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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Uta Ranke-Heinemann: Eine unangepasste Theologin wird 85

Horsta Krum, Berlin

 

Sie kommt aus einem bewusst evangelischen Elternhaus. Ihr Vater Gustav Heinemann hat auch als Bundespräsident (1969/74) seine kirchliche Bindung nie verleugnet. Die Tochter Uta folgt »den Spuren meiner Mutter, die evangelische Theologie studiert hatte« - eine große Seltenheit damals! -; aber dann, »durchaus nicht in den Spuren meiner Eltern«, tritt die Tochter zum Katholizismus über und studiert in München katholische Theologie. Priesterin kann sie nicht werden, in der katholischen Hierarchie hat sie als Frau überhaupt keine Chance. Aber immerhin wird sie Dozentin und bekommt 1970 als Frau - das ist eine Weltneuheit! - einen Lehrstuhl für katholische Theologie. Ab 1985 hat sie bis zu ihrer Emeritierung an der Universität Essen gelehrt.

Zweifel an der kirchlichen Lehrmeinung

1987 verliert sie ihren Lehrstuhl, denn in einer Fernsehsendung des WDR sagte sie, dass die Aussage, Maria sei vor und nach der Geburt ihres Sohnes Jesu Jungfrau gewesen und immer geblieben, eine theologische, nicht aber eine biologische Aussage sei. Daraufhin entzieht ihr der Essener Bischof die Lehrbefugnis. Er kann das, denn theologische Lehrstühle werden einvernehmlich zwischen Kirche und Universität besetzt. Einige Monate später lehrt sie an derselben Universität auf einem Lehrstuhl, der von der Kirche unabhängig ist.

Ein flüchtiger Blick von außen könnte zu dem Schluss kommen, es ginge in diesem Konflikt nur um Theologengezänk. Das ist aber nicht der Fall! Schon in ihrem Buch »Nein und Amen«(1) begründet Uta Ranke-Heinemann ihre Zweifel an der kirchlichen Lehrmeinung. Und in ihrem Hauptwerk »Eunuchen für das Himmelreich«(2) stellt sie sehr genau dar, dass der von ihr angegriffene Glaubenssatz katastrophale Folgen für die Sexualmoral der katholischen Kirche gehabt hat und in abgeschwächter Weise immer noch hat. Danach ist die Lebensform der Mönche, Priester, Nonnen die eigentlich christliche, d.h. ohne Erotik, ohne Sexualität, möglichst ohne Kontakt mit dem anderen Geschlecht. Die Ehe wird geduldet, gilt moralisch als tiefer stehend. Und wenn schon geheiratet wird - wobei außereheliche Beziehungen selbstverständlich nicht in Frage kommen! - dann will die katholische Kirche aber auch bestimmen, wann, wie, zu welchem Zweck die Ehe geführt wird. Hauptzweck sind Kinder. Wenn eine Ehe kinderlos ist, wenn die Eheleute keine Kinder wollen oder zu alt sind, dann ist die Kirche mehr oder weniger nachsichtig. Durch die Jahrhunderte hindurch verschieben sich die Akzente, sind auch regional verschieden, aber grundsätzlich gilt: Schon seit dem 2. Jahrhundert hat die Kirche versucht, das Eheleben zu reglementieren.

Im Gleichmarsch der Kriege

Woher hatte sie die Macht? Durch die regelmäßige Beichte, zu der die »Pfarrkinder« verpflichtet waren. Wer nicht beichtete, stellte sich außerhalb der Gemeinschaft, konnte also auch keine Absolution (Freisprechung) nach auferlegter Kirchenbuße erhalten und starb als Geächteter. In einer sehr verbreiteten und langlebigen Verfügung vom Beginn des 11. Jahrhunderts heißt es beispielsweise: »Hast du dich mir deiner Frau während der Fastenzeit besudelt? Dann hast du vierzig Tage Buße zu tun bei Wasser und Brot. Wenn es passiert ist, während du betrunken warst, zwanzig Tage Buße bei Wasser und Brot. Du hast die Keuschheit zu wahren zwanzig Tage vor Weihnachten, alle Sonntage...« (S. 222) Zusätzlich wurde Eheleuten Angst eingejagt vor behinderten Kindern oder Fehlgeburten. Auch das Zeitalter der Aufklärung brachte keine grundlegende Änderung.

Immer, bis heute, haben sich Päpste, Bischöfe usw. gegen die Empfängnisverhütung geäußert, wenn auch mit unterschiedlichen Begründungen. Uta Ranke-Heinemann schreibt: »Die penetrante Betonung des Verhütungsverbots war im Gleichmarsch der Kriege 180/71 und 1914 bis 1918 eskaliert. Und bis heute wird fiktiven Kindern mehr Schutz vor der Empfängnisverhütung zuteil als den realen halberwachsenen Kindern vor der Hölle und dem Tod der Schlachtfelder, gemäß jenem unerträglichen katholischen Irrglauben, dass die eigentlichen Frevel der Menschheit sich in den ehelichen Schlafzimmern vollzögen und nicht auf den Kriegsschauplätzen und an den Massengräbern. In der katholischen Moraltheologie hat man viel über gerechte Kriege, aber noch nie über gerechte Empfängnisverhütung gesprochen.« Es ist »kein Zufall, dass die Ablehnung der Empfängnisverhütung im vorigen Jahrhundert der Rüstung und der Weltkriege ihren lautstarken Höhepunkt erreichte.« (S. 434) Sie führt weiter aus, dass der Vorgänger des jetzigen Papstes, der Pole Johannes Paul II., der deutsche Militärbischof und die anderen deutschen Bischöfe 1999 die Bombardierung Belgrads befürworteten, »wobei nach Zerstörung der Elektrizitätswerke auch viele Babys in den Inkubatoren der Belgrader Krankenhäuser in ihren erkalteten Kästen den Tod fanden.« (S. 449f)

