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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Besser Exit als Exitus: Die Bundeswehr am Hindukusch

Rolf Richter, Eberswalde

 

In der "Barnimer Bürgerpost" (siehe www.bar-blog.de/barnimer-buergerpost/) erschien in den Ausgaben Juni, Juli und August/2010 eine dreiteilige Serie von Rolf Richter über die Hintergründe des Afghanistan-Kriegseinsatzes der Bundeswehr. Wir dokumentieren den mittleren Teil an dieser Stelle.

 

Vier Wochen seit Erscheinen des ersten Teils hat die Situation noch an Dramatik gewonnen. Herr Köhler sagte versehentlich die Wahrheit und mußte gehen. Die bedrängte Obama-Regierung "entdeckte" sensationell aufgemacht die afghanischen Bodenschätze und bestätigte so Köhlers "Versprecher". Noch mehr deutsche Soldaten und Panzer für den "Endsieg" – aber noch häufiger geraten sie unter Beschuß.

Motive, Interessen, Ziele

"Wir wollen nicht kopflos raus – Sie sind kopflos rein!" (Gysi vor dem Bundestag). Damals, Ende 2001, wurden Kulissen geschoben. Kein Afghane hat am 9. 11. die USA angegriffen. Es gab auch keinen Bündnisfall für die NATO – er wurde konstruiert. Möglich, daß Schröder, der "Genosse der Bosse", und Fischer´s Friends den Kopf verloren hatten, als sie mit allen Traditionen deutscher Afghanistanpolitik brachen.

Aber Gründe hatten sie schon. Da war einmal die Befürchtung der Exportindustrie, man könnte am US-Markt Boden verlieren, wenn Berlin nicht mitmarschiert. Zum anderen erwartete man bei Beteiligung am Abenteuer ökonomische Vorteile, die sonst ausbleiben konnten. Und das war richtig gerechnet. 2003, im Irak, gingen alle Aufträge an US-Firmen als Hauptauftragnehmer. Die Deutschen waren eben nicht dabei. Auch heute betont die Karsai-Regierung, bei Vergaben würden die "helfenden Nationen" bevorzugt. Einige Beispiele nun dafür, was Afghanistan "einbrachte", und wem. Das Recherchieren ist einfach. Nur einen Konzernnamen und das Wort "Afghanistan" in die Suchmaschine geben ...

Bei Krieg denkt man zuerst an Rüstungsindustrie. Die wird ihre Produkte aber zumeist weltweit los, legal oder illegal, mit oder ohne deutsche Konfliktbeteiligung. Natürlich sind die Konzerne nicht böse, wenn der Krieg möglichst lange dauert, und wenn die Bundeswehr ausgiebig bestellt. Der niedrige Eurokurs beschert ihnen zusätzliche Gewinne. Ob BMW, MAN, EADS, Daimler, alle sind dabei ("Der Euro stürzt ab – na und?", Financial Times Deutschland, 8.5.2010). Heckler&Koch, Kleinwaffenhersteller, lieferte nach Somalia und Georgien und geriet wegen Kooperation mit der US-Mörderfirma Blackwater (Irakeinsatz!) in die Schlagzeilen (Lehrgänge in USA, Waffenlieferungen "nur" für Übungszwecke). Natürlich posiert die Bundeswehr in Afghanistan mit der H&K MP7 (www.frontline-pictures) und rüstet "Truppenteile mit erhöhtem Bedarf" mit H&K Pistole 8 aus. Auch das KSK verwendet H&K (dazu Military Page, "Die Seite rund ums Militär"). Besonders sahnen die Panzerbauer ab – Krauss-Maffei-Wegner (KMW) und Rheinmetall: "Bundeswehr bestellt 44 mobile Werkstätten vom Typ Dingo 2 GSI" bei KMW (6.4.2010) – "Bundeswehr bestellt 41 Dingo 2 – KMW liefert noch vor Ende des Jahres" (29.3.2010). Handelsblatt: "Derzeit hat die Bundeswehr rund 1000 geschützte Fahrzeuge im Einsatz, darunter 100 Transportpanzer Fuchs und 210 Radpanzer Dingo 2" (Stückpreis Dingo 2 Mio). Und: "Panzerhersteller liefern nicht schnell genug." Sollte die Bundeswehr nicht sparen? Der größte Hammer: "Milliardenauftrag für Schützenpanzer Puma" (6.7.09, sueddeutsche.de) über 400 Panzer zu insges. 3 Mrd. Euro ging Mitte 2009 an KMW und Rheinmetall (Rheinmetall-Chef Eberhardt: "Ein bedeutender Tag für uns", KMW: "Einer der größten Einzelaufträge der Unternehmensgeschichte"). Rheinmetall entwickelt zudem für 120 Mio bis 2011 neuartige Artillerie als "Nächstbereichs-Schutzsystem" (NBS) für Kunduz (19.5.09). Schon 2008 hatte die Firma "unter enormem Zeitdruck" Büffel-Bergepanzer für die Kanadier in Afghanistan geliefert. Kein Wunder, daß die Panzerbauer aus allen Nähten platzen und expandieren. Joint Venture Rheinmetall/MAN als künftiger europäischer Marktführer (13.1.2010); Kooperationsvertrag von KMW mit 10 Mittelständlern für Wartungsarbeiten (12.8.09), KMW eröffnet neuen Standort für Fennek-Produktion in den Niederlanden (8.2.2010), gründet Tochterfirma KMW Asia-Pacific in Singapur (2.2.2010).

