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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Der Antisemitismus als Mittel im Kampf um die deutsche Weltherrschaft

Dr. phil. Wolfgang Biedermann, Berlin

 

Vor 70 Jahren, am 22. Juni 1941, überfiel Hitlerdeutschland vertragsbrüchig die UdSSR. Der Kampf um die Neuaufteilung der Welt trat in die entscheidende Phase (Plan "Barbarossa"). Er markierte zugleich den Beginn der Massenvernichtung sogenannten "artfremden Blutes", der "Kuli-oder Fellachenrasse" oder der "Parasiten", wie es im Nazijargon verschiedentlich hieß. Als die "bekannteste parasitäre Rasse" war das Judentum ausgemacht worden: "E[s] sucht sich durch intelligente und heuchlerische Einfühlung und Überlistung in bodenständige Volkstümern einzunisten, diese mit händlerischer Schlauheit um den Ertrag ihrer Arbeit zu bringen und durch raffinierte geistige Zersetzung der Selbstführung zu berauben."[Die geistigen Grundlagen des Nationalsozialismus, in: Bergschicker, H., Deutsche Chronik 1933–1945, Berlin: Verlag der Nation, 1981, S. 102]

Der Hitler-Wehrmacht folgten auf dem Fuße die sogenannten Einsatzgruppen der SS (Schutzstaffel) [Die Mörderbande der NSDAP mit dem Totenkopf als Symbol. Für alle rassischen Fragen in der Praxis zuständig. Wurde wie alle Gliederungen der NSDAP als verbrecherische Organisation im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß qualifiziert] die in den okkupierten Gebieten zwei Millionen Menschen ermordeten. Das Ziel war im Generalplan Ost fixiert: Deportation bzw. Ermordung von mehr als dreißig Millionen Polen, Litauern, Belorussen, Westukrainern, Esten, Letten und Tschechen, die deutschen Siedlern weichen sollten. Auch Wehrmachtsangehörige waren in die Kriegsverbrechen involviert. In diesen Kontext reihte sich auch die Richtlinie des OKW (Oberkommando der Wehrmacht) vom 6. Juni 1941 (Kommissarbefehl) [Siehe auch Mebel, Moritz, Der 65. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus und seine Lehren, in: Mitteilungen, 4/2010, S. 4] ein, die den Mord an sowjetische Kriegsgefangen wie folgt begründete: "2. Die Urheber barbarisch asiatischer Kampfmethoden sind die politischen Kommissare. Gegen diese muß daher sofort und ohne weiteres mit aller Schärfe vorgegangen werden. Sie sind daher, wenn im Kampf oder Widerstand ergriffen, grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen."

Der "jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung", wie es seit der Oktoberrevolution 1917 in der Propaganda der Gescheiterten hieß, sei jetzt endlich ein Ende zu bereiten. Die Juden hatten bekanntlich Schuld, daß der I. Weltkrieg verlorenging, da sie eine Revolution (1918/19) angezettelt hätten ("Dolchstoßlegende"). Und war die Luxemburg nicht Jüdin? Der Haß der Reaktion auf Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht war unermeßlich groß. Aber dieser Haß richtete sich nicht nur gegen die führenden Persönlichkeiten der revolutionären Arbeiterbewegung, sondern auch gegen Vertreter, die politisch eher auf der anderen Seite der Barrikade zu suchen waren.

