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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Das brennende Parlament

Eberhard Butter, Berlin

 

"Es ist der Bourgeoisie ernst damit, die Partei und damit die ganze Avantgarde der Arbeiterklasse zu zerschmettern. Sie wird deshalb kein Mittel unversucht lassen, um dieses Ziel zu erreichen. Also nicht nur Vernichtung der letzten spärlichen Rechte der Arbeiter, nicht nur Parteiverbot, nicht nur faschistische Klassenjustiz, sondern alle Formen des faschistischen Terrors, darüber hinaus: Masseninternierung von Kommunisten in Konzentrationslagern, Lynchjustiz und Meuchelmorde an unseren tapferen antifaschistischen Kämpfern, insbesondere an kommunistischen Führern - das alles gehört mit zu den Waffen, deren sich die offene faschistische Diktatur uns gegenüber bedienen wird." (Aus dem Referat Ernst Thälmanns auf der Tagung des ZK der KPD im Sporthaus Ziegenhals am 7. Februar 1933 [1])

Hitler, der mit Göring (Reichkommissar für das Preußische Innenministerium), Frick (Reichsminister des Innern), Graf von Helldorf (SS-Führer und Polizeipräsident von Berlin) und Goebbels (Gauleiter von Berlin und Reichspropagandaleiter) am Abend des 27. Februar 1933 an die Brandstelle geeilt war, gab dazu in dem ihm eigenen Stil des geifernden Volkstribunen eine erste Bestätigung der Thälmannschen Voraussage: Es gibt jetzt kein Erbarmen, wer sich uns in den Weg stellt, wird niedergemacht. Das deutsche Volk wird für Milde kein Verständnis haben. Jeder kommunistische Funktionär wird erschossen, wo er angetroffen wird. Die kommunistischen Abgeordneten müssen noch in dieser Nacht aufgehängt werden. Alles ist festzusetzen, was mit den Kommunisten im Bunde steht. Auch gegen Sozialdemokraten und Reichsbanner gibt es jetzt keine Schonung mehr. [2]

Die insbesondere nach 1950 in der Bundesrepublik von einigen Historikern oder solchen, die sich dafür hielten, unter Assistenz führender Medien entfachten Diskussionen über mögliche Brandstifter sollen hier nicht nochmals thematisiert werden. Die kriminaltechnische Indizienkette und ihr politischer Zusammenhang hatten die faschistische Urheberschaft überzeugend belegt. [3] Dabei bilden die Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts neu erschlossenen Akten aus DDR- und sowjetischen Archiven eine weitere Grundlage. Es ist bezeichnend, dass der Historikerstreit in der alten BRD primär um die subjektive Frage kreiste "Wer hat angezündet?" und die vor- und nachgelagerten eigentlichen politischen Prozesse unterbelichtet blieben.

Hitler äußerte einmal vor Wehrmachtsgenerälen seine Gründe, Polen überfallen zu müssen. Dabei sagte er u.a.: "Ich werde propagandistischen Anlaß zur Auslösung des Krieges geben, gleichgültig, ob glaubhaft. Der Sieger wird später nicht danach gefragt, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht ..." [4] Was dann Gleiwitz wurde, hatte seinen Vorläufer in der Bartholomäusnacht des deutschen Imperialismus am 27. Februar 1933.

In der ersten Sitzung des Kabinetts Hitler am 30. Januar 1933 wurde erkennbar, dass sich die faschistische Herrschaft noch nicht ausreichend gefestigt fühlte. [5] Die Furcht vor einem Generalstreik beherrschte die Debatten zwischen Hitler, Göring und Hugenberg. Ein Verbot der KPD wurde bereits an diesem Tag erwogen, doch angesichts von 6 Millionen Wählerstimmen, die sie in der Novemberwahl 1932 errungen hatte, noch zurückgestellt. Göring und Hitler schließlich plädierten für die Auflösung des Reichstages und für Neuwahlen, Hindenburg reagierte entsprechend. [6]

Die Brandfackeln wurden gegen 21 Uhr geworfen, die Verhaftungen Tausender Hitlergegner begannen reichsweit nur wenige Stunden später. Vorwiegend betrafen sie Funktionäre und Mitglieder der KPD, darunter fast alle Abgeordneten der Parlamente, u.a.: Wilhelm Pieck, Ottomar Geschke, Ernst Schneller, Walter Stoecker, Wilhelm Kasper, Rudolf Bernstein, Werner Scholem, Fritz Ausländer und am 3. März durch Verrat Ernst Thälmann. Als besonders gefährlich stuften die Nazis bekannte linke Intellektuelle, teils Mitglieder der KPD, ein, die beträchtliche Popularität besaßen.

Teilweise wurden alte Rechnungen beglichen, z.B. mit dem Rechtsanwalt Hanns Litten, der Hitler in einer Gerichtsverhandlung in Bedrängnis gebracht hatte. Ihren besonderen Hass richteten sie auch auf Carl von Ossietzky, Erich Mühsam, Hans Otto und Erich Baron. Ludwig Renn, Egon Erwin Kisch, Max Hodann (Arzt und Sexualwissenschaftler), Alfred Apfel (Jurist und Verteidiger von Carl von Ossietzky in früheren Prozessen) und Felix Halle (Rechtswissenschaftler) gehörten ebenfalls zu den Inhaftierten. Der Anstiftung zur Brandlegung wurden die bulgarischen Kommunisten Georgi Dimitroff, Blagoi Popoff, Wassil Taneff und der Vorsitzende der KPD-Reichstagsfraktion Ernst Torgler beschuldigt und später ebenfalls verhaftet.

