Am 5. April 1943 wurde Dietrich Bonhoeffer verhaftet
Horsta Krum, Berlin
Er kommt aus einem großbürgerlichen Elternhaus. Sein Vater Karl Bonhoeffer war ein renommierter Psychiater; eine Klinik im Norden Berlins und die nahegelegene U-Bahnstation tragen noch heute seinen Namen.
Dietrich Bonhoeffer, 1906 geboren, hätte, wie seine Brüder und andere Verwandte, eine gute Karriere machen können, wurde aber Theologe, zum Erstaunen der Verwandtschaft, und bei manchen auch zur Enttäuschung. Aber die Verwandtschaft hat ihn bis zu seiner Ermordung im April 1945 immer vorbehaltlos unterstützt, menschlich und materiell.
Dietrich Bonhoeffer ist viel gereist, selbst nach heutigen Maßstäben. Die Kirche schickte den jungen Theologen u.a. nach Barcelona, nach London, in die USA, von wo er nach Kuba und Mexiko fuhr. Für die Ökumene, ein loser Zusammenschluss internationaler Kirchen (außer der katholischen), reiste er immer wieder in deren Hauptsitz nach Genf und in die skandinavischen Länder. Die Verbindungen und Freundschaften, die sich bei seinen längeren oder kürzeren Auslandsaufenthalten ergaben, sollte er später ausnutzen in seiner Funktion als Offizier der Abwehr.
Bonhoeffer war zeit seines Lebens vor allem Theologe; er hat als Pfarrer gearbeitet, hat vielen Verzweifelten als Seelsorger beigestanden, hat angehende Pfarrer ausgebildet, hat in internationalen Gremien gearbeitet, hat Vorträge gehalten, hat an der Universität gelehrt, hat Bücher geschrieben.
Als ganz junger Theologe war er, wie fast alle in seiner Umgebung, patriotisch gesinnt. Einen neuen Denkansatz hat er sich während seines einjährigen Aufenthalts in den USA erarbeitet, und zwar in langen Diskussion mit einem Schweizer und vor allem mit einem französischen Theologen, der Nationalismus, Patriotismus und Gewalt streng ablehnte.
So hatte Bonhoeffer eine verhältnismäßig gefestigte Position, als er im Sommer 1932 aus den USA zurückkam und mit Entsetzen verfolgte, wie die Nazis sich immer mehr Macht aneigneten und immer gewalttätiger wurden.
Sein Vater wurde als psychiatrischer Gutachter zum Prozess gegen den Holländer van der Lubbe herangezogen, der angeklagt war, den Reichstag angezündet zu haben. Die Feststellung, dass die Familie Bonhoeffer zu den bestinformierten Familien schon in dieser frühen Phase gehörte, ist wohl nicht übertrieben: Dietrichs Schwager Hans von Dohnanyi, der Büroleiter des damaligen Justizministers war, legte eine geheime Liste der nazistischen Verbrechen an. Das Vertrauen zwischen ihm und Dietrich wuchs, und die Zusammenarbeit wurde immer enger.
Dem Rad selbst in die Speichen fallen
Am 1. Februar 1933 hält Bonhoeffer einen lange vorher vereinbarten Radio-Vortrag: "... Lässt der Führer sich vom Geführten dazu hinreißen, dessen Idol darstellen zu wollen - und der Geführte wird das immer von ihm erhoffen -, dann gleitet das Bild des Führers über in das des Verführers ..." Da wird das Mikrofon abgeschaltet.
Danach arbeitet er einen Vortrag aus: "Die Kirche vor der Judenfrage", der aber keineswegs innerkirchlichen Charakter hat: "Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung verpflichtet, auch wenn sie nicht der christlichen Kirche zugehören." Es gibt auch die Möglichkeit, "nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen". Dies ist, soweit wir das überblicken, das erste Mal, dass innerhalb der Kirche zum Widerstand aufgerufen wurde. Das stößt auf Befremden und Protest. Auch die Verpflichtung, ausnahmslos allen Opfern zu helfen, findet in der Kirche nicht unbedingt Gehör; denn die meisten Christen wollen, wenn überhaupt, christlichen Opfern helfen, beispielsweise getauften Juden.
