Wheelus Air Base
Ronald Friedmann, Berlin
Schon in den Tagen und Wochen vor dem Lynchmord an Muammar al-Gaddafi hatte die veröffentlichte Meinung des Westens vor allem die angeblich dramatische Lage der Menschenrechte in Libyen zum großen Thema gemacht. Gleichzeitig wurde immer wieder medienwirksam eine Verbindung zwischen Gaddafi und dem Anschlag auf ein US-amerikanisches Verkehrsflugzeug hergestellt, bei dem am 21. Dezember 1988 nahe der schottischen Stadt Lockerbie 280 Menschen starben. Auch eine politische Verantwortung Gaddafis für den Anschlag auf die Westberliner Diskothek "La Belle" in der Nacht vom 4. auf den 5. April 1986 mit 3 Toten und zahlreichen Verletzten wurde beinahe gebetsmühlenartig betont.
Doch der gnadenlose Haß der US-Offiziellen auf Gaddafi hat seine wirklichen Wurzeln in einem Ereignis, das mehr als vierzig Jahre zurückliegt. Und dieses Ereignis fand und findet in der Mainstream-Berichterstattung keine Erwähnung: Im Juni 1970, nur wenige Monate nach dem unblutigen Sturz des libyschen Königs Idris und der Machtübernahme durch Gaddafi, mußten die USA den Luftwaffenstützpunkt Wheelus nahe der libyschen Hauptstadt Tripolis räumen.
Seit Mai 1945 waren US-amerikanische Truppen auf dem Luftwaffenstützpunkt stationiert. Im November 1950 wurden die ersten strategischen US-Bomber auf die Wheelus Air Base verlegt, deren Aufgabe im Fall eines Dritten Weltkriegs darin bestanden hätte, nukleare Angriffe gegen die südwestlichen Landesteile der Sowjetunion zu fliegen. Im September 1954 schließlich wurde ein Militärabkommen abgeschlossen, in dessen Ergebnis rund 14.000 US-Soldaten in Libyen stationiert wurden.
Im Februar 1964 forderte der ägyptische Regierungschef Gamal Abdel Nasser die Schließung aller ausländischen Militärbasen in Libyen. Unter dem Druck auch der übrigen arabischen Staaten beschloß das libysche Parlament daraufhin die Beendigung der Stützpunktverträge mit den USA (und Großbritannien). Zu diesem Zeitpunkt hatten Bombenflugzeuge im nuklearstrategischen Konzept der USA ihre Bedeutung als Trägermittel längst an Mittel- und Langstreckenraketen verloren. Die USA konnten also ihre Bereitschaft signalisieren, die Wheelus Air Base zum regulären Ende der Vertragslaufzeit im Herbst 1971 zu räumen. Zur öffentlichen Demütigung der USA wurde der Vorgang durch die Forderung Gaddafis vom April 1970, den Luftwaffenstützpunkt umgehend aufzulösen: Der selbsternannten Supermacht USA blieben so nur knapp zwei Monate, Truppen und Material aus Libyen abzutransportieren.
Der Abzug der US-amerikanischen Truppen von der nun vormaligen Wheelus Air Base wurde übrigens von zwei Journalisten aus der DDR filmisch begleitet: Walter Heynowski und Gerhard Scheumann, die Begründer des berühmten Dokumentarfilmstudios "H & S", drehten den Film "Bye-bye Wheelus", der heute vermutlich unbeachtet in irgendeinem Archiv liegt. Es ist kaum anzunehmen, daß sich eine öffentlich-rechtliche oder gar eine private Fernsehstation um die Senderechte bemüht, um anschaulich und überzeugend die Hintergründe des derzeitigen blutigen Konflikts in Libyen aufzuzeigen.
Siehe auch den Beitrag "Bye-bye Wheelus?" von Horst Schäfer, erschienen im März 2011 in "Ossietzky", Ausgabe 6/2011, danach in "Mitteilungen", Heft 4/2011, S. 5.
Mehr von Ronald Friedmann in den »Mitteilungen«:
2011-10: Bad Harzburg
2010-09: Der Dreimächtepakt – Bündnis für den Krieg
2007-10: Brot, Land und Frieden