Der europäische Rüstungskonzern EADS entstand 2000 als Verbund der DaimlerChrysler-Tochter Dasa mit Aerospatiale (Frkr) und Casa (Sp). 2007 wurde Daimler-Strategiechef Grube Verwaltungsratsvorsitzender bei EADS. Die EADS-Tochter Astrium, Satelliten-Dienstleister, stellt der Bundeswehr das Satellitentelekommunikationsprogramm SATCOMBw bereit. Für den Drohneneinsatz der Franzosen in Afghanistan besorgte Astrium die nötige Breitbandfrequenz zur Echtzeit-Bildübertragung bei Überwachungsflügen (www.astrium.eads.net/de). Die EADS-Tochter Eurocopter will ins Drohnengeschäft der USA einsteigen, so Handelsblatt (14.5.2010). EADS hat erste Drohnen bereits 2006 erprobt (Wikipedia). Aber im Handelsblatt findet sich noch ein interessanter Aspekt: "Afghanistan hilft Tiger". Das ist ein von den Franzosen genutzter Kampfhubschrauber. "Das Militärgeschäft trägt Eurocopter durch die Flaute im Geschäft mit zvilen leichten Hubschraubern ..., weil die Krise die Kleingeräte betraf und mehr große Militärmaschinen verkauft wurden, stieg der Wert der Neuaufträge von 4,9 auf 5,8 Mrd. Euro."

Einen eigentlich zivilen Sektor gibt es ja nicht mehr, aber es gibt Branchen, die nicht einfach liefern, sondern vor Ort sein müssen. Nachdem mit Tora Bora der Krieg beendet schien, flog Kanzler Schröder schon im Januar 2002 mit Wirtschaftsbossen nach Kabul. Mit von der Partie war der Chef des Baukonzerns Hochtief, Keitel. Er wollte gern an die guten Zeiten vor der Revolution anknüpfen, als Hochtief "in Afghanistan 25 Jahre das Staatsbauunternehmen" war, so Keitel anschließend im Interview (DIE ZEIT 21/2002). Mißmutig konstatierte er Ineffektivität bei der Logistik der Entwicklungshilfe, sah aber langfristig profitable Geschäfte bei Bau, Telekommunikation und Gesundheitswesen. Im Juni 2002 meldete AFP, Siemens solle im Regierungsauftrag das afghanische Telefonnetz ausbauen, zunächst für Kabul und 5 weitere Städte. Allein für Kabul waren 350.000 Anschlüsse geplant, eine Million Anträge wurden erwartet (www.verivox.de). Die Siemens-Tochter Hydro Power Generation wurde im Dezember 2003 beauftragt, für 13,4 Mio zwei Wasserkraftwerke zu modernisieren (www.oekonews.at). Der Konzern, der dem BND Überwachungstechnik liefert, wird allerdings auch verdächtigt, 2005 beim Verwanzen des Computernetzes im Kabuler Handelsministerium assistiert zu haben ("Wanze trifft Schmiergeld", 28.4.08, www.heise.de). An Geschäftsideen mangelt es Siemens nicht ... Natürlich baut man Straßen und Telefonnetze besser im Frieden ohne Militärintervention. Aber Kabul hätte das nicht bezahlen können, und die "Geberländer" hätten dann nicht so viel Geld locker gemacht. Immerhin: die Entwicklungshilfe für Afghanistan ist großenteils Subvention für die eigene Industrie.

