Zum Hauptinhalt springen
Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Brecht: Als ich wiederkehrte

Gina Pietsch, Berlin

 

War mein Haar noch nicht grau
Da war ich froh.
Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns
Vor uns liegen die Mühen der Ebenen.

Wieder kehrte er am 22. Oktober 1948. Freundlich wurde er in Europa nicht empfangen. Aus Amerika, nach dem Verhör zur »Untersuchung unamerikanischer Umtriebe« ausgewie­sen, will ihn 1947 in Europa keiner haben. Im Bericht des Kommissars Meyer IV der Züri­cher Stadtpolizei steht: Kommunisten internationaler Prägung haben nämlich in unserem Lande nichts mehr zu suchen.

Brecht will unabhängig bleiben, aber das zählt nicht. Er hat keinen Pass, da 1935 von den Nazis ausgebürgert. Gottfried von Einem, österreichischer Komponist, wird wegen Hilfe in Brechts Passangelegenheiten als Direktoriumsmitglied der Salzburger Festspiele entlas­sen. Alle 3 westlichen Besatzungszonen lehnen Brecht ab. Nur die sowjetische bietet ihm Wohnsitz und Arbeit, genauer, zwei gebildete sowjetische Theateroffiziere, Fradkin und Dymschitz, unterstützt von Langhoff und Ihering, der schon einen Tag nach Brechts An­kunft im Kulturbund äußerte, Wir haben lange genug nach ihm gerufen. Wir freuen uns, daß er jetzt da ist. Diese vier ebneten den Boden für Arbeit am Deutschen Theater und für die Rolle, die der Weigel Weltruhm brachte, mit »Mutter Courage und ihre Kinder«. Am 11. Ja­nuar 1949 kam das Theaterereignis der Nachkriegszeit heraus, wurde ein Riesenerfolg, und gerade deshalb zwiespältig betrachtet. Bedenken gegen Spielweise äußerte schon der Oberbürgermeister Friedrich Ebert, der, wie Brecht beschreibt, mir weder Guten Tag noch Adieu sagte, sprach mich nicht einmal an und äußerte nur einen skeptischen Satz über un­gewisse Projekte, durch welche Vorhandenes zerstört würde. Glücklicherweise ist da noch Wilhelm Pieck, Präsident der DDR, der in jede Theatervorstellung läuft, die Weigel schätzt, und an den sie sich in Nöten wenden können.

Mit Wilhelm Pieck zusammen leitete 1918 den Gründungsparteitag der KPD Brechts Freund Jakob Walcher. Am zweiten Tag nach der Rückkehr aus dem Exil: nachmittags bei jakob walcher, der über die schwierige lage spricht, nüchtern und positiv wie gewöhnlich. Brecht bewundert, wie da einer über die Zeiten, trotz massiver Enttäuschungen, einer Sache treu bleibt, ohne Renegat zu werden oder kokett. Walcher landet dort, wo Brecht dann auch landet, im Osten. Die gemeinsame Arbeit geht weiter. Walcher stellt für Brecht die Verbindung zu Gewerkschaftern her und ermöglicht ihm, die Generalprobe der »Coura­ge« vor Hennigsdorfer Stahlwerkern zu spielen. Die saßen, laut Brecht, freilich lange wie zaungäste, reagierten dann in der Diskussion aber gerade so, wie er hoffte, mit Kritik an der Courage, die trotz Verlusts ihrer drei Kinder Händlerin bleibt, ohne den Krieg zu verur­teilen, also keine positive Heldin wird. Das aber gerade beanstandet einer, vor dem sie sich wirklich vorsehen müssen – Fritz Erpenbeck, Speichellecker unter Stalin, führender Genos­se aus dem Ulbricht-Kreis, Brecht-Gegner schon im Moskau der Dreißiger Jahre als Chef­redakteur der Zeitung »Das Wort«, und später in der DDR von »Theater der Zeit«. Nach dem Erfolg der »Courage« bricht er Streit vom Zaun, gipfelnd im Vorwurf volksfremde Dekadenz. Hintergrund ist das Thema der V. Tagung des ZK der SED 1951, Kampf gegen den Forma­lismus und Proletkult. Letzteres war wieder da bei Neuaufnahme der »Mutter« in den Spiel­plan. Da traut sich der Leiter der Abteilung Parteischulung, Alfred Oelßner, der mit Kultur kaum zu schaffen hat, so etwas: Aber, Genossen, es sind auch in der »Mutter« von Brecht Szenen, die einfach historisch falsch und politisch schädlich sind. Angesichts solch mieser Provinzkritikastereien, die ihnen das Leben schwer machten, konnte das »Lob des Kommunismus«, das die Weigel als Pelagea Wlassowa singt, nur als schöne Zukunftshoff­nung verstanden werden.

Brecht und Weigel, die zukünftige Intendantin, brauchen einen langen Atem, aber sie haben ihn gelernt, sie in 15 Jahren Aussperrung aus ihrem Beruf im Exil und natürlich als Courage oder als Fischweib im »Verhör des Lukullus«, als Gouverneurin Natella Abaschwili im »Kaukasischen Kreidekreis«, und natürlich als Freundin und Kollegin von Eisler, Dessau, Arnold Zweig, Gret Palucca, Gustav Seitz und den vielen anderen Künstlern, die unter diesen Debatten litten. Brecht fordert fruchtbare Diskussionen, bildlich so: Wie soll eine Linde mit jemandem diskutieren, der ihr vorwirft, sie sei keine Eiche?

