, Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge und Deportierte, muss lebendig bleiben. Genauso das Andenken an diejenigen, die Deutschland vom Faschismus befreiten; besonders die Erinnerung an den opferreichen Kampf der UdSSR und ihrer Roten Armee.

 

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