Vor 75 Jahren: Beginn des Koreakrieges
Dr. Wolfram Adolphi, Potsdam
Am 27. Juni 1950 – die DDR ist knapp neun Monate alt – erfahren die Leserinnen und Leser des »Neuen Deutschland« in drei auf Seite 1 platzierten Texten von militärischen Zusammenstößen, die sich später als Auftakt des Koreakrieges erweisen sollten: eines Krieges, der bis zum 27. Juli 1953 dauern, das Leben von mindestens einer Million Soldatinnen und Soldaten und mindestens drei Millionen Zivilistinnen und Zivilisten fordern, das ganze Land, das erst im August 1945 durch den Sieg der Antihitlerkoalition über Japan von der japanischen Kolonialherrschaft befreit worden war, in Schutt und Asche legen und dafür sorgen würde, dass Korea auch im Jahre 2025 noch nicht geeint ist, sondern aus zwei politisch fundamental gegeneinander stehenden Hälften – der Demokratischen Volksrepublik Korea im Norden und der Republik Korea im Süden – besteht.
Im »Neuen Deutschland«: Klare Parteinahme und Deutschlandvergleich
Text eins trägt die Überschrift »Die koreanische Provokation der Amerikaner«. Unter Berufung auf das Innenministerium der Volksrepublik Korea wird mitgeteilt, dass »Truppen der südkoreanischen Marionettenregierung« am 25. Juni »an der ganzen Front des 38. Breitengrades einen überraschenden Angriff auf das Gebiet der Volksrepublik Korea unternommen« hätten, dieser aber noch am gleichen Tag »von den Abteilungen des Grenzschutzes der Volksrepublik Korea […] in erbitterten Kämpfen zum Stehen gebracht« worden sei und die Grenzschutzabteilungen nun ihrerseits »im Zusammenwirken mit den Truppen der Volksarmee« den 38. Breitengrad in Richtung Süden überschritten hätten. Außerdem wird berichtet, dass die »Neue Zürcher Zeitung« bereits am 20. Juni aus Seoul gemeldet habe, dass es »im südlichen Korea nicht an Leuten« fehle, »die eine Lösung der das Land schwer bedrückenden Probleme im militärischen Angriff auf den Norden sehen.«
Text zwei informiert unter der Überschrift »Wie die Provokateure arbeiten« darüber, dass laut südkoreanischer Marionettenregierung »die ersten Lieferungen amerikanischen Kriegsmaterials, das auf Anweisung des USA-Präsidenten Truman vom amerikanischen Oberbefehlshaber General MacArthur aus amerikanischen Beständen in Japan zur Verfügung gestellt wird, bereits in Südkorea eingetroffen« seien. Mit dieser Meldung – so die Zeitung – sei »durchschlagend« bewiesen, »dass die Provokation der Imperialisten gegen die Volksrepublik von langer Hand vorbereitet« sei, denn bei einer solchen Abfolge der Ereignisse »müssen diese Waffen und Kriegsmaterialien in japanischen Häfen verladen und von japanischen Häfen mit Kurs Südkorea in See gegangen sein, bevor in Korea überhaupt der erste Schuss gefallen war.« Verräterisch sei zudem die »Schnelligkeit«, mit der sich »die amerikanische Mehrheit des UN-Sicherheitsrates zugunsten der südkoreanischen Marionettenregierung eingeschaltet hat.«
Zu den »Motiven der Provokation« meint die Zeitung, dass es den USA darum gehe, erstens die »katastrophale wirtschaftliche Entwicklung der amerikanischen Kolonie Südkorea vor der Weltöffentlichkeit zu verschleiern«, zweitens »dieses Gebiet unter dem Vorwand seines Schutzes noch fester in die Hand zu bekommen« und drittens »zu erkunden, wie weit sich die Kriegsbrandstifter ungestraft vorwagen dürfen.« Das »koreanische Abenteuer« solle »die Kriegspsychose in der Welt steigern« und den »amerikanischen Steuerzahlern noch mehr Dollars für Rüstungszwecke aus den Taschen locken.«
