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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Theodor Fontane

Moritz Hieronymi, Peking

 

Vom Reaktionär zum Altpreußen

 

Bismarck ist tot. Als sich die Nachricht über das Ableben des Reichkanzlers a.D. verbreitete, saß Fontane weinend an seinem Schreibtisch. [1] Wenige Wochen und eine hitzige Debatte um die letzte Ruhestätte Bismarcks drauf, würdigte der berühmte 78-jährige Schriftsteller sein Idol in dem Gedicht Wo Bismarck liegen soll:

Und kommen nach dreitausend Jahren / Fremde hier des Weges gefahren / […] Und staunen der Schönheit und jauchzen froh, / So gebietet einer: »Lärmt nicht so! – / Hier unten liegt Bismarck irgendwo.«

Theodor Fontane, der Autor von Effi Briest und der Ballade John Maynard, hat Generationen von Schulkindern geprägt. Sein Werk gehört zum Kanon der deutschen Literatur. Dabei war Fontane je nach politischer Façon nie unumstritten und immer schwer einzuordnen. Fontane zwischen Reaktionär und Altpreußen – zu seinem 125.Todestag lohnt es sich, einen Blick auf diesen politisch ambivalenten Schriftsteller zu werfen.

Reaktionär in der Kreuzzeitungs-Bewegung

Der Kulturwissenschaftler Jens Bisky sagte über Fontane, dieser sei Künstler mit Ausnah­me des Revolutionsjahres 1848/49; hier sei er Aktivist gewesen. [2] Dieser reflexartige Ver­weis auf die Revolutionsjahre von progressiven Literaturwissenschaftlern ist typisch, wenn es zu dem Politischen in Fontane kommt. Dabei lässt sich anzweifeln, ob der Fontane von 1848 ein größerer Aktivist war als der von 1862.

In diesem Jahr brach in der preußischen Politik ein Streit über das Armeebudget aus. König Wilhelm I. musste damit rechnen, seine Aufrüstungsbestrebungen nicht durchsetzen zu können, und löste in der Hoffnung neuer Mehrheitsverhältnisse das Parlament auf. Dieser Gelegenheit gewahr, stellte sich Fontane, angeworben vom Hauptmann a.D. Freiherr von Ledebur, der Kreuzzeitungspartei, den späteren Altkonservativen als Wahlmann zur Verfü­gung. [3]

Die Kreuzzeitungspartei ist aus der gleichnamigen Tageszeitung entstanden. Das Blatt wur­de vom Comité der konservativen Rechten im Jahr 1848 als konterrevolutionäres Presseor­gan gegründet. In der u.a. von Otto von Bismarck, Friedrich Julius Stahl und Ludwig von Gerlach geschaffenen Kreuzzeitung wird die Standesgesellschaft verteidigt, die Bourgeois bekämpft und die Politik des Königs gerechtfertigt. Im Sinne eines späten Preußentums sollte alles »Undeutsche« im Besonderen der Liberalismus und der Atheismus bekämpft werden. [4] Seit 1856 arbeitete Fontane zuerst als London-Korrespondent, später als freier Journalist für das Blatt.

Diesen Wandel vom Anhänger des Nationalliberalismus zum »aufrichtig[en] conserva-tiver[n]«, später gar zum »wackeren Reaktionären«, [5] erklärte Fontane saloppmit dem Älter­werden. Die tatsächlichen Beweggründe dieses Sinneswandels werden in der Literaturwis­senschaft vielfältig diskutiert. Unzweifelhaft waren die Arbeitsbedingungen in der Kreuzzei­tung weniger rückständig als ihre politische Ausrichtung. Fontane erhielt ein regelmäßiges und gutes Gehalt und konnte zu Themen schreiben, die ihm gelegen waren. Während die­ser Zeit wurden in Regelmäßigkeit die Märkischen Bilder veröffentlicht, ein Reisefeuilleton, welches später als Wanderungen durch die Mark Brandenburg zum bedeutenden Teil des Fontane’schen Werkes und bis heute identitätsstiftend für den Berlin-Brandenburger Raum wurde. [6] – Dennoch ist anzuzweifeln, dass die Arbeit für die Kreuzzeitung aus rein opportu­nistischen Erwägungen erfolgte. So ist die subtile Kraft der Wanderungen nicht zu unter­schätzen: Zwar brillierte der Autor im Stile eines bürgerlichen Realismus, dennoch wird von Fontane ein Nationalbewusstsein protegiert, dass dem Preußenbild von König Wilhelm I. näher kommt als dem des Alten Fritzen.

