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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

75 Jahre Grundgesetz der BRD – ein Grund zum Feiern?

Jürgen Herold, Berlin

 

Im Mai 2024 wurde in den Medien der BRD das Inkrafttreten des Grundgesetzes der BRD am 24. Mai 1949 gefeiert. In Brandenburg fand ein Festakt statt, auf dem Minis­terpräsident Woidke die Festrede hielt. Auch der Bundestag befasste sich am 16. Mai 2024 in einer Plenardebatte mit dem Thema. Die Begriffe »Freiheit« und »Demokratie« wurden übermäßig oft bemüht. Vom Gleichheitsgrundsatz und der Würde des Men­schen wurde gesprochen. Es wurde peinlichst vermieden zu sagen, dass es 40 Jahre in der DDR nicht galt und wie es 1949 tatsächlich entstanden ist. So erklärte Bärbel Bas, Präsidentin des Deutschen Bundestages, in ihrem Vorwort zur »Sonderausgabe zum 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes und des Deutschen Bundestages«, die vom Deutschen Bundestag herausgegeben wurde, unter anderem: »Das Grundgesetz bildet seit 75 Jahren das Fundament unseres freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates. Am 24. Mai 1949 trat es in Kraft. Am 14. August 1949 wählten die Deutschen den ers­ten Bundestag. Gedacht war das Grundgesetz als Provisorium. Der parlamentarische Rat hatte den Auftrag, für den von den Westalliierten kontrollierten Teil Deutschlands eine vorläufige Verfassung auszuarbeiten. 65 stimmberechtigte Mitglieder gehörten dem Rat an, darunter vier Frauen. Hinzu kamen fünf Abgeordnete aus Berlin mit bera­tender Stimme.« Präsident des Parlamentarischen Rates war Konrad Adenauer, dessen Aussage »Lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb« allge­mein bekannt sein dürfte.

Abspaltung – Konfrontation – Revanchismus

Somit war der 24. Mai 1949 der vorläufige Höhepunkt des spätestens seit 1947 mit der Währungsreform von den Westalliierten eingeleiteten Abspaltungsprozesses der westlichen Besatzungszonen. Sie beriefen die 65+5 Mitglieder des Parlamentarischen Rates. Sie machten die inhaltlichen Vorgaben und bestätigten den Text, bevor er von Konrad Adenauer unterzeichnet wurde.

Mit der Wahl zum Deutschen Bundestag im August 1949 und dem Amtsantritt Konrad Adenauers als Bundeskanzler am 7. September 1949 ist die BRD gegründet. Damit war die Spaltung vollzogen.

Mit ihrer Aussage, dass im August 1949 die Deutschen den ersten Bundestag gewählt hätten, erweckt Bärbel Bas den Eindruck, alle Deutschen, also auch die in der sowjeti­schen Besatzungszone, hätten an der Wahl teilgenommen. Der in Artikel 23 GG festge­legte Geltungsbereich barg in sich politischen Sprengstoff. Die Einbeziehung Groß-Ber­lins wurde bis zum Vierseitigen Abkommen über Westberlin 1971 zum ewigen Streit­punkt und wesentlichen Bestandteil der Konfrontationspolitik der BRD und der NATO gegen die DDR und den Warschauer Vertrag. Gleichzeitig ist dieser Artikel eine Grundlage der revanchistischen Bestrebungen der BRD in den Jahrzehnten nach ihrer Gründung. Danach sollte das Grundgesetz in anderen Teilen Deutschlands nach deren Beitritt in Kraft treten. Damit waren nicht nur das Gebiet der späteren DDR, sondern alle im Ergebnis des 2. Weltkrieges an die Sowjetunion, Polen und die ČSSR verlorenen Gebiete gemeint. Die Älteren werden sich noch an die Wetterkarte im Deutschen Fern­sehen erinnern, die Deutschland in den Grenzen von 1937 zeigte.

Verfassung steht noch aus

Bärbel Bas meint, dass das Grundgesetz unserem Land Orientierung gegeben habe und für Zusammenhalt in Krisen gesorgt hätte. Sie blendet dabei völlig aus, dass das GG ständiger Veränderung unterlag und das GG von 1989/1990 nicht mehr identisch mit dem von 1949 ist. Dabei führten die meisten Veränderungen auch zur Abschwächung der Grundrechte, so dass das KPD-Verbot 1956 und die Notstandsgesetze 1968 mög­lich wurden. Außer in den faschistisch regierten Ländern Portugal und Spanien waren in keinem europäischen Land kommunistische Parteien verboten. Mit der Gründung der DKP wurde das KPD-Verbot nicht aufgehoben, und deren Mitglieder wurden nicht reha­bilitiert. So haben wir seit 1990 diesbezüglich zweierlei Recht in Deutschland. Man muss nach über 30 Jahren Einheit wissen, wo die Staatsgrenze zwischen der DDR und der BRD verlief, um zu wissen, wo die KPD erlaubt ist und wo nicht. Dasselbe gilt übri­gens für die 1952 in der BRD verbotene FDJ. Daran stört sich der »Rechtsstaat« nicht!

In Artikel 146 GG wird bestimmt, dass das Grundgesetz seine Gültigkeit an dem Tag verliert, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist. Hierin steckt der Hinweis, dass das gegenwärti­ge Grundgesetz nicht in freier Entscheidung entstanden ist und die Verabschiedung einer solchen Verfassung noch aussteht.

