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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

1972 in München: »Die Spiele müssen weitergehen.«

Jürgen Herold, Berlin

 

Am 26. August 1972 wurden die Olympischen Spiele der 20. Olympiade der Neuzeit im Münchner Olympiastadion feierlich eröffnet.

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte die Spiele am 26. April 1966 in Rom an die Stadt München übergeben. Damalige Mitbewerber waren Detroit, Madrid und Montreal.

Fast in Vergessenheit geraten ist die Tatsache, dass die DDR zum ersten Mal nicht nur mit einer selbständigen Mannschaft, sondern auch mit eigener Flagge und der DDR-National­hymne an den olympischen Spielen teilnehmen konnte.

Fast zum Abbruch der Spiele führte das Attentat auf die israelische Olympiamannschaft.

Am 5. September um 4 Uhr früh drangen 8 palästinensische Angehörige der Organisation »Schwarzer September« in die Unterkünfte der israelischen Männermannschaft ein und verschanzten sich mit 11 männlichen Geiseln. Dabei wurde der Ringertrainer Mosche Weinberg erschossen und der Gewichtheber Josef Romano angeschossen. Er starb, weil kein Arzt zu ihm gelassen wurde.

Unmittelbar nach dem Überfall herrschten chaotische Zustände. Die Sicherheitskräfte waren völlig überfordert, weil sie auf solche Situationen weder materiell noch personell (keine Spezialeinheiten) vorbereitet waren. Auch für die DDR-Mannschaft bestand ein großes Sicherheitsrisiko. Ihre Unterkünfte befanden sich in unmittelbarer Nachbarschaft. Von Ihren Fenstern konnten die DDR-Sportler das Geschehen hautnah verfolgen. Deshalb wurde von den Verantwortlichen der DDR-Mannschaft beschlossen, unsere älteren Kampfsportler zum Schutz der Zimmer der jüngeren Sportler einzusetzen. Sie forderten von der BRD, den Einsatz von 60 Polizisten aus der DDR zum Schutz der DDR-Mannschaft zu genehmigen. Dies wurde jedoch abgelehnt. Es wurde aber eine größere Zahl von Polizisten zum Schutz der DDR-Unterkünfte abgestellt.

Die Terroristen forderten in einem ersten Ultimatum die Freilassung von 228 Gefangenen aus israelischen Gefängnissen, der RAF-Mitglieder Andreas Baader und Ulrike Meinhof aus deutscher Haft sowie Közö Okomoto aus Japan bis 9:00 Uhr. Ansonsten würden sie die Geiseln erschießen.

Die israelische Regierung und das israelische Parlament lehnten diese Forderung ab und erklärten ihr Einverständnis mit dem Versuch, die Geiseln zu befreien.

Damit war für die deutsche Seite klar, keine Zugeständnisse zu machen.

Um 8:50 Uhr wurde von den Terroristen ein neues Ultimatum gestellt. Jetzt wollten sie die Freilassung von 200 Gefangenen aus israelischen Gefängnissen und freies Geleit für sich und die Geiseln. Sie forderten, in eine arabische Hauptstadt ausgeflogen zu werden. Sollte die Polizei versuchen, das Haus zu stürmen, würden die Geiseln erschossen.

Dieses Ultimatum galt bis 12:00 Uhr. – Um 11:45 Uhr konnte eine Verlängerung des Ulti­matums bis 15:00 Uhr erreicht werden. Walther Tröger, Bürgermeister des olympischen Dorfes, Willi Daume, NOK-Präsident, Hans-Dietrich Genscher, Bundesinnenminister, Bruno Merk, bayerische Innenminister und Manfred Schreiber, Sicherheitschef der XX. Olympi­schen Spiele, boten sich vergeblich als Ersatzgeiseln an. Um 15:25 Uhr wurde das Ultima­tum auf 17:00 Uhr verschoben.

Erst um 15:38 Uhr wurden die Wettkämpfe nach Protesten von Athleten und Zuschauern unterbrochen.

Überforderte Sicherheitskräfte

Mit Hilfe eines Abgesandten der Arabischen Liga und des Missionschefs der ägyptischen Delegation ist es gelungen, das Ultimatum um weitere 5 Stunden zu verlängern.

Inzwischen war das Haus von Scharfschützen umstellt.