In der Kirche stehen sich die "Deutschen Christen" als Mehrheit und die "Bekennende Kirche" als kleine Minderheit gegenüber, der unter anderen Martin Niemöller, Bonhoeffer angehören. Bonhoeffer setzt sich theologisch mit den "Deutschen Christen" auseinander und kommt zu klaren politischen Konsequenzen, die der Mehrheit zu weit gehen. Eine wirkliche Konfrontation mit den "Deutschen Christen" findet nicht statt. Bonhoeffer verlässt Deutschland enttäuscht und wird Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde in London. 1935 bittet ihn die Leitung der "Bekennenden Kirche", fertige Theologiestudenten auf den Pfarrerberuf vorzubereiten. Die Ernsthaftigkeit der theologischen Arbeit, die Klarheit der politischen Positionen und die tiefe menschliche Gemeinschaft hat alle Teilnehmer zeitlebens geprägt und verbunden. Die, die den Krieg überlebten, haben sich dann dem reaktionären Bischof Dibelius entgegengestellt. In der Bundesrepublik setzten sie sich gegen die Wiederbewaffnung ein, und manche sind aktiv beteiligt gewesen beim Aufbau des Sozialismus der DDR. Bis heute sind evangelische Christen davon geprägt.
Bonhoeffer wird immer mehr in seinen Tätigkeiten eingeengt: Schließung der Ausbil-dungsstätte nach zwei Jahren (aber an einem anderen Ort setzt er diese Tätigkeit fort), akademisches Lehrverbot, Druckverbot usw. Nach und nach wächst seine Überzeugung, dass Widerstand vor allem außerhalb der Kirche geleistet werden muss. Zu Beginn des Jahres 1938 nimmt er Kontakt zu Oster und Sack auf, die innerhalb des Militärs einem Widerstandskreis angehören.
Er weiß, dass Krieg bevorsteht. Um einer Einberufung zu entgehen, nimmt er einen Ruf in die USA an. Aber Zweifel an dieser Entscheidung quälen ihn von Anfang an. Die harte Kritik des Schweizer Theologen Karl Barth (der in Deutschland Lehrverbot erhalten hat) an Bonhoeffers Entscheidung tut das Ihre, so dass Bonhoeffer im Juli 1939 auf einem der letzten Schiffe vor Kriegsbeginn nach Deutschland zurückkehrt.
Die internationale Kirchenarbeit und auch die fast schon illegale Arbeit mit jungen Theologen setzt er fort, bis diese völlig unmöglich wird und er nur noch wenig Bewegungsfreiheit hat.
Suche nach Verbündeten
Was in Deutschland und in Polen geschieht, macht ihn so unruhig, dass er zwei Entscheidungen fällt: Er beginnt, die schon länger geplante "Ethik" zu schreiben. Die andere Entscheidung fällt ihm schwer. Soll er sich als Soldat einziehen lassen und sich als Verweigerer den Prozess machen lassen? Diese Möglichkeit verwirft er schnell. Der politischen Einsicht, dass Hitler beseitigt werden muss, steht sein theologisches Gewissen entgegen. Er ringt lange mit sich und schließt sich dann, wiederum vermittelt durch seinen Schwager von Dohnanyi, dem militärischen Widerstandskreis um Canaris, Oster usw. an. Nur das Militär, so sagt er in einem vertraulichen Gespräch, könne Hitler ausschalten und gleichzeitig im Ausland um Vertrauen werben.