Die Faschisten hatten dazu ein System provisorischer KZ, von Folterkellern und SA-Sturmlokalen und anderen Einrichtungen organisiert, weil die Kapazität der Gefängnisse nicht ausreichte. [7] Allein in Preußen stieg die Zahl der rechtswidrig Inhaftierten, auch im Zusammenhang mit dem offenen Terror im Wahlkampf um den Reichstag am 5. März 1933, auf 100.000 Personen. Die Aufstellung von Listen der zu Verhaftenden begann Ende Januar 1933 und war bis zum 26. Februar 1933 abzuschließen.

Die Folterpraktiken und Sadismen der im Staatsauftrag agierenden Büttel in der Brandnacht und in den folgenden Wochen waren der Auftakt für die Ungeheuerlichkeiten der "Köpenicker Blutwoche" Ende Juni 1933. Goebbels schrieb in diesen Tagen im Angriff [8] u.a.: "Rottet diese Pest in Deutschland so gründlich aus, dass nicht einmal der Name davon übrig bleibt … Entweder versinkt Deutschland in diesen Schwaden von Tränen und Blut, oder die Nation gibt Hitler die Möglichkeit, dem roten Spuk ein kurzes aber hartes Ende zu bereiten." [9]

Gemeint war, dass Hitler am 5. März 1933 zur Reichstagswahl die erforderliche Mehrheit zum Totalabriss der parlamentarischen Demokratie erhalten müsse.

Nach der Welle der Verhaftungen begann die der Emigration, soweit dafür noch Möglichkeiten bestanden. Sie gelang u.a. den kommunistischen Politikern Willi Münzenberg, Walter Ulbricht, Herbert Wehner, Wilhelm Pieck und Clara Zetkin. Von den sozialdemokratischen Politikern konnten u.a. noch Willi Brandt, Otto Braun, Erich Ollenhauer, Ernst Reuter, Otto Wels, Rudolf Breitscheid und Rudolf Hilferding [10] Deutschland verlassen.

Prominente Vertreter der Kultur und Kunst, des Films und Theaters und der Wissenschaft, viele mit Weltgeltung und Träger des Nobelpreises, emigrierten oder kehrten nicht nach Deutschland zurück, so u.a.: Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, die Brüder Thomas und Heinrich Mann, Erika und Klaus Mann, Anna Seghers, Arnold Zweig, Fritz Kortner, Max Reinhardt, Billy Wilder, Fritz Lang, Hanns Eisler, Paul Hindemith, Kurt Weill, Max Beckmann, Walter Gropius, George Grosz, Theodor W. Adorno, Hannah Arendt, Walter Benjamin, Ernst Bloch, Hans Mayer, Albert Einstein, Lise Meitner.

Auch die Bücherverbrennung in vielen deutschen Städten im Mai 1933 war in diesem Umfeld folgerichtig. Demokratischer und liberaler Geist, vor allem aber das marxistische Gedankengut, mussten "ausgerottet" werden. Und der angezündete Reichstag stellte eine wichtige Bedingung für die Festigung der faschistischen Macht im Jahr 1933 dar. Die dafür gebrachten Opfer des Terrors, der Demagogie und des Rechtsbruches vor achtzig Jahren werden ihren Ehrenplatz in unserer antifaschistischen Tradition in der deutschen Bundesrepublik behalten.

 

Anmerkungen:

[1] Ernst Thälmann, Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1977, S. 345 ff.

[2] WIKIPEDIA nach einem Bericht des Chefs der preußischen politischen Polizei, Rudolf Diels.

[3] Grundlagen: Der Reichstagsbrand von A. Bahar und W. Kugel Quintessenz Verlag Berlin 2000; Verteidigungsrede G. Dimitroffs vor dem Reichsgericht; Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror Paris 1933; Braunbuch II 1934.

[4] Ansprache vor den Oberbefehlshabern der Wehrmacht am 22. August 1939. Nach Heinz Bergschicker, Deutsche Chronik, Verlag der Nation Berlin 1981, S. 308.

[5] Siehe auch: Heinz Karl, 30. Januar 1933 - Ursachen. Folgen. Lehren, Mitteilungen der KPF, 1/2013, S. 28ff.

[6] Heinz Bergschicker, Deutsche Chronik 1933-1945, Verl. d. Nation Berlin 1981, S. 47.

[7] Noch im April 1933 fragte eine Berliner Regierungsdienststelle beim Regierungspräsidenten in Oppeln an, ob ein lokaler Truppenübungsplatz zur "Unterbringung" von 500 Gefangenen bereitgestellt werden könne.

[8] Tageszeitung für den Gau Berlin der NSDAP - Herausgeber J. Goebbels.

[9] Dieter Wunderlich - Buch- und Filmtipps, 2002/2008.

[10] Rudolf Breitscheid und Rudolf Hilferding wurden nach 1940 von der Vichy-Regierung an Deutschland ausgeliefert.

 

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