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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Washington: Offensive im asiatisch-pazifischen Raum

Hellmut Kapfenberger, Berlin

 

Friedensnobelpreisträger Obama auf Friedenskurs?

Indochina, speziell Vietnam im Verein mit Laos, war einst dazu auserkoren, nicht einfach erste antikommunistische Bastion Washingtons auf dem asiatischen Festland, sondern konkret Bollwerk als Drohkulisse unmittelbar an der Südflanke der kommunistisch regierten Volksrepublik China zu sein. Jahrelanger Aggressionskrieg hatte diesem Ziel zu dienen. Den Garaus machte dem das Pariser Abkommen über die Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung des Friedens in Vietnam vom 27. Januar 1973. Deshalb war man nach diesem Friedensschluss wortbrüchig nach Kräften bemüht, wenigstens im Süden Vietnams unter welchem Aushängeschild auch immer präsent bleiben zu können. Das misslang gründlich, mit dem Fall Saigons am 30. April 1975 wurde das endgültige Aus massiver politischer und kaschierter militärischer Präsenz besiegelt. Die Erinnerung daran ist durchaus aktuell. Obwohl man sich in Südostasien damals gehörig die Finger verbrannt hat, streckt Washington in jüngster Zeit seine von Politikern und Militärs geführte, absolute Macht begehrende Hand wieder in dessen Umfeld und nach Ostasien aus. Es unterliegt keinem Zweifel und wird am Potomac auch nicht bestritten, dass dies mit Blick auf China geschieht, hatte doch Barack Obama jüngst in der Wahlkampfkampagne mit Herausforderer Romney den asiatischen Konkurrenten als "Adversary" (Gegner) qualifiziert.

Mitte November 2011 war der Präsident in einer Rede vor dem australischen Parlament in Canberra sehr deutlich geworden. Äußerer Anlass seines Auftritts war der 60. Jahrestag des im September 1951 von den USA mit Australien und Neuseeland geschlossenen Militärpakts, der als ANZUS- oder auch Pazifik-Pakt in die Geschichte eingegangen ist, gegen die UdSSR, China, Vietnam und Nordkorea gerichtet war und offiziell nie beerdigt wurde. Die USA würden künftig "eine größere und langfristigere Rolle in der Gestaltung dieser Region und ihrer Zukunft spielen", verkündete er. Ihre Präsenz im Asien-Pazifik-Raum habe oberste Priorität. Auf einer Reise durch das Land kündigte er in Darwin an der Nordküste eine verstärkte militärische Zusammenarbeit mit Australien an. Wie zu vernehmen war, will Washington in den nächsten Jahren in Nordaustralien bis zu 2.500 Soldaten stationieren. Diese Stationierung habe jedoch "zunächst nur symbolischen Wert", las man bei ZEIT ONLINE. "Von herausragender Bedeutung ist hingegen der zentral gelegene Übungsplatz in Darwin für US-Marines und die Air Force." Es gehe Washington "um die Eindämmung der zuletzt für viele Pazifik-Anrainer bedrohlich gewordenen Militärpräsenz Chinas". Nach und nach wolle Obama "tausende Soldaten, die zuletzt in den Kriegen in Irak und Afghanistan gekämpft haben, in gemeinsam mit den Regionalmächten betriebenen Militärbasen stationieren".

Peking reagierte postwendend. Es sei "unangemessen" und "nicht im Interesse der Länder in der Region", militärische Allianzen zu intensivieren und auszuweiten, ließ man in Chinas Hauptstadt wissen.

"Wir sind hier, um zu bleiben."

Im selben Geist agierte Präsident Obama im Anschluss an seinen Australien-Aufenthalt auf Indonesiens Insel Bali als Gast eines Gipfeltreffens der Südostasiatischen Staatengemeinschaft (ASEAN). Am Rande dieser Konferenz, auf der er über eine neue US-amerikanische Militärstrategie referierte, sowie eines Treffens der ASEAN-Staaten mit Abgesandten Chinas, Japans, Indiens, Südkoreas, Australiens, Neuseelands und Russlands äußerte er sich über Washingtons heutige Ostasien-Ambitionen in einer Weise, die einen Zeitungskommentator anmerken ließ: "Es ist, als würden die Geister des Kalten Krieges wieder beschworen." Im Visier ist wiederum unverkennbar das zur regionalen Großmacht herangewachsene, als direkte Bedrohung eigener Interessen empfundene China mit deutlichem politischem Einfluss weit über Asien hinaus, gewaltigen ökonomischen Potenzen und rapide zunehmender militärischer Stärke. Ihm schrieb Obama - verbunden mit harscher Kritik - ins Stammbuch, der Asien-Pazifik-Raum sei "eine Region von immenser strategischer Bedeutung", und: "Wir sind hier, um zu bleiben." Seine Entourage ließ gegenüber wissbegierigen Journalisten keinen Zweifel daran, dass das selbstredend neben politischer auch militärische Präsenz nicht etwa nur in Gestalt der 15.000 Marines auf der japanischen Insel Okinawa heißt.

