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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Die Vernichtung von Lidice

Dr. phil. Wolfgang Biedermann, Berlin

 

Barbarische Straf- und Vergeltungsmaßnahmen waren ein fester Bestandteil faschistischer Repressions- und Vernichtungspolitik in den besetzten Ländern, vor allem im östlichen Europa. Die Auslöschung von Gemeinden oder Städten beispielsweise war wie folgt zu organisieren: "Die Vorbereitung der Zerstörung der Ortschaften hat so zu erfolgen, a) daß die Zivilbevölkerung bis zur Bekanntgabe keinen Verdacht schöpft, b) daß die Zerstörung an zahlreichen Stellen zugleich schlagartig zur befohlenen Zeit einsetzen kann. […] An dem betreffenden Tag sind die Ortschaften besonders scharf dahingehend zu überwachen, daß keine Zivilperson die betreffenden Ortschaften verläßt, besonders von dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der Zerstörung an." [Auszug aus einem Befehl an das 512 Infanterieregiment vom 10. Oktober 1941, in: www.zeno.org/Geschichte/M/Der+Nürnberger+Prozeß/Hauptverhandlungen/Fünfundsechzigster+Tag.+Freitag,+22.+Februar+1946/Vormittagssitzung]

Vor 70 Jahren, am 10. Juni 1942, vernichteten die deutschen Faschisten das Bergarbeiterdorf Lidice. Das Dorf bestand aus 102 Häusern und beherbergte 503 Einwohner. Erschossen wurden alle männlichen Bewohner (184) ab einem Alter von 16 Jahren. Die 198 Frauen wurden in das KZ Ravensbrück verschleppt und 82 Kinder starben in den Gaswagen [Lastkraftwagen, versehen mit einem luftdichten Kastenaufbau. Durch Einleitung der Motorabgase (Kohlenmonoxid) erstickten die Eingesperrten] des Vernichtungslagers Chelmno. Eine kleine Anzahl von Kindern war zur "Eindeutschung" auserwählt worden. Die Häuser wurden dem Erdboden gleichgemacht.

Das Massaker und die Einebnung des Dorfes waren die unmittelbare Antwort der Okkupanten auf das Ableben (4. Juni 1942) des "Stellvertretenden Reichsprotektors von Böhmen und Mähren" und Leiter des RSHA (Reichssicherheitshauptamtes), R. Heydrich. Tschechische Widerstandskämpfer aus englischer Emigration, Josef Gabcik und Jan Kubis, verletzten am 27. Mai 1942 den "Schlächter von Prag" auf seinem alltäglichen Weg zur Residenz auf den Hradcany (Hradschin) tödlich.

Heydrich war der Bevollmächtigte [Siehe Biedermann, W., Die Wannsee-Konferenz, 20. Januar 1942, in: Mitteilungen 01/2012] zur Vernichtung der europäischen Juden (codiert als "Endlösung der Judenfrage") und anderer "minderwertiger Rassen" in Europa. Er galt aus Sicht Hitlers als der Mann, der den Widerstand im "Protektorat" gegen die deutschen Besatzer niederhalten könne. Adäquat äußerte Heydrich in der Nazi-Terminologie am 4. Februar 1942: "Der Tscheche, der – und das möchte ich hier nochmals feststellen – als überwiegend slawischer Mensch sich biegt, ohne gebrochen zu sein, ist eben in der Beziehung gefährlicher und anders zu behandeln als andere Menschen. Den nordischen, den germanischen Menschen überzeugt man oder man bricht ihn – den tschechischen, slawischen Menschen kann man sehr schwer überzeugen. (…) Und die Konsequenz ist, daß man den Daumen dauernd darauf halten muß, daß er eben immer gebogen bleiben muß, damit er pariert und zieht." [Aus der Rede Heydrichs. Zitiert von M. Weißbecker, in: die-linke-weissenburg.de/index.php, siehe auch www.jungewelt.de/2011/11-05/020.php]. In den ersten drei Monaten seines Wirkens als "Stellvertretender Reichsprotektor" wurden annähernd 500 Todesurteile gefällt, über 5.000 Tschechen gerieten in Haft.

Es ist hier zugleich die Gelegenheit, den Leser an die kleine ostböhmische Gemeinde Ležáky zu erinnern. Im Unterschied zu Lidice hatte Ležáky etwas mit dem antifaschistischen Widerstand zu tun. In diesem kleinen Dorf war ein Sender verborgen, über den Berichte an die tschechoslowakische Exilregierung in London gefunkt wurden.

Der Vernichtungswille "Heydrichiáda" ("Heydrichiade") des deutschen Repressionsapparates im Kontext des Attentats erreichte am 24. Juni 1942 das etwa 50 Einwohner zählende Dorf: Am frühen Nachmittag war die kleine Gemeinde von SS und Sicherheitspolizei umzingelt. Alle Einwohner, 16 Männer, 17 Frauen und 14 Kinder wurden in das Gestapo-Quartier nach Pardubice transportiert. Die Männer und Frauen wurden noch am selben Tage erschossen. Die Kinder, die nach Ansicht der Nazis nicht zur Germanisierung taugten, kamen in ein KZ. [Aus der Rede Heydrichs. Zitiert von M. Weißbecker, in: die-linke-weissenburg.de/index.php, siehe auch www.jungewelt.de/2011/11-05/020.php].

"Lezhaky wurde wie Lidice dem Erdboden gleichgemacht und der Boden, auf dem es stand, ist jetzt bedeckt mit Schutt." [http://www.zeno.org/Geschichte/M/Der+Nürnberger+Prozeß/Hauptverhandlungen/Fünfundsechzigster+Tag.+Freitag,+22.+Februar+1946/Vormittagssitzung].

Ein weiterer Ort und dessen Einwohner waren nach dem Prinzip der "verbrannten Erde" von der Erdoberfläche verschwunden.

 

Mehr von Wolfgang Biedermann in den »Mitteilungen«: 

2012-01: Die Wannsee-Konferenz, 20. Januar 1942

2011-06: Der Antisemitismus als Mittel im Kampf um die deutsche Weltherrschaft

2010-06: Die »Neuordnung Europas« unter deutscher Ägide