War es der Übereifer der Kreuzzeitung gegenüber oder der insgeheime Traum zu Höherem? Fontane wollte ins Parlament und fiel mit besonders radikal antidemokratischen Parolen auf. Emilie Fontane warnte ihren Mann, dass ihr Haus »als nächstes vom Volk gestürmt« werden könnte. Der Schriftsteller machte sich zusehends zum öffentlichen Gespött, woraufhin das alt-ehrwürdige Satiremagazin Kladderadatsch Fontane als dünnes Männlein karikierte, der die Bodenhaftung verloren hatte. Fontane verlor in seinem Wahlkreis haus­hoch. [7] Um der Schmach zu entkommen, entfloh er Berlin und setze die Wanderungen fort. Während seiner Stippvisiten im Spreewald, in Beeskow und Fürstenwalde traf er auf feiern­de Dorfbewohner, die den Sieg der liberalen Opposition betranken. Fontane, der nie wie­der für eine Partei antreten würde, hatte in zweierlei Hinsicht verloren: Ein politisches Amt und die realistische Sicht auf die Stimmungen im Lande.

In seinem letzten Lebensjahr, als Fontane seine biographischen Skizzen Von Zwanzig bis Dreißig verfasste, versuchte er diese Epoche aufzuarbeiten. Darin beschrieb er seine Distanzierung von der nationalliberalen Presse und welche »Gruselvorstellung« er von der Kreuzzeitung hatte. Der alte Fontane hatte nachträglich mit der Reaktion gebrochen. [8]

Die Preußische Idee

In dem kontroversen und gegenwärtigsten Roman Der Stechlin findet Fontane das Gleich­nis seiner Welt in der Beschreibung einer kranken Aloe, die zur Zierde einen Innenhof schmückte. Diese konnte nur noch die Aufmerksamkeit von Besuchern auf sich ziehen, weil Samen eines Wasserliesch jedes Jahr mit weißen und roten Dolden den Blumenkübel zum Erblühen brachten. [9]

Dieses letzte Werk bringt die gesamte Ambivalenz des politischen Fontane zum Vorschein. Der Stechlin wird zum großen Gesellschaftsroman, der die Zustände in der märkischen Provinz pars pro toto für das gesamte Preußen beschreibt. Dieser letzte Blick gerät nicht zur zuckersüßen Retrospektive auf die alte Zeit, genauso wenig zu fortschrittsschwangeren Jubelrufen. Zur Kontextualisierung ist es hilfreich auf Fontanes Entwurf Die preußische Idee zurückzugreifen. Hierin entwickelte Fontane die Lebensgeschichte eines jungen Mannes, der die Beamtenkarriere einschlägt und in seiner Position die Werte des Liberalismus mit seinen preußischen Idealen versucht zu vereinen. Gemeint war das Preußen eines Fried­rich Wilhelm II., der als Erneuerer eines erstarrten Preußentums nach der Märzrevolution erhofft wurde. Die Intelligenzia ersehnte sich ein Preußen als moderne Ghibellinen, dass gegen Rom und Papst den Staat und damit dem Höheren Vorrang schenkt. [10] Diese antipäpstliche Stimmung unter den Bürgerlichen und Konservativen der damaligen Zeit lag in dem beginnenden Kulturkampf in Europa, eines Ausbrechens europäischer Staaten aus der Vormundschaft der Katholischen Kirche, begründet.

Die Preußische Idee lebt von dem idealisierten Bild eines Friedrich Barbarossas, Soldaten­königs und Alten Fritzens. – Die Vorstellung von politischen Persönlichkeiten, »die weit über des Selbstich hinaus« [11] nach Höherem streben, war das Fontane’sche Ideal und blieb zugleich, wie die Idee des Preußentums im Allgemeinen, die Vorstellung vom Ungefähren. Mithin mangelte es der Preußen-Idee immer einer eignen und autonomen Programmatik. Die Abhängigkeit des Preußentums von der eignen Geschichtlichkeit führte zum Widerspruch im Umgang mit den liberal-freiheitlichen Entwicklungen der Zeit nach 1848 und einem ausufernden Anti-Katholizismus. So blieben die friderizianische Rechtsstaatlich­keit und Religionsfreiheit mit den Parolen des Preußentums der Fontane-Zeit unvereinbar. [12] An dieser Stelle verwob sich die politische Realität Preußens mit der Biografie von Fon­tane: Das Antirevolutionäre und Propreußische, welchen zur Vermeidung einer vermeintli­chen Anarchie der Vortritt gelassen werden sollte, und zugleich die Verpflichtung der alt­preußischen Tradition, der Bewunderung der Ideale des Alten Fritzen.