Zunächst berät Bonhoeffer die Widerstandsgruppe, und ab September 1940 arbeitet er offiziell für die "Abwehr", mit Dienstsitz in München, also möglichst weit weg von Berlin. Seine Aufgabe ist, alte Bekannte und Freunde im Ausland aufzusuchen, die selber einflussreich sind oder Verbindung zu politischen Entscheidungsträgern haben. Er versorgt seine Gesprächspartner mit Informationen und sondiert, ob und wie Verantwortliche auf die Beseitigung Hitlers reagieren würden, welche Bedingungen für einen Friedensvertrag bestünden usw. In den nicht ganz drei Jahren seiner Tätigkeit legt er mehr als 50.000 km zurück, Reiseziele sind die skandinavischen Länder, die Schweiz und Italien.
Einer seiner wichtigsten Gesprächspartner ist Bischof Bell als Mitglied des englischen Oberhauses. Seit dem Beginn ihrer Freundschaft 1933 hat Bonhoeffer ihn ständig mit Informationen versorgt, und Bell hat sich in England und international, öffentlich und in vertraulichen Gesprächen, für die kirchliche und politische Opposition eingesetzt.
Im Frühjahr 1942 trifft Bonhoeffer, allein und auch mit einer zweiten Person, Bell in Schweden und legt ihm eine Namensliste von Militärs vor, die nach der Beseitigung Hitlers Deutschland repräsentieren sollen. Bell informiert den englischen Außenminister vertraulich über den deutschen Widerstand und gibt ihm die Namensliste mit der Bitte, den Krieg nach der Beseitigung Hitlers nicht fortzusetzen, sondern Deutschland eine Chance für einen Neuanfang zu geben.
In Deutschland warten Bonhoeffer und die anderen ungeduldig auf die Antwort, denn eine positive Antwort soll neue Mitkämpfer gewinnen und u.a. auch den Vatikan mit Papst Pius XII. kooperationsbereit machen.
Der Bericht von Bell beeindruckt den englischen Außenminister, aber dann informiert er seinen Gesprächspartner, dass eine Antwort an die deutsche Widerstandsgruppe "nicht im nationalen Interesse" liege. Der Außenminister und Churchill lehnen es ab, die Widerstandsgruppe als Verhandlungspartner zu akzeptieren. Nicht nur für die deutsche Gruppe, auch für Bell bedeutet diese Antwort eine große Enttäuschung.
Als Redner im englischen Parlament geht Bell diesen Weg weiter. So bittet er mehrmals, das Misstrauen gegenüber deutschen Flüchtlingen aufzugeben und ihnen wirkungsvoll zu helfen.
Während einer Debatte im Februar 1943 [1] stimmt Bell der Einschätzung von Lord Vansittard zu, dass "nach dem deutschen Adler immer rasch die deutschen Geier kommen" und dass dieser Krieg so schnell wie möglich beendet werden muss. Aber, anders als sein Debattengegner, vertraut Bell dem deutschen Widerstand: "Abhilfe besteht nur darin, dass wir den antifaschistischen Deutschen in Deutschland sagen, dass wir ihre Hilfe brauchen und sie dabei unterstützen werden, sich von unserem gemeinsamen Feind zu befreien, und dass wir vorhaben, einem vom Hitlertum befreiten Deutschland eine faire Chance zu geben. Die beste Lösung wird darin bestehen, dass das Nazi-Regime vom deutschen Volk selbst zerschlagen wird." Aber die meisten Abgeordneten halten den deutschen Widerstand für zu schwach und setzen weiterhin auf die völlige Zerstörung Deutschlands von außen.
Im März 1943 versucht Bell es noch einmal: Er zitiert Stalin, der zwischen Deutschland und dem Hitlerstaat unterscheidet. Bell fragt offiziell, "ob die Regierung Ihrer Majestät bezüglich ihrer Kriegsziele die gleiche Unterscheidung macht". Er rüttelt die englische Öffentlichkeit mit Informationen über die deutschen Konzentrationslager auf, Informationen, die von Bonhoeffer stammen.
"... den nächsten notwendigen Schritt machen"
Bonhoeffer seinerseits nutzt seine Stellung in der Abwehr, um jüdische Flüchtlinge aus Deutschland zu schleusen und für ihre Aufnahme in der Schweiz zu sorgen.