Die Erinnerung an Vietnam lebte auch wieder auf, als just zur Zeit des präsidialen Auftritts auf Bali Außenministerin Hillary Clinton erstmals an Indochinas und Chinas Grenze aufkreuzte, in dem noch unlängst geächteten Myanmar (ehemals Burma). Sie weilte dort, um - wie Zeitungsleute schrieben - "vor den Toren des Rivalen China neue Allianzen zu schmieden". Dem dürfte ebenso ihre vierstündige Visite Mitte Juli vergangenen Jahres im angrenzenden Laos mit dem artikulierten Wunsch nach "Partnerschaft" anstelle "ehemaliger Konfrontation" gedient haben.

In einem Beitrag im amerikanischen Magazin Foreign Policy unter dem Titel "Amerikas Pazifisches Jahrhundert" ließ Frau Clinton wissen, dass dies Präsenz und Dominanz der USA im asiatisch-pazifischen Raum in den nächsten 60 Jahren bedeute. Bei einem Blitzbesuch am ersten Maitag vergangenen Jahres in Afghanistan, seiner dritten Kurzvisite im Land am Hindukusch, schloss Obama in diesem Sinne mit Präsident Hamid Karsai ein Abkommen über strategische Partnerschaft beider Länder "nach dem Ende des NATO-Kampfeinsatzes 2014". Das Abkommen mit einer vereinbarten Laufzeit von zunächst 10 Jahren fixiert, wie bekannt wurde, den Verbleib amerikanischer Truppen, auch Kampfeinheiten, in Afghanistan nach 2014, vorgeblich für die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte wie auch für "Kampfeinsätze gegen Terroristen" (dpa). USA-Regierungskreise brachten zunächst die Zahl von 20.000 verbleibenden Soldaten in Umlauf.

Letzte Zweifel am Verbleib amerikanischer Truppen dürften jüngst bei einem Besuch Karsais in Washington ausgeräumt worden sein. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Obama stimmte der Gast am 11. Januar einer langfristigen Präsenz von USA-Truppen in Afghanistan zu, verbunden mit der Zusicherung, Washingtons Verlangen entsprechend diesen Truppen auch über 2014 hinaus völlige Straffreiheit bei Straftaten zu gewähren. Obama tat kund, "in den kommenden Monaten" über die künftige Truppenstärke im Land entscheiden zu wollen. Unwidersprochen ist eine Information, dass Washington für die Laufzeit des Abkommens ab 2015 voraussichtlich vier große Militärstützpunkte in Afghanistan unterhalten wolle.

Am Rande sei vermerkt, dass Washington mittlerweile als tatkräftigen und eigene Kosten mindernden Beistand auch die gesamte NATO für die "Zeit danach" wieder in das Afghanistan-Boot gezerrt hat. Nichts anderes bedeutet der im Oktober von den Verteidigungsministern der 28 Mitgliedstaaten des Militärpakts in Brüssel gefasste Beschluss, mit dem Ende des NATO-Kampfeinsatzes ausgangs des Jahres 2013 an die Stelle der bisherigen, International Security Assistance Force (ISAF) genannten kriegführenden Einheiten eine International Training, Advisory and Assistance Mission (ITAM) - eine "Internationale Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission" also - treten zu lassen. Deren Aufgabe soll es sein, afghanisches Militär auszubilden und damit sicherzustellen, "dass Afghanistan nie wieder zum Hort von Terroristen wird". NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen beteuerte zwar, es handle sich nicht um einen Kampfeinsatz, doch müssten die Ausbilder von "Kampfsoldaten" beschützt werden. Die zahlenmäßige Stärke der umbenannten Truppe werde "sehr stark von der Sicherheitslage 2014 abhängen". Dass dabei wiederum von einem "deutschen Kontingent" die Rede ist, versteht sich in Anbetracht der amtlich verkündeten Umwandlung der Bundeswehr von einer "Verteidigungsarmee" in eine "Armee im Einsatz" von selbst. Wehrbeauftragter Hellmut Königshaus sprach Anfang Januar von "mindestens 1000" verbleibenden deutschen Soldaten.

