Die Schlacht am Kursker Bogen (5. bis 16. Juli 1943)
Dr. phil. Wolfgang Biedermann, Berlin
Der endgültige Umschwung im II. Weltkrieg
Im Juli 2013 jährte sich zum 70. Male die wuchtigste Schlacht während des II. Weltkrieges, deren Ausgang zum unumkehrbaren Debakel für das nazistische Deutsche Reich wurde. Der bisherige Verlauf der faschistischen Aggression auf dem Gebiet der Sowjetunion (Plan "Barbarossa") deutete bereits die strategische Wende an: das Scheitern der Blitzkriegsstrategie vor den Toren Moskaus (Operation "Taifun") im Oktober bzw. Dezember 1941 und die Kapitulation der 6. Armee bei Stalingrad (Februar 1943). Seit Beginn der Operation "Barbarossa" schlug den Okkupationstruppen ein bis dato für sie unbekannter Widerstand entgegen. Eine Gegenwehr, die die anfänglich überlegene Schlag- und Feuerkraft der Hitlerwehrmacht und ihrer Bündnispartner absorbiert hatte.
In diesem Kontext soll bemerkt werden, dass der Sieg der Roten Armee vor Moskau jedoch die tatsächliche Zäsur des II. Weltkrieges war. [1] In das Getriebe der aggressiven räuberischen Kriegsmaschinerie war Sand geraten, der ein tieferes Vordringen nach Osten aussichtslos erscheinen ließ.
Die OKW-Weisung Nr. 41 (April 1942) sollte diesen Zweifel jedoch gegenstandslos machen: erneuter Vorstoß nach Südosten, die Eroberung des erdölreichen Kaukasus (Tor zum Nahen Osten [2]) und die restlose Vernichtung der "russischen Kräfte". [3] Zu diesem Zweck waren bis zum Herbst gleichen Jahres 266 Divisionen disloziert. [4] Deutschland nebst seinen Verbündeten verfügte zu diesem Zeitpunkt an der Hauptfront des II. Weltkrieges, die zeitweilig eine Länge von 2000 km hatte, noch immer über eine personelle und materielle Überlegenheit. Doch das Kräfteverhältnis hatte sich allmählich zugunsten der UdSSR verändert.
Gemäß der Bezeichnung "Zitadelle" sollte der weitere Vormarsch der Roten Armee in Richtung Westen für längere Zeit behindert, wenn nicht gar unmöglich gemacht werden. Im Befehl Hitlers hieß es dazu: "Diesem Angriff kommt daher ausschlaggebende Bedeutung zu. […] Er muss uns die Initiative für dieses Frühjahr und Sommer in die Hand geben. […] Hierzu befehle ich. 1.) Ziel des Angriffs ist, durch scharf zusammengefassten, rücksichtslos und schnell durchgeführten Vorstoß je einer Angriffsarmee aus dem Gebiet Belgorod und südlich Orel [Orjol] die im Gebiet Kursk befindlichen Feindkräfte einzukesseln und durch konzentrischen Angriff zu vernichten." [5]
An die Heeresgruppen Mitte und Süd sowie an die 4. und 6. Luftflotte erging der Befehl zum 5. Juli 1943 die Operation "Zitadelle" durchzuführen. Bei Prochorowka südöstlich von Kursk entwickelte sich die historisch größte Panzerschlacht, die mit einem Unentschieden endete. Rund 700 sowjetische Tanks und Sturmgeschütze standen 500 deutschen auf engstem Raum gegenüber.
Die Bilanz der intensiven Gefechte am Kursker Bogen waren hunderttausende Tote und Vermisste - der weitaus größere Teil davon auf Seiten der Roten Armee.
Das Vorhaben "Zitadelle", die letzte Großoffensive der deutschen Wehrmacht an der Ostfront, erlitt in Gänze ein Fiasko. Die strategische Initiative, die die Hitlerwehrmacht offensichtlich eingebüßt hatte, konnte nicht wieder errungen werden.
Mehr noch. Die Rote Armee bewirkte mit der erfolgreichen Orjoler Operation (Орловская операция, 12. Juli bis 18. Juli) den weiteren Rückzug der deutschen Truppen in Richtung Westen für dieses Gebiet.
In der Weltöffentlichkeit hatte die Sowjetunion bewiesen, dass sie in der Lage war, unter Anspannung aller verfügbarer Ressourcen sukzessive die Wende im Großen Vaterländischen Krieg (Великая Отечественная война) bzw. im II. Weltkrieg nicht nur herbeizuführen, sondern auch als unwiderruflich zu gestalten. Es ist auch das Jahr, in dem der in Bedrängnis geratene Kriegsblock Hitlerdeutschlands erste Risse bekam.
