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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Vor 80 Jahren überfiel Mussolini-Italien Äthiopien

Dr. Gerhard Feldbauer, Künzel

 

Es war eine Aggression am Vorabend des Zweiten Weltkrieges

 

Der Überfall Mussolini-Italiens am 3. Oktober 1935 auf Abessinien, das heutige Äthiopien, war eine Aggression am Vorabend des Zweiten Weltkrieges. Die Beschwichtigung der Öf­fentlichkeit durch Großbritannien und Frankreich angesichts der offenen Aggressionsvor­bereitung des faschistischen Diktators gegen Äthiopien ging als Appeasement in die Ge­schichte ein. Zur heutigen, von den USA, der NATO mit der Bundesrepublik in vorderster Linie betriebenen Kriegspolitik gibt es erstaunliche Parallelen. Neben wir das Beispiel des USA-Überfalls auf Irak, dessen Charakter als ein völkerrechtswidriger Aggressionskrieg von der deutschen Regierung wie von anderen europäischen Regierungen vertuscht wur­de. Es gab keinerlei Widerspruch gegen die verlogenen Kriegsvorwände, die Verharmlo­sung der Militäreinsätze, den am irakischen Volk begangenen Massenmord. Propagandis­tisch wurde dieser wie andere Überfälle mit Methoden vorbereitet, die Goebbels benutzte, wurde gegen Irak ein – in Nürnberg geächteter Präventivkrieg – begonnen. Seit Hitler und Mussolini hat kein Staats- und Regierungschef die Grundprinzipien des Völkerrechts – na­tionale Souveränität, territoriale Integrität und Gewaltverzicht – so mit Füßen getreten wie der damalige USA-Präsident George W. Bush mit seiner Führungsclique aus Vertretern der reaktionärsten und aggressivsten Kreise des USA-Imperialismus. Sein Nachfolger Obama hat diesen weltweit angelegten Kriegskurs ohne Abstriche fortgesetzt.

Es ging um die Neuaufteilung der Welt

Der »Duce« wollte mit der Eroberung des afrikanischen Kaiserreiches zunächst sein ostafri­kanisches Kolonialreich vollenden, um dann »die Kolonialkarte Afrikas zu ändern und die Frage der Neuaufteilung der Welt praktisch zu stellen«. Im Dezember 1934 hatte Italien auf äthiopischem Gebiet bei Ual Ual (Ogaden) einen schweren Grenzzwischenfall provoziert, um einen Vorwand für den späteren Überfall zu schaffen. Während sich Mussolini demago­gisch für eine friedliche Lösung aussprach, befahl er bereits am 30. Dezember, den Krieg vorzubereiten, dessen Ziel »die vollständige Eroberung Äthiopiens sein« werde. Im Februar begann die Verschiffung der 400.000 Mann starken Kolonialarmee nach Eritrea und Soma­lia.

Dazu hatte der »Duce« Carte blanche von Paris erhalten. Bei einem Besuch des französi­schen Außenministers Pierre Naval am 7. Januar 1935 in Rom, in dem es offiziell um die Wahrung der Unabhängigkeit Österreichs ging, in die Italien einbezogen werden sollte, [1] hatte Laval mit Mussolini einen Geheimvertrag geschlossen, in dem Italien die Unterstützung der französischen Politik im Mittelmeer erklärte, während Frankreich »freie Hand für das italienische Vorgehen in Äthiopien gewährte«. London, das um seine angrenzenden Kolonien Kenia und Uganda sowie den anglo-ägyptischen Sudan fürchtete, versicherte Mussolini, dass »seine Interessen in Ostafrika nicht beeinträchtigt würden.« [2] Wie gegenüber Deutschland wurde diese Haltung auch gegenüber Italien von der antisowjetischen Stoßrichtung Großbritanniens und Frankreichs bestimmt. Die »Times« gab die Meinung der maßgeblichen Konservativen wieder, als sie den »Marsch auf Rom« im Oktober 1922 als »Reaktion gegen den Bolschewismus« würdigte. Im Mai 1923 besuchte die Königsfamilie Rom, um »die guten Beziehungen zur Regierung Mussolini zu festigen«. Außenminister Lord Curzon schickte dem »Duce« eine Botschaft seiner »hohen Wertschätzung«. [3] Als nach dem Beginn der Aggression gegen Äthiopien wirksame Sanktionen des von London und Paris beherrschten Völkerbundes ausblieben, wurde Außenminister Lord John Simon gefragt, warum England nicht irgendeinen Zwischenfall arrangierte, zum Beispiel ein Schiff im Suezkanal versenkte, was die Verbindung zwischen Italien und seinen Armeen in Äthiopien unterbrechen würde, antwortete Simon: »Wir können das nicht tun, weil das Mussolinis Sturz bedeuten würde.« [4]

