Die Auseinandersetzung mit der DDR geht auch im Jahr 2013 regierungsamtlich weiter
Jochen Traut, Suhl
Die Bundesregierung hat zu Jahresbeginn den von Kulturstaatsminister Bernd Neumann vorgelegten Bericht zum Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur verabschiedet. Neumann betonte: "Die Regierungsparteien hatten im Koalitionsvertrag eine weitere Stärkung der geschichtlichen Aufarbeitung vereinbart, um einer Verklärung und Verharmlosung der SED-Diktatur entgegenzuwirken. Wie der jetzt vorgelegte Bericht (263 Seiten) zeigt, ist die Bundesregierung diesem Auftrag umfänglich nachgekommen. Dies gilt auch für das im Koalitionsvertrag beschlossene koordinierende Zeitzeugenbüro, das die bundesweite Vermittlung von Zeitzeugen an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen ermöglicht. Insgesamt fördert der Bund mit über 100 Millionen Euro jährlich die geschichtliche Aufarbeitung der SED-Diktatur. Hinzu kommen noch Beiträge der Länder und das Engagement der Opferverbände".
Dieser Staat lässt sich den Antikommunismus etwas kosten. Dessen Kern ist das stetige Vergleichen der faschistischen deutschen Mörderdiktatur mit der DDR. Schon in der Einleitung heißt es: "Die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert wurde nachhaltig durch die Terrorherrschaft des Nationalsozialismus geprägt, dessen Menschheitsverbrechen und Vernichtungskriege Millionen Opfer forderten. Dem Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg folgte keine stabile Friedensordnung, sondern die Ost-West-Konfrontation ("Kalter Krieg"), der für mehr als vier Jahrzehnte Deutschland und Europa teilte. Während im Westen Deutschlands nach 1945 der Aufbau einer rechtsstaatlichen Demokratie gelang, wurde in der SBZ und später in der DDR eine kommunistische Diktatur etabliert, die erst 1989/90 überwunden werden konnte. Es ist unverzichtbar, den Unterschieden zwischen NS-Herrschaft und SED-Diktatur Rechnung zu tragen. Jede Erinnerung an die Diktaturvergangenheit in Deutschland hat davon auszugehen, dass weder die nationalsozialistischen Verbre-chen relativiert werden dürfen, noch das von der SED-Diktatur verübte Unrecht bagatellisiert werden darf." (Seite 15)
Der Absicht, die DDR auf ihre realen oder vermeintlichen Negativseiten zu reduzieren, ordnet sich der gesamte Inhalt des o.g. Berichtes unter. Einige Schwerpunkte seien aufgeführt:
- der Umgang mit den Stasi-Akten,
- Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer, die Rolle der "Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e.V." sowie der "Vereinigung der Opfer des Stalinismus",
- das strafrechtliche sowie das verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz,
- die Aufarbeitung im Deutschen Bundestag - die Enquete-Kommission zur SED-Diktatur,
- die Gedenkstättenkonzeptionen des Bundes und ihre Fortschreibung 2008,
- beispielhafte Beratungsangebote für die Opfer der SED-Diktatur und Anlauf-Beratungsstellen der ehemaligen DDR-Heimkinder,
- offene Vermögensfragen und Restitutionen in den Neuen Ländern,
- gesellschaftliche Aufarbeitung und Politische Bildung, darunter die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die Bundeszentrale für Politische Bildung, der Bundesbeauftragte für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, die Landeszentralen für Politische Bildung sowie die Landesbeauftragten für die die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR,
- Programme und Projekte zur politischen Jugendbildung, darunter DDR-Geschichte im Schulunterricht sowie das koordinierende Zeitzeugenbüro Gedenkstätten und Erinnerungsorte, so Museen, Archive, Denkmäler und Mahnmale.
