Zum Hauptinhalt springen
Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Atalanta – Seeräuberei – Völkerrecht

Prof. Dr. Gregor Schirmer, Berlin

 

Vor 10 Jahren, am 19. Dezember 2008, hat der Bundestag mit der gewohnten »überwälti­genden« Mehrheit die Teilnahme der Bundeswehr an der Anti-Piraterie-Operation »Atalanta« beschlossen. Jahr für Jahr hat das Parlament seither auf Antrag der Regierung diesen Militäreinsatz verlängert. Die Linksfraktion stimmte geschlossen dagegen. Zur weiteren Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr an dem Einsatz bis 31. Mai 2019 kreist im Bundestag ein Antrag der Regierung [1] zur parlamentarischen Absegnung. Der Bundeswehr wird wieder die Aufgabe gestellt, die »erforderlichen Maßnahmen einschließlich des Einsatzes von Gewalt zur Abschreckung, Verhütung und Beendigung seeräuberischer Handlungen oder bewaffneter Raubüberfälle« durchzuführen. Geschützt werden sollen Schiffe, die für das Welternährungsprogramm der UNO unterwegs sind, aber auch andere Handelsschiffe. Es können insgesamt bis zu 600 Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden. Gegenwärtig sind es 79.

Atalanta ist eine »autonome« Militärmission der EU, also ohne NATO-Oberbefehl. Sie wurde im November 2008 vom Rat der EU zur Bekämpfung der Seeräuberei vor der Küste Somali­as« [2] beschlossen. Zuletzt wurde sie durch Beschluss des Rats der EU vom November 2016 bis 31. Dezember 2018 verlängert. Atalanta soll der Durchsetzung einschlägigen Völker­rechts dienen, insbesondere des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982, Artikel 100-107 und 110. Dort wird seit langem bestehendes Völker­gewohnheitsrecht über den Kampf gegen die Seeräuberei kodifiziert. Der Einsatz soll die entsprechenden Beschlüsse des Sicherheitsrats umsetzen. Der UNO-Sicherheitsrat hat die Operation Atalanta von Anfang an mehrfach bestätigt, zuletzt mit der Resolution 2316 vom 9. November 2016.

Verfassungsrechtlich nicht gedeckt

Seeräuberei ist nach dem Seerechtsübereinkommen eine rechtswidrige Gewalttat oder eine Freiheitsberaubung oder eine Plünderung, die von einem privaten Schiff aus gegen ein anderes privates Schiff oder gegen Personen oder Vermögenswerte an Bord dieses Schiffs auf Hoher See begangen werden. Das Aufbringen eines Seeräuberschiffs oder eines unter der Gewalt von Seeräubern stehenden Schiffs durch Kriegsschiffe oder andere im Staats­dienst stehende Schiffe ist nach Art. 105 des Übereinkommens völkerrechtlich zulässig. Mutmaßliche Piraten können festgenommen und einem Strafverfahren unterzogen werden. Vermögenswerte können beschlagnahmt werden. Art. 100 statuiert sogar eine Pflicht der Vertragsstaaten zur Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Seeräuberei. Ein Kampf ge­gen die Piraterie im offenen Meer vor der Küste Somalias ist also rechtens.

Das Einsatzgebiet von Atalanta umfasst jedoch nicht nur große Teile des Indischen Ozeans. Außer der Hohen See werden als Einsatzgebiet auch das somalische Küstenmeer und die anschließenden inneren Gewässer Somalias beansprucht. Dort sollen Seeräuber bis zu 2 km landeinwärts im Wasser und in der Luft, nicht jedoch durch Bodentruppen, verfolgt wer­den können. Das ist politisch wie völkerrechtlich äußerst dubios, selbst wenn dem die machtlose somalische Obrigkeit zugestimmt haben sollte.

