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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Die Abrechnung

Dr. Friedrich Wolff, Wandlitz

 

Das Verjährungsgesetz

Vor 25 Jahren, am 26. März 1993, verabschiedete der Deutsche Bundestag das »Gesetz über das Ruhen der Verjährung bei SED-Unrechtstaten (Verjährungsgesetz)«. Nachdem am 3. Oktober 1990 die DDR aufgehört hatte zu existieren, war die Regierung der Bundesre­publik der Auffassung, sie müsse die Vergangenheit der DDR »bewältigen«. So beschlos­sen die Parlamentarier im Bundestag mit den Stimmen der CDU/CSU, F.D.P. und SPD schließlich das genannte Gesetz, das im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde. Das ist also 25 Jahre her und gibt Anlass für die heutige Betrachtung.

Das Gesetz hat folgenden Wortlaut: »Artikel 1 Zweites Gesetz zur Berechnung strafrechtli­cher Verjährungsfristen (Zweites BerechnungsG)

Bei der Berechnung der Verjährungsfrist für die Verfolgung von Taten, die während der Herrschaft des SED-Unrechtsregimes begangen wurden, aber entsprechend dem aus­drücklichen oder mutmaßlichen Willen der Staats- und Parteiführung der ehemaligen Deut­schen Demokratischen Republik aus politischen oder sonst mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbaren Gründen nicht geahndet wor­den sind, bleibt die Zeit vom 11. Oktober 1949 bis 2. Oktober 1990 außer Ansatz. In die­ser Zeit hat die Verjährung geruht. ...«

Alles musste bestraft werden

Diesem Gesetz folgte schon am 27. September 1993 das 2. Verjährungsgesetz und schließlich am 22. Dezember 1997 das 3. Verjährungsgesetz. Die Parlamentarier taten sich schwer, alles musste bestraft werden. Der Gesetzgeber (also die Politik) hatte gespro­chen, die Juristen, speziell die Richter, hatten nun das Wort. Es gab Probleme. Ein Problem war: Mit dem Gesetz wurde etwas für strafbar erklärt, das bis dahin nicht, bzw. nicht mehr strafbar war. Das Gesetz erklärte die Strafbarkeit also rückwirkend, für die Ver­gangenheit. Das war ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot des Artikels 103, Abs. 2 des Grundgesetzes und des § 1 des Strafgesetzbuches: »Eine Tat kann nur bestraft wer­den, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde«. Ein zweites Problem war, die Taten waren zur Zeit der Tat gesetzlich gerechtfertigt. Zur Über­windung dieses Hindernisses berief man sich auf die Radbruchsche Formel, die dieser Pro­fessor benutzt hatte, um Hitlers millionenfache Morde bestrafen zu können.

Der damalige Justizminister Klaus Kinkel kannte diese Hindernisse für eine Strafverfolgung der DDR-Bürger. So erklärte er Richtern in einem Vortrag: »Bei Ihnen, den Richtern, liegt unter anderem die Entscheidung über eine ganz wichtige Frage: Die Verjährung im straf­rechtlichen Bereich. Ich meine, dass wir für die vor uns liegenden schwierigen Prozesse keine weiteren Hindernisse aufbauen sollten. Politische Straftaten in der früheren DDR dürfen nicht verjähren. Die Entscheidung darüber liegt allein bei den Gerichten. In Ihre Rechtsprechung habe ich großes Vertrauen. Der Gesetzgeber kann aus rechtsstaatlichen Gründen wegen des Problems der Rückwirkung nicht tätig werden.« [1] Wie würde heute über einen Justizminister der DDR geurteilt werden, wenn er von DDR-Richtern Ähnliches ver­langt hätte?

Zum 9. Juli 1991 berief Klaus Kinkel das Erste Forum des Bundesministers der Justiz ein. Es hatte den Titel: »40 Jahre SED-Unrecht eine Herausforderung für den Rechtsstaat«. Dort hat Kinkel das SED-Unrecht näher dargestellt: »Das SED-Regime hat Menschen syste­matisch zerbrochen und Lebensschicksale zerstört. Aus politischen Gründen wurden miß­liebige Bürger strafrechtlich verfolgt, in psychiatrische Anstalten gesteckt, zwangsausge­siedelt, an Ausbildung und Fortkommen gehindert.« [2] Das war also das Bild, das der Bundesminister der Justiz und ehemalige Geheimdienstchef von der DDR hatte.

