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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Bildungsoffensive?

Walter Ruge, Potsdam

 

Über "Randthemen" wird nicht gern geschrieben, sie sind "schwierig", und man gelangt schnell ins schiefe – auch linksschiefe – Licht. Werner Seppmann (jW, 27./28. März 2010) wagt es und gibt uns eine Fülle von Anregungen. "Erfolgreiche Transformationsprozesse" – schreibt er, und nähert sich damit einem hochaktuellen Thema unserer anlaufenden Programmdebatte – "setzen ein profiliertes Wissen um die gesellschaftlichen Verhältnisse voraus – das war jedenfalls die Auffassung von Karl Marx". Dem ist die Arbeiterbewegung – auch in Deutschland – über Jahrhunderte gewissenhaft nachgekommen, mit einem breiten Netz von Arbeiterbildungsvereinen, Lenin gründete zum Ende des 19. Jahrhunderts Zirkel für das Petersburger Proletariat, in der Weimarer Republik gab es die prominente Marxistische Arbeiterschule, die Schulferien verbrachten wir kommunistischen und sozialdemokratischen Schüler in Ferienschulungslagern, das ging bis zu Parteihochschulen – Marx’ Wort war angekommen.

Werner Seppmann plädiert für eine längst fällige, regelrechte Bildungsoffensive, was Bildungsarbeit unter der Jugend einschließt; diese "Vermittlungsaufgabe" wäre schon mal ein Thema für DIE LINKE. Angesichts unserer theoretischen Zersplitterung, ja Sterilität, ergibt sich eine Bildungsmisere, mit einem Wort, wir wüßten gar nicht, was wir der Jugend eigentlich "beibringen" wollen. Vor dem Faschismus hatte ich das Glück, in einer Vortragsreihe von Herrmann Duncker zu hören, über "Staat und Revolution", "Revolutionstheorie und Praxis", über "hegelsche und marxsche Dialektik", die "Pariser Kommune" – aber das floß ein in ein einheitliches Weltbild. Wir gefallen uns zur Zeit in einer politischen Multivision, jeder kann zur "BILD"-Zeitung rennen und seine "Theorie" produzieren. Bildung muß durchaus kein Abschottungsprozeß werden, aber eine engere Wahl der Lehrmeister müßte schon getroffen werden. Sollten wir auf den unübertroffenen Engels zurückgreifen – selbst da kommen sicher erste Einwände – den genialen Marx zu Rate ziehen, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Bei Lenin würden sofort "Einwände" auf den Tisch kommen, "Diktatur", "Revolution", "Freiheiten" – Wie wäre es mit Plechanow, heute wahrscheinlich für eine LINKE schon zu links. Der allgemeinen Strömung genügend, würden einige auf Eduard Bernstein bestehen, andere würden sich dagegen stemmen. Diese kurze Aufzählung zeigt, wie zerrissen wir, damit unsere eventuellen Bildungskonzepte wären. Also plätschert alles vor sich hin, bloß weil wir nicht richtig wissen "Was tun?".

Nicht weniger wichtig wäre die Bereitschaft der Linksjugend zur Weiterbildung, ein Stab von Dozenten müßte her. Die bedingungslose Bereitschaft, wie wir sie einmal kannten, ist durch die Medien überlagert. Wir sind an das geniale Marxwort, Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift, erinnert, hier sprudelt es geradezu vor Dialektik, und doch müssen wir uns eingestehen, es wird schwer sein, die heutigen "Massen zu ergreifen", im Grunde genommen die früheren "Massen" ebenfalls. Die Besatzung des Panzerkreuzers "Potjomkin", die Stürmer des Winterpalais oder des Perekops waren zum Teil Analphabeten. Die Massen folgten damals faßbaren Losungen der Bolschewiki, wie "Nieder mit dem imperialistischen Krieg" oder "Alle Macht den Räten".

Nun noch ein paar Bemerkungen zu den "Streetworkern" und ihrem Umfeld. Es wäre kurzsichtig, sich darauf zu konzentrieren, sie zu vereinnahmen, zu "gewinnen". Es würde genügen, wenn wir den Schwelbrand unter dem Straßenpflaster erst einmal zur Kenntnis nehmen, uns mit ihm vertraut machen, ihn verstehen lernen. Wie bei einem Vulkan ist die Eruption, die so genannten "Maifeiertage", plötzlich da. Hier ballt sich ein enormes system-ablehnendes Potential – "die Widerstandshandlungen der Krisenopfer" – zusammen, das von den Medien genüßlich, TV-optisch ins "rechte Licht" gesetzt wird – um es zu diskreditieren, als "Randalierer", als "linkes Gewaltpotential", als "nächtlichen Krawall", mit einem Wort einen verläßlichen Bürgerschreck aufzubauen. Dieses endlose Gerede über Menschenrechte und Menschenwürde sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich hier um Menschen, um die Humandeponie dieser Gesellschaft handelt. Es sind junge Menschen, die nicht "zu Wort" kommen – auch wir Älteren sehen, daß "der Kapitalismus seine ideologische Hegemonie nicht verloren hat", auch wenn wir nicht gerade in Kreuzberg wohnen – sie wollen sich wenigstens einmal im Jahr "Gehör verschaffen", und damit könnten wir, lange vor den "Krawallen", schon mal anfangen, das Gespräch suchen, versuchen ihnen Zusammenhänge zu erklären. So wäre es schon ein Gewinn, wenn wir ihnen klar machen könnten, daß die eigentlichen Verursacher ihrer verzweifelten Lage nicht "die Bullen" sind, daß Autos, die nachts auf der Straße stehen, nicht ihren Peinigern, sondern anderen Gepeinigten gehören.

Noch in der Weimarer Zeit florierte in unserer "Linksjugend" Wilhelm Liebknechts Wort "Wissen ist Macht". Nun, Wissen alleine ist sicher noch nicht "Macht", umgekehrt verfügten viele "Macht"-Haber, bis hin zum "Führer", über sehr bescheidenes Wissen. Unsere Vision einer menschenwürdigen Gesellschaft wäre sicher eine Legierung von Wissen und Macht, ein schon bei Platon anzutreffendes "Reich der Vernunft".

 

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2010-03: Bestand so viel Notwendigkeit?

2010-02: Wertvoller Rückblick

2009-10: Verschwommenes „Sehen“ und Ungereimtes