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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Vor 70 Jahren entfesselte Hitler-Deutschland den II. Weltkrieg

Dr. phil. Wolfgang Biedermann, Berlin

 

Am 1. September 1939 überfiel das faschistische Deutschland Polen – der Zweite Weltkrieg hatte begonnen. Als wichtigstes außenpolitisches Ziel der braunen Machthaber, die sich selbst als Nationalsozialisten bezeichneten, galt die Revision der Ergebnisse des Ersten Weltkrieges. Das imperiale wilhelminische Kaiserreich war bekanntlich im Kampf (1914–1918) um einen "Platz an der Sonne" gescheitert und hatte statt dessen erhebliche Gebiete eingebüßt: "Volk ohne Raum", wie die Propagandisten der NSDAP dann behaupteten und zugleich die weitere Kontinuität an den territorialen Ambitionen Deutschlands einforderten. Es versteht sich, daß diese Haltung in breiten Kreisen der politischen Klasse und der großen Industrie kaum auf Ablehnung stieß. Carl Duisberg, Aufsichtsratvorsitzender der I.G. Farbenindustrie A.G., hatte sich anläßlich der 100-Jahr-Feier der Industrie- und Handelskammer zu Düsseldorf am 23. Juni 1931, die NSDAP gewann an Wählerstimmen, wie folgt geäußert: "Fortwährend ruft das deutsche Volk nach einem Führer, der es aus seiner unerträglichen Lage befreit. Kommt nun ein Mann, der bewiesen hat, daß er keine Hemmungen hat, und der gesonnen ist, den Geist der Frontgeneration in friedlicher Befreiungsarbeit einzusetzen und zu verwirklichen, so muß diesem Mann auch unbedingt Folge geleistet werden." [http://www.bufata-chemie.de/reader/ig-farben/0300.html. Zitat in: Schneckenburger, A., Die Geschichte des I.G. Farben-Konzerns; Bedeutung und Rolle eines Großunternehmens. Köln: Pahl-Rugenstein 1988; S. 52.]

Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident von Hindenburg den "böhmischen Gefreiten" Hitler zum Kanzler. Bereits ein Jahr zuvor, am 26. Januar 1932, trafen sich Hitler und einige seiner engsten Kumpane, Hermann Göring und Ernst Röhm, im Industrieclub von Düsseldorf mit Vertretern der großen Industrie. [Einige einflußreiche Vertreter seien hier kurz genannt. Albert Vögler (1877–1945, Selbsttötung), Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke AG, Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Fritz Thyssen (1873–1951), Industrieller der Montanindustrie. Jost Henkel (1909–1961), Waschmittelfabrikant, Präsident des Industrieclubs.]

Spätestens ab diesem Zeitpunkt bestand wohl Konsens bei den wirtschaftlichen Eliten, daß "der Führer" eigentlich "ihr Mann" sei und einem Arrangement mit ihm nichts mehr im Wege stand. Hitler ließ wiederholt keinen Zweifel aufkommen, wohin die Reise gehen werde, so die "politische Macht gewonnen": "Eroberung neuen Lebensraumes im Osten und dessen rücksichtlose Germanisierung. Sicher, das erst mit pol[itischer] Macht u[nd] Kampf jetzige wirtsch[aftliche] Zustände geändert werden können." [Siehe Ausführungen Hitlers vor den Befehlshabern von Heer und Marine am 3. Februar 1933, in: Bergschicker, H., Deutsche Chronik 1933–1945. Ein Zeitbild der faschistischen Diktatur. Berlin: Verlag der Nation, S. 146.] Die "politische Macht gewonnen" bedeutete die Abschaffung des parlamentarischen Systems der Weimarer Republik: "Straffste autoritäre Staatsführung. Beseitigung des Krebsschadens der Demokratie." [Ebenda, S. 52.] Die Änderung der "jetzigen wirtschaftlichen Zustände" hieß nichts anderes als die gewaltsame Neuordnung Europas im Sinne einer Pax Germanica, die für Deutschland langfristig die Selbstversorgung (Autarkie) sichern sollte. Die Autarkie, damals auch ein Modebegriff, war zum einen der Weg als auch eines der (ideologisch) bestimmten Fernziele. [Siehe Niederschrift einer Besprechung Hitlers mit den Ministern v[on] Blomberg und v[on] Neurath sowie allen Oberbefehlshabern am 5. November 1937 in der Reichskanzlei, in: Bergschicker, H., a. a. O. S. 261.]

