Westmächte wiesen Konzernenteignungsgesetz zurück [1]
Jürgen Herold, Berlin
Am 13. Februar 1947 verabschiedete die Stadtverordnetenversammlung von Berlin gegen die Stimmen der LDP das »Gesetz zur Überführung von Konzernen und sonstigen wirtschaftlichen Unternehmungen in Gemeineigentum«.
Unter dem Eindruck des Volksentscheides über die Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher am 30. Juni 1946 in Sachsen [2] war es schon Ende 1946 zu neuen Aktionen der Berliner Arbeiter gekommen. Bis Februar 1947 wurden in 1.600 Betrieben über 100.000 Unterschriften für eine Enteignung gesammelt. Am 28. November 1946 reichte die SED in der Stadtverordnetenversammlung einen Entwurf für eine »Verordnung zur Enteignung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten« ein.
Die SED-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung forderte die sozialdemokratische Fraktion auf, gemeinsam für die Enteignung der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten, für die Entmachtung des Monopolkapitals zu kämpfen. In den Betrieben handelten Mitglieder beider Parteien [3] gemeinsam. Sie organisierten Belegschaftsversammlungen, verfassten Resolutionen und widersetzten sich Eingriffen und Einschüchterungsversuchen der Konzernleitungen. So leugnete die Direktion des Siemens-Konzerns die enge Liierung mit dem Hitlerfaschismus und die Ausbeutung von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen in den Siemens-Werken. Gleichzeitig wurde versucht, Teile der Belegschaft und die Betriebsräte durch finanzielle Zuwendungen zu korrumpieren.
Schließlich legte die SPD einen Gesetzentwurf vor, der an revolutionärer Konsequenz zwar hinter dem SED-Vorschlag zurückblieb, doch manche Gemeinsamkeiten erkennen ließ. Das Gesetz sah vor, die Enteignung gegen Entschädigung vorzunehmen, ausgenommen von der Entschädigung sollten Kriegsverbrecher und Naziaktivisten sein.
Für die LDP lehnte der Stadtverordnete Schwennicke sozialistische Mammutunternehmen, sozialistische Planwirtschaft und einen Magistratstrust außer bei Energieversorgung, Verkehr und Bodenschätzen ab.
Namens der SED-Fraktion erklärte Karl Maron bei der Schlussabstimmung: »Es kommt unserer Meinung nach darauf an, die Taten folgen zu lassen, d.h. zu sehen, wie wird das Gesetz durchgeführt. Das entscheidende Gewicht liegt unserer Auffassung nach bei den Ausführungsbestimmungen«. Darum reichte die SED-Fraktion den Entwurf für eine »Verordnung zur Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten« ein, der am 27. März 1947 sogar mit allen Stimmen der Stadtverordnetenversammlung angenommen wurde.
Während die SED-Fraktion, unterstützt vom FDGB, auf eine schnelle Verwirklichung der beiden Beschlüsse drängte, gingen die anderen drei Fraktionen dagegen zu einer Verschleppungstaktik über.
Am 26. August 1947 wiesen die Westmächte in der Alliierten Kommandantur gegen die Stimme des sowjetischen Vertreters das Konzernenteignungsgesetz und die ergänzende Verordnung wegen angeblicher Mängel an den Magistrat zurück. Hier wurden sie auf die lange Bank geschoben.
Die Arbeiter in den drei Westsektoren Berlins, in denen sich die Konzernmacht wieder festigte, waren somit um die Früchte ihres Kampfes gebracht. Im Ostsektor hingegen setzte sich der sowjetische Kommandant, Generalmajor A.G. Kotikow, nachdrücklich für die Arbeiterinteressen ein. Am 1. April 1947 hatte er di.e Bildung der »Deutschen Treuhandanstalt zur Verwaltung des sequestrierten und beschlagnahmten Vermögens im sowjetischen Besatzungssektor der Stadt Berlin« verfügt.
Der unter Leitung von Willy Rumpf (SED) stehenden Treuhandstelle oblag es, das auf Grund der SMAD-Befehle Nr. 124 und Nr. 126 vom Oktober 1945 beschlagnahmte Vermögen der Nazi-und Kriegsverbrecher im Interesse der Berliner Bevölkerung zu verwalten und zu nutzen, bis für ganz Berlin ein demokratischer Gesetzentscheid herbeigeführt sein würde. Die Treuhandverwaltung unterband alle Bestrebungen der Westberliner Konzerne, die Verfügungsgewalt über ihre Betriebe im Ostteil der Stadt zurückzuerlangen. Auf der anderen Seite garantierte sie den Arbeitern das volle gewerkschaftliche Mitbestimmungsrecht und setzte Verhältnisse durch, die denen der volkseigenen Betriebe in den Ländern der sowjetischen Besatzungszone gleichkamen.
In den 309 Treuhandbetrieben arbeiteten Ende 1947 rund 40 Prozent aller in der Industrie Ostberlins Beschäftigten. Treuhandbetriebe waren zum Beispiel das Berliner Glühlampenwerk, die Schering AG Adlershof, die Bergmann-Elektrizitäts-Werke-AG, die AEG Fabriken für Transformatoren in Oberschöneweide und die Deutschen Messingwerke.
Die Vertreter der Westmächte traten in der Alliierten Kommandantur offen für die Monopole ein. Im Mai 1947 wurden in den Berliner Westsektoren die Unternehmerverbände offiziell wieder zugelassen.
Anmerkungen:
[1] Ein Rückblick auf der Basis von Gerhard Keiderlings Buch »Berlin 1945–1986: Geschichte der Hauptstadt der DDR« (903 Seiten), das 1987 im Dietz Verlag Berlin erschienen ist.
[2] Von Professor Horst Schneider aus Dresden liegt ein neues Buch über den Volksentscheid in Sachsen 1946 vor. Siehe das Titelbild und die Seiten 29 bis 31 dieses Heftes (Red.).
[3] Die SED wurde 1946 auf einem Vereinigungsparteitag von KPD und SPD in Berlin gegründet. Sie agierte in der sowjetischen Besatzungszone und Berlin. Die Westalliierten verhinderten ähnliche Bestrebungen in ihren Besatzungszonen, so dass in Westdeutschland KPD und SPD und in Berlin SED und SPD nebeneinander existierten.
Mehr von Jürgen Herold in den »Mitteilungen«:
2017-02: Zum Gedenken an Professor Gerhard Riege
2016-08: Einiges zur Rolle der USA als Führungsmacht der NATO