Trotzdem: Sie kapitulierten nicht, so traurig die »Buckower Elegien« auch manchmal klin­gen. Sie machten weiter, als einzige anknüpfend dort, wo 33 die Arbeiterkulturbewe­gung abbrach, Profis, die ohne Arroganz mit Laien zusammenarbeiten, mit der Reichel, die ohne Ausbildung aufgenommen, mit Manne Krug, dem der Start zur Karriere ermöglicht wurde. Weigel, die Mutter des Ensembles, die sich um jeden Dreck kümmert, an tausend Stellen zugleich, sucht Möbel zusammen fürs Theater, packt jährlich 150 Weihnachtspäck­chen, einmal mit 6 Meter grünem Cordsamt pro Nase, so dass das ganze Ensemble in Grün geht. In Amerika Bespitzelung durch das FBI gewohnt, übernimmt das nun die Stasi und der mit Parteiauftrag bestückte Brecht-Kontrolleur Wilhelm Girnus. Der rechnet zu Brecht, der sich bewähren muss, die Weigel gleich dazu. Und so hat auch sie bald das Stigma weg, eine unzuverlässige Person zu sein, die den Dichter editiert, der im »Aufbau­lied der FDJ« zum sich selber führen aufgehetzt hatte. Da muss sie nicht selten die List der Anna Fierling ausnutzen. Im Courage-Kostüm stürmt sie in Grotewohls Büro, um sich wieder mal zu beschweren, über schlechte Babynahrung und ungesunde Kinderschuhe.

Brecht hält sich an eine seiner Vorlieben, Vorschläge. Selbst wenn wir alle weglassen, die er als Theater-Dichter, -theoretiker, Regisseur, Prosaist oder einfach als politischer Mensch im Alltag machte, bleiben immer noch Hunderte in seinen Versen übrig, witzig und weise, höflich und unverschämt, abgeklärt und unerbittlich, und meist mit dem Ziel, in gesell­schaftliche Prozesse einzugreifen. Der Vorschlag, sich selbst zu vertrauen beim Aufbau des zerrissenen Landes, soll genannt sein und der, aufmerksam zu sein gegenüber unwich­tig empfundenen Dingen, das Wahrnehmen der Rufe des Geliebten, wie das Achtgeben auf eigene Gesundheit. Zusammengefasst hieß das schon mal im »Guten Menschen von Sezuan«: Keinen verderben zu lassen, auch nicht sich selber, jeden mit Glück zu erfüllen, auch sich. Das ist gut.

Einmischungen in Kunst durch Funktionäre der Partei- und Staatsführung kannte Brecht zur Genüge. Mit Gustav Seitz zusammen wehrte er sich gegen die unqualifizierten Kritiken an Barlachs Werken innerhalb der Ausstellung der Akademie der Künste im Januar 1951, getätigt unter anderem von Wilhelm Girnus, der sich noch später gegen Hanns Eisler und Paul Dessau unrühmlich hervortut. Herausgegriffen die beschämenden Vorgänge um die Uraufführung der Oper »Das Verhör des Lukullus« in der Staatsoper, die Brecht, Dessau und den großen Schweizer Dirigenten Hermann Scherchen betrafen. Honecker verteilte Freikarten an die getreuesten FDJler und verdonnerte sie zu Pfeifkonzerten gegen die »dekadenten« Künstler, das mit folgender Begründung: Ihr wurdet hierher gerufen, weil wir noch heute eine Aktion starten, die einigen Formalisten und Schädlingen unter unseren Künstlern eine Lehre sein soll … Es ist fatal, wenn bekannte Künstler zu uns ziehen, die schon vor 1933 eine bürgerliche oder das Proletariat irreführende Kunst gemacht haben. Ich spreche von Brecht und Dessau … Trotz des Pfeifens die Ovationen des Publikums, 20 Minuten lang, waren lauter. Doch dann wird erst einmal abgesetzt. Wilhelm Pieck muss sich zum Schlichten einschalten. Hermann Scherchen bat: Geben Sie uns den Kredit, las­sen Sie uns das Werk erst richtig spielen und hinterher vermöbeln Sie uns, so wie Sie wollen. Seine Meinung nämlich, daß er noch nie ein so erschütterndes Beispiel zur Bekämpfung des Krieges kennengelernt hatte. Brecht fand die Lukullus-Debatte im Nachhinein kurioserwei­se erfrischend, denn: Man bedenke, dass eine ganze Regierung mit großem Ernst über Kunstprobleme diskutiert hatte.

Aber gegen diese, ihre erste Regierung, streikten zwei Jahre später die Arbeiter. Brecht war tief bestürzt. Seine Vorschläge, zur Unterstützung mit Busch und Weigel im Rundfunk zu sprechen, wurden abgeschmettert, seine briefliche Forderung an die Regierung, mit den Arbeitern zu reden, fielen unter den Tisch. Seinen Brief verstümmelnd, blieb zum Abdruck im ND nur der Satz, in dem er sich grundsätzlich zur DDR bekennt. So muss er sich vertei­digen, selbst seinem Freund Peter Suhrkamp gegenüber. Der 17. Juni stellt alles in Frage. Da ist er dann oft in Buckow. Die Natur wird wichtiger, auch zur Regenerierung der eige­nen. Es entstehen »Buckower Elegien«, im Westen kaum verstanden, in der DDR missdeu­tet als zu dicht an der Zeit oder zu dicht an der Natur.

Drei Jahre schreibt er noch, lehrt, inszeniert, organisiert, mischt sich ein in Politik, selten zur Freude der Herrschenden, schuf ein neues Theater, das eine neue Gesellschaft beför­dern helfen sollte und das Weltgeltung erzielt.

Im Mai 56 lassen die Kräfte nach.

 

Mehr von Gina Pietsch in den »Mitteilungen«: 

2018-07: Meine Hoffnungen

2016-05: Nachdenken über ein Lied