Das wichtigste Instrument zur Schaffung eines großdeutschen Lebensraumes, in östlicher Richtung bis zum Ural, sollte die Wehrmacht sein. Vor diesem Hintergrund erklärte Deutschland am 15. Oktober 1933 den Austritt aus dem Völkerbund. Anderthalb Jahre später, am 16. März 1935, trat das Gesetz über den Aufbau der Wehrmacht in Kraft. Im §1 hieß es: "Der Dienst in der Wehrmacht erfolgt auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht."

Im Zeitraum von nur sieben Jahren (1933–1939) war aus Deutschland, ohne nennenswerten Widerstand seitens der Westmächte, ein bis an die Zähne hochgerüstetes Land geworden: Die Arsenale waren zum Bersten gefüllt, die Wehrmacht personell aufgestockt sowie mit (damalig) modernsten Waffen versehen. Im Lande selbst herrschte in Ergänzung ein flächendeckender staatlicher Repressions- und Terrorapparat, um jeglichen Widerstand gegen eine Politik, die, und das soll betont werden, auf einem rassistischen und antikommunistischen Weltbild (zur Legitimierung des Aggressionskurses) basierte, zu unterdrücken. Diese Knute diente zugleich der Disziplinierung eines großen Teils der deutschen Bevölkerung. Ein Höchstmaß an Konformität durch Anpassungsdruck im Inneren war zu organisieren. Zur flächendeckenden Repression zählte beispielsweise die Gesetzgebung. Erinnert sei hier an das "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" und an das "Gesetz zum Schutz der deutschen Erbgesundheit" (Nürnberger Gesetze) oder an die Installation der Blockleiter als omnipräsente Nachbarn. Bemerkt werden soll, daß alle Bereiche des öffentlichen Lebens, so auch die Kunst, die Literatur und der Film, diesem Ziel, wenn auch hier in subtileren Formen, unterworfen worden waren.

Die Deutsche(n) Bank(en) kreditiert(en )die Aufrüstung

Bei den mächtigen Finanzinstituten, die in diesem Zusammenhang eine große Rolle spielten, ist zunächst zwischen der Reichsbank, als finanzieller Vertreter der deutschen Regierung, und den privaten Einrichtungen (Deutsche Bank, Dresdner Bank, um nur diese zu nennen) zu unterscheiden. Hier soll jedoch nur auf das Wirken der Deutschen Reichsbank eingegangen werden. [Zur Geschichte der Deutschen Bank siehe Czichon, E., Deutsche Bank – Macht – Politik. Faschismus, Krieg und Bundesrepublik, Köln: PapyRossa Verlag 2001.]

Hjalmar Schacht (1877–1970), Präsident der Deutschen Reichsbank (1933–1939) und zeitweiliger Leiter des Reichswirtschaftsministeriums (1934–1937) war einer der Hauptangeklagten im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß. Er organisierte unter anderem das deficit spending (Staatsverschuldung) zum Zwecke der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung.Diese Fiskalpolitik bedeutete die zusätzliche Verschuldung durch ein massives Rüstungsprogramm, [Nicht die Stimulierung der Konsumgüterproduktion durch Einkommenserhöhung der privaten Haushalte und hieraus folgende Reduzierung der Erwerbslosigkeit, war das wirtschaftspolitische Ziel der Hitlerregierung.] im damaligen Jargon als "Wehrhaftmachung" bezeichnet. Zusätzlich, denn das Deutsche Reich hatte bis zum Jahre 1988 in Summa 122 Mrd. Goldmark an Reparationsleistung für die angerichteten Zerstörungen in den überfallenen Gebieten aufzubringen, so die (Neu)Regelung der Wiedergutmachung im Young-Plan von 1929. Eine Hypothek, die noch aus dem verlorenen Ersten Weltkrieg stammte.

