Abschied von Friedrich Wolff
Ralph Dobrawa, Gotha
Als wir uns vor knapp 40 Jahren persönlich kennenlernten, war er schon ein gestandener Anwalt und konnte auf viele Verfahren verweisen, in welchen er als Strafverteidiger mitgewirkt hatte. Darunter waren auch Prozesse, die ihm als Kommunisten einiges abverlangten. Dies betrifft beispielsweise die Verteidigung von Theodor Oberländer, der 1960 vor dem Obersten Gericht der DDR wegen seiner Verantwortung bei der Begehung von Nazigewaltverbrechen angeklagt wurde, oder drei Jahre später das Verfahren gegen den früheren Staatssekretär im Bonner Bundeskanzleramt Hans Maria Globke. Der hatte einst an einem juristischen Kommentar zur Auslegung der Nürnberger Rassegesetze mitgewirkt und auf diese Weise die von den Nazis betriebene Verfolgung jüdischer Mitbürger maßgeblich unterstützt. Auch wurde Friedrich Wolff 1983 die Verteidigung eines Beteiligten an dem Massaker von Oradour angetragen. Jedes Mal war es ein schmaler Grat zwischen der Erfüllung der Aufgabe als Strafverteidiger und der Nichtbilligung der begangenen Verbrechen der Angeklagten.
In seinen Erinnerungen, die bereits vor vielen Jahren unter dem Titel »Verlorene Prozesse« erschienen, hat er die Situationen aus seiner Sicht näher beschrieben. Über lange Jahre war Friedrich Wolff Vorsitzender des Berliner Kollegiums der Rechtsanwälte und auch Vorsitzender des Rates der Kollegien der Rechtsanwälte der DDR. Diese verantwortungsvollen Aufgaben hat er stets mit großer Umsicht und Initiative ausgeübt. So wurde er nach und nach zu einer moralischen Instanz, wenn es um Fragen der anwaltlichen Ethik oder Grenzen der Strafverteidigung ging. Er brachte sich durch zahlreiche Aufsätze, vor allem in der juristischen Fachzeitschrift »Neue Justiz« ein und konnte Erfahrungen aus seiner Tätigkeit an Studenten und Berufsanfänger weitergeben. Auch meine Frau und ich profitierten von seinem Wissen, als wir unsere Diplomarbeit an der Humboldt-Universität Mitte der 1980er Jahre zum Strafverfahren unter Mitwirkung eines Verteidigers verfassten. Auf Nachfrage war er sofort bereit, uns bei den praktischen Untersuchungen, der Umfrage unter Berliner Strafverteidigern, zu unterstützen. Später gab er uns Hilfe, als es darum ging, den richtigen beruflichen Einsatzort zu finden. Auf diese Weise verloren wir uns auch nach dem Ende unseres Studiums nie aus den Augen.
Friedrich Wolff übernahm zur Wendezeit die Verteidigung von Erich Honecker und späterhin auch von anderen ehemaligen Politbüromitgliedern. Bald war auch ich mit der Vertretung von früheren Angehörigen der Grenztruppen der DDR, Offizieren und Soldaten, vor den Landgerichten in Berlin, Potsdam, Erfurt und Mühlhausen befasst. Hier galt es vor allem, den jeweiligen Richtern die Rechtslage der DDR nahezubringen, die einzige Entscheidungsgrundlage für die Urteilsfindung sein durfte. Das führte Fritz Wolff und mich noch stärker zusammen. Wir konnten uns austauschen, wie mit den Gerichten umzugehen ist und welche Anträge gegebenenfalls zur Unterstützung unserer Verteidigungslinie anzubringen sind. Zu dieser Zeit hatte er schon das 70. Lebensjahr überschritten und setzte sich uneingeschränkt für seine Mandanten ein. So wurde er schnell zu einem Vorbild in der Berufsausübung.
Wer DDR-Bürger, die wegen ihrer hoheitlichen Tätigkeit durch die bundesdeutsche Justiz strafrechtlich verfolgt wurden, verteidigte, war in jener Zeit auch selbst Angriffen ausgesetzt, nicht selten auch durch die Politik. Friedrich Wolff hat sich davon nie beeindrucken lassen. Er hat seine Überzeugung von der Richtigkeit seines Verteidigungsweges stets beibehalten. Das tat er mit großer äußerer Ruhe, nicht durch lautes Auf-sich-aufmerksam-machen. Es ist diese besondere Bescheidenheit, die ihn auszeichnete. Er war in seiner Art ganz anders als der doch gern polternde Friedrich Karl Kaul, dessen Fernseh-Ratgeber-Sendung Wolff nach dessen Tod über viele Jahre fortführte. Vor allem sein trockener Humor hat immer wieder für große Unterhaltung und mitunter auch schallendes Lachen gesorgt. Es waren Anmerkungen im Gespräch, die ohne Vorankündigung so treffend waren, dass wir uns auch gern Jahre danach immer wieder daran erinnerten und die Situation im Gedächtnis behielten.
Auch privat hat uns viel verbunden. Manch gemeinsamer Ausflug zu historischen Sehenswürdigkeiten oder Zusammenkünfte bei ihm und seiner Frau in seinem Haus in Wandlitz haben uns viele schöne Stunden bereitet oder auch Begegnungen in Franzensbad, wo wir unabhängig voneinander zur Kur waren, aber gern die Termine so legten, dass sie sich etwas überschnitten und so Zeit für Gespräche gewesen ist. Auf all das blicken meine Frau und ich voller Dankbarkeit zurück. Dazu gehören auch die Feierlichkeiten zu seinem 100. Geburtstag vor zwei Jahren, die ihm große Freude bereiteten. Ein zu dieser Zeit noch nicht absehbarer letzter Besuch am 10. Mai dieses Jahres bot uns Gelegenheit für einen Austausch. Fritz hatte weiterhin Interesse an vielen Themen unserer Zeit und dazu auch immer eine Meinung. Mit Traurigkeit stellten wir übereinstimmend fest, dass niemand von uns beiden noch vor wenigen Jahren gedacht hätte, dass der Rechtsextremismus in Europa wieder stärker salonfähig werden könnte, eine in Deutschland wieder betriebene Kriegsunterstützung uns ängstigt und Sorge bereitet. Er hatte das alles schon einmal in seinem langen Leben erlebt. Jetzt ist Fritz am 10. Juni friedlich von uns gegangen und hat doch die Überzeugung von der Errichtung einer besseren Welt niemals aufgegeben. Er wird nicht nur uns, die wir ihm nahestanden, sehr fehlen.
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