Die Überforderung der Verantwortlichen bei den Sicherheitsorganen wurde auch daran deutlich, dass die Geiselnehmer aus Radio und Fernsehen vom Aufmarsch der Polizei und der geplanten Befreiungsaktion erfahren hatten. Man hatte einfach versäumt, den Strom bei den Terroristen abzustellen und die Presse aus dem olympischen Dorf zu entfernen.

In den Verhandlungen mit den Geiselnehmern wurde letztendlich vereinbart, dass sie mit den Geiseln über den Flughafen Fürstenfeldbruck in ein arabisches Land ausgeflogen wer­den sollten.

Gegen 22:20 Uhr hoben zwei Hubschrauber vom olympischen Dorf mit den Terroristen und Geiseln an Bord in Richtung Flughafen ab. Da die Geiselnehmer die Geiseln auf dem Weg zu den Hubschraubern als menschliche Schutzschilde nutzten, konnte im olympischen Dorf noch kein Zugriff erfolgen.

Im Nachhinein war das wahrscheinlich für die anderen Bewohner des olympischen Dorfes ein Glücksumstand.

Auf dem Flughafen nahm dann das Drama seinen Lauf. Um 22:29 Uhr landeten die Hub­schrauber bei Flutlicht auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck. Bis zu diesem Zeitpunkt war immer von 5 Geiselnehmern anstatt der tatsächlichen 8 ausgegangen worden. Aus diesem Grund wurden auch nur fünf Streifenpolizisten als Scharfschützen benannt. Statt Scharf­schützengewehren erhielten sie Sturmgewehre. Sie wurden auf dem Dach des Flughafen­gebäudes und auf dem Rollfeld postiert.

Es befand sich auch noch ein als Besatzung getarntes Freiwilligenkommando der Polizei im Flugzeug. Es handelte sich auch hierbei um normale Streifenpolizisten, die mit ihren Stan­dard-Dienstpistolen ausgerüstet waren. Als sie erkannten, dass sie nicht in der Lage wären, die schwer bewaffneten Geiselnehmer zu überwältigen, verließen sie das Flugzeug eigenmächtig, kurz bevor die Helikopter aufsetzten. Auch die Bereitstellung gepanzerter Fahrzeuge wurde versäumt.

Um 22:38 Uhr wurde der Feuerbefehl erteilt. Die Aktion endete in einem Fiasko. Sämtliche Geiseln starben, ein Polizist wurde tödlich getroffen, ein Hubschrauberpilot erlitt schwere Schussverletzungen. Erst gegen 1:32 Uhr wurde das Schießen eingestellt. Drei Geiselneh­mer konnten festgenommen werden.

Um 2:40 Uhr wurde die Weltöffentlichkeit auf einer Pressekonferenz informiert.

Bei der Untersuchung der Leichen wurde festgestellt, dass die israelischen Sportler mit hoher Wahrscheinlichkeit von den Geiselnehmern erschossen wurden.

Am 6. September tagte das IOC, um über das weitere Vorgehen zu beraten.

Auf einer bewegenden Feierstunde im Münchner Olympiastadion am gleichen Tag verkün­dete dann der Präsident des IOC, Avery Brundage: »Die Spiele müssen weitergehen.«

So wurden die olympischen Wettbewerbe ab dem 7. September fortgesetzt und endeten am 11. September. Die DDR-Mannschaft erreichte den 3. Platz in der Länderwertung.

Fazit:

Diese Ereignisse und die Tatsache, dass die 3 Geiselnehmer am 29. Oktober 1972 durch die Entführung einer Lufthansamaschine freigepresst werden konnten, führten unter der Flagge der Terrorismusbekämpfung zu einer enormen Aufrüstung der BRD-Sicherheitsor­gane.

Noch im Jahr 1972 wurde mit der Aufstellung der Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9) und in den Bundesländern der Spezialeinsatzkommandos (SEK) begonnen.

Im Zusammenhang mit den Vorbereitungen auf die Gedenkfeier zum 50. Jahrestag des Attentats auf die israelischen Sportler am 5. September 2022 wurde für die breite Öffent­lichkeit bekannt, dass die Verhandlungen mit den israelischen Hinterbliebenen über Entschädigungsleistungen durch die BRD, den Freistaat Bayern und der Stadt München nach 50 Jahren noch immer nicht abgeschlossen sind.

Vor Redaktionsschluss wurde nicht bekannt, ob die israelischen Hinterbliebenen an der Gedenkfeier in München teilnehmen und ob diese ohne israelische Teilnehmer überhaupt stattfinden wird.

 

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