Stoßrichtung China

Die hartnäckig geleugnete Stoßrichtung China in den Aktivitäten der USA manifestierte sich auch in der Ankündigung von Verteidigungsminister Leon Panetta Anfang Juni letzten Jahres auf einer "Sicherheits"-Konferenz in Singapur, bis zum Jahr 2020 rund zwei Drittel der gesamten USA-Kriegsmarine in der Region zu stationieren. Sechs von elf Flugzeugträgern befänden sich bereits dort. Aufhorchen ließ schließlich, als USA-Generalstabschef Martin Dempsey Mitte Juni in einem Interview mit der Bangkoker Zeitung The Nation Washingtons Absicht ausplauderte, Flughafen und Marinebasis Utapao am Golf von Thailand in unmittelbarer Nachbarschaft Indochinas, die bereits intensiv für Manöver genutzt werden, "als bedeutende logistische Drehscheibe" dauerhaft wieder mit Beschlag zu belegen. Von Utapao aus flogen einst strategische B-52-Bomber Angriffe auf Vietnam und Laos. Der General machte, wie es in einem Pressebericht hieß, "keinen Hehl daraus, dass die Reaktivierung Utapaos keineswegs nur einen logistischen und humanitären Hintergrund hat, sondern Teil der Gesamtstrategie der USA ist, ihre Präsenz im pazifischen Raum auszubauen".

Vietnam ist sogar direkt wieder im Gespräch. Mitte Juni resümierte die Berliner Zeitung: "Von Australien bis Indien kreisen die USA die neue Supermacht China immer stärker ein. Indonesien, die Philippinen, Taiwan, Thailand und sogar Vietnam sind tragende Pfeiler dieser Strategie." Minister Panetta, Anfang Juni Gast seines vietnamesischen Amtskollegen Hung Quang Thanh, habe als erster hochrangiger Politiker der USA das südvietnamesische Cam Ranh besucht, "im Vietnamkrieg wichtigster Umschlaghafen der USA für ihren militärischen Nachschub". Inzwischen gebe es eine "enge sicherheitspolitische Zusammenarbeit: 2008 eröffneten beide Seiten einen strategischen Dialog, 2011 unterzeichneten sie ein ‚Memorandum of Defence Cooperation’, vietnamesische Offiziere werden zum Teil in den USA ausgebildet, im April dieses Jahres fand die erste gemeinsame See-Übung statt".

Kaum anzunehmen ist, dass sich Washington aus purer Freundschaft und ohne Hintergedanken solcherart von neuem in Vietnam engagiert. Die Führung in Hanoi wiederum ist sich mit Sicherheit dessen bewusst, dass für Vietnam ein größtmögliches Maß an guter Nachbarschaft zu dem seit jeher ungeliebten und argwöhnisch beäugten, jetzt gerade mit Blick auf den heftigen Streit um Inseln im Südchinesischen Meer nicht eben als Freund geltenden Riesenreich im Norden lebenswichtig ist.

Es verwundert schließlich nicht, dass Barack Obama in der zweiten Novemberhälfte als Ziel seiner ersten Auslandsreise nach seiner Wiederwahl Südostasien auserkoren hat. Nach einem Stopp in Thailand, das er als "wichtigen Verbündeten" würdigte, begab er sich als erster amtierender USA-Präsident nach Myanmar. Kommentatoren nannten den Besuch nur wenige Monate nach der Wiederaufnahme offizieller zwischenstaatlicher Beziehungen den "zentralen Programmpunkt" der Reise des Präsidenten, da Washington die "seltene Gelegenheit" sehe, "einen bisher treuen Vasallen Chinas auf seine Seite zu ziehen". Er sei "gekommen, um die Hand der Freundschaft zu reichen", verkündete er in einer kurzen Rede vor Studenten der Universität zum Auftakt seines sechsstündigen Aufenthalts in der Landeshauptstadt Yangun (ehemals Rangun). In Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh schließlich, der letzten Reisestation, hatte er sich wie vor Jahresfrist auf Bali als Gast einer Gipfelberatung der zehn ASEAN-Mitgliedstaaten und eines anschließenden Ostasien-Gipfels angesagt. Es war auch Gelegenheit für ein neuerliches Gespräch mit Chinas Ministerpräsidenten. Wenn Wen Yiabao danach erklärte: "Wir werden den strategischen und wirtschaftlichen Dialog stärken", dann war neben gutem Willen wohl auch eine gehörige Portion Zweckoptimismus mit im Spiel.

Hellmut Kapfenberger war ADN- und ND-Korrespondent in Hanoi.

 

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