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Ich klage an!
Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Revolutionäre Literatur

Émile Zola (1840-1902) am 13. Januar 1898: "J’accuse …!"

Bei unserem Titel ("Ich klage an!") denkt man an die Dreyfus-Affäre. Weniger bekannt ist, daß Zola mit seiner Anklageformel einen prominenten Vorgänger hatte: Heinrich Heine. Beide Schriftsteller wurden ins Exil getrieben, beide waren mit dem Antisemitismus ihrer Zeit konfrontiert. Heine hatte 1832 Mühe, sich in Deutschland gegen die Zensur Gehör zu verschaffen. Dagegen hatte Zolas Auftreten wesentlichen Anteil an einer Wende der französischen Innenpolitik.

Aus einer dunklen Spionageaffäre im französischen Generalstab, verbunden mit Intrigen Beteiligter, die die Schuldigen decken wollten, entwickelte sich ein einzigartiger politischer Skandal. Die Armeeführung versuchte um jeden Preis, ihre absolute Autonomie zu bewahren, auch noch, als klar wurde, daß ein Unschuldiger statt der Schuldigen büßen mußte. Der Artilleriehauptmann Dreyfus war das ideale Opfer: Jude, Elsässer mit deutschem Namen (die Familie hatte 1871 für Frankreich optiert). Eine Koalition von Monarchisten, Klerikalen, Antisemiten schürte eine hysterische Pogromstimmung gegen Juden, Intellektuelle, Linke. ... Auf die Sträflingsinsel verbannt, unter dem Tropenklima, den Schikanen seiner Wärter, dem Ausbleiben von Nachrichten leidend, ohne Kontakt zu Anwälten, zeitweise in Eisen gelegt, ahnte Dreyfus nichts vom Geschehen in der Heimat. Strengste Briefzensur verhinderte jede Mitteilung über juristische Schritte seitens seiner Familie und Freunde. Schließlich zeichneten sich in Frankreich die wirklichen Zusammenhänge ab. Nun traten angesehene Persönlichkeiten für den fernen Gefangenen ein. ... Als der "Tiger" Clémenceau im Januar 1898 den sensationellen Brief von Zola an den Präsidenten in seiner Zeitung veröffentlichte (Abb.), erzwang das die Wende der Affäre. Ein politisches Erdbeben veränderte die französische Innenpolitik. Die siegreichen Republikaner säuberten die Armee von monarchistischen Verschwörern und gingen gegen den Klerus vor. Ein Ergebnis – auch heute noch aktuell – war die strikte Trennung von Kirche und Staat in Frankreich. ... 1906: Auch ein zweites Urteil gegen Dreyfus wird als "irrtümlich" aufgehoben. Er erhält das Kreuz der Ehrenlegion.

(Rolf Richter, Eberswalde, in "Barnimer Bürgerpost", Januar 2008)

Aus dem Offenen Brief von Émile Zola an den Präsidenten der Republik, Edgar Faure:

"Die Affäre Dreyfus war die Affäre der Militärbürokratie, ein Generalstabsoffizier wird von seinen Kameraden vom Generalstab denunziert und unter Druck des Generalstabschefs verurteilt. Noch einmal: Dreyfus kann nicht als Unschuldiger zurückkehren, ohne daß der gesamte Generalstab der Schuldige ist. ... Es ist ein Verbrechen, daß man die Armen und Niedrigen vergiftet, die Leidenschaften der reaktionären Unduldsamkeit aufstachelt, indem man hinter dem widerwärtigen Antisemitismus Schutz sucht, an dem das große liberale Frankreich der Menschenrechte stirbt, wenn es nicht von ihm geheilt wird. ...

Aber dieser Brief ist lang geworden, Herr Präsident, und es ist Zeit, ihn zu schließen. Ich klage den General Billot an, die sicheren Beweise für Dreyfus’ Unschuld in Händen gehabt und sie unterdrückt zu haben. Ich klage den General de Boisdeffre und den General Gonse an, sich zum Mitschuldigen an dem Verbrechen gemacht zu haben. Ich klage den General de Pellieux und den Major Ravary an, eine verbrecherische Untersuchung geführt zu haben. Ich klage die drei Schriftsachverständigen an, lügenhafte und betrügerische Gutachten erstattet zu haben. Ich klage endlich das erste Kriegsgericht an, das Recht verletzt zu haben, indem es einen Angeklagten auf Grund eines geheim gebliebenen Schriftstücks verurteilte, und ich klage das zweite Kriegsgericht an, diese Ungesetzlichkeit auf Befehl gedeckt zu haben. Wage man also, mich vor das Schwurgericht zu stellen, und möge die Untersuchung im vollen Tageslicht geführt werden. Ich warte."