Im Stechlin sind diese Ideale, das Streben nach dem Höheren, dem Niedergehen gewichen. Das Altpreußische ist kein Bestandteil des offiziellen Preußentums mehr. Nicht frei von Lakonie heißt es im Stechlin über den Alten Fritzen: »Denk‘ Er nur immer, dass Er hundert­tausend Mann hinter sich hat.« [13]

Fontane Finis

Fontane war immer für alle politischen Lager zugänglich und suspekt zugleich: Eine kon­servative Interpretation betont die Andeutungen, das Heimelige in der Tradition, und einem letzten Nachhall der Goethe’schen Symbolkunst. [14] Die andere Seite, eine progressive und gesellschaftskritische Rezension, fokussierte die Art der Beschreibung der Verhältnisse, indem das Hinausbrechen aus den gesellschaftlichen Konventionen zum Ausstoß oder gar wie im Schach von Wuthenow zum Tod führt. Im Der Stechlin zeigt sich kaleidoskopisch die Komplexität des Fontane’schen Denkens: Der realistische Blick auf die Wirklichkeit, kein beschönigendes Festhalten am Ist-Zustand, keine eifernde Fortschrittsgläubigkeit. Und zugleich ist er nicht indifferent. Die Figur Innstetten formuliert es in Effi Briest wie folgt: »Man ist nicht bloß ein einzelner Mensch, man gehört einem Ganzen an«. In diesem Ausspruch ist die gesamte Komplexität des menschlichen Daseins projiziert. Das Individuum ist nicht ohne Gesellschaft zu determinieren. In dem Gesellschaftsgebilde ist das Machbare für den Einzelnen eingepreist, mithin handelt es sich hierbei nicht um zwei gleichwertige Kategorien, sondern um ein Über-Unter-Ordnungsverhältnis. Wenngleich Fontane faszinierend beschreibt, wie Lieben zerstört werden, weil die Gesellschaft schlecht ist, stellt er nicht die Frage, wie die Gesellschaft sein müsste. Die Abhilfe – und vielleicht ist das für die linke Rezension die größte Schwäche Fontanes – wird in der Resignation gefunden.

Georg Lukács beschrieb den politischen Fontane als gebrochen, dessen Ästhetik sublim die Gesellschaft kritisiert. Dieses Unbewusste erweckt den Eindruck eines schwankenden Kritikers der preußischen Verhältnisse. [15] Erst 1954, mit den Veröffentlichungen der Fried­laender-Briefe, zeigt sich ein ganz politisch klarsichtiger, messerscharf analysierender Fon­tane, der mit viel Lakonie die Verhältnisse seziert:

Von dieser militärischen Welt gilt in gesteigertem Maße das, was von der ganzen Zeit gilt: im Ganzen glänzend, im Einzelnen jämmerlich. Dabei mehren sich die Zeichen innerlichen Ver­falls; Selbstsucht und rücksichtslosestes Strebertum sind an die Stelle feinen Ehrgefühls und vornehmer Milde getreten [...]. Dabei wird die Jugend immer fachmäßig dummer, dem Ham­mel, der vorspringt, springen die anderen nach und an die Stelle selbständigen Denkens ist Salamanderreiben [16] und Nachplapperei getreten. [17]

Fontane zeichnet weder eine Welt für den Konservatismus, noch redet er der Arbeiterbe­wegung zu Munde. Vielmehr begreift er seine Zeit als Zwischenstadium zwischen Ist-Gebliebenen und Kann-Sein. Ein Zustand, der zu unserer Zeit überraschende Parallelen aufzeigt.

 

Anmerkungen:

[1]  Dieterle, Theodor Fontane, S. 437.

[2]  Berbig, Der politische Fontane im Fontane-Archiv, Fontane Blog, 30.10.2018, abrufbar: https://theodorfontane.de/2018/10/30/der-politische-fontane-im-fontane-archiv/ [16.08.2023].

[3]  Fn. 1, S. 435.

[4]  Bussiek, Mit Gott für König und Vaterland! Die Neue Preußische Zeitung (Kreuzzeitung) 1848-1892, S. 8 f.

[5]  Fn. 1, S. 437.

[6]  Ibidem.

[7]  Ibidem, S. 437.

[8]  Ibidem.

[9]  Fontane, Der Stechlin, S. 6.

[10]  Wruck, Fontanes Entwurf »Die preußische Idee«, Fontane Blätter, Band 5 (34), 1982, S. 169-189, S. 170 f.

[11]  Ibidem, S. 177.

[12]  Ibidem.

[13]  Ibidem.

[14]  Jolles, Theodor Fontane, S. 110.

[15]  Ibidem, S. 117.

[16]  In Burschenschaften verbreitetes Trinkritual.

[17]  Fontane, Briefe an Georg Friedlaender, S. 123.

 

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