Die weitere Polarisierung der Kräfte
Unter dem Druck des Kriegsgeschehens in der Sowjetunion erklärten zum 1. Januar 1942 die 26 Staaten der Anti-Hitlerkoalition, "daß ein vollständiger Sieg über den Feind von größter Bedeutung für die Verteidigung der Existenz, Freiheit und Unabhängigkeit der Nationen, die Erhaltung der Menschenrechte" ist.
In diesem Kontext versuchten Mitte August 1942 die anglo-amerikanischen Alliierten eine Landung an der Kanalküste Frankreichs (bei Dieppe). Das wohl eher aus propagandistischer Motivation heraus gestartete Unternehmen scheiterte erbärmlich und brachte der Roten Armee an ihren Fronten keine Entlastung. [6] Hingegen siegten im Oktober/November 1942 britische Einheiten bei El Alamein (Ägypten) über deutsch-italienische Truppen, im November 1942 landeten alliierte Verbände in Nordafrika (Marokko, Algerien).
Auf der Konferenz von Casablanca (Januar 1943) vereinbarten Roosevelt und Churchill - Stalin konnte kurz vor der deutschen Kapitulation im Kessel von Stalingrad nicht anwesend sein - die Landung amerikanischer Truppen auf Sizilien. Als strategisches Kriegsziel wurde die bedingungslose Kapitulation der Achsenmächte Deutschland, Italien und Japan fixiert. Die Eröffnung der Zweiten Front, dann als Operation "Overlord" bezeichnet, war jedoch erst im Mai 1944 vorgesehen (Konferenz führender westlicher Alliierter in Quebec, August 1943).
Memento
Eine Lehre aus dem internationalen politischen Geschehen im Vorfeld des II. Weltkrieges besteht darin, dass der Frieden nicht teilbar ist. (Wiederaufrüstung Deutschlands, Appeasement resp. Münchner Abkommen, "komischer Krieg" ["drôle de guerre"]). Dies gilt auch für die Gegenwart.
Vor diesem Hintergrund soll hier der 8,6 Millionen [7] gefallenen Sowjetsoldaten gedacht werden, die nicht nur ihre Heimat verteidigt und befreit haben - von Kursk bis Berlin war es für die Rote Armee noch ein langer, opferreicher Weg. Sie gaben, wie auch ihre Verbündeten [8], ihr Leben für die Schaffung eines allumfassenden Friedens in Europa und der Welt. Der Krieg muss als Mittel der Politik geächtet sein.
In diesem Sinne erklärte der russische Präsident Putin am 9. Mai 2013 zum 68. Jahrestag des Sieges über den Hitlerfaschismus: "Wir haben nicht vergessen, was eine Kriegstragödie bedeutet, und werden alles tun, damit niemand es jemals mehr wagt, einen Krieg zu entfesseln und unsere Kinder, unser Haus und unseren Boden zu bedrohen. Wir tun alles, um die Sicherheit auf dem Planeten zu festigen." [9]
Anmerkungen:
[1] www.historisches-centrum.de/forum/roehr03-1.html, Stalingrad: Von der Hybris zur Nemesis. Wissenschaftliches Colloquium zum 60. Jahrestag der Schlacht von Stalingrad, Resümee von W. Röhr; siehe auch www.russland.ru/kapitulation1/morenews.php?iditem=42.
[2] Diese Region hatte bereits vor dem Ersten Weltkrieg die Begehrlichkeiten des imperialen Wilhelminischen Kaiserreichs geweckt. Siehe Anton Latzo, Deutsche Bagdadbahnpolitik, in: Mitteilungen der Kommunistischen Plattform, Heft 7/2013.
[3] Vgl. Bergschicker, H., Deutsche Chronik 1933-1945, Berlin: Verlag der Nation, S. 471.
[4] Im Gegensatz zu Afrika: dort kämpften knapp 12 deutsche und italienische Divisionen.
[5] Bergschicker, H., a.a.O. S. 462.
[6] Bergschicker, H., a.a.O. S. 346 ff.; siehe auch: www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_12/LP15412_310812.pdf.
[7] de.rian.ru/russia/20090505/121447826.html.
[8] de.wikipedia.org/wiki/Kriegstote_des_Zweiten_Weltkrieges.
[9] de.ria.ru/politics/20130509/266081178.html.
Mehr von Wolfgang Biedermann in den »Mitteilungen«:
2012-06: Die Vernichtung von Lidice
2012-01: Die Wannsee-Konferenz, 20. Januar 1942
2011-06: Der Antisemitismus als Mittel im Kampf um die deutsche Weltherrschaft