Neben dem Bundesjustizminister sprachen noch fünf weitere Referenten. Von ihnen sprach sich nur noch ein Referent im Sinne von Klaus Kinkel für Bestrafung der DDR-Bürger aus, die vier weiteren vermieden eine klare Position.

An dem Forum nahmen insgesamt 47 Personen teil, 7 davon waren ehemalige DDR-Bürger. In der Diskussion sprachen 39 Teilnehmer, davon waren sechs ehemalige DDR-Bürger und von diesen waren fünf ehemals Bürgerrechtler, also Mitglieder der DDR-Opposition. Ferner sprachen ein Slowake, ein Ungar und ein Tscheche.

Forum des Bundesministers brachte nicht das gewünschte Ergebnis

Die drei Ausländer vermieden Stellungnahmen zu den deutschen Problemen und erklärten, dass bei ihnen am nulla-poena[3]-Grundsatz festgehalten werde. Von den deutschen Teilneh­mern waren fünf für Bestrafung, 14 dagegen und 19 vermieden nach meinem Eindruck eine klare Stellungnahme. Bei diesem Ergebnis dürfte klar werden, warum es kein zweites Forum zu diesem Thema mehr gab.

Einige Beispiele für die drei Arten der ausgesprochenen Meinungen:

Der Bürgerrechtler Wolfgang Templin von der Initiative Frieden und Menschenrechte führte u.a. aus: »Mich hat eigentlich sehr betroffen gemacht, dass auch heute hier noch diese große Vereinfachung auftauchte, als wenn zwischen Rache und Vergeltung auf der einen und dem Bedürfnis nach Versöhnung und Rechtsfrieden auf der anderen Seite eigentlich nichts stünde. Ich denke, die wichtigsten Bemühungen liegen dazwischen.« [4] Ihn habe ich zu den Unentschiedenen gezählt.

Als Vertreter des nulla-poena-Grundsatzes: Professor Walter Odersky, Präsident des Bundesgerichtshofs: »Selbstverständlich gilt auch bei der Aufarbeitung des SED-Unrechts durch unsere Strafverfolgungsorgane und Gerichte der Grundsatz ›nulla poena sine lege‹, das heißt, eine Tat kann nur bestraft werden, wenn sie zu der Zeit, als sie geschah, für den Täter, der sie verübte, strafbar war. Das ist ein Kernsatz unseres rechtsstaatlichen Ver­ständnisses und Sie werden – diese Behauptung wage ich – bei uns keinen Richter finden, der etwas anderes zu tun bereit wäre. Es steht einem Richter nicht an, im voraus abschlie­ßende Beurteilungen zu geben, sondern der zuständige Richter hat zu sprechen, wenn je­der einzelne Fall ihm vorliegt.« [5]

Schließlich als Vertreter einer Bestrafung: Enno von Loewenstern, Chefredakteur von Die Welt. Er führte aus: »Was aber die sogenannte DDR und deren Regierung betrifft, so han­delt es sich dort nicht einmal um einen eigenständigen Staat; diese sogenannte DDR ist niemals von uns staatsrechtlich anerkannt worden. Es gab ein einheitliches Deutschland. Von dem ein gewisser Teil von einer Verbrecherbande besetzt war. Es war aus bestimmten Gründen nicht möglich gegen diese Verbrecherbande vorzugehen, aber das ändert nichts daran, dass es ein einheitliches Deutschland war, dass selbstverständlich ein einheitliches deutsches Recht dort galt und auf die Verbrecher wartete und dass Salzgitter sozusagen das Symbol dieses Sachverhalts war.« Auf Einwand fügte von Loewenstern hinzu: »Natürlich ist der tausendfache Mord des Herrn Honecker eine andere Dimension als der einfache Mord eines Raubmörders auf irgendei­ner Bonner oder Lübecker Straße.« [6]