W. Rathenau, AEG-Chef, leitete die Kriegsrohstoffabteilung [Diese Institution sorgte dafür, daß das Wilhelminische Kaiserreich überhaupt über vier Jahre Krieg führen konnte] im I. Weltkrieg, der Gesinnung nach national und patriotisch, unterzeichnete unter dem linken Zentrumspolitiker Reichskanzler Wirth am 16. April 1922 den Rapallo-Vertrag [Der Vertrag normalisierte die zwischenstaatlichen Beziehungen: gegenseitiger Verzicht auf den Ersatz der Kriegskosten und Kriegsschäden etc. Erweiterte den außenpolitischen Spielraum der Weimarer Republik] mit der RSFSR (Sowjetrußland). Von Seiten der Rechtspresse und von den antisemitischen, reaktionären Parteien brachte es ihm keinen Dank ein. Vor seiner Ermordung (24. Juni 1922) durch Angehörige der rechtsgerichteten "Organisation Consul" wurde er als "jüdischer Erfüllungspolitiker" verleumdet. Bezeichnend ist in diesem Kontext, wie er vorab durch einen der zahlreichen antisemitischen Propagandisten, T. Fritsch, [Herausgeber des "Handbuchs der Judenfrage", erreichte bereits 1933 in 32. Auflage 104 Tausend Exemplare!] angegriffen worden war: "Rathenau ist gewiß einer der Besten seiner Rasse und sichtlich von dem Streben bewegt, sich von der jüdischen Engigkeit loszuringen, bemüht allgemein menschlich zu empfinden und gemeinnützig zu wirken. Und doch verrät er unwillkürlich, daß er mit seinem noch so vorzüglichen jüdischen Gehirn letzten Endes nur mechanistisch und kapitalistisch denken kann, nicht organisch aufbauend, nicht ethisch und ideal-förderlich, nicht menschheit-erhebend, nicht gemeinsinnig, sondern nur privat-vorteilig, nicht beseelend, sondern nur verstofflichend, nicht schenkend, sondern ausbeutend." [Zitat in: Hirsch, R./Schuder, R., Der gelbe Fleck, Berlin: Rütten & Loening 1989, S. 536].

Ergo. Die "jüdische Rasse" mit ihren biologischen Besonderheiten und den daraus resultierenden destruktiven Eigenschaften sei der eigentliche Peiniger. Diese Konstruktion, hatte unter den anhaltenden krisenhaften wirtschaftlichen Bedingungen der 1920er Jahre großen ideologischen Einfluß auf die soziale Schicht des Kleinbürgertums. Im Rückgriff existierte der Ansatz für eine Politik zur Versklavung und biologischen Vernichtung ganzer Völker. Ist der (extreme) Antisemitismus rassistisch und biologistisch orientiert, so speiste sich jahrhundertelang zuvor die antijüdische Geisteshaltung vornehmlich aus dem (vermeintlich) einzig wahren Glauben der Christen.

Mit den Kreuzzügen (Ende 11. Jh.) artikulierte sich ein religiös motivierter Haß auf die jüdische Bevölkerung im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Aus "Glaubenswut" (Ludwig Börne, 1786–1837) beispielsweise, wurden mehrfach Juden (aber auch Ketzer oder Hexen) verbrannt. Umso eher, als dieser oder jener jüdische Glaubensangehörige zu einem gewissen Wohlstand gelangt war. Außerdem wurde ihnen im höchsten Grade böswillig unterstellt, daß sie die Brunnen vergifteten und somit für den "Schwarzen Tod" [Die Überträger der Pest waren jedoch Nager wie Ratten, die Ungeziefer (Flöhe) in ihrem Fell beherbergten. Aber dies war unbekannt. In diesem Kontext soll erwähnt werden, daß zu dieser Zeit noch Schutzheilige für diese oder jene Krankheit erfunden worden waren: Hl. Antonius für Gelenkerkrankungen oder St. Veit für Nerven] (Pest) verantwortlich seien; daß sie Ritualmorde an (christlichen) Kindern begingen ... Der so erzeugte Haß entlud sich dann in Pogromen oder ähnlichen Drangsalierungen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jh. tauchte der Begriff "antisemtisch" auf, der wohl im Kontext zu den Auffassungen des französischen christlichen Historikers, E. Renan (1823–1892) erstmals Verwendung fand: die Semiten (Juden und vor allem Araber) seien rückwärtsgewandt und fortschrittsfeindlich. Diesem "empirischen Befund" entsprechend erhielt die nach wie vor weit verbreitete antijüdische Grundhaltung einen nationalistischen und rassistischen Inhalt.

