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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Hanno Günther - ermordet vor siebzig Jahren

Eberhard Butter, Berlin

 

Eine oft praktizierte Repressionsmethode der Faschisten war der mittelalterliche öffentliche Pranger. Neben Hinrichtungen auf Plätzen in den okkupierten Ländern und der Zurschaustellung der an sogenannter "Rassenschande" oder der Fraternisierung mit feindlichen Kriegsgefangenen Beteiligten wurden auch die jeweils im staatlichen oder militärischen Auftrag Ermordeten bekanntgemacht. Es ging um vorbeugende Einschüchterung und Abschreckung der Bevölkerung, weil man ihrer Loyalität nicht sicher war.

So verkündete der "Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof" [1] am 3. Dezember 1942 auf schreiend roten Plakaten in ganz Berlin, dass "heute Hanno Günther hingerichtet worden" ist. Der Volksgerichtshof hatte ihn wegen "Landesverrates und Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode und zum dauernden Ehrverlust" verurteilt. Von seinem 16. bis 20. Lebensjahr hätte er "fortgesetzt gemeinschaftlich mit anderen das hochverräterische Unternehmen, mit Gewalt die Verfassung des Reichs zu ändern, vorbereitet …" Und "niemals hätte er sich vom kommunistischen Gedankengut freigemacht", wie es u.a. in der Anklageschrift hieß. Wichtig erschien, dass sein Lebensalter von 21 Jahren auf den Plakaten ausdrücklich angegeben wurde, offensichtlich um den totalen Verfolgungswillen des "Volksgerichts" zu propagieren. Hanno Günther, in Wehrmacht und Hitlerjugend gepresst, war neben dem mit 17 Jahren hingerichteten Helmuth Hübener einer der jüngsten ermordeten kämpfenden Antifaschisten.

Das Jahr 1942 endete mit gewaltigen militärischen Niederlagen der faschistischen Armeen. Die Rote Armee hatte den Ring um die 6. faschistische Armee und ihre Verbündeten bei Stalingrad fest geschlossen und die britischen Streitkräfte das sogenannte "Afrikakorps" vernichtend geschlagen. Die strategische Wende des Krieges bahnte sich an. Das trug auch dazu bei, dass der antifaschistische Widerstand und der faschistische Terror wuchsen. Die 1192 Todesurteile des "Volksgerichtshofes" 1942 bildeten einen ersten Höhepunkt seit Beginn der faschistischen Herrschaft, das waren 46,3 Prozent aller dort Angeklagten. [2]

Während seiner beruflichen Tätigkeit als Bäcker nahm Hanno Günther Verbindung mit der kommunistischen Widerstandsgruppe um Elisabeth Pungs auf. [3] Nach dem Überfall auf Polen verteilte er mit ihr die ersten Flugblätter gegen den faschistischen Krieg. Im Juli 1940 begann die Widerstandsgruppe, zu der auch seine ehemaligen Schulfreunde der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln Emmerich Schaper und Bernhard Sikorski und die Jugendlichen Wolfgang Pander und Dagmar Petersen gehörten, die Flugschrift "Das freie Wort" und andere Flugblätter zu verfassen und zu verbreiten. Darin entlarvten sie u.a. die sozialdemagogischen Phrasen der Faschisten, die Verbindungen der Rüstungsindustriellen mit Hitler, forderten die Rüstungsarbeiter zur Sabotage auf und verbreiteten Nachrichten über die Kriegslage. Verbindung nahm Hanno Günther auch mit Herbert Bochow und dem Musiklehrer Schmidt-Sas auf. [4] Am 28. Juli 1941 wurden Hanno Günther und seine Gruppenmitglieder verhaftet und am 9. Oktober 1942 mit Ausnahme von Dagmar Petersen, die sieben Jahre Zuchthaus erhielt, sämtlich zum Tode verurteilt.

Hanno Günther wurde am 12. Januar 1921 in Berlin geboren. Seit 1930 war er Mitglied der Roten Jungpioniere und besuchte die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln, wo seine Mutter als Lehrerin tätig war. Diese Schule war eine der wenigen Schulen der Weimarer Republik, an der im Sinne der am Anfang des 20. Jahrhunderts begründeten "Deutschen Reformpädagogik" ein liberaler, demokratischer und antifaschistischer Geist herrschte, der die konservativen und auch offen reaktionären Erstarrungen und Verkrustungen des deutschen Schulsystems auflösen sollte (z.B. Persönlichkeitsbildung, Abschaffung des Religionsunterrichts, Koedukation). Die Mutter von Hanno Günther beschreibt in ihrem Lebenslauf die Rütli-Schule als "weltliche Volksschule, die es sich wie wohl keine zweite in Berlin angelegen sein ließ, antifaschistischen Geist in der Jugend zu wecken und zu pflegen." [5]

Ein Grund für die Faschisten, sie sofort nach der Machtübertragung an sie zu schließen, sodass Hannos Eltern ihn auf die "Schulfarm Scharfenberg" (Inselsiedlung im Tegeler See, Berlin) in der Hoffnung schickten, dass dort der demokratische Geist sich noch länger halten könne.

Wegen seiner oppositionellen Haltung, u.a. schrieb er sozialkritische Aufsätze, verließ er auf dringende Empfehlung der inzwischen auch dort tätigen Nazilehrer die Schule und erlernte das Bäckerhandwerk. Die Gnadenlosigkeit und Härte der Strafen für Hanno Günther und seine Genossen ist auch die Angst der Faschisten vor Antworten auf Fragen, die der Widerstand stellte im Namen Vieler, die schwiegen. Die Kämpfer erfüllten auch das humanistische Erbe von Eltern und Lehrern - als Opfer ihrer Jugend. Eine Reihe von Schulen, Kinder- und Jugendheimen und eine Jugendherberge trugen in der DDR den Namen von Hanno Günther. Ebenso Schiffe der Fischfangflotte und der Volksmarine. Gedenktafeln gibt es noch auf der Insel Scharfenberg und in der Hufeisensiedlung Berlin-Britz. [6]

 

Anmerkungen:

[1] Oberreichsanwalt am Volksgerichtshof von 1939 bis 1945: Dr. Ernst Lautz (1887-1977); Verurteilung als Kriegsverbrecher (10 Jahre Haft); vorzeitige Haftentlassung 1951 nach 4 Haftjahren.

[2] Heribert Ostendorf, Informationen zur politischen Bildung, Heft 306, 2010, Bundeszentrale für politische Bildung.

[3] Elisabeth Pungs (1896-1945): Mitglied der Roten Hilfe; stellte ihre Wohnung für die illegale Arbeit zur Verfügung.

[4] Herbert Bochow (1906-1942): Kommunist, Schriftsteller, Widerstandskämpfer - ermordet; Alfred Schmidt-Sas (1895-1943): Volksschullehrer, Musiker, Lehrer von Gisela May, Widerstandskämpfer - ermordet.

[5] Zu ihren Schülern gehörten auch Hildegard Jadamowitz (1916-1942), Widerstandskämpferin - ermordet; Werner Steinbrink (1917-1942), Widerstandskämpfer - ermordet, beide Herbert-Baum-Gruppe; Walter und Wolfgang Ruge.

[6] Oberreichsanwalt am Volksgerichtshof von 1939 bis 1945: Dr. Ernst Lautz (1887-1977); Verurteilung als Kriegsverbrecher (10 Jahre Haft); vorzeitige Haftentlassung 1951 nach 4 Haftjahren.

 

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