Einmalig: Rechtswissenschaftler widersprechen einhelliger Rechtsprechung

Die Rechtswissenschaft blieb im Gegensatz zu den Richtern standhaft. Einige Beispiele mögen auch das belegen:

Professor Günther Jakobs, Zur Leistungsfähigkeit des Strafrechts nach einem politischen Umbruch, in Josef Isensee, Hrg., Vergangenheitsbewältigung durch Recht, Berlin 1992: »Das Ergebnis – die Taten waren am Tatort nicht strafbar; der Grund der Taten läßt sich besser als falsche Politik denn als Kriminalität verstehen, und es fand schon eine hinrei­chende kognitive Lagebereinigung statt ...« (S. 58)

Professor Jan C. Joerden, Wird politische Machtausübung durch das heutige Strafrecht strukturell bevorzugt? (GA 1997, 201): »›Menschenrecht bricht Staatsrecht‹. So lautet be­kanntlich eine These aus Hitlers ›Mein Kampf‹. Schon dies sollte gegenüber einer schlich­ten Berufung auf Naturrecht zumindest Vorsicht bewirken.« (S. 207)

Prof. Klaus Lüderssen, Zu den Folgen des Beitritts für die Strafjustiz der Bundesrepublik Deutschland (StV 91, 482): »Mit anderen Worten: wenn die DDR-Juristen in dem Grenzge­setz keine Verletzung von menschen- und völkerrechtlichen Grundsätzen gesehen haben, die nach § 95 DDR-Strafgesetzbuch die zuständigen Organe dazu berechtigt haben würde, Befehle nicht auszuführen, so muß das hingenommen werden.« (S. 486)

Prof. Gottfried Mahrenholz, Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts a.D., Justiz – eine unabhängige Staatsgewalt? (NJ 1992, 1 = DRiZ 91, 437): »Hüten wir uns davor, das schneidige Schwert der Strafrechtspflege, die Notwendigkeit ihres Gebrauchs zu über­schätzen. Es kann nicht heilen und nicht verbinden. Weder einen Menschen noch das Volk. Es trennt. Christian Meier schreibt in seiner jüngst erschienen Schrift über die deutsche Nation: ›Ich möchte behaupten, daß wir allesamt noch weit davon entfernt sind auch nur die Problematik zu begreifen, die uns mit der Vereinigung aufgegeben ist.‹ (Christian Meier, Die Nation, die keine sein will, 1991, S. 7)« (S. 4)

Prof. Reinhard Merkel, Politik und Kriminalität in Siegfried Unseld (Hrg.), Politik ohne Pro­jekt? Suhrkamp, 1993, (S. 299): »... auf die Frage, ob das gegen den ehemaligen Staats­ratsvorsitzenden der DDR angestrengte Strafverfahren ein rechtlich gangbarer (und damit politisch akzeptabler) Weg der Vergangenheitsbewältigung sein kann. Ich meine, die Ant­wort lautet: nein.« (S. 302)

Prof. Bodo Pieroth, Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vor-rechtsstaatlichen Ver­gangenheit, in Veröffentlichung der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer, Heft 51, 1992, S. 91 ff.: »Es ist danach unzweifelhaft, daß für die ›gesetzliche Bestimmtheit‹ im Sin­ne des Art. 103 Abs. 2 GG auf das zur Tatzeit geltende Recht abzustellen ist.« (S.103)

»Angesichts der Unmöglichkeit juristischer Praktikabilität und des nicht ausräumbaren Ideologieverdachts scheidet die Argumentation mit dem Naturrecht jedoch aus.«

»Das Ergebnis, daß die nationalsozialistischen Gewalttäter und DDR-Regime-Kriminelle straflos bleiben sollen, widerstreitet evident dem Rechtsgefühl.« (S. 103)

»Aber der Rechtsstaat, einmal etabliert, muß sich treu bleiben: Das Rechtsgefühl darf ge­schriebene rechtsstaatliche Verfassungsnormen nicht überrollen.« (S. 104)