J.-A. Gobineau (1816–1882) und H. St. Chamberlain (1855–1927) traten als die geistigen Wegbereiter der Rassendoktrin in Erscheinung. Ersterer verfaßte ein mehrbändiges Werk mit dem Titel "Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen". Hier erfand Gobineau die "arische Rasse", welche zum Herrschen berufen sei. Alle großen Kulturleistungen gingen auf das Wirken der "Arier", vor allem der blonden und blauäugigen Germanen, zurück. [Siehe Hirsch, R./Schuder, R., a.a.O. S. 495 f] Die Quintessenz: Es gäbe einerseits höher- und minderwertige Menschenrassen, andererseits existiere ein Zusammenhang zwischen den rassisch bedingten Eigenschaften und der Kulturentwicklung. Mit W. Marr (1819–1904) betrat ein Mann die antisemitische Bühne, der die Judenfrage unumwunden als ein "Rassenproblem" betrachtete [Ebenda, S. 500]. Der Titel der Broschüre "Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum. Vom nicht-confessionellen Standpunkt aus betrachtet" verweist auf die nichtreligiöse Betrachtung. Sie erschien 1879 und erreichte im gleichen Jahr 12 Auflagen!

Der Antisemitismus (Antikommunismus) als Staatsdoktrin

Als am 30. Januar 1933 die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler erfolgte (Machtübertragung), war der Weg maßgeblich vorgezeichnet, der die Ergebnisse des I. Weltkrieges revidieren sollte. Ein Hitler war ohne die sozialpolitischen und geistigen Verhältnisse "im Kaiserreich und in der Weimarer Republik nicht denkbar. Jedenfalls kam Hitler nicht aus der Hölle oder vom Himmel und war kein ‚Betriebsunfall‘. Er gehört, gemessen an den Voraussetzungen, die sein Wirken und sein Auftreten ermöglichten, wie an seiner Gedankenwelt, tief in die deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts hinein." [Fischer, F., Hitler war kein Betriebsunfall. www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecial/d-52322577.html]. Programmatisch hatte Hitler unter anderem formuliert: "Ein Staat, der im Zeitalter der Rassenvergiftung sich der Pflege seiner besten rassischen Elemente widmet, muß eines Tages zum Herrn der Erde werden."[Hitler, A., Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band. 65. Auflage. München: Franz Eher Nachfolger 1933, S. 782, in: Fromm, E., Die Furcht vor der Freiheit, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1998, S. 164].

Es galt unverzüglich jene adäquaten inneren Bedingungen zu erzeugen, die diesem strategischen Vorhaben (Weltherrschaft) nach außen den Erfolg sichern sollten. Der Antisemitismus war hierbei ein Mittel zum Zweck [Siehe Poltorak, A., Nürnberger Epilog, Berlin: Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik 1975, S. 216 f. Siehe auch Hirsch, R./Schuder, R., a. a. O. S. 507] und bot nebenbei auch die Möglichkeit zur persönlichen Bereicherung. Der (praktizierte) Antisemitismus sollte den Konsens zur Militarisierung und massiven Aufrüstung (Kriegskurs), im Propagandajargon "Wehrhaftmachung" geheißen, in großen Teilen der deutschen Bevölkerung verbriefen. Die antisemitische Propaganda eines Julius Streicher [Gauleiter von Franken, im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß zum Tode verurteilt] beispielsweise buhlte nicht nur um Verständnis für das Gegenwärtige und das noch Kommende, sondern sollte Wut und Haß in der Bevölkerung entfachen und zum Mitmachen animieren. In ihrer psychologischen Wirkung war sie nicht zu übertreffen, wenn in praxi auch ein großer Pogrom organisiert wurde (10. November 1938). Gleiches galt für die antibolschewistische Hetze, die eine angebliche Bedrohung durch "asiatische Horden" und "Untermenschen" aus dem Osten in düsteren Farben schilderte.

Binnen kurzer Frist gehörten die politischen Errungenschaften der Novemberrevolution der Vergangenheit an. Der offensichtlich von den Nazis provozierte Reichstagsbrand (27. Februar 1933) umgehend dem entschiedensten Gegner, den Kommunisten angelastet (Cui bono?) und die gleich darauf erlassene Verordnung des Reichspräsidenten "zum Schutz von Volk und Staat" (28. Februar), die jegliche Tätigkeit der KPD untersagte, waren erste Maßnahmen zur Konsolidierung der faschistischen Macht.