Gleichzeitig schreibt er an seinem Buch "Ethik". Immer wieder, und sei es nur für kurze Zeit, kann er sich zurückziehen und schreiben. Sein politisches Engagement wird verständlich aufgrund dieses (nicht vollendeten) Buches; und will man zu einem wirklich tiefen Verständnis seiner theologischen Überlegungen gelangen, ist die Kenntnis seines politischen Engagements gegen den Faschismus unerlässlich. "In konkreter Verantwortung handeln heißt in Freiheit handeln, ohne Rückendeckung durch Menschen oder Prinzipien selbst entscheiden, handeln und für die Folgen des Handelns einstehen. Es geht nicht um die Durchführung eines Prinzips, sondern um das Erfassen des in der gegebenen Situation Notwendigen, Gebotenen". Es muss in den Bereich der Relativitäten eingetreten werden, in das Zwielicht, das die geschichtliche Situation über Gut und Böse breitet. Niemand hat die Verantwortung, aus der Welt das Reich Gottes zu machen, sondern er soll den nächsten notwendigen Schritt machen ..." [2]
Am 5. April 1943 wird er verhaftet und in das Militäruntersuchungsgefängnis Tegel eingeliefert. Ebenfalls verhaftet werden ein anderer Vertrauter und Hans von Dohnanyi und dessen Frau, also Bonhoeffers Schwester. Als anderthalb Jahre später auch sein Bruder verhaftet wird, gibt Bonhoeffer seinen Fluchtplan auf, den wohlwollende Wärter vorbereitet haben. Nach etwa anderthalb Jahren Haft in Tegel beginnt für ihn und andere Gefangene eine Irrfahrt durch mehrere Gefängnisse und Konzentrationslager, die in Flossenbürg (Bayern) endet, wo Dietrich Bonhoeffer nach einem nächtlichen Scheinprozess am Morgen des 9. April 1945 erhängt wird.
Aus der Haft in Tegel sind uns viele Briefe, auch einige Gedichte, bekannt, ermöglicht durch Wärter, die ihm Schreibzeug zukommen ließen, und das, was er schrieb, nach draußen schmuggelten. Seine letzten Briefe setzen sich kritisch mit der Religion auseinander: "Der Mensch hat gelernt, in allen wichtigen Fragen mit sich selbst fertig zu werden ohne Zuhilfenahme der 'Arbeitshypothese Gott'. In wissenschaftlichen, künstlerischen, auch ethischen Fragen ist das eine Selbstverständlichkeit geworden. Seit etwa hundert Jahren gilt das aber in zunehmendem Masse auch für die religiösen Fragen." Die christliche Apologetik wehrt sich dagegen und "versucht, der mündig gewordenen Welt zu beweisen, dass sie ohne den Vormund ‚Gott’ nicht leben könne ... Die Attacke der christlichen Apologetik auf die Mündigkeit der Welt halte ich erstens für sinnlos, zweitens für unvornehm, drittens für unchristlich. Unchristlich - weil Christus mit einer bestimmten Stufe der Religiosität des Menschen verwechselt wird."
Seine Religionskritik schließt die Kirchenkritik ein: "Unsere Kirche, die in diesen Jahren nur um ihre Selbsterhaltung gekämpft hat, als wäre sie ein Selbstzweck, ist unfähig, Träger des erlösenden und versöhnenden Wortes für die Menschen und für die Welt zu sein. Darum müssen die früheren Worte kraftlos werden und verstummen, und unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten." [3]
Anmerkungen:
[1] Bischof Georges Bell, Reden vor dem Oberhaus des Britischen Parlaments, 2012.
[2] Dietrich Bonhoeffer, Werke (1982ff), Band 6, S. 222 f.
[3] Was Bonhoeffer im Gefängnis schrieb, wurde später unter dem Titel "Widerstand und Ergebung" gedruckt. Die hier zitierten Textstellen stammen aus Briefen vom 8. Juni und vom Mai 1944.
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