Prof. Herwig Roggemann, Richterstrafbarkeit und Wechsel der Rechtsordnung, (JZ 1994, S. 769): »So viele (Vor-)Ermittlungsverfahren gegen Richter und Staatsanwälte wegen Rechtsbeugung waren noch zu keiner Zeit anhängig, weder in Deutschland in den rund ein­hundertzwanzig Jahren seit Geltung dieser Strafvorschrift, noch anderswo nach politischem Systemwechsel. Bis Ende des Jahres 1993 kann von mehr als 10.000 Verfah­ren gegen DDR-Richter und Staatsanwälte ausgegangen werden, die jedoch erst zu ver­hältnismäßig wenigen Anklagen und Hauptverfahren geführt haben. Die möglichen Ursa­chen dieses außerordentlichen Verfolgungsumfangs sind an dieser Stelle nicht weiter zu reflektieren. Ein vergleichender Schluß läßt sich indessen kaum von der Hand weisen: Die Strafverfolgung der Justizverbrechen des Nationalsozialismus in Deutschland nach 1945 und des Staatssozialismus in der DDR nach 1990 verhält sich umgekehrt proportional zur Schwere der begangenen Taten. Der aus heutiger Sicht unfaßbaren Zahl von mindestens ›32.000 Todesurteilen‹, die die deutsche Justiz zwischen 1933 und 1945 fällte, und bei de­nen es sich in der Mehrzahl um offensichtliche Terrorurteile handelte, stehen neben Ver­fahrenseinstellungen und Freisprüchen – soweit überhaupt Verfahren eröffnet wurden – nur einige wenige Verurteilungen gegenüber, aber diese Fälle kann man an der Hand ab­zählen, und sie betrafen Standgerichtsurteile gegen Ende des Krieges. Mit den etwaigen Unrechtsurteilen der DDR verhält es sich, wie die Zahlen zeigen, anders, und zwar nicht nur, soweit es um den Verdacht schwersten Justizunrechts in Form der – bis 1987 zulässi­gen – Todesstrafe und ›ihrer Verhängung in mindestens 200 Fällen‹ geht, sondern in Folge angeordneter nicht Verjährung auch in zahlreichen anderen, minderschweren Fällen mögli­cher vorsätzlicher justizieller Fehlhandlungen.« (S. 769 f.)

»Zustimmung verdient auch die eindeutige Distanzierung von der historisch unangemesse­nen, gleichwohl immer wieder versuchten Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Staatssozialismus, die nun derselbe Senat des BGH vornimmt, der vor mehr als zweiein­halb Jahrzehnten mit dem viel und mit Recht kritisierten Rehse-Urteil wesentlich zum Miß­lingen strafrechtlicher Verarbeitung des nationalsozialistischen Justizunrechts beigetragen hatte.« (S. 775)

Prof. Josef Isensee, Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vor-rechtsstaatlichen Ver­gangenheit, (VVDStrL 51 (1992), S. 134): »Der Rechtsstaat ist nicht das hohe Roß, von dem die ›Wessis‹ als verfassungspatriotische Pharisäer auf ihre Landsleute im Osten her­abblicken können. Es wäre Dienst am Rechtsstaat, mit der inneren Versöhnung zu begin­nen und die Toten begraben sein zu lassen. Die innere Wiedervereinigung ist Grund, den Rechtsstaat positiv zu begreifen: als Chance zu gemeinsamer Zukunft.« (S. 137)

Prof. Bernhard Schlink, Rechtsstaat und revolutionäre Gerechtigkeit, NJ 1994, 433: »Als geltendes Recht nicht anzuerkennen, was als Recht anerkannt und praktiziert wird, son­dern was als Recht anerkannt und praktiziert werden müßte, beraubt den Rechtsbegriff ei­ner wesentlichen Dimension: Der Wirklichkeit.« (S. 435)

»Die Stunde der revolutionären Gerechtigkeit ist vorbei. Die rechtsstaatliche Normalität schließt das Rückwirkungsverbot ein und die strafrechtliche Bewältigung der kommunis­tischen Vergangenheit, wie sie derzeit stattfindet, aus.« (S. 437)