Das vom neu gewählten Reichstag beschlossene "Ermächtigungsgesetz" (23. März), dem sich nur die SPD verweigerte, verschaffte den braunen Machthabern beinahe unumschränkte Vollmachten. Der Weg war aber frei, um auf legalem Wege, über die Gesetzgebung, den "jüdischen Bolschewismus", zunächst im Reichsgebiet, "mit Stumpf und Stiel auszurotten". Komplementär intensivierte der braune Mob, die SA (Sturmabteilung), mit polizeilichen Befugnissen auf der Straße die Terror-Aktionen gegen alle (potentiellen) Widersacher faschistischer Politik. In erster Reihe standen Mitglieder der KPD. Zugleich organisierten die SA-Schlägerbanden einen ersten Boykott (1. April 1933) gegen jüdische Geschäfte und Praxen ("Kampf dem raffenden Kapital").

Angefügt sei, daß der Antibolschewismus, die antikommunistische Aktion, vom praktizierten Antisemitismus nicht zu trennen war und ist. Zwischen Judentum und Bolschewismus wurde kaum unterschieden. Die Begriffe waren synonym, wie am Beispiel angeführt: "Ich will heute wieder ein Prophet sein. Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann würde das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa." [Zitat in: Hirsch, R./Schuder, R., a. a. O. S. 450. Hitler im Reichstag am 30. Januar 1939].

Am 7. April 1933 erließ das Hitler-Regime das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. [Die (Reichs)Beamten in der Weimarer Republik wurden durch den Reichspräsidenten ernannt und auch entlassen, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt war. Das Ernennungs- und Entlassungsrecht konnte jedoch auch durch andere Behörden ausgeübt werden. Generell war hier die Treuepflicht zur (Weimarer) Republik geregelt]. Im §3 hieß es unter anderem: "Beamte, die nicht arischer Abstammung sind, sind in den Ruhestand zu versetzen." Es wies zugleich den Weg in Richtung Denunziation in allen Bereichen des öffentlichen Lebens und sicherte die treue Gefolgschaft der Zuträger im NS-Staat. Entsprechend der Rassendoktrin, daß die Zugehörigkeit zum Judentum nicht mehr von der Religion des Betreffenden, sondern von der "rassischen" Abstammung abhängig war, entstanden zahlreiche rassenpolitische Institutionen oder Ämter. Die bürgerliche Gleichberechtigung des jüdischen Bevölkerungsteils beseitigten endgültig die "Nürnberger Gesetze" (Reichsbürgergesetz, 15. September 1935). Im Gesetz "zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" fixierte §1 unter anderem: "1. Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes sind verboten. Trotzdem geschlossene Ehen sind nichtig. §2 Außerehelicher Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes ist verboten." Bei Nichtbefolgen drohten schwere Strafen (§5).

Bis einschließlich des Jahres 1941 erließ das faschistische Regime insgesamt 21 antijüdische Reichsgesetze. Daneben existierten zahlreiche Ergänzungsverordnungen und Bestimmungen zur alltäglichen und kleinlichen Schikane. Eine der bedrückendsten soll jedoch benannt werden: Die Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden vom 1. September 1941. §1 "(1) Juden, die das sechste Lebensjahr vollendet haben, ist es verboten, sich in der Öffentlichkeit ohne einen Judenstern zu zeigen. (2) Der Judenstern besteht aus einem handtellergroßen, schwarz ausgezogenen Sechsstern aus gelbem Stoff mit der schwarzen Aufschrift ‚Jude‘. Er ist sichtbar auf der linken Brustseite des Kleidungsstücks fest aufgenäht zu tragen."

Das öffentliche Kenntlichmachen der Juden war jedoch keine Erfindung der antijüdischen Gesetzgeber im "Dritten Reich". Jahrhunderte zuvor, im späten Mittelalter, war ihnen bereits der "Gelbe Ring" (Gelbe Fleck), in Brusthöhe aufgenäht, zum Tragen verordnet worden.

Die Bilanz des Holocaust: sechs Millionen ermordete Juden, davon ungefähr fünf Millionen aus Osteuropa (jiddisch Sprechende). Bedenklich stimmt die gegenwärtige geistige Verfaßtheit vor diesem geschichtlichen Hintergrund. Ein neues Feindbild wurde und wird erzeugt: der Islam resp. die Muslime. Es knüpft inhaltlich an die irrationale Rassendoktrin an.

 

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2010-06: Die »Neuordnung Europas« unter deutscher Ägide 

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2008-03: »Die Hauptaufgaben unserer Tage«, oder: Eine neue Qualität in den völkerrechtlichen Beziehungen