Zeitzeuge bei der Konferenz in Odense
Dieter Popp, Bonn
Am 16. November 2007 ging es mit zwei Bussen und ca. 100 Mitstreitern von der Werner-Seelenbinder-Halle, pardon, vom Velodrom in Berlin ins süddänische Odense. In die Heimatstadt des filigranen Märchenerzählers Hans Christian Andersen, der dort 1805 das Licht der Welt erblickte. Wohl kaum ein Anlaß für böse Zungen, der HVA (Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR) wieder zu unterstellen, ihre Einlassungen kämen aus dem Bereich von Andersens Märchen.
Als Zeitzeuge dieser HVA-Konferenz im süddänischen Odense möchte ich meine Eindrücke schildern. Historiker, Moderatoren und Zeitzeugen, 27 an der Zahl, waren angetreten, die Erfolge, Arbeitsweise und den Aufbau der HVA des MfS wissenschaftlich beim "Zentrum für die Studien des Kalten Krieges" an der Süddänischen Universität zu erörtern und historisch einzuordnen.
Am Vorabend dänische Gastfreundschaft beim Empfang des Odenser Bürgermeisters im festlichen Rathaus. Dann die Konferenz: Am ersten Tag dreizehn Referenten: Unter anderen der Militärhistoriker Prof. Dr. Nigel West und Ralf-Peter Deveaux, stellvertretender Leiter der HVA. Die Referate von Werner Großmann, der erkrankt war, und von Helmut Müller-Enbergs, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Birthler-Behörde, wurden verlesen. Etwas hilflos dann Bernd Lippmann, der Vorsitzende der Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße (Stasi-Museum), der versuchte, das MfS als Einheit mit der HVA darzustellen und die bekannten Vorwürfe vor Gift und Galle triefend wiederholte ...
Der Kundschafter Rainer Rupp sah das Ziel der Entspannung aus der Sicht der NATO sowohl beim KGB als auch bei der CIA. Als Beispiele führte er die Beilegung der Kuba-Krise und den INF-Vertrag an: SS 20-Raketen versus Pershing II. Unangenehm fiel Dr. Armin Wagner auf, Dozent der Offiziersschule der NVA in Dresden und heute wissenschaftlicher Mitarbeiter ("Military Fellow") am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg. Wagner behauptete, angeblich gestützt auf eine Studie von Birthlers Mitarbeiter Herbstritt, daß 90% der Kundschafter gegen Geld Informationen beschafft hätten. Das ist unverfrorene Unwahrheit. Bei den meisten steht sogar im Gerichtsurteil, daß sie Überzeugungstäter mit politischer Motivation waren. Am letzten Tag sprach der wie Peter Ustinov aussehende CIA-Chef-Historiker Benjamin B. Fisher, der die HVA als einen der effizientesten Dienste lobte. Danach Klaus Eichner, der die CIA aufklärte. Der Diplomat Robert G. Livingston berichtete objektiv über seine Erfahrungen mit der DDR im Kalten Krieg und feierte gleichzeitig seinen 80. Geburtstag.
Die Kundschafterin Dr. Gabriele Gast referierte über den BND, insbesondere über die Anwerbemethoden und ihren Erfolg, 1973 beim BND als Referentin in der Abteilung Auswertung eingestellt und bis 1990 den BND für die HVA aufgeklärt zu haben. Sie wies aber auch auf die braune Vergangenheit des BND hin, der aus "Fremde Heere Ost" unter Hitler und dann aus der "Organisation Gehlen" entstand und bis 1954 unter dem Dach der CIA agierte. Die BRD übernahm dann die "braungefärbte" Truppe ungesäubert als Bundesnachrichtendienst BND.
Bei der anschließenden Diskussion meldete sich der als Gast teilnehmende Berliner Rechtsanwalt Jürgen Strahl zu Wort: "Gestern im Fernsehen bei Graf von Stauffenberg zu sehen: ‚Verräter erschießen sich selbst oder werden erschossen!’" Eine Steilvorlage für die zahlreich angereisten Medien, die diese Aussage zum Tribunal gegen die Konferenz benutzten. Wenn dieser Satz nicht gefallen wäre, hätten die Journalisten mit Sicherheit etwas anderes gefunden, um die Veranstaltung und die HVA zu diskriminieren.
Bei dieser Konferenz zum Thema "Hauptverwaltung A – Geschichte, Aufgaben, Einsichten" nahmen über 250 Wissenschaftler, Zeitzeugen und Gäste teil. Elf der 24 Vorträge bestritten ehemals leitende Mitarbeiter der HVA. Sie stellten die einzelnen Entwicklungsetappen des Dienstes in historische Zusammenhänge, untersuchten Ursachen und Wirkungen, Aktion und Reaktion. Sie berichteten über Erfolge, Probleme und Mißerfolge. US-amerikanische, britische und holländische Wissenschaftler anerkannten die friedenserhaltende Rolle der HVA im Kalten Krieg.
Der veranstaltende dänische Historiker Thomas Wegener Friis bezeichnete zunächst die Veranstaltung als gelungen und distanzierte sich später mit einer Erklärung von der Konferenz, möglicherweise unter Druck; Zitat:
"Somit zeigten sich auf dieser Konferenz zwei Sachverhalte:
- Die anwesenden Wissenschaftler haben eine durch Fakten abgesicherte Darstellung der DDR-Spionage geliefert.
- Die geistige Verfassung der alten Stasi-Elite hat sich nicht verändert. Diese Personen haben sich mit ihren propagandistischen Äußerungen öffentlich diskreditiert."
Der renommierte Stuttgarter Historiker Dr. Andreas Kalckhoff in seinem Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung: "Scheinbar mangelt es hier an dem Wissen, daß eine Historikertagung kein Tribunal ist oder sein kann. Reue und Einsicht zu verlangen, ist jedenfalls nicht die Rolle des Historikers. Andernfalls dürfte er Selbstzeugnisse und mündliche Quellen überhaupt nicht berücksichtigen". Dem ist nichts hinzuzufügen.
26. Dezember 2007.
Dieter Popp ist Vorsitzender der Initiativgruppe Kundschafter des Friedens fordern Recht - IKF e.V.
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