Äthiopien war ein für afrikanische Verhältnisse entwickelter Staat, der über eine Armee von 550.000 Mann verfügte, welche die italienische Offensive trotz der großen Überlegen­heit an Flugzeugen, schwerer Artillerie und Panzern sowie massiver Luftangriffe auf Städte und Dörfer zunächst zum Stehen brachte. Die Äthiopier gingen sogar zu Gegenangriffen über. Mussolini ließ daraufhin über den äthiopischen Stellungen 350 Tonnen Yperit abwer­fen. Die etwa 275.000 Toten auf äthiopischer Seite fielen vor allem dem Giftgas zum Op­fer. Der Kolonialarmee gelang danach der Durchbruch. Am 5. Mai 1936 zog sie in Addis Abeba ein. Zwei Tage vorher war Kaiser Hailé Selassié nach London abgeflogen.

Interessenkonflikt mit Hitler

Deutschland erklärte sich formell neutral und interpretierte die italienische Aggression als einen »Rassenkonflikt« und »gerechten Kampf«.  Hitler versuchte jedoch zunächst, Mussoli­ni die 1934 bei seinem Versuch, in Österreich einzumarschieren, für Wien bezogene Po­sition heimzuzahlen. Im Auftrag des Heereswaffenamtes gingen über anonyme Kanäle nach Addis Abeba Mausergewehre und Maschinengewehre mit Patronen, Handgranaten Panzerrabwehrkanonen mit Munition und Medikamente. Über die Schweiz wurden Örlikon-Kanonen geliefert. Offiziell wurde Italien versichert, dass »die Reichsregierung weder Waf­fenlieferungen an den Negus noch die Anwerbung deutscher Freiwilliger für Abessinien zu­lassen würde«. Nach dem anfänglichen Scheitern der italienischen Offensive kam es je­doch zu einem Meinungsumschwung in Berlin. Er war auch eine Reaktion auf das Einlen­ken Mussolinis vom 6. Januar 1936, die Differenzen über die Österreichfrage beizulegen.

Italienische Kommunisten in Selassiés Armee

Die italienischen Kommunisten und Sozialisten hatten 1934 ein Aktionseinheitsabkommen gegen den Faschismus geschlossen. Nach dem Überfall auf Äthiopien beriefen beide Arbei­terparteien einen »Kongress der Italiener im Ausland« nach Brüssel ein, der am 13. Okto­ber die sofortige Einstellung der Aggression forderte. Der Kongress vertrat die Mehrheit der etwa 850.000 in Frankreich im Exil lebenden Italiener. Auf dem VII. Weltkongress der Komintern 1935 in Moskau hatte Palmiro Togliatti der rassistischen Losung des »Duce« von der »zivilisatorischen Mission« die der »Vereinigung der Proletarier und unterdrückten Völker« entgegengesetzt. Er führte aus: »Wenn der Negus von Abessinien durch die Vereitelung der Eroberungspläne des Faschismus dem italienischen Proletariat helfen wird, dem Re­gime der Schwarzhemden einen Schlag aufs Haupt zu versetzen, (wird) niemand ihm seine ›Rückständigkeit‹ zum Vorwurf machen. (...) Das abessinische Volk ist der Verbündete des italienischen Proletariats gegen den Faschismus und wir versichern (…) das abessinische Volk unserer Sympathien.« Das blieben keine Lippenbekenntnisse. 38 italienischen Kom­munisten gelang es, nach Äthiopien durchzukommen, wo sie in der Armee Selassiés gegen die Truppen Mussolinis kämpften. Unter ihnen befand sich der spätere Kommandeur der internationalen Garibaldi-Brigade in Spanien, Ilio Barontini, der nach dem Sturz Mussolinis 1943 zu den Organisatoren des bewaffneten Widerstandes gegen die Okkupation Nord- und Mittelitaliens durch Hitlerdeutschland gehörte.