Auch deshalb haben sich 1990/1991 verschiedene gesellschaftliche Gruppen mit Ent­würfen für eine neue Verfassung für Gesamtdeutschland beschäftigt. Daniela Dahn beschreibt die Bemühnungen seitens der DDR-Bürgerbewegung, Eigenes in die Einheit einzubringen. In ihrem Beitrag »Siegerpose statt Nachdenklichkeit« im »Freitag« Nr. 21 vom 23. Mai 2024 schreibt sie, dass der »Runde Tisch« Ost- und Westexperten beauf­tragte, eine Übergangsverfassung für die DDR zu entwerfen, die auch bei einer Vereini­gung nach Art. 146 GG Beachtung finden würde. Am 4. April 1990 wurde der Verfas­sungsentwurf des »Runden Tisches« der neu gewählten Volkskammer übergeben. Er ori­entierte sich am GG und war im Bezug auf den Grundrechtekatalog umfangreicher:

  • Recht auf Arbeit und Wohnung;

  • Verbot der Benachteiligung wegen Alter, Behinderung oder sexueller Orientie­rung;

  • Schutz der Umwelt einschließlich der Haftung für Schäden;

  • Volksgesetzgebung.

Beitritt mit fatalen Folgen

Seitens der BRD-Vertreter, die bereits Einfluss auf die innere Entwicklung der DDR gewonnen haben, wurde dieser Entwurf abgelehnt und am 26. April 1990 beschloss die Volkskammer, den Entwurf nicht zur Beratung an den Verfassungsausschuss zu überweisen und stattdessen nach Art. 23 GG beizutreten. Damit hatten die DDR-Unterhändler für die bevorstehenden Verhandlungen zur Einheit keine verfassungsrechtliche Bindung. Die baldige Zukunft sollte zeigen, dass dies für die Mehrheit der DDR-Bürger fatale Folgen hatte:

  • Verlust des Arbeitsplatzes und des Rechts auf Arbeit (Art. 24 DDR-Verfassung);

  • Rentenstrafrecht;

  • Auf lange Zeit keine Aufstiegschancen im öffentlichen Dienst;

  • Schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters für Frauen auf das der Männer;

  • Verlust des Rechts der Frauen, über einen Schwangerschaftsabbruch selbständig entscheiden zu können;

  • Wiedereinführung von Studiengebühren für Direktstudenten und Abschaffung der Stipendien und Studienbeihilfen nach sozialen Gesichtspunkten (Art. 26 DDR-Verfassung);

  • Steigerung der Mieten und Verlust der Wohnung, verbunden mit dem Verlust des Rechts auf Wohnraum (Art. 37 DDR-Verfassung);

  • im Prinzip lebenslanges Berufsverbot im öffentlichen Dienst der BRD für Mitar­beiter des MfS der DDR ohne Gerichtsverhandlung, Einzelfallprüfung oder Verjäh­rung – alle Bürger sind vor dem Gesetz gleich?

Aber auch in der BRD hatten die Veränderungen in der DDR bei Linken Wirkung gezeigt. So kam im September 1990 das »Kuratorium für einen demokratisch verfassten Bund Deutscher Länder« in Weimar zusammen. 200 Juristen und Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Kultur griffen den Verfassungsentwurf des »Runden Tisches« auf, um ihn weiterzuentwickeln. So wurde am 18. Mai 1991 von diesem Kuratorium ein Verfas­sungsentwurf für den Bund Deutscher Länder verabschiedet, unter anderem veröffent­licht im »Neuen Deutschland« vom 4. Juni 1991.

Organisierte Verantwortungslosigkeit

Aber auch das Kuratorium scheiterte. CDU-Regierung und konservative Leitmedien reagierten ablehnend. Das Grundgesetz habe sich als der sozialistischen Gesellschafts­ordnung überlegen erwiesen. Es bestehe also keine Notwendigkeit, das Grundgesetz zu ändern. Damit wurde auch die Möglichkeit vergeben, gemäß Art. 146 GG eine neue Verfassung zu erarbeiten und mittels Volksabstimmung zu verabschieden.

Wer bereit ist, die vergangenen 34 Jahre objektiv zu betrachten, wird zugeben, dass der schnelle Beitritt in der Praxis gescheitert ist:

  • die Zahl der Übersiedler in die BRD stieg drastisch nach Einführung der D-Mark in der DDR;

  • zwischen 1990 und 1994 demonstrierten in Ostdeutschland ca. drei Millionen Menschen gegen Entlassung und Ungleichbehandlung – doppelt so viele wie bei der »friedlichen Revolution« – doch sie wurden ignoriert.

Daniela Dahn beschließt ihren oben genannten Artikel mit folgenden Sätzen:

»Das machtversessene Wegfegen der Bemühungen um einen auch verfassungsrechtli­chen Neuanfang war viel mehr als eine vertane Chance. Es war Pflichtvergessenheit gegenüber einem sich ausbreitenden Ohnmachtsgefühl von Bürgern, die zu dem heutigen Rechtsruck beigetragen hat, zu Frust, Hass, Gewalttätigkeit und Demokratieverachtung. Es war organisierte Verantwortungslosigkeit der Mächtigen.«

 

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