Bergbau und Schürfrechte

New York Times, Obamas Demokraten nahestehend, brachte Mitte Juni Sensationsmeldungen über die afghanischen Bodenschätze, die amerikanische Geologen "entdeckt" hätten, und alle großen deutschen Blätter druckten nach (wenn auch hie und da vermerkt war, die Russen hätten doch schon...): "Plötzlich reich: Afghanistan im Lithiumrausch" (stern.de), "US-Geologen entdecken gewaltige Mineralvorkommen" (Tagesspiegel), "USA finden gewaltige Bodenschätze" (focus.de), ... Nichts haben sie entdeckt. Das Ganze war eine PR-Aktion für die angeschlagene Obama-Regierung und ihre Kriegsstrategie. In den offiziellen Dossiers des Kabuler Bergbauministeriums (www.bgs.ac.uk/afghanmine-rals/docs) kann man neben exakten geologischen Beschreibungen der Lagerstätten auch die Entdeckungsgeschichte nachlesen: russisch-afghanische Gemeinschaftsarbeit der sechziger und siebziger Jahre. Eine wiederveröffentlichte Arbeit französischer Mineralogen von 1978 über die Pegmatite im ostafghanischen Laghman und Nuristan (www.pala-gems.com) zitiert auch damals publizierte sowjetische Arbeiten. Mit Farbfotos von Turmalinen und anderen Kristallen aus den Sammlungen der Sorbonne versehen, ist die Publikation eine Augenweide. Pegmatite sind spezielle, teils kristalline Ergußgesteine mit hohem Gehalt an seltenen Elementen wie Lithium und Beryllium. Die Pressekampagne serviert dem Publikum die Bedeutung des Lithiums für eingängige zivile Zwecke (moderne Batterien, Mobiltelefone). Über die Anwendung des Metalls beim Bau von U-Booten, Raketen sowie in der Nukleartechnik (Tritiumproduktion, Reaktoren, H-Bombe; Wikipedia) schweigen die Journale ... Gute, frei ladbare Karten zu Afghanistan finden sich im Internet, darunter solche sowjetischer Herkunft. Eine Karte von 1982 zeigt bereits die großen Kupfervorkommen des Landes sowie Öl- und Gasvorkommen in der Nordregion. Am 17. 6. schob faz.net nach: "Großes Ölfeld in Kundus entdeckt". Ja, entdeckt zu Sowjetzeiten – alles schon damals veröffentlicht, den Interventen vor dem 9.11. gut bekannt und zweifellos eines der Ziele der Intervention. Aber das Hauen und Stechen um die Schürfrechte hat gerade erst begonnen. Da wird es noch Überraschungen geben. Nicht die russische und US-Konkurrenz, sondern der chinesische Staatskonzern CMG erhielt den Zuschlag für die riesige Kupfermine Aynak nahe Kabul. Und 2011 soll das Schürfrecht für besagtes Öl/Gas-Feld in "Deutsch-Afghanistan" vergeben werden ...

Rolf Richter vom Bündnis für den Frieden Eberswalde untersuchte im ersten Teil dieser Arbeit: In Afghanistan wird die deutsch geführte Okkupationszone Nord immer stärker Kampfgebiet. Die Verlustziffern der Bundeswehr steigen, der öffentliche Streit um den Krieg wird lauter und spiegelt sich in Publikationen und Diskussionsforen auch im Barnim. – Im dritten Teil wird analysiert: ISAF und Söldnerindustrie – USA, EU, Rußland: Strategien in Mittelasien – Exit, und wie? Oder was?

 

Mehr von Rolf Richter in den »Mitteilungen«: 

2009-02: Ukraine 1918. Fiasko eines deutschen Abenteuers – Teil 2 und Schluß

2009-01: Ukraine 1918. Fiasko eines deutschen Abenteuers – Teil 1

2008-01: Émile Zola (1840-1902) am 13. Januar 1898: »J’accuse …!«