Der Atalanta-Einsatz der Bundeswehr ist verfassungsrechtlich nicht gedeckt. Art. 87a Grundgesetz erlaubt den Einsatz der Bundeswehr nur zur Verteidigung und »soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt«. Ein Verteidigungsfall ist die Seeräuberei bestimmt nicht. Die Inanspruchnahme des Artikels 24 Abs. 2 GG als Rechtsgrundlage des Einsatzes läuft leer. Dort wird geregelt, dass sich die BRD »einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen« kann. Ein Einsatz der Bundeswehr wird jedoch keineswegs »aus­drücklich« zugelassen.

Militärische oder polizeiliche Mittel?

Der UNO-Sicherheitsrat »ermächtigt« mit seinen einschlägigen Resolutionen Staaten und Regionalorganisationen, innerhalb der Hoheitsgewässer Somalias »alle notwendigen Mittel zur Bekämpfung« der Seeräuberei, also auch militärische Mittel anzuwenden. Der Rat be­ruft sich dabei auf Kapitel VII der Charta. Es ist jedoch zu bezweifeln, ob die Seeräuberei im Hoheitsgebiet Somalias als eine »Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit in der Region« gewertet werden kann, die eine Anwendung militärischer Maß­nahmen vom vorgesehenen Ausmaß der Atalanta-Operation rechtfertigen könnte. Das Ver­hältnismäßigkeitsprinzip wird damit nicht eingehalten.

Der Rat der EU hat in seinen Beschlüssen über Atalanta ebenfalls den Einsatz von militäri­scher Gewalt genehmigt. [3] Er beruft sich auf den Lissaboner EU-Vertrag, der in Art. 43 vor­sieht, dass die EU bei der Durchführung von »Missionen« auf »militärische Mittel zurück­greifen kann« und dass die Missionen »Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen« umfassen können. Die EU präsentiert sich hier als Militärmacht, die nach Belieben losschlagen kann. Das widerspricht sogar den eige­nen deklarierten Zielen und Werten der EU und kann als Rechtsgrundlage für den Kampf gegen Seeräuberei nicht herhalten.

Die Piraterie ist ein internationales Verbrechen, gegen das sich zivile Schiffe schützen kön­nen und das mit polizeilichen Mitteln verfolgt werden muss. Auch wenn Kriegsschiffe und Soldaten daran beteiligt sind, üben sie Polizeifunktionen aus. Ein Großeinsatz von Militär, wie ihn Atalanta vorsieht, geht jedoch über polizeiliche Maßnahmen weit hinaus. Es muss zudem gewährleistet sein, dass festgenommene Personen, die der Piraterie verdächtig sind, menschenrechtlich und rechtsstaatlich einwandfreie Verfahren erhalten. Das ist nicht gesichert, wenn festgenommene mutmaßliche Seeräuber an Behörden Somalias oder an­derer ostafrikanischen Länder ausgeliefert werden.

Inzwischen ist die Seeräuberei vor Somalia stark zurückgegangen. Nach Angaben des deut­schen Kriegsministeriums gab es auf dem Höhepunkt der Piratenjagd im Jahr 2011 im Ein­satzgebiet 176 Angriffe auf Schiffe und 25 Entführungen. Dagegen wurden zwischen 2013 und 2017 nur »knapp über 10« seeräuberische Angriffe auf Schiffe gezählt. Inwieweit die­ser Rückgang der Erfolg von Atalanta-Aktionen ist und wie hoch die Dunkelziffer ist, bleibt offen. Und vor allem ist nicht sicher, dass keine neue Welle von Piraterie am Horn von Afri­ka entsteht. Wie dem auch sei: Die EU bleibt bei ihrer Militär-Operation und die Bundes­wehr macht mit. Atalanta verfolgt wohl neben der Piraterie-Bekämpfung vorrangig das stra­tegische Interesse der EU und damit auch Deutschlands, sich geopolitisch am Horn von Af­rika festzusetzen. Möglich und notwendig wäre, die Militäroperation sofort abzublasen.

Ziviles Programm der UNO steht nicht in Aussicht

Die Piraterie lässt sich mit militärischen Mitteln nicht ausrotten. Bekämpft werden müssen die gesellschaftlichen, vor allem wirtschaftlichen und sozialen Ursachen der Piraterie. Das gilt auch und besonders für die Seeräuberei am Horn von Afrika. Aber gerade daran fehlt es.