Text drei steht unter der Überschrift »Probefall für Deutschland«. Dort heißt es: »Korea ist gespalten – wie Deutschland. In Nordkorea sind die alten, herrschenden Schichten, die mit den japanischen Faschisten gemeinsame Sache machten, entmachtet. Das Land wurde den Bauern gegeben. Südkorea dagegen ist eine amerikanische Kolonie. Die Bodenreform wurde nicht durchgeführt – wie in Westdeutschland. Durch die Politik der USA-Imperialisten wurde die Wirtschaft des Landes in zwei Teile zerrissen, das Land leidet darunter – wie Deutschland. […] Die amerikanisch gelenkten Rundfunkstationen Südkoreas treiben eine wüste Hetze gegen die Koreanische Volksrepublik – wie in Westdeutschland und in Westberlin gegen die Deutsche Demokratische Republik. Die Amerikaner, so berichtet die ›Neue Zürcher Zeitung‹ am 20. Juni, haben in Südkorea 150.000 Mann mit amerikanischen Waffen ausgerüstet, unter das Kommando amerikanischer Instrukteure gestellt und bereiteten seit langem den Krieg vor […] – genau wie in Westdeutschland, wo sie die Straßen und Flüsse für Kriegshandlungen vorbereiten.«
Und noch eine weitere Parallele ist für »Neues Deutschland« unübersehbar: »Diejenigen, die in Südkorea für die Einheit des Landes, für die Demokratisierung kämpfen«, würden »verfolgt, verhaftet, getötet«; die Kommunistische Partei sei »verboten«; bisher seien »93.000 koreanische Patrioten ermordet«, 154.000 befänden sich im Gefängnis – »das gleiche« versuche man »in Westdeutschland und Westberlin«: »Man ermutigt die Neofaschisten und organisiert Überfälle auf Friedensfreunde.« Die »Vorgänge in Korea« seien »eine Warnung für Westdeutschland, für ganz Deutschland.« Korea sei »der Probefall für den geplanten Angriff auf die Deutsche Demokratische Republik.«
»Bürgerkriege beginnen nicht: Sie ziehen herauf«
Sind sie zu den Entwicklungen in Korea gut informiert worden, die Leserinnen und Leser des »Neuen Deutschland«? Ein Vergleich mit den Koreakriegskapiteln im weithin anerkannten Standardwerk des US-amerikanischen Koreaspezialisten Bruce Cumings Korea’s Place in the Sun (Koreas Platz an der Sonne) [1] erbringt bedeutsame Ähnlichkeit in vielen Aussagen.
»Bürgerkriege beginnen nicht: Sie ziehen herauf«, meint Cumings [2] und gründet darauf seine Sorgfalt in der ausführlichen Analyse der Vorgeschichte. Die muss – selbstverständlich –, ihren Ausgangspunkt in den Tagen der Befreiung vom japanischen Kolonialismus im August 1945 haben. »Es waren die Sowjets«, schreibt Cumings, die »am 8. August die Japaner in Korea zu bekämpfen begannen«, dann »die Amerikaner in den Süden ›einließen‹« und insgesamt »das Netz aus Volkskomitees« unterstützten, das im »Komitee für die Vorbereitung der koreanischen Unabhängigkeit« in Seoul sein Zentrum hatte. [3] Will heißen: Die Sowjetarmee bestritt die entscheidenden Kämpfe und unterstützte sofort die im ganzen Land (!) sich rasch formierenden, ihre Legitimität aus dem antijapanischen Befreiungskampf gewinnenden revolutionären Regierungs- und Verwaltungsorgane, während die »hinzutretenden« USA diese Bewegung »mieden« und stattdessen einer »Gruppe von im Exil lebenden Nationalisten und einigen einheimischen Konservativen« den Vorzug gaben, die im September 1945 die Koreanische Demokratische Partei bildeten. Cumings – zu Recht darauf bedacht, Korea nicht als Anhängsel von irgendwem zu sehen, sondern seine in jahrtausendealter Geschichte wurzelnde Eigenständigkeit zu würdigen – fasst das so zusammen: »Indem die Koreaner ihre Entscheidungen trafen und Washington und Moskau diese Entscheidungen befestigten« – an anderer Stelle formuliert er, die Koreaner hätten die amerikanische und die sowjetische Macht je »auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten« –, sei »Korea in wenigen Monaten tatsächlich geteilt« gewesen, und zwar »schon lange vor der Gründung der beiden Republiken im Norden und Süden 1948.« [4]