Von den 32 im Bericht erwähnten Gedenkstätten und Erinnerungsorten seien hier nachfolgend benannt:
- die Stiftung Berliner Mauer,
- der "Checkpoint Bravo" (Grenzübergang Dreilinden),
- die Gedenkstätte Deutsche Teilung, Marienborn,
- die Gedenkstätte Bautzen,
- die Stiftung Gedenkstätte Berlin-Höhenschönhausen, Berlin,
- das Stasi-Museum im Haus Normannenstraße, Berlin,
- die Dokumentationsstelle Zuchthaus Brandenburg an der Havel,
- die Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße Erfurt (hier wurden bisher 6,2 Millionen Euro verbaut),
- die Gedenk- und Dokumentationsstelle "Opfer politischer Gewaltherrschaft 1933-1989", Frankfurt an der Oder,
- die Gedenkstätte Ketschendorf - Sowjetisches Speziallager Nr. 5, Fürstenwalde,
- die Gedenkstätte "Roter Ochse", Halle (Saale),
- das Frauengefängnis Hoheneck,
- die Dokumentationsstätte in Jamlitz/Lieberose - Sowjetisches Speziallager Nr. 6,
- die Gedenkstätte Mühlberg - Sowjetisches Speziallager Nr. 1,
- die Mahn- und Gedenkstätte Fünfeichen - Sowjetisches Speziallager Nr. 9, Neubrandenburg,
- die Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen - Sowjetisches Speziallager Nr. 7/Nr. 1, Oranienburg,
- die Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 für die Opfer der Gewalt im 20. Jahrhundert, Potsdam,
- das Dokumentationszentrum des Landes Mecklenburg-Vorpommern für die Opfer der Diktaturen Deutschlands,
- die Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau,
- die Gedenkstätte Buchenwald - Sowjetisches Speziallager Nr. 2 Weimar.
Mit den Bezeichnungen "Gedenk- und Dokumentationsstelle 'Opfer politischer Gewaltherrschaft 1933-1989', Frankfurt an der Oder", "Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 für die Opfer der Gewalt im 20. Jahrhundert, Potsdam" und "Dokumentationszentrum des Landes Mecklenburg-Vorpommern für die Opfer der Diktaturen Deutschlands" wird die Katze vollends aus dem Sack gelassen. Hier geht es nicht mehr "nur" um den sogenannten Diktaturen-Vergleich, sondern schon um die Gleichsetzung des faschistischen deutschen Mörderregimes mit der DDR. Das deutsche Kaiserreich bleibt ausgespart. Was sind schon zehn Millionen Tote, die der I. Weltkrieg kostete.
Gleichermaßen perfide ist die Aufzählung der Gedenkstätten der sowjetischen Speziallager im Neumann-Bericht. Da werden die maßgeblichen Sieger über den deutschen Faschismus, jene, die den mit Abstand opferreichsten Kampf zur Rettung der menschlichen Zivilisation führten, zu Tätern gemacht. Die Einrichtung von Internierungslagern erfolgte auf der Grundlage alliierter Beschlüsse. Nach einem mörderischen Krieg, der über 50 Millionen Menschen allein in Europa das Leben kostete, über 20 Millionen davon Sowjetbürger, trifft es auch Unschuldige. Die Masse der Internierten jedoch hatte sich schuldig gemacht. Die Potsdamer Konferenz der Alliierten von 1945 hatte u.a. festgelegt: "Kriegsverbrecher und alle diejenigen, die an der Planung oder Verwirklichung nazistischer Maßnahmen, die Gräuel oder Kriegsverbrechen nach sich zogen oder als Ergebnis hatten, teilgenommen haben, sind zu verhaften und dem Gericht zu übergeben. Nazistische Parteiführer, einflußrei-che Nazianhänger und Leiter der nazistischen Ämter und Organisationen und alle anderen Personen, die für die Besatzung und ihre Ziele gefährlich sind, sind zu verhaften und zu internieren." (Artikel III.5) Entsprechende Lager für diesen Personenkreis gab es in allen vier Besatzungszonen, in denen die jeweilige Besatzungsmacht die Gesetzeskraft auf der Grundlage der Befehle und Entscheidungen des Alliierten Kontrollrates ausübte. Die Internierungslager im Rahmen des Berichtes "Zum Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur" aufzuführen, ist schlimmste, völkerrechtswidrige Geschichtsklitterung, die - ob nun gewollt oder ungewollt - de facto zumindest eine Teilrehabilitierung von Faschisten und Kriegsverbrechern darstellt.