Klerus feierte Mussolini

Nach der Eroberung schloss Rom Äthiopien mit Eritrea und Somaliland zur Kolonie Italie­nisch Ostafrika zusammen. Vittorio Emanuele III. setzte sich die äthiopische Kaiserkrone auf und der römische Klerus feierte Mussolini als »einen wunderbaren Duce, der das Kreuz Christi in alle Welt trägt.« [5] Pius XI. zwang den Äthiopiern auf den Trümmern der koptischen Kirche eine ihnen fremde Religion auf.

Für das Kapital waren reiche Rohstoffquellen erobert worden: Eisen, Kupfer, Mangan, Schwefel, Nickel, Platin und Gold. Einige Zehntausend arbeitslose Italiener fanden für eini­ge Jahre Arbeit in der eroberten Kolonie. Während für unzählige Äthiopier ein Hungerda­sein begann, transportierten Frachter das Getreide des Landes nach Italien. Es gelang je­doch nicht, Äthiopien völlig zu unterwerfen. Die Stämme unter Führung ihrer Ras (Fürsten) aber auch selbständige Partisanenabteilungen, die sich vor allem aus früheren Soldaten und Offizieren zusammensetzten, kontrollierten die schwer zugänglichen Bergregionen und Wüstengebiete. Um den Widerstand zu zerschlagen, führten Abteilungen der Schwarzhem­den »Strafexpeditionen« durch. Ein Augenzeuge schilderte, wie in Addis Abeba Italiener in »echter SA-Manier«, bewaffnet »mit Knüppeln und Eisenstangen«, umherliefen und »die Einheimischen, die sich noch auf der Straße befanden, erschlugen«. [6]

In Addis Abeba 30.000 Menschen ermordet

Nach einem gegen sich erfolglosen Attentat befahl der Generalgouverneur der Kolonie, Marschall Rodolfo Graziani, am 19. Februar 1937 ein Massaker, dem allein in der Haupt­stadt 30.000 Menschen zum Opfer fielen. Er ordnete an, die äthiopische Intelligenz als einen Oppositionsherd zu liquidieren. Unzählige christlich-koptische Geistliche und alle Ka­detten der Militärakademie von Addis Abeba wurden umgebracht. Nur auf den Verdacht hin, dass sie an dem Attentat beteiligt gewesen sein könnten, wurden nahezu 300 Ordens­brüder des Klosters Debra Libanos erschossen. Unzählige Äthiopier sperrte das Kolonialre­gime in Konzentrationslager, wo die meisten elendiglich zu Grunde gingen. Insgesamt fie­len 750.000 Äthiopier dem Völkermord zum Opfer.

Auf dem Weg zum Münchener Abkommen und weiter in den Abgrund des Zweiten Welt­krieges stellte der Krieg in Afrika einen Markstein dar. Hitler war die Haltung Frankreichs und Großbritanniens Beweis, dass diese nicht gewillt waren, den Status quo zu verteidi­gen. Es sah sich bestärkt, im März 1936 in das entmilitarisierte Rheinland einzumarschie­ren und zwei Jahre darauf Österreich zu besetzen; London und Paris blieben auch bei der deutschen und italienischen Teilnahme an der Niederschlagung der Spanischen Republik passiv. Am 29. September 1938 schlossen sie in München das gegen die UdSSR gerichte­te Abkommen, das das faschistische Deutschland zur Annexion tschechoslowakischer Ge­biete ermächtigte und zu weiteren Aggressionen nach Osten ermunterte.

Gerhard Feldbauer schrieb zum Thema das Buch: Mussolinis Überfall auf Äthiopien. Eine Aggression am Vorabend des Zweiten Weltkrieges. Pahl Rugenstein, Bonn 2006.

 

Anmerkungen:

[1]  Als Hitler nach der Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß den Putsch der SS-Standarte in Wien zum Einmarsch  der Wehrmacht nutzen wollte, hatte Mussolini Österreich Unterstützung zugesagt und vier Divisionen an der Brennergrenze aufmarschieren lassen. Der »Führer« gab nach und verschob den Anschluss.

[2]  Marco Palla: Mussolini e il Fascismo, Florenz 1993, S. 102.

[3]  I Giorni della Storia. Cronaca quotidiana das 1815. Novara 1991, S. 383.

[4]  Alfred Leslie Rowse: All souls and Appeasement. London 1961, S. 26.

[5]  I Giorni, S. 459.

[6]  Ciri Pogiali: Gli Appunti segreti dell Inviato del »Corriere della Sera«, Mailand 1971, S. 182.

 

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