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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Abwehr statt Integration

Interview der Redaktion mit Ulla Jelpke

 

Frage: Du hast in einem Beitrag für die "Mitteilungen" im September vorletzten Jahres geschrieben, "Die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung sollte man besser gleich Abschreckungs- und Abschiebepolitik nennen." [Ulla Jelpke: Bilanz der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, "Mitteilungen" 9/2010, S. 1-7.] Hat sich an dieser Einschätzung etwas geändert?

Diese Einschätzung gilt weiterhin. Einige Änderungen im Aufenthaltsrecht, die vor wenigen Wochen beschlossen wurden, sprechen da eine deutliche Sprache. Mit diesen Änderungen wurde ein Bleiberecht für geduldete Jugendliche geschaffen, die sich besonders gut integriert haben. Einziges Kriterium dafür sind gute Schulnoten, soziales oder politisches Engagement bleiben außen vor. Die Geschwister und Eltern erhalten aber weiter nur dann eine Duldung, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht komplett selbst bestreiten können. Ist das Kind aus der Schule und die Eltern haben weiterhin keine ausreichend bezahlte Arbeit, müssen sie mit ihrer Abschiebung rechnen – wie auch die jüngeren Geschwister, die vielleicht nicht so gute Schulleistungen vorweisen können. Ohnehin gilt: diese Regelung ist von einer umfassenden Bleiberechtsregelung für alle Menschen, die über einen längeren Zeitraum mit einem unsicheren Status in Deutschland gelebt haben, noch Lichtjahre entfernt.

Du hast die Änderungen im Aufenthaltsrecht angesprochen. Um was geht es sonst noch?

Unter dem Titel "Bekämpfung von Zwangsverheiratung" wurde ein neuer Straftatbestand eingeführt. Der hat aber rein symbolischen Charakter, denn eine solche Verletzung der persönlichen Freiheit wie die Zwangsverheiratung steht selbstverständlich auch jetzt schon unter Strafe. Gleichzeitig hat die Bundesregierung die so genannte Mindestehebestandszeit erhöht. Wer aus dem Ausland zu einem Ehepartner nach Deutschland zieht, erhält nun erst nach drei statt bislang zwei Jahren ein eigenständiges Aufenthaltsrecht und darf auch erst dann nach einer Trennung in Deutschland bleiben. Damit sollen die von der Union herbeigeredeten "Scheinehen" bekämpft werden. Tatsächlich gibt es keinerlei Beweise für eine große Zahl von Ehen, die ausschließlich aus aufenthaltsrechtlichen Motiven geschlossen werden. Für die Opfer von Zwangsverheiratung bedeutet das, daß sie ihre schreckliche Situation noch länger aushalten müssen als bislang schon. Damit hat die Koalition diesen Menschen einen Bärendienst erwiesen.

Welches Motiv steckt denn bei CSU, CDU und FDP hinter solchen Verschärfungen, die ja offensichtlich kontraproduktiv sind?

Die Beschlußfassung über das Gesetz fand wenige Tage vor den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt statt, eine Woche darauf waren Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie Kommunalwahlen in Hessen. Es ging also ganz klar um ein rechtspopulistisches Signal an die eigene Wahlklientel. Dazu muß man wissen, daß es bei diesen Verschärfungen auch gegen die vermeintlichen Integrationsverweigerer geht. Ausländer, die zum Besuch eines Integrationskurses verpflichtet sind, mußten bislang diesen Kurs besuchen und damit zeigen, daß sie sich um den Spracherwerb bemühen. Das hat dann ausgereicht, um eine Verlängerung der befristeten Aufenthaltserlaubnis um zwei oder drei Jahre zu erhalten. Nun müssen sie den Kurs erfolgreich abschließen, sonst bekommen sie nur noch eine Verlängerung um ein Jahr. Das trifft vor allen Dingen diejenigen, die große Schwierigkeiten beim Spracherwerb haben: Analphabeten, Menschen mit geringer schulischer Bildung, Alleinerziehende, alte und kranke Menschen. Unterstützungsleistungen für diese Gruppen sind von der Koalition zuletzt massiv gekürzt worden.

