Zum Hauptinhalt springen
Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Erfurt 2011 nach Erfurt 1891

Jochen Traut, Suhl

 

Wenn Linke, Antikapitalisten, Sozialisten, Marxisten und Kommunisten zu einem Programmparteitag nach Erfurt gehen, so ist damit auch ein Stück Geschichte verbunden, das die damals revolutionäre Sozialdemokratische Partei Deutschlands im Jahr 1891 in Erfurt beschloß. Für revolutionäre Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert stehen auch die Thüringer Städtenamen Eisenach (1869), Gotha (1875) und eben Erfurt 1891. In Erfurt werden wir 2011 unser Programm beschließen.

Sicher, die Welt und die Partei von 1891 waren eine andere als die von 2011. 1891 hatte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands gerade den Sieg über das Bismarcksche Sozialistengesetz errungen. In dieser Partei hatte sich, wie Friedrich Engels feststellte, der Marxismus durchgesetzt. Sicher, mit der Wahl des Ortes Erfurt wird zumindest Geistesverwandtschaft versprochen. Wir knüpfen als Partei an die Tradition des Erfurter SPD-Programm von 1891 an. Stimmt also das Bild von Erfurt nach Erfurt?

Das Erfurter Programm von 1891 faßt die Kernforderungen in zehn knappen Abschnitten zusammen. Dazu vier Beispiele:

Der Punkt 3. dieser 10 Forderungen lautet: "Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit. Volkswehr statt stehenden Heeres. Entscheidungen über Krieg und Frieden durch die Volksvertretung. Schlichtung aller internationalen Streitigkeiten auf schiedsgerichtlichem Weg."

Der Punkt 5. dieser 10 Forderungen lautet: "Abschaffung aller Gesetze, welche die Frau in öffentlich- und privatrechtlicher Beziehung gegenüber dem Manne benachteiligen."

Der Punkt 7. dieser 10 Forderungen lautet: "Weltlichkeit der Schule. Obligatorischer Besuch der öffentlichen Volksschulen. Unentgeltlichkeit des Unterrichts, der Lehrmittel und der Verpflegung in den öffentlichen Volksschulen sowie in den höheren Bildungsanstalten für diejenigen Schüler und Schülerinnen, die kraft ihrer Fähigkeiten zur weiteren Ausbildung geeignet erachtet werden."

Der Punkt 9. dieser 10 Forderungen lautet: "Unentgeltlichkeit der ärztlichen Hilfeleistung einschließlich der Geburtshilfe und der Heilmittel. Unentgeltlichkeit der Totenbestattung." Eine auch heute aktuelle Forderung.

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands als Partei der Arbeiterbewegung stellte im Sinne derer, für die sie eintrat und kämpfte, weitere 5 Forderungen "Zum Schutz der Arbeiterklasse" auf. Hinter diesen Forderungen steht jeweils das Wort "zunächst".

Bestechend an dieser gesamten Programmatik sind deren Kürze und die Klarheit der Sprache, mit der sie formuliert wurden. Sie ist für jedermann verständlich. Man braucht dazu kein Wörterbuch.

Um noch einige dieser vergleichbaren Punkte kurz zu benennen: Beide Dokumente, das Erfurter Programm von 1891 und der Leitantrag des Jahres 2011, zeichnen sich durch eine antikapitalistische Handlungsorientierung aus, die von der Lageanalyse der gesellschaftlichen Entwicklung der Welt und in Deutschland ausgeht. In beiden Dokumenten wird auf gleichartige Tendenzen einer sozialen Polarisierung verwiesen. Es wird die Eigentumsfrage gestellt, und es werden grundlegende sozialökonomische Umwälzungen in Richtung der Verwandlung des großen kapitalistischen Eigentums gefordert.

Nach dem Erfurter Programm von 1891 ist der "Besitz der politischen Macht" die Voraussetzung für "den Übergang der Produktionsmittel in den Besitz der Gesamtheit". Im Programm-Leitantrag wird das Konzept eines länger andauernden "großen transformatorischen Prozess(es) entwickelt."

Noch etwas zur historischen Situation, in der 1891 der Erfurter Parteitag stattfand. 1890 war das Sozialistengesetz, das zwölf Jahre bestand, gefallen. Eine Parteikrise brach aus. Dank August Bebel und Wilhelm Liebknecht, als die anerkannten Parteiführer, war diese nur kurz und nicht tief. Für die Partei begann nun eine Entwicklung nicht nur der politischen, sondern auch der gewerkschaftlichen, genossenschaftlichen Bildungs- und anderer Organisationen des Proletariats.

Noch einige wenige Worte zum Weg der Partei DIE LINKE nach Erfurt im Jahr 2011. Wir erinnern uns: Im Jahr 2004 trat Gerhard Schröder als Bundeskanzler ab. Damit gab es vorgezogene Bundestagswahlen. Die Kämpfe gegen Hartz IV hatten ihren Höhepunkt erreicht. Die Ergebnisse der Landtagswahlen in NRW im Mai 2005 führten zur Gründung der WASG. Am 24. Mai 2005 kündigte Oskar Lafontaine seinen Austritt aus der SPD an und erklärte seine Bereitschaft, ein Linksbündnis von PDS und WASG zu unterstützen. Am 10. Juni 2005 erfolgte die öffentliche Ankündigung einer Kandidatur von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine für die Bundestagswahl. Die nachfolgenden intensiven Gespräche verfolgten das Ziel, innerhalb von zwei Jahren ein linkes Projekt in Deutschland auf den Weg zu bringen. Am 17. Juni 2005 erfolgte die Verabschiedung eines gemeinsamen Dokuments von PDS und WASG. Am 24. und 25. März 2007 beschlossen getrennte Parteitage der Linkspartei.PDS und der WASG in Dortmund die "Programmatischen Eckpunkte", und am 15. Juni 2007 berieten die letzten Parteitage von Linkspartei.PDS und WASG, ehe am nachfolgenden Tag ein gemeinsamer Parteitag die Gründung der Partei DIE LINKE beschloß.

Es ist ein kurzer historischer Prozeß der inneren Parteientwicklung, der andauert und mit dem Erfurter Programmparteitag nicht abgeschlossen ist. Die inhaltlichen Debatten und die unterschiedlichen Positionen zum vorliegenden Leitantrag sind dafür ein Beleg.

Um abschließend festzustellen: Ein Blick in die Geschichte ist erforderlich. Er lehrt uns, aus dem Gestern für das Heute und das Morgen zu lernen.

Eröffnungsbeitrag auf der Konferenz "Kurs halten – Ein Programm für die Mehrheit" zur Programm- und Strategiedebatte in der LINKEN am 8. Oktober 2011

 

Mehr von Jochen Traut in den »Mitteilungen«: 

2011-04: Nur eine politisch-kleinkarierte Provinz-Posse?

2009-02: Geschichtsfälscher haben Hochkonjunktur

2008-09: Ein Denkmal wider die geschichtliche Wahrheit