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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Hans Otto - ermordet am 24. November 1933 - und die Schwierigkeiten bei seiner Grabpflege

Eberhard Butter, Berlin

 

Dort ziehn sie her, die falschen Anverwandten, wie sie mich Oheim, Vetter, Bruder nannten, Sich immer mehr und wieder mehr erlaubten, dem Zepter Kraft, dem Thron Verehrung raubten, Dann, unter sich entzweit, das Reich verheerten und nun gesamt sich gegen mich empörten! Die Menge schwankt im ungewissen Geist; dann strömt sie nach, wohin der Strom sie reißt. (Worte des "Kaisers" aus Faust II von Goethe, 4. Akt: Auf dem Vorgebirg)

Das mögen wohl einige der letzten Verszeilen gewesen sein, die der Schauspieler Hans Otto in seiner Rolle als "Kaiser" in Goethes Faust II in der Aufführung am 23. Mai 1933 am Preußischen Staatstheater (nach 1945 Schauspielhaus am Gendarmenmarkt) zu seinen Lebzeiten gesprochen hat.

Am 24. November 1933 starb er an den Folgen der Verletzungen, nachdem ihn SA-Banditen aus dem obersten Stockwerk ihrer Kaserne in der Berliner Voßstraße gestürzt hatten. SA-Suchtrupps spürten ihn am 14. November 1933 auf, schleiften ihn durch mehrere "Sturmlokale" und Kasernen, misshandelten ihn schwer, konnten ihn aber nicht beugen. Mithäftlinge berichteten, dass der Gequälte noch die Kraft aufbrachte, anderen gefolterten Genossen solidarisch beizustehen.

Vergeblich suchte der Schauspieler Paul Bildt nach ihm, stieß jedoch auf taube Ohren. Der Chefdramaturg des Preußischen Staatstheaters Hanns Johst [Hanns Johst (1890-1978): völkisch-nationalistischer Schriftsteller und Dramatiker, früher expressionistisch beeinflusst; ab 1935 Präsident der Reichsschrifttumskammer; SS-Gruppenführer; persönlicher Freund Himmlers; Entnazifizierungsverfahren 1951 (belastet); Rehabilitierung 1955.] ließ sich gar nicht erst sprechen. Von den Zunftkollegen stand nur der Schauspieler Carl Raddatz an seinem Grab und Gustaf Gründgens bezahlte die Beerdigung.

Heutzutage bezahlt das Potsdamer Hans-Otto-Theater die Pflege seines noch erhaltenen Grabes auf dem Berlin-Wilmersdorfer Waldfriedhof. Vor einiger Zeit berichtete die Märkische Allgemeine Zeitung, dass Hans Otto deshalb kein "Ehrengrab", das aus offiziellen Mitteln errichtet und gepflegt wird, erhalten könne, weil er im Wortsinne kein "Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft", sondern lediglich "gestorben" sei und nicht "ermordet" wurde. Es versteht sich heute, dass bei der Finanzierung der Grabstätten ermordeter Kommunisten und ihrer Pflege strengste fiskalische Maßstäbe anzulegen sind, zumal das nazideutsche Berliner Standesamt auch in diesem Fall (z.B. auch bei Erich Baron) den Mord als "Selbstmord" registrieren musste.

Hans Otto war Kommunist und Schauspieler. Er verkörperte jenen Typus eines Darstellers in der Weimarer Republik, der z.B. neben Ernst Busch, Wolfgang Heinz und Wolfgang Langhoff seine Kunst in den Dienst der sozialistischen Idee und des Kampfes der Arbeiterklasse stellte. Politik und Kunst waren für ihn eine Einheit. Deshalb wandte er sich vehement gegen den auch elitären bürgerlichen Kunstbetrieb seiner Zeit als Ausdruck der Kluft zwischen Theater und Wirklichkeit und erkannte die Krise der Kunst als Krise der bürgerlichen Gesellschaft. Wer so hinter die Kulissen der bürgerlichen Welt blickte und danach künstlerisch und politisch handelte, musste die Aufmerksamkeit und den Hass des Klassenfeindes auf sich richten. Die Furcht vor linkem, aufklärerischem Geist war groß bei den Faschisten, weshalb Goebbels auch die offizielle Bekanntgabe des Todes von Hans Otto verbot.