Noch einmal zurück zur Flüchtlingspolitik. Derzeit entwickelt sich eine dramatische Situation vor den Toren der EU in Libyen. Die UN spricht von 400.000 Menschen, die von dort geflohen sind, die meisten davon Arbeitsmigranten. Welche Konsequenzen erwartest Du aus diesen Entwicklungen für die Flüchtlingspolitik der EU? Welche Konzepte gibt es, mit einer großen Zahl an Flüchtlingen umzugehen?

Von einem Konzept kann eigentlich keine Rede sein. Vor zehn Jahren wurde mal eine Richtlinie beschlossen, wie die EU sich im Fall eines "Massenzustroms" von Flüchtlingen verhalten soll. Doch eigentlich ist darin nur niedergelegt, welche Fragen zur Verteilung der Flüchtlinge auf die Mitgliedsstaaten beantwortet und im Fall des Falles bearbeitet werden müßten. Und im EU-Rat muß Einigkeit bestehen, daß gerade ein solcher "Massenzustrom" stattfindet – damals konnte man sich offensichtlich auf keine Kriterien einigen. Es ist also fraglich, ob diese Richtlinie jemals zum Zuge kommen wird. In der aktuellen Zuspitzung ist ohnehin keine Bewegung in der Frage einer solidarischen Lastenteilung bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu rechnen. Im Gegenteil: gerade wird über den Ausbau der Abschot-tungsagentur "FRONTEX" verhandelt, die mehr eigenes Personal, mehr eigene Ausrüstung und eine stärkere Stellung gegenüber den Mitgliedsstaaten erhalten soll. Sämtliche Vor-schläge der Kommission zur weiteren Harmonisierung des Asylrechts in der EU liegen derzeit auf Eis. Die Blockadehaltung Deutschlands und anderer EU-Staaten, vor allem der rechts regierten, ist zu stark. Zugleich hat in Malta das Büro des neuen "Asyl-Unter-stützungsbüros" der EU eröffnet – außer dem Leiter hat es aber noch keinen einzigen Mit-arbeiter. Das illustriert ganz gut den Stellenwert von Asyl und Flüchtlingsschutz in der EU.

FRONTEX wird auch immer die Kooperation der EU mit den nordafrikanischen Staaten bei der Flüchtlingsabwehr vorgeworfen. Was ist da dran und was für eine Entwicklung erwartest Du da in der Zukunft?

Zunächst muß man sagen, daß die Kooperation in Fragen des "Migrationsmanagements", wie man in der EU sagt, weitgehend in den Händen der einzelnen Mitgliedsstaaten liegt. Spanien kooperiert mit Mauretanien und dem Senegal, um irreguläre Migranten von den Kanaren fernzuhalten. Italien hat mit Libyen und Tunesien kooperiert, um die Überfahrt von Asylsuchenden über das Mittelmeer nach Lampedusa und Sizilien zu unterbinden. Bislang sind es in erster Linie die einzelnen Mitgliedsstaaten, die sogenannte Rückübernahmeabkommen abschließen. Darin verpflichten sich die Vertragspartner, der Überstellung von eigenen Staatsangehörigen zuzustimmen, die sich unerlaubt im Gebiet des anderen Partners befinden. Diese Regelung wird dann auch auf Migranten angewendet, die einen der Vertragsstaaten als Transitland benutzt haben. Also zum Beispiel hatte sich Libyen verpflichtet, Flüchtlinge "zurückzunehmen", die über sein Territorium unerlaubt nach Italien gelangt sind. Mit diesen Rückübernahmeabkommen wird der Druck auf die Staaten an den Außengrenzen der EU erhöht, selbst die Grenzkontrollen hochzufahren und irreguläre Migration zu bekämpfen. FRONTEX hat das nach Kräften unterstützt, konnte aber nicht selbst aktiv werden. Das ändert sich mit den diskutierten Änderungen der FRONTEX-Verordnung. Danach wird FRONTEX selbst verstärkt Kooperationen mit Nicht-EU-Staaten vertraglich vereinbaren können. Zugleich erhöht die EU ihre Bemühungen, mit diesen Staaten Rückübernahmeabkommen abzuschließen. Derzeit befindet sich ein Abkommen mit der Türkei im Ratifikationsverfahren. Bei all diesen Kooperationen spielen Menschenrechte allenfalls eine untergeordnete Rolle.