Eine Herleitung dieser Teilung aus früherer koreanischer Geschichte sieht Cumings nicht, sehr wohl aber »den Löwenanteil« der USA an ihrem Zustandekommen. General MacArthur habe den 38. Breitengrad als Teilungslinie im Zusammenhang mit der Kapitulation Japans am 15. August 1945 willkürlich festgelegt, und »die Russen« hätten das »schweigend« akzeptiert, »weil sie gleichzeitig eine Besatzungszone im Nordteil der japanischen Insel Hokkaido verlangten (die ihnen MacArthur verweigerte).« [5] In diesem Zusammenhang macht Cumings auf eine Besonderheit des Kriegsendes in Ostasien aufmerksam: »Wenn ein ostasiatisches Land hätte geteilt werden sollen, dann hätte es Japan (wie Deutschland ein Aggressor) sein müssen. Stattdessen aber wurden nach dem Zweiten Weltkrieg Korea, China und Vietnam geteilt.« Es waren – so Cumings – »die politischen und ideologischen Spaltungen, die wir mit dem Kalten Krieg assoziieren«, die zur Teilung Koreas führten; sie »beherrschten Korea schon vor dem globalen Kalten Krieg, und sie haben den Kalten Krieg, der anderswo längst zu Ende ist, überdauert.« [6] – Ist der Kalte Krieg aber tatsächlich zu Ende? Oder trägt er nur den neuen Namen »Systemrivalität«? Und Korea steckt wieder mittendrin? Mit stets präsenter Eskalationsgefahr? Wie auch die Teilung Chinas durch die Abspaltung Taiwans bis heute nicht überwunden ist? Und zum Kriegsherd werden kann?
Antikommunismus, Konterrevolution und Neokolonialismus
Der Verlauf des Koreakrieges, der in seinem ersten Jahr von raschen Vormärschen und Rückzügen geprägt war und dann in einem Stellungskrieg erstarrte, ist hier nicht Gegenstand und kann daher nur in knappster Form angedeutet werden. Ende September 1950 hatte die nordkoreanische Volksarmee fast den gesamten Süden besetzt; in einem Gegenschlag der nun massiv eingreifenden US-Truppen wurde diese Armee jedoch eingekesselt und zerschlagen, die südkoreanischen und US-amerikanischen Truppen überschritten ihrerseits den 38. Breitengrad und drangen bis Mitte Oktober 1950 bis fast an die chinesische Grenze vor. Die VR China antwortete darauf mit der Entsendung einer chinesischen Volksfreiwilligenarmee, die die US- und südkoreanischen Truppen bis Ende Dezember 1950 wieder hinter den 38. Breitengrad zurückwarf und im Januar 1951 erneut Seoul erreichte. Im März wurde Seoul vom Süden zurückerobert; der Krieg ging um den 38. Breitengrad herum in einen Stellungskrieg über, in dem es jedoch im September/Oktober 1951 noch einmal zu einer überaus opferreichen Schlacht kam, in deren Verlauf die US-Luftstreitkräfte den Norden mit Bomben und Napalm einer Wüste gleichmachten. [7] Am Ende stand man wieder fast genau da, wo es im Juni 1950 begonnen hatte.
Zwei Siegermächte des Zweiten Weltkrieges waren direkt in den Krieg involviert: die USA und die VR China, und zwar mit Truppen, auf deren Stärke aus den Todesopfern geschlossen werden kann: Die Rede ist von 500.000 koreanischen, 400.000 chinesischen und 40.000 getöteten UN-Soldaten (darunter 36.914 US-Amerikanern). [8] Die gewaltige Rolle der US-Streitkräfte erhellt dabei nicht nur aus den Bodentruppen, sondern auch und ganz besonders aus den Luftstreitkräften und den von ihnen vorgetragenen ungeheuren Bombardements. Eine dritte Siegermacht – die Sowjetunion – war mit der VR China und der VR Korea verbündet, trat aber nicht direkt in den Krieg ein.
Die Auseinandersetzungen zwischen diesen drei Großmächten und innerhalb ihrer selbst über das Engagement in Korea sind wiederum ein eigenes Kapitel, und so müssen auch hier einige wenige Sätze genügen.
Erstens: Die USA entfalteten mit dem Koreakrieg endgültig ihre aggressiv antikommunistische, konterrevolutionäre und neokoloniale Strategie des Containment (der Eindämmung) aller revolutionären und antikolonialen Prozesse auf der Welt, und sie bedienten sich dabei politisch, militärisch, wirtschaftlich und logistisch unverhohlen des gerade erst besiegten und aus Korea vertriebenen Japan (und wirtschaftlich auch des von ihnen besetzten Teils des gerade erst besiegten Deutschlands).