Wenn die Menschen in Somalia in Frieden und auskömmlich leben könnten, wenn der Fluss auch deutscher Waffen unterbunden würde, der den Bürgerkrieg in Somalia schürt, wenn die somalische Fischerei nicht durch fremde Überfischung ruiniert würde, dann könnte die Piraterie als Erwerbsquelle zurückgedrängt werden.

Somalia ist ein bettelarmes und zerrüttetes Land. Es hat fast keine Industrie und – außer den wenig erschlossenen Erdöl- und Erdgasvorkommen – keine exportträchtigen Boden­schätze. Vorwiegend durch Nomaden betriebene Landwirtschaft und Fischfang können die eigene Bevölkerung nicht ernähren. Das Land wird regelmäßig von Dürrekatastrophen und Hungersnöten heimgesucht. 2011 gab es eine Hungerkatastrophe mit einer Viertelmillion Todesopfer. Auch 2017 herrschte eine Hungersnot. Eine Million Kinder sind mangelernährt, 232.000 davon lebensbedrohlich.

Seit 1991 herrscht in Somalia ein Bürgerkriegszustand, der das Land ruiniert. Clans und Warlords kämpfen untereinander und gegen die Regierung des 2017 gewählten Präsiden­ten. Korruption ist weit verbreitet. Die föderalen Gliedstaaten vertragen sich gegenseitig nicht, auch nicht mit der Zentrale. Vor allem wütet der islamistische Terrorismus in weiten Teilen des Landes und in der Hauptstadt Mogadischu. Die Terrormiliz al-Shabaab unter­nimmt laufend tödliche Anschläge und verbreitet Furcht und Schrecken. Der bisher schlimmste Anschlag hat sich am 14. Oktober 2017 in Mogadischu ereignet: 512 Tote und 228 Verletzte. Auch die 22.000 Soldaten, Polizisten und Zivilpersonen der vom UNO-Sicherheitsrat einstimmig mandatierten Friedensmission der Afrikanischen Union haben Frieden und Sicherheit in Somalia nicht herstellen können. Selbstverständlich mischen US-Streitkräfte in Somalia mit. Laut Mitteilung des Pentagon haben US-Truppen am 5. März mit einem Drohnenangriff mehr als 150 Kämpfer der Shabaab-Miliz getötet. Es wundert nicht, dass 2 Millionen Somalier innerhalb des Landes auf der Flucht oder vertrieben und fast eine Million in andere Länder, meist in die Nachbarstaaten Kenia und Äthiopien, geflo­hen sind.

Deutschland ist Ende März 2018 aus der EU-Mission EUTM zur Ausbildung und Beratung somalischer Streitkräfte ausgestiegen. Die EU will die Mission zum Jahresende auslaufen lassen, nicht weil sie erfolgreich war, sondern wegen mangelnder Erfolgsaussichten. Die angeblich zivile Mission EUCAP wird weitergeführt. Notwendig wäre ein großzügiges ziviles Programm der UNO zur Unterstützung der ökonomischen, sozialen und politischen Stabili­sierung der Lage in Somalia. Doch das steht nicht in Aussicht, und so wird auch die Seeräu­berei vor Somalia nicht verschwinden.

 

Anmerkungen:

[1] Drucksache 19/1596 vom 11. April 2018.

[2] Vgl. Gemeinsame Aktion 2008/851/GASP des Rates vom 10. November 2008, Amtsblatt der EU L 301/33 vom 12.11.2008. Vgl. Bundesgesetzblatt 1994 II S. 1799.

[3] Vgl. Ebenda L 301/35, Artikel 2 d).

 

Mehr von Gregor Schirmer in den »Mitteilungen«: 

2017-10: Das Leninsche Dekret über den Frieden 1917

2016-04: Rechtswidrige Intervention

2015-09: Der Zwei-plus-Vier-Vertrag