Aber was ist denn Motivation beispielsweise für Gaddafi, so massiv gegen Flüchtlinge vorzugehen? Was versprechen sich die potentiellen Vertragspartner von ihrer Kooperation in der Flüchtlingsabwehr? Eigentlich könnte ihnen doch egal sein, ob von ihrem Territorium aus Migranten illegal in die EU einreisen!

Ja, das ist richtig, in geringem Umfang profitieren diese Staaten ja sogar von der irregulären Migration, weil etwas von dem Geld, das die Migranten an ihrer Schlepper bezahlen, in der lokalen Ökonomie hängen bleibt. Aber diesen Staaten geht es selbstverständlich um mehr. Die Bekämpfung der irregulären Migration ist immer eingebunden in den "Gesamtansatz zur Migration" innerhalb der EU-Nachbarschaftspolitik. Ganz kurz kann man sagen, daß es diesen Staaten darum geht, sich mit den EU-Staaten gutzustellen, um von Wirtschaftskooperation, besserem Marktzugang in die EU, Entwicklungszusammenarbeit usw. profitieren zu können. Und sie profitieren auch bei Migrationsfragen. Da geht es nämlich unter anderem auch um Visa-Erleichterungen für Wirtschaftskräfte, Wissenschaftler, Studenten und Kulturschaffende – also die Eliten dieser Staaten. Die EU sichert zu, daß für diejenigen, deren Aufenthalt in der EU auch für die Mitgliedsstaaten einen gewissen Nutzen mit sich bringt, die Erteilung von Einreisevisa erleichtert wird. Und schließlich geht es schlicht auch um Geld: Libyen hat so weitgehend wie kein anderer afrikanischer Staat mit Italien kooperiert, nachdem beide Staaten einen umfassenden Vertrag über die Entschädigung für die Kolonialzeit geschlossen hatten. Er sieht über einen Zeitraum von 25 Jahren die Zahlung von 3,4 Milliarden Euro vor. Die Bekämpfung der irregulären Migration ist Teil dieses Abkommens. Sicherlich hat kein anderer Staatschef der Region dieses Spiel so weit getrieben wie Gaddafi, aber generell gilt: die irregulären Migranten sind ein Faustpfand für jene Staaten Nordafrikas, deren ökonomisches Überleben vom goodwill der Staaten im Norden abhängt. Es ist eines unter vielen Politikfeldern, in denen sie ihre Unterordnung unter die neokoloniale Politik der EU unter Beweis stellen können.

Wird ein Regimewechsel in Libyen an dieser Situation etwas verändern, insbesondere was die Flüchtlinge angeht?

Nein, ich denke nicht. Der aufbrechende Bürgerkrieg und die Bombardierungen der NATO werden zu weiteren Flüchtlingen führen, die zum Beispiel Richtung Tunesien fliehen werden. Der italienische Außenminister Frattini ist dort bereits hingereist und hat der neuen Regierung ein Abkommen zur Bekämpfung der irregulären Migration vorgeschlagen. Wie bereits das Abkommen mit Libyen soll die italienische Küstenwache ermächtigt werden, unmittelbar vor der Küste Tunesiens Boote mit Flüchtlingen abzufangen und Richtung Tunesien zurückzuschicken. Dafür zahlt Italien 90 Millionen Euro, die Tunesien wiederum in die eigene Grenzkontrolle und die Versorgung der abgefangenen Flüchtlinge stecken soll. Bei denen wird selbstverständlich nur ein kleiner Teil dieser Summe ankommen. Und sollte es eine neue Regierung in Libyen geben, wird die sicherlich die Verhandlungen mit der EU über ein Kooperationsabkommen fortsetzen. Die EU hatte Gaddafi im Zuge dieser Verhandlungen bereits 50 Millionen Euro zugesichert, die bislang aber nicht geflossen sind, weil Libyen seine Zusagen zur Reform des Migrations- und Asylrechts nicht eingehalten hatte. Solange die neokoloniale Abhängigkeit der afrikanischen Staaten von der EU fortbesteht, werden sie sich auch in migrationspolitischen Fragen dem Diktat aus Brüssel fügen müssen. Wegen seiner anti-kolonialen Rhetorik war Gaddafi da wahrscheinlich sogar einer der schwierigeren Verhandlungspartner.

 

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2009-10: Bilanz der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung

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