Doch das sind mögliche Kollateralschäden im Rahmen der großen Abrechnung, die nicht enden will, weil es eine Todsünde war, es in einem Teil Deutschlands ohne die Herrschaft des Kapitals versucht zu haben. Selbst die Erinnerung daran soll getilgt werden, zumal der krisengeschüttelte, täglich kriegerischer werdende Kapitalismus die Frage nach einer Alternative zunehmend auf die Tagesordnung zwingt. Da muss die Anti-DDR-Keule eben ran. Und so heißt es im Bericht: "Die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in der SBZ und in der DDR ist auch über 20 Jahre nach der Wiedergewinnung der deutschen Einheit eine für Staat und Gesellschaft notwendige Aufgabe. Einen Schlussstrich unter das begangene Unrecht kann und wird es nicht geben. Dies sind wir nicht nur den Opfern, sondern auch den Menschen, die die friedliche Revolution erst möglich machten, den Politikern, die die Wiedervereinigung durchgesetzt haben, und vor allem unseren Werten Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schuldig. Das Bewusstsein für diese Werte wird durch die Vermittlung von Kenntnissen über die Diktatur der SED, ihre Herrschafts- und Unterdrückungsmethoden und über das Leben im Unterdrückungsstaat gestärkt." (Seite 11)
Wenige Seiten weiter heißt es dann interessanterweise: "Der vorliegende Bericht zeigt, was in den letzten 20 Jahren bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur geleistet wurde. Die Fülle der Maßnahmen ist so eindrucksvoll wie die Besucherzahl einzelner Gedenkstätten. Erschreckend bleiben gleichwohl die Befunde zum historischen Wissen von Jugendlichen, wie ein von mir und mehreren Ländern finanziertes Forschungsprojekt der FU Berlin vor kurzem erneut zeigte. Danach verfügt eine Mehrheit der befragten Schülerinnen und Schüler aus fünf Bundesländern über nur sehr geringe zeitgeschichtliche Kenntnisse. In der Konsequenz kann es nicht überraschen, dass viele Jugendliche auch die Trennlinien zwischen Demokratie und Diktatur nicht erkennen. Dieses alarmierende Ergebnis muss alle Verantwortlichen in Deutschland wachrütteln, die Anstrengungen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur - insbesondere in den Schulen - noch weiter zu verstärken."
Wir sollten die Interpretation der Geschichte nicht den Antikommunisten überlassen. Gerade mit jungen Menschen sollten wir reden, mit Geduld und Nachdenklichkeit, ohne Rechthaberei und gestützt auf die sozialen Erfahrungen, die wir in einem Land machten, das antifaschistisch war, keine Kriege geführt hat, in dem Menschen in sozialer Sicherheit lebten, nicht üppig - aber ohne die Geißel der Arbeitslosigkeit und deren Folgerungen, in einem Land, in dem es weder Bildungsschranken noch eine Zweiklassenmedizin gab. Natürlich erinnern wir uns ebenso der Negativerfahrungen, und die dürfen wir auch nicht verschweigen. Wogegen wir uns wehren müssen, ist die Reduzierung der DDR auf reale und vermeintliche Unzulänglichkeiten. Das wird ihr nicht gerecht. In Thüringen sind wir in der LINKEN seit Jahren sachlich und daher respektvoll mit unserer Geschichte umgegangen und werden es weiter tun.
Mehr von Jochen Traut in den »Mitteilungen«:
2012-01: Für Karl Stiffel (31. Juli 1929 - 11. Dezember 2011)
2011-11: Erfurt 2011 nach Erfurt 1891