Bei einer solchen Bürde erwies sich der Reichsbankpräsident als "Finanzakrobat": "Der Umstand, daß unsere Rüstung bis zum 16. März 1935 [Gesetz über den Aufbau der Wehrmacht, W. B.] völlig und seitdem immer noch zum größten Teil getarnt werden muß, hat dazu geführt, daß die Notenpresse schon zum Anfang des ganzen Rüstungsprogramms in Anspruch genommen worden ist, […]. Im Portefeuille der Reichsbank von 3.775 Millionen + 866 Millionen abgezweigte Wechsel = insgesamt 4.641 Millionen machen die Rüstungswechsel RM 2.374 Millionen Reichsmark aus. Die Reichsbank hat die ihrer Verwaltung zugänglichen, den Ausländern gehörenden deutschen Markbeträge größtenteils … in Rüstungswechsel angelegt. Unsere Rüstungen werden also zu einem Teil mit den Guthaben unserer politischen Gegner finanziert." [Siehe Denkschrift H. Schacht vom 3. Mai 1935, in: Bergschicker, H., a. a. O., S. 208.] Ergo, Finanzierung der Rüstung mittels der Notenpresse sowie der in der Reichsbank befindlichen Depositen von Ausländern!

Für das Arbeitsbeschaffungsprogramm, wahrlich keine Erfindung des NS-Regimes, waren im Zeitraum Frühjahr 1933 bis Ende 1935 vier Mrd. RM ausgegeben worden. [Siehe Schmelzer, J., Devisen für den Endsieg. Görings Geschäftgruppe Devisen, die Schweiz und die deutsche Wirtschaft, Stuttgart: Schmetterling Verlag 2003, S. 25.] Hier bleibt anzumerken, daß alle Maßnahmen zur Reduzierung der Erwerbslosigkeit (Arbeitsbeschaffung) spätestens ab Mitte 1934 ausschließlich unter dem Blickwinkel der "Wehrhaftmachung" organisiert wurden. [Siehe Barkai, A., Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus: Ideologie, Theorie, Politik 1933 – 1945, Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1988, S. 156.] Die Minimierung des Erwerbslosenheeres bis in die Mitte der 1930er Jahre, von 4,8 auf 1,5 Mio., war ein Resultat, das die Macher mit viel Lärm und Getöse in die Welt posaunten. Immerhin mit nachhaltiger Wirkung: "Hitler, der hat Arbeitsplätze geschaffen", war noch Jahrzehnte später häufig zu vernehmen.

Ein weiteres von Schacht initiiertes Instrument zur Vorfinanzierung der Rüstung waren die Mefo-Wechsel (ab 1934). Zu diesem Zweck wurde, aber jedoch nur zum Schein, die Metallurgische Forschungsgesellschaft m.b.H (Mefo) gegründet. Das Stammkapital, lediglich eine Mio. RM, war von den Konzernen Gutehoffnungshütte, Krupp, Rheinmetall und Siemens gezeichnet worden. Die Reichsbank erklärte sich bereit, diese Wertpapiere, obwohl durch nichts gedeckt, jederzeit(!) in Bargeld umzutauschen. Alle Unternehmen, die im Auftrage des Staates Rüstungsgüter produzierten, stellten nun Mefo-Wechsel [OMGUS. Ermittlungen gegen die Deutsche Bank 1946/1947, Nördlingen: Franz Greno 1985, S. 137.] aus, die ab einem bestimmten Zeitpunkt (letztlich 1942) fällig waren. Für Schacht war es ohnehin klar, daß erst durch die Ausplünderung der okkupierten Länder, die mittlerweile völlig marode Staatskasse saniert werden konnte. [Siehe Poltorak, A., Nürnberger Epilog, Berlin: Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik 1973, S. 449 f.]

Die nachfolgende Tabelle belegt die Rüstungsausgaben.

Tabelle: Rüstungsausgaben (Mrd. RM)[Boelke, W. A., Die Kosten von Hitlers Krieg. Kriegsfinanzierung und finanzielles Kriegserbe in Deutschland 1933–1948, Paderborn: Schöning 1985, S. 28, Tabelle 5, in: Schmelzer, J., a. a. O., S. 45.]

 

1933

1934

1935

1936

1937

1938

1939

Total

 

1,9

1,952

2,772

5,821

8,273

17,247

11,928

 

Mefo

2,145

2,715

4,452

2,688

 

1,9

4,097

5,487

10,273

10,961

17,247

11,928

61,893

Über 60 Mrd. RM waren ausgegeben worden. Hiervon waren rund 12 Mrd. RM Wertpapiere (Mefo-Wechsel), die als Kredit der Reichsbank an den Staat fungierten. [Ihre Verwendung zur Finanzierung der Reichsausgaben (die Reichsbank durfte entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen der Regierung lediglich 400 Mill. RM leihen), konnte daher um viele Milliarden überschritten werden. Siehe OMGUS, a. a. O., S. 138.] Alles in allem ein gewaltiges Budget, wenn zudem in Betracht gezogen wird, daß eine Reichsmark in diesem Zeitraum eine Kaufkraftäquivalenz von ungefähr 3,5 Euro repräsentierte. [http://de.wikipedia.org/wiki/Reichsmark]