Zweitens: Die Sowjetunion verhielt sich wie in Europa (wo sie das Ziel eines nicht geteilten, neutralen Deutschland verfolgte) zurückhaltend, wollte keinen revolutionären Krieg, sondern war vor allem auf die Schaffung eines friedlichen Umfeldes an ihren Grenzen bedacht, um nie wieder in eine Situation wie 1941 zu kommen. [9]
Drittens: Die VR China sah sich zum militärischen Eingreifen gezwungen, weil sie angesichts der Zusammenarbeit der USA mit dem Weltkriegsaggressor Japan und dem chinesischen Bürgerkriegsgegner Jiang Jieshi (Tschiang Kaischek), der sich auf die Insel Taiwan zurückgezogen hatte, keinen Zweifel daran haben konnte, dass sie das eigentliche Ziel des Vorgehens der USA darstellte.
Winston S. Churchill, als britischer Premierminister einer der großen Strategen der Anti-Hitler-Koalition und nach dem Krieg einer der Väter der auf ihn unmittelbar folgenden fundamental-antikommunistischen Frontstellung des Westens, brachte die geopolitischen Zusammenhänge in seinem Buch »Der Zweite Weltkrieg« auf den Punkt, als er über die von den USA am 17. Juli 1945 erfolgreich getestete Atombombe und die Gespräche darüber mit US-Präsident Harry Truman während der Verhandlungen zu den Nachkriegsregelungen in Potsdam schrieb: »Damit also besaßen wir das Mittel zur schleunigen Beendigung des zweiten Weltkrieges und zu vielleicht noch vielem mehr.« An die Stelle eines noch langen Krieges im Pazifik sei »die helle und tröstliche Aussicht getreten, ein oder zwei zerschmetternde Schläge könnten den Krieg beenden […] Und noch etwas – wir brauchten die Russen nicht mehr. […] Jetzt mussten wir von ihnen keine Gefälligkeit mehr erbitten […] Auch die Aussichten für die Zukunft Europas schienen rosiger geworden.« [10]
Der Koreakrieg war ein Ausdruck der Spaltung der Welt, wie es heute, 75 Jahre später, der Ukrainekrieg ist – unter Bedingungen, die durch das Fortbestehen der ostasiatischen Spannungsherde seit dem Waffenstillstand in Korea geprägt sind. Den gordischen Knoten zu zerschlagen wird nur mit allseitigem Willen zum Frieden und zur Überwindung der Systemkonfrontation gelingen.
Anmerkungen:
[1] Cumings, Bruce, Korea’s Place in the Sun. A Modern History, Updated Edition, New York – London 2005, 542 S.
[2] Cumings schreibt »Civil wars do not start, they come.« Ebenda, S. 238. – Dieses »come« einfach nur mit »kommen« zu übersetzen, erschien mir hier zu schwach – W. A.
[3] Ebenda, S. 186.
[4] Ebenda, S. 186 f.
[5] Ebenda, S. 187.
[6] Ebenda, S. 186.
[7] Vgl. dazu den Wikipedia-Eintrag »Koreakrieg«.
[8] Vgl. ebenda. – Von UN-Soldaten ist die Rede, weil am 25. Juni 1950 die USA vom UNO-Sicherheitsrat die Zustimmung zur Intervention zugunsten Südkoreas erhielten und darum auch Truppenkontingente von 15 weiteren Staaten unter US-Befehl gestellt am Krieg teilnahmen.
[9] In diesen Zusammenhang muss auch die verwirrende Tatsache gestellt werden, dass der Vertreter der Sowjetunion im UNO-Sicherheitsrat Jakow Malik bei der Abstimmung vom 25. Juni 1950 nicht anwesend war.
[10] Churchill, Winston S., Der Zweite Weltkrieg. Mit einem Epilog über die Nachkriegsjahre, a. d. Engl. v. Eduard Trosch u. a. (1948), Frankfurt a. M. 2003, 6. Aufl. 2011, S. 1089 f. – Auf S. 1086 findet sich zu Europa auch der folgende Satz. »Am 1. Juli begannen die amerikanischen und britischen Armeen den Rückzug auf die ihnen zugeteilten Zonen; Massen von Flüchtlingen folgten ihnen auf dem Fuß. Sowjetrussland setzte sich im Herzen Europas fest. Es war ein für die Menschheit verhängnisvoller Tag.«
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