Prof. Horst Sendler (Präsident des Bundesverwaltungsgerichts von 1981-1990), Auf dem Wege zur Einheit? in Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1991/1992, München 1991, S. 139 ff.: Zur SED = kriminelle Vereinigung: »Aber die Gerichte dürften sich schwer tun, solch ei­ner Auslegung zu folgen, und sich wohl von dem rechtsstaatlichen Grundsatz nulla poena sine lege kein Jota abhandeln lassen. Anderes sähe nach Siegerjustiz aus. Gespannt muß man sein, wie die Mauerschützenprozesse ausgehen werden. Nach meinem juristisch et­was verbildeten Laienverstand dürfte dabei aus subjektiven Gründen nicht viel herauskom­men ...« (S. 151)

Prof. Uwe Wesel, Interview junge Welt, 25. August 1997: »Die Mehrheit meiner Kollegen in der Rechtswissenschaft – sowohl im Verfassungsrecht als auch im Strafrecht – ist nicht der Auffassung, daß man verurteilen sollte.«

Zur Begründung der Anklage: »Das ist juristisch unmöglich und genauso, als wenn das Läu­ten der Glocken im Mittelalter als Ursache für die Ketzerverfolgung genommen wird. Es ist der helle Wahnsinn. Es ist juristisch abenteuerlich und unsinnig.«

Prof. Rüdiger Zuck, Amnesty national, NJW 1995, 1801: »Mir geht es nur darum zu zei­gen, daß das, was wir Vergangenheitsbewältigung nennen, das Resultat politischer Wei­chenstellung für die Zukunft ist.« (S. 1802)

»Wer ein im politischen Wettbewerb unterlegenes politisches System (und ihre Agenten) nach einer Niederlage mit den Mitteln des Rechts richtet, kann sich deshalb nicht auf Gerechtigkeit berufen. Er hat für sich nur das ›vae victis‹ des Siegers und den schönen Schein des Rechts, der die Rache verdeckt.« (S. 1803)

Diese Beispiele könnten von mir durch die Zitate von ca. 40 weiteren Autoren ergänzt wer­den. Es kann daher festgestellt werden, dass die überwiegende Zahl der Rechtswissen­schaftler, darunter die Präsidenten des BGH, des Bundesverwaltungsgerichts und des ehe­maligen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts der einhelligen Rechtsprechung widerspricht. Das dürfte eine einmalige Tatsache sein. Umso auffallender ist, dass sie un­beachtet bleibt. Wie ist das zu erklären? Mir scheint, der Rechtsstaat findet dort seine Grenze, wo elementare Interessen der Bundesrepublik beginnen. Da die DDR tot ist, kann dieses Interesse nur der Wunsch nach Verhinderung des Sozialismus sein.

Ein anderer Aspekt erscheint mir ebenfalls bedeutungsvoll. Führende Politiker hatten eine falsche Meinung von der DDR und suchten sie zu verbreiten. Die Verantwortung dafür tra­gen die Medien. Wenn der amtierende Bundesjustizminister und frühere BND-Chef der Auffassung ist, in der DDR seien »mißliebige Bürger … verfolgt, in psychiatrische Anstalten gesteckt, zwangsausgesiedelt« worden und der Chefredakteur einer führenden Tageszei­tung Erich Honecker des »tausendfachen Mordes« bezichtigte, dann zeigt das ein Maß an Desinformation, das an der Freiheit und Unabhängigkeit der Medien zweifeln lässt. Bleibt nach 28 Jahren deutscher Einheit festzustellen, die Politik hat damals versagt, die Politik müsste heute die Fehler der Vergangenheit (es sind mehr, als in diesem Artikel aufgezeigt wurden) beseitigen.

 

Anmerkungen:

[1] Zitiert nach Grünwald, StV 1992, S. 333 Anm. 1, Hervorhebung vom Verfasser.

[2] A.a.O., S. 5.

[3] nulla poena sine lege = keine Strafe ohne Gesetz.

[4] S. 68.

[5] S. 34.

[6] S. 41, S. 42.

 

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