Zur Todesstrafe führt derselbe Papst aus: Sie sei in schwerwiegenden Fällen nicht nur zulässig, sondern sogar Pflicht. Sie habe einen »Sühnewert« für den Verurteilten, wenn er das Todesurteil freiwillig annimmt. Im Rahmen des Weltkongresses gegen die Todesstrafe 2007 hat sich der jetzige Papst für die Abschaffung der Todesstrafe ausgesprochen - aber seine vorherige Befürwortung der Todesstrafe hat er nicht widerrufen. Hätte er seine Äußerung von 2007 ernst genommen, dann, so Uta Ranke-Heinemann, hätte er sie danach wiederholen, bestätigen müssen. Gelegenheiten hätte es genug gegeben, beispielsweise, als der damalige Präsident Bush ihm kurz danach einen Besuch abstattete. Übrigens verdankt Bush - wegen seines Embryonenschutzes - seine Wahl zum Präsidenten Kardinal Ratzinger, wie es im amerikanischen Fernsehsender EWTN jahrelang verfolgt werden konnte. (S. 573)

Die Betonung der biologischen Jungfräulichkeit Marias, der Mutter Jesu, hat auch für die Frauen katastrophale Folgen gehabt. »Nimmt man die Repressionen gegen die Frauen, ihre Zurückdrängung, Diffamierung und Verteufelung alles in allem, so bedeutet die ganze Kirchengeschichte eine einzige Kette männlicher bornierter Willkürherrschaft über die Frau.« Sie verstößt gegen die Gerechtigkeit, »wie es die politische Apartheid tut... Diese Männerkirche ist zu einem Schrumpfchristentum degeneriert. Der christliche Glaube ist zu einem Zölibats-Credo ausgetrocknet. Den geistlichen Herren ist darob der Blick für das, was christlicher Glaube eigentlich ist, weithin abhandengekommen.« (S. 202)

Enttäuschungen

Uta Ranke-Heinemann hat zusammen mit Joseph Ratzinger studiert, dem jetzigen Papst. Sie hat viel von ihm gehalten, viel von ihm erhofft. Dass er seine Äußerung gegen die Todesstrafe vergessen machte, ist nicht ihre einzige Enttäuschung. In der Neuauflage ihres Buches schreibt sie: »Seit unserer gemeinsamen Studienzeit sah ich Joseph Ratzinger als einen bescheidenen, intelligenten Theologen. Ich suchte einen Kommilitonen, der ebenfalls die Thesen seiner Dissertation (ins Lateinische) übersetzen musste. Da ich mich mit 17 verlobt hatte, war Joseph Ratzinger genau der Richtige für mich: Er hatte schon immer die Aura eines Kardinals, hochintelligent bei Abwesenheit jeglicher Erotik. Er war das was ich suchte: das reine Latein. Und ich sehe uns noch, wie wir beide einsam in einem der großen Hörsäle nebeneinander sitzen und übersetzen. Ich empfand seitdem eine große Achtung und Sympathie für ihn. Er war auch der einzige, der mir noch nach meiner Exkommunikation als Ketzerin 1987 freundliche (wie ich dachte) Briefe schrieb. Erst seit 2005, als er Papst geworden war, gingen mir die Augen auf, dass er als Kardinal Ratzinger - seit 1981 Chef der Glaubenskongregation, früher ›Inquisition‹ genannt - die Kirche regierte, ja dass auch Johannes Paul II. unter seiner Regie stand. Ratzinger war es, der weltweit alle fortschrittlichen Theologen von ihren Lehrstühlen fegte, der sich auf allen Bischofssitzen geklont hat, er war es, mit dem die 2000-jährige Sexual- und Frauenfeindlichkeit ihren Höhepunkt erreichte. Er war es, der das Kirchenrecht von 1983 abgesegnet hat, auf dem meine Exkommunikation wegen ›beharrlichen Zweifels an einer Glaubenswahrheit‹ gründet.«

Die Liste der Enttäuschungen ist noch lang, nicht nur die von Uta Ranke-Heinemann. Ob wohl ein Nachfolger mehr Vertrauen verdient?

 

Anmerkungen:

(1) "Nein und Amen. Mein Abschied vom traditionellen Christentum". Heyne-Taschenbuch 2002 (inzwischen 9. Auflage 2011).
(2) »Eunuchen für das Himmelreich. Katholische Kirche und Sexualität von Jesus bis Benedikt XVI«, erweiterte und aktualisierte Auflage 2012, 592 Seiten. Außer den ersten beiden stammen alle Zitate dieses Artikels aus diesem Buch.

 

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