Der Vierjahresplan (1936-1939)

Für 1936 weist die Tabelle eine Verdopplung des Rüstungsbudgets zum vorangegangenen Jahr 1935 auf. Der Vierjahresplan, eigentlich ein Plan der I.G. Farben A.G. [... von Anilin bis Zwangsarbeit, www.bufata-chemie.de/reader/ig_farben/0303.html. Dieser Konzern verhalf den Nazis zur relativen Unabhängigkeit bei kriegswichtigen Rohstoffen und beförderte somit den jahrelangen faschistischen Aggressionskrieg. Die entscheidenden Manager in der Vierjahresplanbehörde waren Leute der I.G. Farben. Siehe Schmelzer, J., a. a. O., S. 157 ff. (Anhang, Kurzbiographien).], war verkündet worden. Beauftragter wurde Göring. Deutschland trat in die Phase der beschleunigten Kriegsvorbereitung ein: "Er (Göring, W. B.) habe vom Führer den Auftrag, die Rüstung abnorm zu steigern, wobei in erster Linie die Luftwaffe stände. […] auch die Marine müsse schneller rüsten, und das Heer müsse schneller große Mengen von Angriffswaffen schaffen, in sonderheit schwere Artillerie und schwere Tanks. […] Die Wirtschaft müsse voll umgestellt werden. Es sei sofort eine Untersuchung aller Produktionsstätten einzuleiten, ob sie auf die Rüstung und den Export (Devisenerwirtschaftung, W. B.) umgestellt werden können oder stillzulegen seien …" [Siehe Protokoll einer Vierjahresplan-Besprechung bei Göring am 14. Oktober 1938, in: Bergschicker, H., a. a. O., S. 267.] Im Jahr 1938 erreichten die Ausgaben für die Rüstung ihren Höhepunkt.

Die Aufgabe des Vierjahresplans bestand unter anderem darin, bestehende kriegsrohstoffliche Abhängigkeiten vom Ausland zu kompensieren. Neben Gummi betraf es vor allem die ausreichende Verfügbarkeit von Treib- und Schmierstoffen aller Art. Das Ansteigen der Rüstungsausgaben ist daher auch im Kontext der Errichtung und Inbetriebnahme zahlreicher Kohlehydrieranlagen zur Treibstoffherstellung zu sehen. Ein teures und ohnehin unrentables Verfahren, das aber ganz im Sinne der Nazis und ihrer aggressiven Pläne war, da es sich auf die einheimische Rohstoffbasis stützen konnte (Autarkie). Der Fiskus übernahm nicht nur die Produktionskosten, das heißt alle finanziellen Risiken, die bei der Überführung der Benzinsynthese in den großtechnischen Maßstab auftraten, sondern den Betreibern (Kapitalbesitzern) wurde noch eine Rendite von 5 v. H zugesichert. [http://public.beuth-hochschule.de/~asta/igfarben/pdf_tafeln/11%20vierjahr.pdf] Anders formuliert: Der NS-Staat schützte jene nicht nur vor der Pleite, sondern garantierte obendrein noch einen satten Profit. Die hieraus resultierende Zeche sollten ja ohnehin andere begleichen.

Als wichtige Quellen der modernen Kriegsfinanzierung, so die Sicht des Reichsfinanzministers, galten unter anderem die Beschränkung des privaten Verbrauchs zugunsten des kriegswirtschaftlichen Bedarfs und die Heranziehung von Auslandskapital, [Siehe Schmelzer, J., a. a. O., S. 27.] soll Ausraubung heißen. Die Ausplünderung der eroberten Gebiete in allen ihren Formen, beispielsweise durch Erhebung von Besatzungskosten oder Zwangsarbeit, ermöglichte eine lange und intensive Kriegsführung Deutschlands. [Siehe Barkai, A., a. a. O., S. 223 ff.] Ein spürbarer Mangel an Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs sollte nicht für Irritationen sorgen. Das NS-Regime war intensiv bemüht, das Gros der deutschen Bevölkerung, de facto bis fünf Minuten nach zwölf oder bis zum bitteren Ende, bei der Stange zu halten.

 

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