Hans Otto wurde am 10. August 1900 in Dresden als Sohn eines Beamten geboren. Entgegen dem elterlichen Wunsch wurde er nicht Kaufmann, sondern Schauspieler. Nach seiner Soldatenzeit im Ersten Weltkrieg nahm er in Dresden Schauspielunterricht von 1918 bis 1920 und erhielt sein erstes Engagement bei Robert George und Adam Kuckhoff [Adam Kuckhoff (1887-1943): Widerstandskämpfer (Rote Kapelle), Schriftsteller, Theaterleiter.] am Künstlertheater in Frankfurt a.M., wo er vorwiegend im Tournee-Ensemble spielte. An den Hamburger Kammerspielen war er von 1923 bis 1924, in Gera von 1924 bis 1926, am Deutschen Schauspielhaus Berlin von 1926 bis 1929 und am Preußischen Staatstheater von 1930 bis 1933 engagiert, wo u.a. Elisabeth Bergner, Heinrich George und Werner Krauß [Bedeutende Schauspieler von Bühne und Film; Krauß und George ließen sich vom faschistischen Kultur- u. Propagandabetrieb künstlerisch missbrauchen.] zu seinen Partnern zählten. Meist verkörperte er den Typ des jugendlichen Helden. Sein Repertoire unter den berühmtesten Regisseuren seiner Zeit umspannte die deutsche Klassik/Romantik von Lessing bis Kleist und die dramatische Literatur von Marlowe/Brecht, Friedrich Wolf, Ferdinand Bruckner, Lion Feuchtwanger und Gerhart Hauptmann. Unvergessen sind seine Darstellungen des Romeo, Egmont und Max Piccolomini.

Der KPD trat er 1924 bei. Er war Mitbegründer der Agitprop-Truppe "Die Nieter" und seit 1930 Vorsitzender der Berliner Sektion des "Arbeiter-Theater-Bundes Deutschland" (ATBD) [ATBD: ursprünglich sozialdemokratisch orientiertierte Organisation; später kommunistischer Einfluss; förderte künstlerische und politische Qualifizierung der Arbeitervereine und Agitprop-Gruppen (Vorsitzender Gustav von Wangenheim); Mitbegründer des Internationalen Arbeiter-Theater-Bundes (IATB) 1929 in Moskau.]. Auch führte er den Oppositionsflügel in der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger Berlin und erwarb sich dadurch hohe Anerkennung, dass er erfolgreich die Interessen der Bühnenarbeiter, Musiker, Chormitglieder und Schauspieler vertrat und durchsetzte.

Anfang 1933 stellte ihn die Leitung des Preußischen Staatstheaters vor die Wahl, entweder sich zum "Nationalsozialismus" zu bekennen oder das Haus zu verlassen. Nachdem er ein solches Bekenntnis selbstverständlich abgelehnt hatte, kündigte man ihm. Er wählte die illegale Arbeit für seine Partei im Berliner Stadtbezirk Mitte, hier war er Mitglied ihrer Bezirksleitung. Der weltbekannte Regisseur und Theaterleiter Max Reinhardt bot ihm an, nach Wien zu wechseln, und sein Freund Paul Bildt riet ihm dringend zur Emigration.

Er bleibt in der Erinnerung als ein Kämpfer, der seine gelebte Auffassung von Künstlertum mit den Idealen seiner Partei verband. Optimismus, Verantwortungsgefühl und ein reiner revolutionärer Wille ließen ihn den Kampf zusammen mit Gleichgesinnten gegen das übermächtige faschistische Ungeheuer aufnehmen.

Bertolt Brecht schrieb noch im Dezember 1933 aus der dänischen Emigration in Unkenntnis des Todes Hans Ottos in einem Offenen Brief an den Schauspieler Heinrich George u.a.: "Er ist ein Mann von seltener Art, nicht käuflich!"

In der DDR ehrten wir ihn vielfältig: So gibt es noch das Potsdamer Hans-Otto-Theater, es fand ein Hans-Otto-Wettbewerb zwischen den Theatern statt, gestiftet wurde eine Hans- Otto-Medaille, die Theaterhochschule Leipzig trug seinen Namen und es gibt Hans-Otto- Straßen in Berlin und Leipzig.

Armin Stolper würdigte ihn u.a. in seinem Buch "Die fünf roten Hunderte" (Verlag Kai Homilius, Jahr 2000).

Jutta Wardetzky und Curt Trepte veröffentlichten: "Hans Otto. Ein Mann seltener Art. Biographie, Lebenszeugnisse, Dokumente" im Henschelverlag Berlin 1985.

Der Schriftsteller Klaus Mann verlieh 1936 in seinem Roman "Mephisto" der Figur Otto Ulrich Züge von Hans Otto. [Quellen: Luise Kraushaar Deutsche Widerstandskämpfer 1933 bis 1945, S.41 ff. Dietz Verlag Berlin 1970; Hans-Rainer Sandvoß, Widerstand in Mitte und Tiergarten, S. 99/100. Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1999; Christoph Trilse, Klaus Hammer, Rolf Kobel, Theaterlexikon, S.403, Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 1978.]

 

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